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14. März 2025

Warum nicht Friede?

Inhalt

  • Menschen sind gut
  • Einstellung und Kompetenz
  • Friede ist nachhaltig. Gewalt nicht.
  • Ist Friede weiblich?
  • Frieden im Christentum und Islam
  • Friedensgebot im Grundgesetz
  • Neue Ideen für den Weltfrieden

Menschen sind gut

Vor 2.300 Jahren diskutierten Philosophen in China, ob Menschen gut oder schlecht seien.

Wären sie böse, benötige man autoritäre Erziehung, Zwang, Drill, Hierarchie und Kriegstüchtigkeit. Würden Körper & Geist dagegen „gut“ geboren, müsse man Natürlichkeit pflegen oder wiederentdecken.

Mittlerweile wissen wir mehr:

Menschen können, anders als Schimpansen, Konflikte auch ohne Gewalt lösen. (Salposky 2017) Selbst unter starken Belastungen handeln Menschen (manchmal) intelligenter als Reptilien, die nur angreifen, fliehen oder erstarren.

Gewaltausübung wird in den sozialen Gruppen intern begrenzt. Der Erfolg der Gattung Homo sapiens beruht auf der besonderen Fähigkeit zur sozialen Kommunikation. Frühe Menschen konnten für sich allein nicht überleben. Sie mussten miteinander kooperieren und die Konflikte untereinander lösen. Alle Mitglieder der Gemeinschaft waren bedeutsam, innere Reibungsverluste wurden vermieden und anderen umherziehenden Gruppen ging man aus dem Weg. (Meller 2024)

Moderne Menschen wurden in der Evolution (noch stärker als andere Vormenschen) als Gemeinschaftswesen selektioniert. Wir sind „zu Liebe fähige Tiere.“ (Maturana) Uns fehlt ein genetisch-festgelegter, den Schimpansen ähnlicher, Aggressionstrieb. Wir werden mit einer starken Sehnsucht nach Bindung geboren. Das befähigte unsere Vorfahren im Gegensatz zu anderen Frühmenschen dazu, große Stämme zu bilden. Einzelne Mitglieder konnten sich weit von der Gruppe entfernen, ohne die Gemeinschaft zu vergessen. Sie wussten, was zu tun ist, ohne dass es ihnen jemand direkt befehlen musste. Denn sie konnten sich künftiges Glück in einer engen Verbindung vorstellen:

Dies Bildnis ist bezaubernd schön
Wie noch kein Auge je gesehn!
Ich fühl‘ es, wie dies Götterbild
Mein Herz mit neuer Regung füllt.
Mozart, Zauberflöte

Erste Broschüre eines internationalen Märchenprojektes:SIMBAV e.V. In Sicherheit, weit weg von den Kriegsteibern, verstehen sich Menschen in direkter Beziehung bestens.

Die genetische Ausstattung drängt Menschen zum Frieden. Kriegs-Kulturen widersprechen dem, was Menschen sein könnten. Trotzdem führen wir grausige Kriege. Und das Geschrei nach immer mehr Vernichtungsmitteln nimmt zu.

Die rationale Erkenntnis der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Biosphäre (und damit auch der Gattung Mensch) wird verdrängt. Im Fokus der Kriegsdynamik stehen die Lebensgrundlagen weniger, deren Heißluftballon durch die Verbrennung von Rohstoffen aufgepustet werden muss.

Erst im letzten einen Prozent der Menschheitsgeschichte, vor etwa 10.000 Jahren, begannen Menschen sich zu bekriegen: Als sie sich niederließen, Ackerbau erfanden, fruchtbare Orte verteidigten und etwas besaßen.

Kriege dominierten die Menschheitsgeschichte erst dann, als neue Eliten andere unterjochten oder ausraubten. (Mausfeld: Hybris Nemesis, 2024) Und als gewalttätige Herrscher das Belohnungssystem der Nomaden (Eros-Pothos-Himeros) durch Todesangst ersetzten. (Gilgamesch, Neolithische Revolution).

Friedliebend geborene Menschen zu Kriegstüchtigen zu verformen, verlangt die Sozialisation in gewalttätigen Herrschaftsformen. (Meller: Evolution der Gewalt, 2024, Sapolsky: Behave, 2017)

Einstellung und Kompetenz

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg“
Mahatma Gandhi

Sich öffnen. Bild: Jäger 2010

Die menschliche Genetik scheint friedensorientiert zu sein. Krieg führen ist uns nicht genetisch eingeprägt. Aufgrund des zellulären Erbes sind Menschen „love dependent animals“.

Daher müsste es möglich sein, menschliches Kriegsverhalten zu lassen und durch Friedensverhalten zu ersetzen. Z. B. durch eine Veränderung der Einstellung zu den Systembezügen, in denen wir leben und die uns ausmachen.

