Alle gegen alle
Wieder hat eine Strategie gewaltsamen Zerstörens gewonnen.
Zumindest im Nahen Osten. Die Herrschaft der säkular-religiösen Minderheitengruppe der Alaviten ist Geschichte. Was jetzt fehlt, ist eine Strategie FÜR etwas. Etwa für Frieden.
Stattdessen rückt Israel ein, „um zu bleiben?“ (Tagesschau 13.12.2024, AP 18.12.24). Und die Türkei, die seit Jahrzehnten vom neu-osmanischen Reich träumt, dehnt ihr Staatsgebiet aus (FR 11.12.2024). Türkische Hilfstruppen bereiten den Angriff auf Rakka vor (MSN 17.12.2024).
Der künftige US-Präsident behauptet, die USA hätten kein Interesse an diesem Konflikt (AlJ 07.12.2024). Seine ~900 dort stationierten und Öl verkaufenden Soldaten will er aber nicht zurückholen. (S&S 06.12.2024, Reuters 10.12.24)
Die EU führt erste Gespräche mit den Gotteskriegern und Machthabern in Damaskus (EU 17.12.2024). Sie geben sich „gemäßigt“, in Kleidung und Wortwahl. Ihre Sekten-Brüder hatten zwar erst kürzlich die NATO aus Afghanistan und Westafrika vertrieben. Aber die syrischen Neo-Demokraten (die noch auf den Terrorlisten stehen) vertrauen auf das Kurzzeitgedächtnis des Westens. Denn der kann nur überleben, wenn er wächst, und dazu benötigt er Rohstoffe.
Ähnlich wie in den anderen großen Kriegen im Mittleren und Nahen Osten (seit 2003) verfolgen die westlichen Truppen nur Kriegsstrategien. Wogegen auch immer. Aber ihnen fehlt jeweils ein Plan oder gar eine Vision, wie friedliches Gedeihen und sozialer Ausgleich gefördert werden könnten.
Die großen Verlierer (Iran und Russland) halten sich bedeckt, aber werden sicher hinter den Kulissen umso eifriger tätig sein. Saudi-Arabien und seine Verbündeten wittern neue Geschäfte und werden massiv einsteigen. Vielleicht zum Vorteil Chinas? (Indi 19.11.2024) Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass es in Syrien (und in seinen Nachbarländern) so weitergeht. Denn dort glimmen viele Lunten an diversen Pulverfässern. (Telepolis 17.12.2024)
Es wird eine neue Flüchtlingswelle losgetreten werden. Man wird Menschen vertreiben, verfolgen oder massakrieren, weil sie anders denken, anders glauben oder anders aussehen. Die Umwelt und Lebensgrundlagen werden ebenso vernichtet werden, wie die Erinnerungen an diese einzigartige Wiege menschlicher Kultur. „Syrien“ wird als Staat zerfallen in Protektorate und Herrschaftsgebiete von Warlords, die den strategischen und wirtschaftlichen Interessen der jeweils Mächtigen dienen.
Der NATO-Chef forderte eine allgemeine „Kriegsmentalität“
In Syrien ist sie Realität.
Allerdings gab es dort auch zaghafte Versuche, neu zu denken. Man behauptete in der Region Rojava staatliche Gewalt, sozialen Zusammenhalt und gleiche Rechte auf andere Art organisieren zu können. (Der Freitag 02.12.2024). Keine der Großmächte, die Syrien beherrschen wollten, hielten dieses Experiment für beachtenswert. Die Türkei wird jetzt versuchen, es auszulöschen (RL-Stiftung 11.12.2024), oder es mit den USA aufzuteilen.
Ich bin noch nie in diese Weltregion gereist, kenne die Sprachen nicht und lese nur manchmal Meldungen, die mir über das Netz zuflattern. Daher kann ich auch nicht ansatzweise beurteilen, ob in Rojava tatsächlich erfolgreich mit philosophischen Ideen experimentiert wurde. Zumal Krieg, Bedrohung und Vertreibung friedliches Wachstum verhindern.
Aber ich bin neugierig geworden.
Könnte aus den Ruinen von Rojava eine Idee gerettet werden?
Also habe ich mir vorgenommen, (mir unbekannte) politische Philosophen zu lesen:
„Kommunalismus“
- Murray Bookchin (1921-2006): Die Ökologie der Freiheit (Neuausgabe angekündigt für 3/2025), Die nächste Revolution 2015 – Interview 1996 – Formen der Freiheit, 1977
„Demokratischer Konföderalismus“
- Müslüm Örtülü: Der demokratische Konförderalismus. Eine politische Alternative für den Mittleren Osten? Open Library 2024 (pdf)
„Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“
- Abdullah Öcalan: Beyond State, Power and Violence, PM Press Kairo 2022. (archive.org)