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30. März 2024

Grundrecht Unversehrtheit

Menschenrechte kann man nicht erwerben und nicht gewähren.
Sie sind gegeben und unveräußerlich.

Gesetzliche Regelungen in Deutschland

Selbstbewusst
Selbstbewusstes Mädchen in Tansania 1981 (Bild: Jäger)

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert allen Menschen (Art. 3.3 GG) Unversehrtheit (Art. 2.2 GG) als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1.3. GG).

  • Körperverletzung wird strafrechtlich verfolgt (§ 223/224 StGB).
  • Das Kindeswohl ist besonders geschützt (§ 1666 BGB, KKG) Das Einwilligungsalter für Sex liegt bei 14 Jahren. (Age-of-consent 2024)
  • Auch sexuelle Nötigung und Vergewaltigung verstoßen gegen das Recht auf Unversehrtheit. Sie sind in Deutschland strafbar. (§177 StGB). Allerdings im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, nicht auf der Basis des Konsensprinzips und mit relativ milden Strafen. (Amn. Int. 2024, Politico 2023, TDF 2024).
  • Die Bedrohung der Unversehrtheit oder ihre Verletzung kann ein Asylgrund sein. (Asylgesetz, Factsheet, Caritas)
  • Am 01.11.2024 wird das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft treten. (BMJ 2023, Bundesregierung) Es regelt die Voraussetzungen für die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen im Personenstandsregister. Es geht auf Verletzungen der Unversehrtheit nicht ein. Nach geltendem Recht sind aber Eingriffe an Körperorganen nur dann zulässig, wenn die Korrekturen Krankheitserscheinungen vorbeugen würden. Nicht gerechtfertigt sind Eingriffe, die versuchen, bei Kindern ein Geschlecht festzulegen. (AWMF-Leitlinie „Weiblichen genitalen Fehlbildungen)

Die o.g. Gesetze beziehen auf alle Menschen, im Gegensatz zu

Gesetze für unterschiedliche Menschengruppen widersprechen dem Grundgesetz. (Art. 3.3 GG) Wenn durch Auslegung von Recht definiert werden muss, was im Sinne von §226a StGB strafbar sein soll und was nicht (gemäß anderer Begrifflichkeiten wie ‚Beschneidung/FGC‘, ‚Verstümmelung/FGM‘, ‚Kosmetischer Chirurgie/FGCS‘ …), ergeben sich …

… Juristische Konflikte:

Bilder: intaction.org. Die Beschneidung ist ein „Mittel gegen Masturbation, welches bei kleinen Jungen fast immer erfolgreich ist. Die Operation sollte von einem Arzt ohne Betäubung durchgeführt werden, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird. Bei Mädchen, so hat der Autor herausgefunden, ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure (Phenol) hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern.“ John Harvey Kellogg, M.D., Treatment for Self-Abuse and its Effects, Plain Facts for Old and Young. Iowa 1888, S. 295
  • Landgericht Braunschweig 2023/2024: Seit November 2023 wird gegen einen gynäkologischen Chefarzt aus Braunschweig verhandelt, der seine Frau ‚mit einer Bastelschere‘ vaginal verletzt haben soll (TAZ 11/2023). Im März 2023 wurde einem Journalisten auf Nachfrage mitgeteilt, es sei keine Anklage wegen FGM (§226a StGB) oder Vergewaltigung (§177 StGB) erhoben worden, sondern wegen Körperverletzung (§223, §224 StGB). Diese Entscheidung sei vom OLG bestätigt worden. (Persönliche Information) Der Fall hat auch eine Bedeutung für das wachsende Geschäftsfeld von „Female Genital Cosmetic Surgery (FGCS)“ bei Minderjährigen, u.v.a. zur ‚Jungfernhäutchen-Rekonstruktion‘. Damit ist die operative Verletzung der Scheide gemeint, die zu Vernarbungen führen soll, die dann an ein Organ erinnern sollen, das es biologisch nicht gibt. (BR: 13.12. 2023: Mythos Jungfernhäutchen)
  • USA 2019: Die amerikanische Anästhesistin Jumana Nargarwala wurde wegen Verstümmelung von Mädchen angeklagt. Sie gewann in zwei Instanzen: Sie habe die Kinder, derentwegen man sie beschuldigte, nur chirurgisch optimiert. Hygienisch und operationstechnisch sei alles korrekt verlaufen. Sie habe im Auftrag ihrer Religion gehandelt und eher zur Verschönerung der Kinder beigetragen. Es war angesichts dieser Begründungen nicht möglich, sie rechtskräftig zu verurteilen. Die Richter fanden kein übergeordnetes Bundesgesetz, welches die Praxis von FGM eindeutig verbiete. ( 1 , 2 , 3 , 4 )
  • Bundestag 2018: Strafbarkeit der Beschneidung von Mädchen in besonderen Fällen mit Asylbezug. Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 075/18. Der Text zeugt von der Unkenntnis des Klitorisorgans. Eine dort genannte ‚Entfernung des Klitoris-Organs‘ (Clitoridectomie) gibt es nicht. Er eröffnet die Möglichkeiten für den Kommerz (Female Genital Cosmetic Surgery) auch bei Minderjährigen, also bei Nicht-Einwilligungsfähigen: „Auch in Schönheitsoperationen, die mit dem teilweisen Entfernen von Schamlippen, Klitoris oder der Labien, sowie einem Umgestalten der Klitorisvorhaut einhergehen, ist die rechtfertigende Einwilligung einer erwachsenen Frau möglich. Die Einwilligung soll auch durch eine Minderjährige möglich sein, wenn diese sich über die Bedeutung, Konsequenzen und Folgen eines solchen Eingriffs im Klaren ist.“
  • USA ‚Alabama Supreme Court‘ (Feb. 2024: eine 7:2 Entscheidung): „Ein Embryo ist ein Kind. Das Kind im Uterus ist eine Rechtsperson. Uterus-Besitzer (früher ’schwangere Frau‘) dürfen nicht über ‚das Kind im Uterus‘ bestimmen“. (AJ 21.02.21) Das Urteil tangiert die Unversehrtheit schwangerer Frauen, da es (je nach religiöser Rechtsauslegung) rechtliche Vertreter oder ggf. auch ‚Besitzer des ungeborenen Kindes‘ geben soll.