Eine prinzipielle und strategische Einstellung zur Gewaltfreiheit, Ruhe und Friedensfähigkeit ist modernen Europäern fremd. Es spricht aber einiges dafür, dass sie möglich werden könnte, weil sie langfristig effektiver ist als gewaltbezogenes Denken und Handeln:

  • Biologisch überleben in der Evolution reine Aggressoren nicht lange. Es setzen sich immer die Lebensformen durch, die langfristig mit anderen in Systemen wechselwirken und kooperieren.
  • Jede harte spezifische Reaktion löst ungeahnte Nebenwirkungen und Kollateralschäden aus, die oft schlimmer sind als das Problem, das erschlagen werden sollte.
  • Gewaltfreie Kommunikation ist auch im extremen Notfall immer aggressiven Handlungsmustern überlegen. Beispiel: das Prinzip „10 Sekunden für 10 Minuten“ bei extremen Stresssituationen bei in Flugzeugen oder Intensivstationen. Dabei werden alle Teammitglieder in den Prozess eingebunden. Während einer kurzen Phase des Innehaltens können alle erkennen, was die Situation erfordert und was getan werden muss.
  • Menschen, die ausländische Aggressoren nicht besiegen konnten, entwickeln manchmal kulturelle Techniken der Friedensfähigkeit, die sie Bürgerkrieg-resistent machten: Beispiel aus Afrika.
  • Reue und Versöhnung statt Krieg und Vergeltung sind möglich (wenn auch nicht einfach): Beispiel: „Restorative Justice“ in Südafrika: Buch v. Drevitz 2024, Video
  • Die Überlegenheit gewaltfreier Prinzipien und Techniken kann psychologisch und körperlich-mental trainiert werden. (GFK, Taiji, Friedenskunst)

Die Ursachen der Kriege um Rohstoffe, Land, Macht und Gier sind meist nicht nur „dort“, wo die Kriege geführt werden, sondern „hier“, wo das Geraubte verbraucht wird. Die Reichen sind Ursache und Teil des Problems.

Die Sicht afrikanischer oder asiatischer Philosophen auf die unlösbaren Gier-getriggerten Gewaltereignisse (im Kampf um Rohstoffe, Land und Meer) ergibt sich aus dem Einnehmen einer Metaebene, der Betrachtung der Ereignisse aus der Distanz, in der ethnische oder religiöse oder andere konstruierte Gegensätze verschwimmen. Dafür wird klarer erkannt, was der gemeinsame Nutzen sein könnte: Sicherheit, um sich qualitativ (in den komplexen Systemen der Biosphäre) entwickeln zu können. 

Ich denke, dass sich Chancen bieten könnten, wenn sich immer mehr Menschen „für“ etwas unmittelbar menschlich-erlebbares engagieren, statt „gegen“ etwas (fernes von anderen konstruiertes) zu kämpfen.

Friede ist nachhaltig, Gewalt nicht.

Anders als Schimpansen können sich Menschen mit einer Situation verbinden. Sie können verstehen, begreifen und Geschehnisse lenken und leiten. Sie können segeln, ohne gegen Wind und Wellen zu kämpfen. In Konfrontationen zwischen Pavianen gewinnt der Stärkere, Schlauere, Geschicktere. Menschen sind fähig, Gesamtzusammenhänge zu überblicken. Sie handeln (manchmal) gewandt, klug und ruhig.

Plumpe Aggression ist nur erfolgreich, wenn Angegriffene, die schwächer sind, ebenfalls mit Gewalt antworten. Andernfalls, wenn Angreifer jemandem begegnen, der gelassen, ruhig und elastisch ausweichen kann, wäre es das Dümmste, was sie tun könnten.

Gewaltfrei handeln, bedeutet nicht, sich zu unterwerfen. Es ist nur die intelligentere Technik zu gewinnen, ohne zu kämpfen.

Ruhig, umsichtig und klug zu handeln ist (ohne Kollateralschäden) wirkungsvoll: ob bei medizinischen Operationen oder bei Geburten, oder in der Kunst des Kämpfens oder bei verbaler Moderation (‚Gewaltfreie Kommunikation, GFK‘). Dafür ist es nötig, eine dynamisch fließende Situation anzunehmen, wie sie ist. Auch bei Krankheit ist Realismus die Grundlage für heilsame Entwicklungen. Wunschdenken führt zu „Kriegen gegen etwas“. Das endet dann oft im Zusammenbruch. Etwas Annehmen eröffnet Chancen, die Geschehnisse in ihrer Entwicklung, in ihren Wechselwirkungen und in den Zusammenhängen zu verstehen und zu begreifen. Egal, ob man sie mag oder nicht.

Es ist möglich, sich als Diplomat, Mediziner, Lotse oder Vermittler zu nähern, in Kontakt zu treten und zuzuhören. Und sich schließlich mit der Situation zu verbinden. Also Teil der Dynamik zu werden. Und dann, ruhend, zentriert, ein Geschehen zu begleiten.

Gewaltfreiheit oder Strategie?

Kämpfe, Konflikte, Kriege und viele Therapiekonzepte sind gewalttätig. Die Gewalt zielt darauf, andere oder anderes zu unterwerfen, zu bezwingen, zu zerstören oder zu vertreiben.

Alle Kriege, die Menschen anzetteln (gegen Viren, Bakterien, Krebszellen, Verbrecher, Schädlinge, Terroristen, Ungläubige …) ähneln sich: Der Angst vor dem Bösen folgt der Glaube an das Gute. Und dann der Kampfeswille bis zum Sieg.

Im Prinzip soll die maximale Anspannung zur totalen Entspannung (des Gegners) führen.

Bei Tätern, wie bei Opfern, wird Gewalt und Gegengewalt mit Ereignissen aus der Vergangenheit begründet. Die einen verweisen auf eine Überlegenheit, die sich aus Religion, Rasse, Geschichte, Nation, politischem System uva. ergibt. Die anderen begründen ihre Gegengewalt aus der Tradition des Widerstandes gegen erlittenes Unrecht. Sie wollen lieber gegen den Starken kämpfend untergehen, als sich ergeben. Beide Seiten sind jeweils davon überzeugt, dass das „ihr gutes Ziel“ ihre Gewalt rechtfertigt. Sie sei nötig und unvermeidbar. Es biete sich keine andere Wahl.

„O Gorizia – du seist verflucht“: Hasslied gegen Mächtigen, die Menschen wie Vieh ins Verderben treiben.

