17. August 2022

Versuchung und Sünde

The devil who plays a deep part
has tricked his way into my heart
By simple insistence
Of his non-existence
Which really is devilish smart.
The Wordsworth Book of Limericks, 1997

Zarathustra
Gute Gedanken – Gute Worte – Gute Taten. Sina Vodjani, 2006

Die deutschen Bischöfe bestanden darauf, dass Gott uns nicht in Versuchung führen solle (ntv 16.12.2017). Der Papst dagegen glaubte, dass ein guter Gott uns nichts Böses antue, und es folglich der Satan sein müsse, der uns bewusst auf Abwege bringen will (Zeit 07.12.2017). Damit besinnt sich der wichtigste christliche Hirte (bewusst oder unbewusst)  auf die Ethik der ersten erfolgreichen monotheistischen Religion: der des Zarathustra.

Der aus Baktrien (dem heutigen Afghanistan) stammende Lehrer Zarathustra schuf um 1.000 v.u.Z. ein übergeordnetes, einfach verständliches Grundgesetz, das schamanistische Stammes-Rituale und den Mithras-Kult (Blutopfer, Götzenverehrung, Rausch, Besessenheit) verdrängen sollte.

Zarathustra erzählte von einem „guten Gott“ (Ahura Mazda), der den bösen Satan (Arhiman) im Zaum halte. Von den Menschen verlangte er den Verführungen des Arhiman zu widerstehen. Dieser Philosophie konnte sich im 6. Jhh. Kyros der II. bedienen, um seinen rasch expandierenden Vielvölkerstaat unter medischer und persischer Führung zusammenzuhalten. Von den Juden im babylonischer Exil wurde Kyros II als gottgesandter Erlöser gefeiert, der ihnen nicht nur die Rückkehr, sondern auch die Ausübung ihrer speziellen Variante des Monotheismus erlaubte (Holland 2011).

Persien
Tom Holland 2008

Natürlich hatte Kardinal Marx Recht, dass die Geschichten der Bibel sich eher an der anderen Wurzel des Monotheismus orientieren, die auf die Lehre des ägyptischen Pharao Amenophis IV (Echnaton) zurückgeht. Bei dem  gab es nur den einen, alles durchdringen Gott „Aton“, und keinen Satan neben ihm. So wie Zarathustra den Gegensatz zwischen „Gut und Böse“ erdachte, entstand aus Echnatons relativ kurzer Religionsepisode die „Mosaische Trennung“ zwischen „Wahrheit und Unwahrheit“ (Assmann 1997)

Das Christentum erblüht aus vielen Wurzeln.

Nach der Zerschlagung des zoroasthrischen Monotheismus durch die Armeen Alexanders des Großen erlebte der kleinasiatische Kult der Muttergottes und ihres sonnen-gleichen Sohnes  eine Renaissance.  In Ägypten herrschte sie als Isis, und einige hundert Jahre später verband sie sich im römischen Reich mit dem wiederbelebten Mithras zum Kult der Mater deum und ihres Kaisersohnes Sol invictus.

Zelot
Resa Aslan 2013

Als Kaiser und Oberpriester dieser römischen Staats-Religion sorgte Konstantin der Große für ihre Verschmelzung mit der bis dahin bestehenden Form des Christentums. Ab dann hieß die „Mater deum“ Maria und viele Rituale, die das Christentum bis heute prägen, wurden aus den Mithras- und auch aus den Dyonisos-Kulten integriert.

Die Vereinigung der Urform des Christentums mit der römischen Religion auf dem Konsil von Nikäa 325 v.u.Z., erforderte allerdings die Abspaltung der reinen Monotheisten um den Bischof Arius (Giradet 2010).

Dessen Nachfolger mögen vielleicht, nach Nord-Afrika abgedrängt, dreihundert Jahre später die Neuerstehung des reinen Monotheismus im Islam begünstigt haben.

Für die Frage nach der „Versuchung“ sind noch andere Wurzeln des Christentums wichtig

Jesus war, wenn er überhaupt als eine einzige historische Person aufgefasst werden kann, ein Wanderprediger, von denen es damals in dieser Region wimmelte. Manche Historiker glauben, er sei von Zeloten für einen Messias-Auftrag  ausgewählt und ausgebildet worden, um ein Befreiungsheer für die Errichtung eines Gottesstaates anzuführen (Aslan 2013, Baignet 2006). Da es keine direkten Dokumente von ihm gibt, bleiben viele dieser Theorien spekulativ. Sicher scheint zu sein, dass Jesus nie versucht hatte, eine eigene Religion zu begründen, sondern sich vielmehr als Reformator des Judentums gesehen haben mag. Und sicher ist auch, dass es vor und nach ihm viele Messias-Anwärter gab, von denen aber nur einer (einhundert Jahre später) von der jüdischen Priester-Hierarchie tatsächlich als Messias anerkannt wurde: Bar Kochba.