Um dieses juristische Chaos zu klären, müsste Artikel 2.2 GG (‚Unversehrtheit‘) durch einen ebenso eindeutigen Strafrechts-Paragrafen ergänzt werden. Etwa so, wie es das Netzwerk zur Umsetzung der UN Kinderrechtskonvention fordert:

Zitat: „Genitale Selbstbestimmung: Die UN-KRK gibt vor, dass eine vom Geschlecht des Kindes abhängige unterschiedliche Zusprechung von Kinderrechten unzulässig sei. Zudem stellt die Genderforschung fest, dass das äußere Genital bei Geburt nicht zwingend mit dem tatsächlichen Geschlecht eines Menschen übereinstimmt. Darum ist besonders beim Thema der genitalen Unversehrtheit bzw. Selbstbestimmung von Kindern nur eine einheitliche Regelung zum Schutz aller Kinder ethisch und rechtlich vertretbar.

Das Entfernen eines gesunden und funktionsfähigen Körperteils ohne mündige und informierte Einwilligung der betroffenen Person widerspricht immer dem Recht des Kindes auf Aufwachsen und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit. Ein gesetzlicher Schutz aller Kinder vor jeglicher medizinisch nicht notwendiger Genitalverletzung, -Verstümmelung, -Operation und -Normierung würde die Bestimmungen der UN-KRK erfüllen. Unsere Forderungen: Der Schutz vor therapeutisch nicht notwendigen Genitaloperationen aller Kinder soll gesetzlich formuliert werden. Wege der Umsetzung sind in breiten gesellschaftlichen Foren zu erarbeiten (z. B. Moratorien, Zwischenschritte, Übergangsfristen), begleitet von Informationen und Sensibilisierungskampagnen.“ (Zwischenbericht, S. 32)

Zitat: „Der Standpunkt, den ich vertrete, ist recht einfach: Kinder sollten vor medizinisch unnötigen Genitalbeschneidungen und/oder -veränderungen geschützt werden, bis sie erwachsen sind; sobald sie erwachsen sind, sollte es ihnen gestattet sein, ihre Genitalien verändern zu lassen, wenn sie dies wünschen.“ (Townsend 2022, 2023)

So wären alle Kinder vor einer Verletzung ihrer Unversehrtheit geschützt.

Mehr

Literatur zu Recht und Ethik

Gesetze in Deutschland

Rechts-Auslegungen, Kommentare

Unversehrtheit bei Mädchen

Unversehrtheit bei Jungs

Letzte Aktualisierung: 01.04.2024