Gefangen in der Mentalität direkter oder indirekter Gewalterfahrung erscheint es alternativlos, selbst gewalttätig zu werden. Die Reptilienreflexe des Stammhirns (Angriff, Flucht, Tot-stellen) sind immer schneller als das Wahrnehmen von Gefühlen oder gar von rationalem Denken.

Die große Gefahr für Schwächere, die direkte (bewaffnete) Gegengewalt oder scheinbar „gewaltlose“ Formen von Widerstand einsetzen, ist es, gnadenlos zerschlagen zu werden. Bei der Konfrontation zwischen Gewalt und Gegengewalt verliert kurzfristig immer der Schwächere. Die direkten Schäden und Verluste sind bei denen am höchsten, die „Gegenwehr“ leisten. Gegengewalt liefert zudem den Mächtigen den Vorwand für noch schlimmere Gewaltanwendung. Die Spirale der Gewalt gewinnt an Dynamik und reißt immer mehr Unschuldige in den Tod.

Auch die Starken sind gefährdet.

Auch die Starken verlieren an Kraft und erleiden Kollateralschäden. Ihre Gewaltanwendung kann auch ins Leere laufen. Manchmal trifft ihr „Zuschlagen“ auf kein Hindernis und sie verletzen sich dann selbst.

Zum Beispiel, wenn ein Eisblock, den ein Karateka zertrümmern will, im Moment des Auftreffens seiner Handkante plötzlich nicht mehr da ist.

Sinnloser Krafteinsatz schadet, besonders dem Angreifer. Auch weil Aggressoren dann ihre Moral verlieren können, die früher ihre Macht-Ausdehnung beschleunigte. Manchmal bröckelt der Rückhalt bei den eigenen Anhängern, wenn die Führer in reiner Gier zunehmend ethisch werte-los erscheinen.

Große Reiche kollabierten manchmal von innen heraus. Wenn der Preis ihrer Ausdehnung zu groß wurde. Wenn sie nicht mehr resilient genug waren, um mit äußeren Belastungen umzugehen und sich anzupassen. Wenn die Evolution der Geschichte sie wie Herbstlaub wegfegte, und dann zuvor wesentlich schwächere ihren Platz einnahmen.

Die intelligenteste Art des Kämpfens ist es daher, (konsequent) nicht zu kämpfen und dennoch zu gewinnen.

Gewaltfreiheit kann tödlich enden. Rechtfertigt das Gewalt? Plakat der Al-Jazeera-Korrespondentin Shireen Abu Akleh (Foto: Jäger, Bethlehem vor der Geburtskirche, Juni 2022)

Auch Gegen-Gewalt ist Gewalt

Meist setzen Schwächere der Gewalt eine Gegen-Gewalt entgegen. Die Folgen sind dann auf der Seite der Schwächeren besonders schrecklich.

Solange eine Seite glaubt, stärker zu sein, ist Gegen-Gewalt für die Mächtigeren eher günstig, weil sie die eigenen Gewalt-Anstrengungen rechtfertigt. Wehren sich die Opfer nicht, muss man sie ggf. zu Gegengewalt provozieren, Provokateure einsetzen, oder sie zur Motivation des eigenen Lagers zu einer diabolischen Gefahr hochstilisieren.

Wenn es scheinbar Schwächeren (mit einer höheren Kampfmoral) in einer Revolution einmal gelingt, die Macht zu erringen, behalten ihre siegreichen (meist männlichen) Führer in der Regel die Kriegs-Strategie „gegen etwas“ bei. Viele bewaffnete Kämpfer gegen das Unrecht wurden anschließend ebenso gefährliche oder schlimmere Diktatoren wie die, die sie stürzten. So wie viele gewaltsame Problemlösungen in der Natur oft die Umweltzerstörung verschlimmerten und zu Katastrophen führten, die es ohne die Lösungsstrategien nicht gegeben hätte.

„Gewaltfreiheit“ als konsequente Strategie?

Es ist möglich, einem Angreifer keinen Anlass zu bieten, noch mehr Gewalt einzusetzen. Man kann Gewalt ins Nichts laufen lassen. Der Stärkere kann dann seine Kriegsziele kurzfristig (scheinbar mühelos) erreichen, aber die Verluste der Schwächeren wären geringer, und sie würden nicht weiter geschwächt. Das Image des Starken bekäme Risse, die eigenen Anhänger wären ggf. nicht mehr von ihrem „Gut-Sein“ überzeugt. Und langfristig könnten die Schwachen an Durchdringungsdynamik gewinnen.

Prothesen-Werkstatt für Land-Minen-Opfer zwanzig Jahre nach dem Ende des Vietnam-Krieges. Bild: Jäger, Nord-Vietnam, 1996

Die meisten räumen in Gewalt-Konflikten konsequenter Gewaltfreiheit keine Chance ein, und verfolgen Strategien direkter oder indirekter Gewalt und dramatischer Eskalation. Sie glauben, Menschen seien (ähnlich wie die Schimpansen) genetisch auf Gewalttätigkeit programmiert. Folglich würden Menschen ebenso lange „gegen“ das Umgebende kämpfen, bis sie sich zu Tode siegen, und dann von der Evolution ausgesondert werden.

Nur wenige glauben, die eigentliche Geschichte der Menschheit werde erst in einem neuen Zeitalter einer Weltinnenpolitik ohne Kriege beginnen. (Zhao Tingyang: „Die Weltgeschichte hat bisher nicht begonnen“. Phil. Mag. Nr. 04. Mai 2022).