Jesus predigte Gewaltlosigkeit und empfand Mitleid.

Vieles, was von ihm in den ausgewählten Evangelien (Neues Testament) und in den Apokryphen (Gemming 2013) erzählt wird, erinnert deshalb an die Entsagungs-Religionen Nord-Indiens: an Jain und an den Buddhismus.

Das ist angesichts des regen Kulturaustausches zwischen Nordindien und Europa seit etwa 500 v.u.Z. auch nicht verwunderlich. Der erste indische Kaiser, der den Buddhismus zur Staatsreligion erhob (Ashoka), soll griechisch-sprachige Missionsreisen nach Persien und Europa befohlen haben. Und zumindest der bedeutendste der griechischen Großkönige, die eine Generation nach Ashoka Nordindien beherrschten konvertierte zum Buddhismus (Menander), und lies ebenfalls eifrig nach Europa missionieren: Gespräch des Milinda.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Jesus von diesem Gedankengut beeinflusst wurde, ist also groß.

Paulus, der Gründer einer neuen Religion

Für die Entstehung einer neuen Religion war der historisch besser fassbare Paulus (oder Saulus) von wesentlich größer Bedeutung. (Maccoby 1986). Er wurde als Römer geboren, stammte aus Kilikien (Südtürkei) und war mit den dortigen Religionen ebenso vertraut wie mit dem Judentum.

Lukian
Lebenslust: Lukian von Samosata (~150 vuZ,  Marix Verlag)

Saulus soll sich (in unklarem Auftrag) einen Namen als Verfolger der relativ unbedeutenden  Nazarener-Sekte des Judentums gemacht haben.  Dann vollzog sich eine plötzlich in ihm eine Wandlung zu einem neuen Charakter. Und dieser Paulus schuf aus der Geschichte der Hinrichtung eines sozial-religiös motivierten Rebellen eine geniale metaphysisch-kosmische Dimension, die schließlich die Abspaltung vom Judentum einleitete.

Im Gegensatz zu den Geschichten um Jesus, betonte Paulus die Sünde, und er zeigte eine starke Abneigung gegen Sexualität. Seine harte Form der Entsagung war nicht von Liebe, sondern von Strenge geprägt. Sie erinnert an die griechische Gegen-Philosophie-Bewegung der Kyniker, die eine ernst-kompromiss-lust-lose Lebensverneinung predigten. (Crossan 1991, Lukian von Samosata ~150).

Was ist eigentlich die Versuchung, vor der wir bewahrt werden sollen?   

Moses
Jan Assmann 2007

Menschen werden versucht, wenn ihnen die Befriedigung eines wichtigen Bedürfnisses greifbar nahe  erscheint, ihnen aber durch ein höheres Gesetz strikt verweigert wird. Sexualität  zum Beispiel.

Die Aussicht auf Sex war vermutlich über einhundert-tausend Jahre die wichtigste Triebfeder für große menschliche Leistungen. Seit der neolithischen Revolution war aber das Spannungsverhältnis der starken Paarbindung für die Erledigung von Sklavenarbeit überflüssig geworden.  Und mit dem Entstehen der großen Religionen (Konfuzianismus, jüdisch-christlicher-islamischer Monotheismus, Hinduismus, Jain, Buddhismus, …) erschien Erotik den Mächtigen staatsgefährdend zu sein. Also wurde sie als Sünde reglementiert, unterdrückt oder (heute) noch wirksamer durch Kommerzialisierung ausgehöhlt.

Mehr

Literatur

  • Aslan R: Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit. Random 2013
  • Assmann J: Moses der Ägypter. Fischer 2007
  • Baignet M. Die Gottesmacher. Lübbe 2006
  • Ceming K: Die verbotenen Evangelien. Marix 2013
  • Giradet KM: Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen. Berlin/New York, De Gruyter, Buchrezension
  • Holland T: Persisches Feuer. Klett-Cotta 2008
  • Kurtz P: Embracing the Power of Humanism, 2000, Rowman & Littlefield.
  • Lukian von Samosata. Sämtliche Werke. Marix Verlag
  • Maccoby H: Der Mythenschmied. Paulus und die Erfindung des Christentums. 1986, dt. Freiburg 2007
  • Menander: Die Fragen des Königs Milinda (Englische Fassung: Pdf)
Letzte Aktualisierung: 18.08.2022