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Die Mechanik der Zellen

Zellen verformen sich unter Druck und Zug.

Sie verändern ihre Gestalt unter Einwirkungen von Scher- oder Zentrifugalkräften. Durch die Bewegung benachbarter Zellen oder umgebender Flüssigkeiten. Durch die Schwerkraft.

Die Vorstellung, der Zell-Stoffwechsel hänge nur von den Funktionen von Genen und Eiweißen ab, ist unvollständig. (Mechano-Biologie)

Lebewesen verwenden wenig Energie für den Erhalt ihrer Struktur

Zellen neigen deshalb zur Bildung elastischer Formen, die sich leicht und ohne Aufwand an Umweltveränderungen anschmiegen. Selbst „leiter-ähnliche“ DNS-Moleküle, Chromosomen und Eiweißstrukturen verformen und biegen sich. In den Zellen sorgen elastisch-zähflüssige, bindegewebige Mini-Fasern über Kontaktstellen dafür, dass alle Elemente mit allen verbunden bleiben. Und dass sie auf äußere Einwirkungen immer gemeinsam reagieren. Diese flexiblen, intra- und extrazelluläre Strukturen wechselwirken. Und richten sich nach der Schwerkraft aus. Die Bewegungsstrukturen ebenso wie die Zellen des Immunsystems. (Ulrich 2007).

Grundstruktur aller Lebensformen: Feste Elemente, Zug-Gurtungen und aufgespannte Membranen. Bild: ronin@posteo.de, 2019

Zytoskelett und Micro-Fibrillen

Um sich sinnvoll an Wechselwirkungen anpassen zu können, besitzen Zellen ein inneres Gerüst. Dieses Zytoskelett besteht aus einem Gewebe feiner Fäden und winziger Strukturelemente. Die zäh-flüssigen Mini-Fasern bestehen aus spezialisierten Eiweißstoffen, die wie Seilstreben oder Verankerungselemente funktionieren.

Das Zytoskelett gibt dem Zellkern, den Zell-Organen, den Mitochondrien und der Zellmembran ihre Form. Klebe-Proteine auf der äußeren Membranoberfläche verbinden die Zellen mit der Außenwelt. Im Gewebeverband verankern sie die Zellen in einem Geflecht äußerer Filament-Proteine der extrazellulären Matrix, die wiederum mit anderen Zellen in Kontakt steht. Das Skelett und die extrazellulären Matrix zerren aneinander.

Die für alle Lebewesen typische, integriert-elastische Grundstruktur. Bild: Jäger 2018

Zellen bewahren ihre Gestalt durch ständigen Umbau und Umgestaltung ihres Zytoskelletts. Dieser dynamische Prozess erlaubt es den Zellen sich an wechselnde mechanische Einflüsse anzupassen und gegebenenfalls auch ihre Form zu verändern. (Piccolo 2015).

Je nach Art der Verbindung mit ihren Nachbarn verhalten sich Zellen anders

Bestimmte Stammzellen differenzieren zu Nervenzellen, wenn sie sich in einer Umgebung befinden, deren Konsistenz jener des Hirngewebes entspricht. Oder zu Muskelzellen, wenn sie an die Zugstrukturen von Muskelgewebe erinnert. Ähnliche mechanische Einflüsse steuern die Selbstorganisation von Stammzellen zu komplexen Geweben, wie etwa zu Augen, Knochen oder Hirnstrukturen. An den Oberflächen von Zellen befinden sich molekulare Schalter, die Krafteinwirkungen an die Zelloberflächen registrieren und die mechanischen Signale übersetzen und an die Gene im Zellkern übermitteln. Erfährt eine Zelle beispielsweise eine Dehnung, verändern bestimmte Proteine ihre Aktivität und schalten Erbanlagen ein, die das weitere Verhalten der Zellen bestimmen. Diese Erkenntnisse ermöglichen es u.a. zu verstehen, wie Wundheilung funktioniert.

Zellen, die im Gewebeverband genügend Platz finden, teilen sich häufiger als solche, die eng aneinander liegen. Dieser Mechanismus sorgt unter anderem für die Regeneration von Körpergewebe. Zelluläre Schalter aus Proteinen bilden ein Bindeglied zwischen mechanischen und biologischen Prozessen. Ihre Funktion beeinflussen, ob sich eine Zelle normal verhält, oder bösartig entwickelt.

Zug-Gurtung. Bilder: Helmut Jäger, Lärz 2019

Alles Lebende besteht aus „Ten-segrity“-Strukturen.