„Für“ statt „Gegen“

„Gegen“-Strategien sind notwendig, um Situationen in eine andere Richtung zu zwingen, oder um Hindernisse zu beseitigen. „Für“-Strategien begleiten Entwicklungen und beeinflussen sie.

Gewaltfreiheit erspart Energie, um Mächtigeres zerschlagen zu wollen, und eröffnet Möglichkeiten, sich für Neues zu öffnen. Gewaltbereite sehen im Verzicht auf Gewalt den Kollaps des Schwächeren. Tatsächlich bedeutet es das Gegenteil: Weil sich die Einstellung zu Konflikten verändert.

Gewalt wird tatsächlich nicht mehr mit bewaffneter Gegengewalt oder indirekter Gewalt beantwortet. Stattdessen sorgte man dafür, dass Gewaltanwendung möglichst wenig Schäden verursacht. Besonders bei der eigenen Gruppe. Dazu müsste man annehmen, was nicht zu ändern ist. Bleiben, ohne anzugreifen oder wegzurennen. Geduldig ausharren. Sich beruhigen. Nicht in Stress oder aus Angst handeln. Sich selbst und andere schützen. Möglichkeiten erkennen. Die Zahl der Möglichkeiten vermehren. In-Beziehung-treten. Kommunizieren.  

Bevor man klug und gewaltfrei handeln kann, ist es nötig zuerst selbst (konsequent) mit dem Kämpfen aufzuhören. Die Situation, wie sie gerade ist, so zu akzeptieren, wie sie sich eben gerade darstellt. Eine Pause einlegen, beim Sich-bekämpfen oder Sich-vernichten.

Die Lebensgeschichte des Judo-Lehrers und Ingenieurs Moshé Feldenkrais ist dafür ein beredtes Beispiel:

Die Stärke der scheinbar Schwächeren besteht gerade darin, auf Gewalt nicht mit „Schlauheit-Schnelligkeit-Kraft“ zu antworten. Sondern mit Ruhe und Besonnenheit. Nur so bleiben die Kollateralschäden bei der eigenen Gruppe minimal. Die Gewalt des Gegenübers erreicht dann nicht das, was beabsichtigt war: Den anderen im Kampf zu vernichten oder ihn zur Flucht zu zwingen.

Gewaltsysteme beginnen von innen zu schwächeln, wenn sie ins Leere taumeln. In der Geschichte gewinnt nicht immer zwangsläufig der Brutalere, sondern oft auch der Umsichtigere.

Aufmerksam: Zuhören, Lauschen, Fühlen, Verstehen

Hinweisschild in Bethlehem auf eine „WingChun-School“ (Bild Jäger, Juni 2022). Anders als KravMaga beruht WingTsun (eine Taiji-verwandte Kampfkunst) auf Prinzipien der Vermeidung von Gewalt: „Aus dem Weg gehen – Ins Leere laufen lassen“. Der Legende nach, wurde WingTsun erfunden von entschlossenen Frauen, die effektiv mit hochgerüsteten, gewalt-bereiten Männer umgehen mussten.

Bei gegenseitigem Respekt ergeben sich Möglichkeiten, sich ohne Vorbedingungen zu treffen, sich zuzuhören, den Bewusstseinszustand des anderen zu versuchen zu verstehen, seinem Narrativ anzuhören, und in einen Dialog einzutreten. Dann können Möglichkeiten erwachsen, aus denen sich Lösungen ergeben können.

Ab etwa 1921 unterrichtete er zionistische Kampftrupps (Hagana) in „Selbstverteidigung“. Aus den Prinzipien, der ihm bekannten asiatischen Kampfkünste half er bei der Entwicklung von KravMaga, einem sehr einfachen, werte-freien, brutalen Nahkampf-Training für Spezialeinheiten und Geheimdienste. Dabei ist es erlaubt, den anderen zu töten, wenn er zu den Bösen zählt. 1950 reiste Moshé Feldenkrais nach Israel, um beim Aufbau des Raketen-Atom-Programms zu helfen.

Er litt da bereits an den Kollateralschäden körperlich praktizierter Gewalt gegen seinen eigenen Körper: Beide Knie waren lädiert. Eine operative Lösung war damals nicht möglich, und ihm drohte der Rollstuhl. In dieser, für ihn verzweifelten Lage, erlebt er einen radikalen Umschwung seines Denkens hinsichtlich störungsfreier Bewegungsabläufe des Körpers. Er experimentierte mit intensiv-aufmerksamen, bewusst-gespürten Minimalbewegungen, die auch bei großen Störungen zu keinerlei Schäden führten, und die nur einen sehr geringen (oder keinen) Kraftaufwand erforderten. Er erfand Wege aus Katastrophen-Teufelskreisen: „Schmerz – Anspannung – Gegenspannung – mehr Schmerz – noch mehr Anspannung – noch mehr Schmerz“. Bei vorsichtigem Ausprobieren im Krankenbett entwickelte er ein in sich logisches System friedvoller, nutzbringender Bewegung.

Typisch (ziviles) Kriegsziel. Kabul. Bild: Wardak afghanic.de

Die von ihm beschriebenen Prinzipien sind in jeder Form des Alltags nutzbringend anwendbar. Was er fand, steht in diametralem Gegensatz zur Härte eines Zuschlagens, das nicht nur bei anderen, sondern auch bei sich selbst zu Schäden führt.

Moshé Feldenkrais erlebte körperlich und psychisch, dass Gewalt nicht nur unnötig und schädlich, sondern auch ineffektiv ist. Er erfuhr körperlich, dass es möglich ist, auf Gewalt zu verzichten. Eigentlich bei allem, was getan werden muss. Aber obwohl er den Ex-Kämpfer und Staatschef Ben Gurion behandelte, gelang es ihm nicht, seine Erkenntnis auf das soziale Zusammenleben der Gattung Mensch zu übertragen.

