Gute Medizin im Neuen Gesund?
Manche Ärzt:innen sind an Zusammenhängen interessiert.
Sie hinterfragen eigene Erfahrung und Messergebnisse. Und selbst ihre eigene Einstellung. Sie sind interessiert, respekvoll, neugierig, und versuchen Wechselwirkungen zu verstehen. Auf der Basis ihrer Grundwerte halten sie Ausschau nach günstigen und schädlichen Einflüssen. Sie finden Wege, um die Chancen für günstige Entwicklungen zu vermehren.
Der Gesundheitsmarkt ändert sich rasant

Heute ist „gute“, „ethische-gegründete“, „evidenz-basierte“, „patienten-zentrierte“, „empathische“, „integrierte“, „zusammenhänge-bezogene“ mega-out.
Die meisten Ärzt:innen wollen nicht hören, dass man sie im „Neuen Normal“ der Digital-Medikalisierung nicht mehr benötigen wird. Noch machen sie mit – gläubig oder schweigend. Noch klingelt die Kasse durch Testen und Piecksen. Beides könnten Apotheker:innen genauso gut, und Hilfskräfte wären viel billiger.
Noch aber braucht der Gesundheitskult Ärzt:innen. Allerdings nur noch für den „Placebo-Effekt“ (die „Droge Arzt“) und für die manuellen Techniken, die Roboter noch nicht können. Und für Tätigkeitsrituale für die billigere Arbeitskräfte bisher noch nicht zugelassen sind.
Eine der wenigen Chancen für engagierte, ethisch-orientierte Gesundheitsberufler:innen besteht darin, ihre Rollen radikal neu zu denken:
Ärzt:innen könnten Patient:innen so begleiteten, dass
- deren Nachfrage nach Gesundheitsleistungen sinkt, oder
- sie den kommerziellen oder staatlich-verordneten Gesundheitsmarkt nur sehr selten aufsuchen müssen.
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Workshop: Mezis e.V., Bonn, 26.06.2022
Artikel:
- Ärzt:innen am Wendepunkt –
- Ethik und Heilberufe im Wandel –
- Algorithmen Medizin: „Value based? –
- Komplex & kompliziert –
- Systemmedizin –
Grundlegende Prinzipien ärztlicher Ethik
- Nicht schaden
- Drohenden Schaden abwenden
- Nachfrage nach weiteren Behandlungsleistungen senken
- Übertherapie entgegenwirken und Untertherapie aufzeigen
- Nicht täuschen
- Selbstlösungspotential fördern
Nicht schaden
Das Vorsorgeprinzip „Nicht schaden“ ist die älteste Grundlage ärztlichen Handelns. Es verlangt im Zweifel nicht zu handeln sondern zu beobachten („Abwartendes Offenhalten“) oder sehr kontrolliert und sorgsam vorzugehen. In der Realität des Gesundheitsmarktes wird das Vorsorgeprinzip umgekehrt: „Handeln, solange kein Schaden bewiesen und eine Nutzenvermutung durch Kurzzeitbeobachtungen plausibel erscheint“. Erst im Nachhinein wird die Wirksamkeit von Maßnahmen in Langzeitbeobachtungen verifiziert, z. T. undokumentiert, unsystematisch und unverblindet. In der Zwischenzeit werden häufig Medikamente ohne Nutzenbeweis durch systematische, herstellerunabhängige Langzeitbeobachtungen verordnet.
Drohenden Schaden abwenden
Auch das Abwenden drohenden Schadens ist ein ärztliches Grundprinzip. Der Schutz vor iatrogenen und nosokomialen Schäden sollte nicht aufgrund kommerzieller Interessen missachtet werden. Insbesondere in den Entwicklungsländern sollten die bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen niemals für Profit ausgenutzt werden. Es sollte verhindert werden, dass ein bestehender Schaden (Krankheitsausbruch) durch einen anderen (bspw. die Abhängigkeit von Firmen) ersetzt wird.
Nachfrage nach weiteren Behandlungsleistungen senken
Die Nachfrage nach weiteren Behandlungsleistungen zu senken bedeutet, Behandlungswirksamkeit, Effektivität und Effizienz in den Fokus der Behandlungsqualität zu stellen. Interventionen, die zu immer neuen Interventionen und Abhängigkeiten führen würden, sollten kritisch hinterfragt und abgelehnt werden.
Übertherapie entgegenwirken und Untertherapie aufzeigen
Übertherapie und Untertherapie sind im Gesundheitsmarkt eher die Regel als die Ausnahme. Es gehört zu den therapeutischen Aufgaben, Patientinnen und Patienten vor einer Medikalisierung ihrer Lebensprobleme zu schützen und andererseits z. B. bei Migrantinnen und Migranten oder im Zusammenhang von Global Health Mangelversorgungen aufzuzeigen.
Nicht täuschen
Eine optimale Kommunikation zwischen Patientin/Patient und Behandlerin/Behandler gründet sich auf Einfühlungsvermögen, Offenheit, Wahrhaftigkeit, Transparenz, Vertrauen und auch Selbstreflektion. Bei einem großen Teil der Angebote des Gesundheitsmarktes werden Interessen der Anbieter verfolgt, die nicht genannt werden und in Irreführung und Erzeugung von Abhängigkeit münden, Patientinnen und Patienten werden bewusst und unbewusst über Wirkungszusammenhänge getäuscht. Sie davor zu bewahren, ist ein wichtiges ethisches Ziel.
Selbstlösungspotential fördern
Das Empowerment der Patientinnen und Patienten ist umso dringlicher, je stärker Marktinteressen das Gesundheitswesen bestimmen. Lernen, persönliche Entwicklung, Förderung sinnvollen Verhaltens und gesunder Verhältnisse sollten im Fokus stehen. Im Interesse der Patientinnen und Patienten ist es nötig, Strategien zu entwickeln, die aus Abhängigkeiten befreien, damit sie die eigene Gesundheitssituation selbst bestimmt beeinflussen können.
Heilsam handeln
Ärzt:innen können gegen etwas kämpfen – oder ihre Patient:innen begleiten. Und sie dabei unterstützen, ein sinnvolles und erfülltes Leben zu gestalten
Weitere Kriterien für gutes ärztliches Verhalten
- Aufmerksam, wach, freundlich, zugewandt.
- Ruhig, wertschätzend, respektvoll, empathisch.
- Interessiert am anderen, offen und neugierig zuhörend und interessiert nachfragend.
- Respektvoll tastend, fühlend (keine Grenzüberschreitung ohne Einwilligung)
- Sorgen und Gefühle wahrnehmend und spiegelnd.
- Fachwissen verständlich und bildhaft vermittelnd.
- Grenzen und Grauzonen der Kompetenz thematisierend.
- Vorschläge und Alternativen aufzeigend.
- Vereinbarungen vorschlagend, die sich bei verändertem Verlauf oder neuen Gesichtspunkten verändern können.
- Zahl der Möglichkeiten vermehrend.
- Aus Fehlern lernen.