Über strukturgebenden Zellbestandteilen und über Organverbänden spannen sich zeltähnliche Membranen auf. Einzelne, in sich biegsame Formen sind dabei miteinander verbunden oder „integriert“. Sie berühren sich nicht direkt, sondern werden von Membranen und Faserzügen unter Spannung zusammengehalten (englischer Begriff: tension).

Jedes Elemente ist also indirekt mit allen anderen Elementen zu einem Ganzen verbunden. Zur Beschreibung dieses Phänomens wurde der Begriff „Tens-e-grity“ erfunden, der sich zusammensetzt aus tension (Spannung) und integrity (zu einem Ganzen verbunden sein).

Elastische Spannung (Bild: ronin@posteo.de)

Typisch für eine Tensegrity-Struktur ist, dass

  • Druck  oder Zug an einer Stelle sich zugleich auf alle beteiligten Anteile auswirken.
  • Bewegungsenergie (u.a. durch Schwer- oder Fliehkräfte) in Faserdehungen gespeichert und sich anschließend hochwirksam entladen werden können.

Tensegrity-Figuren wurden zuerst in der Architektur beschrieben. Erst später fiel auf, dass die Tensegrity-Modelle den Innen-Skeletten von Zellen gleichen. Und dass schließlich, bei genauer Betrachtung, alle lebenden Strukturen nach Tensegrity-Prinzipien aufgebaut sind:

Denn alle Zellen und Organe verformen und verdrehen sich spiralig, und können sich gerade so flexibel an Herausforderungen anpassen.

Tensegrity-Prinzip (Bild: ronin@posteo.de)

Zuglinien im Zytoskelett sind wie Spiralfedern organisiert.

Organe und Organverbindungen können als mehrdimensionale Spiralstrukturen beschrieben werden, die sich im Rahmen von Einwirkungen mit der Zeit verändern. Das gilt für Blutgefäße, Nervengeflechte, Luft- und Harnwege, Darm und natürlich für das gesamte Bewegungssystem.

Betrachtet man sehr einfache, wie die hier abgebildeten Tensegrity-Strukturen von Zelten, wird klar, dass aus ihnen nur wenig Energie erzeugt werden könnte, wenn man an ihren inneren elastischen Elementen zerren würde. Tensegrity-Strukturen zu schubsen, bringt wenig Energie.

Stattdessen müssen die inneren Fasern durch Verformung des Ganzen aufgedehnt, angepasst, justiert, ausgezogen und angepasst werden. Fasern „tun“ dabei nichts: sie werden nur in Dehnung passiv aufgeladen, um die Dehn-Energie anschließend durch Loslassen elastisch wieder abzugeben können. Das kann dadurch erzeugt werden, wenn sich Muskeln zusammenziehen („Kontraktion“). Muskelkontraktion dient in solchen Strukturen dazu, das Gebilde durch die Erzeugung von zu Vorspannung zu verformen, anzupassen oder für eine Handlung vorzubereiten.

Tensegrity-Verbindungen ermöglichen so eine „exzentrische“, „negativ-dynamische“ oder nachgebende Faser-Muskel-Arbeit. Diese ist um ein vielfaches höher als „konzentrische“ (sich zusammenziehende) Muskelarbeit. Bei intelligentem Sporttraining wird daher „Konzentrik“ überwiegend genutzt, um den Körper durch dynamische Dehnungen mit Energie aufzuladen: Etwa wie ein Motor, der einen Wagen auf den höchsten Punkt einer Achterbahn zieht. Die eigentliche hocheffizienten Energieübertragungen erfolgen dann durch Entdehnung („Lösen der Bremsen“).

Vorspannung und Aufnahme äußerer Belastung speichern in Tensegrity-Stukturen Energie, die anschließend wirksam übertragen wird. Im Prinzip wie bei einer Bogensehne, die nach Auf-Dehnung (in der dem Ziel entgegengesetzten Richtung) und anschließendem Entspannen der Fingerkuppe, den Pfeil vorschießen lassen. Arm-Kontraktionen „um den Pfeil gegen das Ziel zu schieben“, wäre viel weniger wirksam.

Tensegrity-Struktur. Bild-Quelle und weitere Bilder: Tensegriteit.nl

Struktur und Entspannung!

Bei Sport und Fitness wird meist die kontrahierende Funktion äußerer Muskeln betont („Krafttraining“).

Exzentrisch-spiraliges Training wäre aber wesentlich effektiver. Weil es die Verbindungen aller Elemente in ihren Gesamt-Funktionen stärkt.

Dann gelingt es besser Belastungen (mit allen Zellen) elastisch aufzunehmen. Und Energie in Faszien-Dehnungen zu speichern und elastisch wieder abzugeben werden.

Das ist hochwirksam, faszinierend-elegant und körper-schonend zugleich.

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Letzte Aktualisierung: 14.08.2022