Ist Friede ‚weiblich‘?

Steigen die Chancen für den Frieden, wenn sich die Frauen zusammentun?

Vor zweieinhalb-tausend Jahren schrieb der Grieche Aristophanes eine Realsatire: Könnte es sein, dass der Kriegs-Wahnsinn ende, wenn die Frauen die Macht erringen würden? Seine starke Anti-Kriegs-Heldin Lysistrata war überzeugt: „Der Krieg ist eine Sache der Männer!“ (s. u.).

Deshalb forderte die Friedensnobelpreisträgerin Leymah GboweeIt, sei es an der Zeit, dass Frauen aufhören, „höflich wütend zu sein“! Und Sängerin die Yael Deckelbaum ruft ihre Schwestern auf, sich angesichts des Wahnsinns zu verbünden.

https://www.youtube.com/watch?v=7u8DsdSEiRY – https://www.yaeldeckelbaum.com

Tatsächlich sind es meist Männer, die Gewalt anwenden.

Terrorgruppen rekrutieren überwiegend Männer, die zu Hause frustriert werden. Und die in ihren Kriegen (wogegen auch immer) morden und vergewaltigen dürfen.

Viele kluge Frauen und Männer glauben deshalb, dass nur die leitende Macht von Frauen den Irrsinn der Kriege beenden könne (Clarissa Pinkola Estès: „Women who run with the Wolfs“). Denn Männer seien risiko- und gewaltbereiter als Frauen.

Das ist richtig. Aber es gibt auch Kriegstreiberinnen, die um ihre Sicherheit besorgt sind, und dafür andere an die Front hetzen.

Friedliche Männer im Jemen, 1996, Bild: Jäger

These der männlichen Krieger (Male-Warrior-Hypothesis)

Die Vermutung, Kriege seien ‚männlich‘, beruht auf Studien, die nahelegen, dass Testosteron die Gruppenorientierung fördere. (Van Vugt 2010, Muñoz-Reyes 2020)

Männer neigten dazu, ihre Identität in Konkurrenz zu anderen zu suchen, von denen sie sich abgrenzen. Daher müssten bei Auseinandersetzungen „der einen“ gegen „die anderen“ Outfit, Uniformen, Parolen, Signale (Fahnen, Banner, Plakate) und Gegröle stimmen.

„Immerhin über das Wesentliche sind wir uns einig …“ Karikatur: Luz (Rénald Luzier), Charlie Hebdo

Alle gewaltbereiten Gruppen, die sich für ihre jeweiligen Gegner definieren, seien sich im Prinzip in ihren männlich dominierten Verhaltensmustern sehr ähnlich. Die Guten müssten nur klar von den Bösen unterscheidbar sein, damit die „richtige“ Bierflasche nicht auf dem „falschen“ Kopf lande.

Frauen seien gemäß der These stärker auf die interpersonellen Beziehungen innerhalb ihrer Gruppen bezogen. Dafür spreche, dass schon weibliche Schimpansen sich eher um den inneren Gruppenfrieden kümmern, während die männlichen Exemplare dazu neigen, die Mitglieder der Nachbargruppe zu bedrohen oder auch zu erschlagen.

Allerdings stehen uns entwicklungsgeschichtlich die vergleichbar friedlicheren Bonobos näher (die Zwerg-Schimpansen). Sie sind hauptsächlich an Sex interessiert. Ihre weiblichen Gruppenmitglieder sind offenbar besonders dazu fähig, friedensstiftend zu vermitteln. (De Waal 2005) Das lässt hoffen (für Homo sapiens).

Frauen gehen mit Konflikten körperlich anders um als Männer

Weibliche Top-Level-Karateka sollen z. B. häufiger als männliche Kämpfer treten, und diese schlügen lieber zu (Tsolakis 2012, Tabben 2014). Das hat etwas damit zu tun, dass Männer und Frauen unterschiedlich gebaut sind. Das knöcherne weibliche Becken mit seinem breiteren Schambogen-Winkel eignet sich besser zum Aufnehmen von Lasten. Frauen sind von ihrem Bewegungsapparat stabil gebaut und in den Verbindungen der Beckenknochen beweglicher als Männer. Die wiederum sind die besseren Dauerläufer und Werfer (Roach 2013, Young 2009). Außerdem ist es sinnvoll, wenn Frauen, die grober Kraft leichter unterliegen können, mehr auf Bewegungsintelligenz zu setzen und ihre Gegner auf Distanz zu halten. Daraus sind sogar eigene Stilrichtungen des Kämpfens erwachsen, u. a. Wing Tsun, das von einer Frau stammen soll, die sich (erfolgreich) gegen brutale Machos zur Wehr setzten musste.

Wenn die Vermutung „der männlichen Krieger“ zuträfe, müsste sich die Gesellschaft intensiver als bisher um die frühkindliche Entwicklung von Jungs kümmern, damit diese nicht in pubertären Gangs zu Gefahrenpotenzialen für die Gesellschaft werden. Männer spezifisch günstig wären Kraft- und Bewegungstrainings als Teamsport, Gemeinschaftshobbys oder Gruppenaktivitäten. Es wäre günstig, den Heranwachsenden eine Identifizierung mit einem größeren sozialen Verbund zu ermöglichen: „Mein Verein, mein Dorf, mein Glaube, meine Lebensart, unsere Gemeinschaft …!“.

Solidarität und Mitgefühl für eine Gruppe weit über den Rahmen des engen familiären Zusammenhaltes hinaus, sollten wesentlich stärker gefördert werden. Gleichzeitig müsste das Risiko von Gemeinschafts-Irrsinn eingedämmt werden („Wir, die Auserwählten! Wir, die allein Guten!“). Zu starke Identifizierungen mit Idealen würden sonst für „andere“ sehr unangenehm werden. Besonders dann, wenn Alkohol oder Drogen den Kopf vernebeln, oder wieder einmal jemand zu einem Kampf aufruft, bei dem alle Mittel recht sein sollen.

Gruppensport und gemeinsame Aktivitäten entwickeln Solidargemeinschaften. Kampfsportarten dagegen ermöglichen Jungs, Aggressionspotentiale zu kanalisieren. Die direkte Gewaltanwendung wird dort aus dem Training in einen Vorstellungsraum verbannt. Die jungen Sportler lernen ihr volles Aktivitätspotential („wie in einem echten Kampf“) zu nutzen, während sie mit Partnern und Partnerinnen trainieren, die sie respektieren und wertschätzen. Bewegungsarten wie Aikido, Taiji, Judo, Boxen, Taekwondo, Ringen, Wing Tsun u. v. a. sind daher für Jungs vielleicht ebenso wichtig wie Mannschaftssport: Sie lassen Schnelligkeit und Kraft zu, entwickeln aber zugleich den friedlichen Umgang mit Energie.

Natürlich haben Männer, abgesehen von ihren kriegerischen Kompetenzen, viele andere herausragende Qualitäten in Musik, Kunst, Wissenschaft uva. Sie können sehr liebevoll sein, und sich auch anmutig und fließend bewegen. Besonders dann, wenn sie aus kämpferischem, zielorientiertem Siegen („besser, schneller, höher, weiter“) herausfinden und Gewandtheit und Bewegungsfluss entwickeln. Dann sind sie schön, und das gefällt den Frauen, und auch Männern, die Männer mögen: Ein triftiger Grund für Gewalt-Machos, ihr Verhalten zu modifizieren.

Mädchen und Frauen

Ihre Stärke, gemäß der These der „männlichen Krieger“, läge darin, innergesellschaftliche und persönliche Verhältnisse so zu beeinflussen, dass Aggressionsentladungen nach innen und außen an Bedeutung verlieren.

Eine Soldatin, die in einer männlich dominierten Armeen überleben muss, wird allerdings nur wenig verändern. Armeen mit hohem Frauenanteil müssen nicht zwangsläufig friedfertiger werden, solange sich die Frauen durch latent aggressiv-männliche Hierarchien durchbeißen müssen. Aber vielleicht könnten sie solche Strukturen langsam beeinflussen.

Viele Frauen an entscheidenden Stellungen einer Gesellschaft (oder auch einer Armee) könnten dafür sorgen, dass sich innerhalb der Gemeinschaft weniger Konflikte aufstauten. Dann könnte die Wahrscheinlichkeit, Gewalt nach außen zu tragen, abnehmen.

Träfe die These des „männlichen Kriegers“ zu, wäre sie ein gutes Argument für eine Quotenregelung.

Daran schien schon vor zweitausendfünfhundert Jahren eine mutige Frau zu glauben:

Lysistrata: Der Krieg ist eine Sache der Männer

Vor zweieinhalb-tausend Jahren schrieb Aristophanes eine Realsatire: Könnte es sein, dass der Kriegs-Wahnsinn ende, wenn die Frauen die Macht erringen würden? Sein Anti-Kriegs-Schauspiel handelt von einer intelligenten und durchsetzungsstarken Frau: Lysistrata.

Die Geschichte beginnt ähnlich wie das 2.000 Jahre ältere Gilgamesch-Epos: Auch dort beklagten sich die Frauen, dass ihre Männer (durch den Kriegsdienst) für sie verloren gingen.

Aristophanes Lysistrate. „…  wir sitzen hübsch geputzt daheim, wir gehen im Florkleid von Amorgos (Kykladen-Insel), halb entblößt, mit glatt gerupftem Schoß, vorbei an ihnen: die Männer werden brünstig, möchten gern, wir aber kommen nicht- rund abgeschlagen! – Sie machen Frieden, sag ich euch, und bald!“ — “ ‚Nun was hast du vor?‘ – ‚Wir (die Frauen) verwalten die Finanzen … Denn unnötig ist vor allem der Krieg! ..’“ zitiert aus Aristophanes, Lysistrate, Reclam, 1969. Rechts: Illustriert von Pablo Picasso, Insel-Bücherei 2014Mitte: Homoerotische Interpretation von Ralf König rororo 2005. Links: Aubrey Beardsley CPI Books 2018. „Make love not war“ erlebte eine vorübergehende Renaissance in der Hippies & Antikriegs-Bewegung (John Lennon „Love is the answer!“) – Im 21. Jahrhundert dominieren dagegen wieder die Kriegstreiber.

Gilgamesch zog die Männer gegen ihren Willen zur Fronarbeit ein.

Bei Aristophanes begaben sich die Männer aber einem scheinbar inneren Aggressions-Trieb hin. Und stürzten sich scheinbar aus eigenem Antrieb in einen sinnlosen Krieg (zwischen Sparta und Athen von 431 bis 404 v.u.Z.: Will 2019).

Das aufreibende Gemetzel, in dem sich die Männer erschlugen und verstümmelten, war (als das Stück geschrieben wurde) schon zwei Jahrzehnte im Gang. Und ein Ende war bislang nicht abzusehen.

Lysistrata schlug den Frauen beider (männlichen) Kriegsparteien vor, ihren Männern den Sex zu entziehen, um sie zur Vernunft zu bringen. Sie besetzte mit ihren Frauen die Burg, das Zentrum der Macht, und lies die Männer allein zurück: sich selbst überlassen.

In der Komödie erwies sich diese Strategie tatsächlich als erfolgreich: Sie brachte den Frieden. Allerdings nicht in der Realität, denn die Kämpfe gingen danach noch fast ein Jahrzehnt weiter, bis schließlich eine der Parteien (Athen) zusammenbrach.

Lysistrata’s Glaube, einen Krieg beenden zu können, wenn den Soldaten Sex verweigert wird, ist heute angesichts pornografischer Digitalisierung vollkommen absurd. Aber möglicherweise könnte die Rückbesinnung auf die ältere griechische Philosophin Sappho (630-570 v.u.Z.) dabei helfen, dass sich Männer und Frauen neu besinnen.

Sappho galt Eros als eine dem Wahnsinn ähnliche Ergriffenheit auf dem Weg zu Höherem:

„… und Eros hat mir durchgeschüttelt die Sinne, wie ein Sturm,
wenn er im Gebirge in die Eichen fährt.“ (Lieder 47)

Liebe bedeutete ihr Begehren, das sich auf Schönes richtet und zum Guten führt:

„… von der möchte ich lieber den liebreizenden Gang und das glänzende Leuchten ihres Antlitzes sehen als der Lyder Streitwagen und in Waffen Fußkämpfer“ (Sappho, Lieder, Fragm. 16, Reclam 2021)

Ihre Einstellung zu „dem anderen“ außerhalb der eigenen Person wäre auch heute noch heilsam. Besonders angesichts der vielen Versuche (in immer schlimmeren Krisen) Einzelnes zu vernichten, statt sich in einem größeren Zusammenhang zu verbinden.

Friedensgebot im Grundgesetz

IPPNW-Resolution „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“

Zitat: „Die IPPNW fordert anlässlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzes eine Rückbesinnung auf das Friedensgebot des deutschen Grundgesetzes, das mit der Präambel und dem Artikel 1, Abs. 2 und weiteren Regelungen fest verankert ist. Die Politik der „Zeitenwende“ und der Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ stehen dazu im eklatanten Widerspruch. Kriege werden als Mittel der Politik wieder salonfähig oder gar als alternativlos dargestellt, während heroische Tugenden und mit ihnen problematische Männlichkeitskonstruktionen neu aufgelegt werden.

Diese Militarisierung der Gesellschaft gefährdet den sozialen Zusammenhalt und fördert faschistische Tendenzen. Einerseits weil die massive Aufrüstung mit herben Einsparungen in anderen Bereichen wie Arbeit und Soziales, Klima, Entwicklungszusammenarbeit und Bildung einhergeht. So sieht der Bundeshaushalt 2024 mehr Geld für den Rüstungsetat vor als für Bildung, Gesundheit, Wohnen, Umwelt, Entwicklung und Auswärtiges zusammen. Die Aufrüstung geht auf Kosten der dringend benötigten sozial-ökologischen Transformation und wird soziale Konflikte um knappe Ressourcen schüren. Zum anderen ist die „Zeitenwende“ Teil eines weltweit erstarkenden Kriegsregimes. Statt die globalen Krisen durch kooperative Systeme und Multilateralismus anzugehen, droht die Kriegslogik unsere Wirtschaft, Politik und Kultur zu durchdringen. Das Denken in Freund-Feind-Schemata verschärft sich. Klare Feindbilder gefährden sowohl den innergesellschaftlichen Frieden, indem sie „Schuldige“ für die sozialen Probleme ausmachen, als auch den äußeren Frieden, denn sie sollen dazu dienen, eine Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen.

„Nur wenn Frieden herrscht, kann sich Politik um die Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft kümmern. Faschismus und Militarismus sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir sind daher davon überzeugt, dass wir Antifaschismus und Frieden zusammen denken und angehen müssen. Der Kern unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts ist eine Kultur des Friedens, die auf der Wahrung von Menschen- und Grundrechten, auf Dialog und auf dem Engagement für Abrüstung und Entspannung fußt und auf eine zivile statt eine militärische Sicherheitspolitik fokussiert“, heißt es in einer Resolution, die die IPPNW auf ihrem Jahrestreffen in Frankfurt am Main verabschiedet hat.

Als Friedensorganisation erinnert die IPPNW daran, dass „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ eine Einheit bilden. Denn Faschismus, Rassismus und Militarismus hängen historisch eng zusammen. Der Nationalsozialismus etwa entwickelte rassistische Praktiken des deutschen Kolonialismus weiter, forcierte eine industriell-militärische Entwicklung und propagierte zugleich eine Blut-und-Boden-Ideologie.

Gleichzeitig beobachten wir, dass der Schlüsselbegriff „Frieden“, fest verankert in unserem Grundgesetz und in der UN-Charta, in der Öffentlichkeit immer häufiger geächtet wird. Der Begriff bezeichnet vielfältige Formen menschlicher Beziehungen, in denen die Gewalt abnimmt und Konflikte kooperativ und lösungsorientiert bearbeitet werden. Dieses breite Verständnis von Frieden umfasst innergesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Frieden gleichermaßen.

Der Kampf gegen Faschismus und Militarismus hat in der IPPNW eine lange Tradition, so etwa in Projekten für die Aufarbeitung der Rolle der Medizin im Nationalsozialismus, den Einsatz für eine angemessene medizinische Versorgung geflüchteter Menschen und für eine menschenrechtsgeleitete Asylpolitik, basierend auf der medizinischen Ethik und dem Artikel 1, Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes.“

Frieden durch Religion?

„Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln … Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“ Papst Franziskus 09.03.2024

Vatikan News, aufgerufen am 12.03.2024

Strack-Zimmermann schämt sich dafür »als Katholikin« (Spiegel 10.03.24). Andere, die Menschen in den Tod hetzen, sind entsetzt. Sie nennen ihn senil. Einen „Kleingläubigen“, der vor einem Hitler kapituliert. (Express 10.03.2024)

Wie kann er es wagen, querzudenken?

Droht jetzt, nach zwei Enzykliken gegen unbegrenzte Gier, eine Dritte für den Frieden? (Laudatio si, 2015Fratelli tuti, 2020)

Oder noch gefährlicher, will er die „Feindschaft von Christen und Marxisten“ beenden, und die katholische Theologie befreien? Will er sich auf die Seite der Armen stellen? (Bauer, Soziallehre vs. Befreiungstheologie, 08.06.2021)

Der Katholizismus war Wegbereiter des Kolonialismus.

Er war direkt an Landraub, Verbrechen und Unterdrückung beteiligt. Aber (manche) Missionare und Nonnen sorgten sich auch um Schulbildung und Krankenbehandlung. Und es entwickelten sich Formen afrikanischer Interpretationen des Christentums (Beispiel: Kimbangisten). Beim Aufstieg des Kapitalismus als beherrschendes Wirtschaftsprinzip lief der Katholizismus eher mit, ohne je eine kontrollierende Position zu erlangen. Gegründet auf seiner Sozialethik wurden aber auch Gedanken entwickelt, die versuchten, dem kapitalistischen Raubbau entgegenzuwirken. (Ivan illich, Leonard BoffErnesto Cardenal)

Vielleicht könnte eine der Möglichkeiten eines geläuterten Katholizismus darin bestehen, Frieden zwischen verfeindeten orthodoxen Kirchen zu stiften. Oder sich mit dem Islam auszusöhnen, dessen ʿĪsā ibn Maryam besser zu den historischen Geschehnissen passt, als die christliche Erzählung eines ‚göttlichen Jesus‘ (Fried 2019).

Oder vielleicht könnte sich der Katholizismus auch auf friedvolle Ethik besinnen (die zu seiner Wurzel zählt): auf den Buddhismus und auf die Religion des Zarathustra, die beide zeigen, dass Religion nicht zwangsläufig mit Gewalt verbunden sein muss.

Oder vielleicht könnten sich Katholiken auch mit Barauch de Spinoza und dem Pantheismus beschäftigen. Seine Auffassung, Universum und Gott stellten eine einzige Realität dar, widersprach dem religiösen Mainstream in Amsterdam des 17. Jh. Sie passten nicht zur Logik grenzenloser Geldvermehrung und Naturzerstörung. Aber sie fügen sich widerspruchsfrei in die physikalische Betrachtung der Welt und passen auch zu dem Unsagbaren und Wunderbaren, das die Religionen bestaunen.

Angesichts psychologischen Elends ist Spinozas These, dass Gott das Dasein selbst sei, hochaktuell.

Neue Ideen für den Weltfrieden

Europa (Nahost, USA)

Afrika

Asien

Lateinamerika

Zitat

Maturana H., Pörksen B., 2014: Vom Sein zum Tun: Die Ursprünge der Biologie des Erkennens,, Carl Auer Verlag 20214:

P.: Ihre Erfahrungen in der Diktatur sind mir sehr wichtig…Sie plädieren nicht für einen lebensgefährlichen Heroismus, Sie sprechen denjenigen, der sich unterwirft, nicht schuldig, sondern Sie plädieren für ein Maximum an Bewusstheit im Umgang mit der Macht.

M.: Natürlich, ja. Es kann sehr dumm sein, sich nicht für eine gewisse Zeit zu unterwerfen und nicht ein wenig abzuwarten, bis sich eine günstige Gelegenheit zur Gegenwehr ergibt. Mir geht es allein darum, sich verantwortlich zu bekennen und andere dazu einzuladen, bewusst zu handeln. Will man die Welt, die sich vor einem auftut, wenn man dem anderen die Macht zugesteht? Möchte man vor allem überleben? Lehnt man die Welt, die im Zuge der Machtausübung entsteht, in einer unbedingten und kompromisslosen Weise ab?

P: Glauben Sie, dass dieser andere Bewusstseinszustand wirklich das Entscheidende ist? Man könnte doch einwenden, dass die unbedachte und die bewusste Unterwerfung jeweils dieselbe Konsequenz hat: Der Diktator bleibt an der Macht.

M.: Dieser andere Bewusstseinszustand ist entscheidend, denn er ist es, der gestattet zu heucheln. Zu heucheln bedeutet, dass man ein Gefühl vortäuscht, das man nicht hat. Man bleibt immer noch ein Beobachter, der eine innere Distanz wahrt und eines Tages wieder auf eine andere Weise agiert. Das heißt: Die Wahrnehmungsfähigkeit des Heuchelnden wird nicht zerstört; seine Selbstachtung und seine Würde bleiben erhalten. Und ihm ist aufgrund dieser entscheidenden und sehr bedeutenden Erfahrung ein anderes Leben möglich. Wenn man diese Haltung des bewussten Umgangs mit der Macht aufgibt, dann ist man verloren. Man hat sich für die Blindheit entschieden.

P: Wie kann man sicher sein, dass die Annahme, man selbst würde nur heucheln und beobachten, nicht eine raffinierte Form des Selbstbetrugs darstellt?

M: Wirklich gefährlich wird es, wenn man behauptet, man selbst sei immun gegen die Versuchungen der Macht. Man ist dann blind für seine eigene Verführbarkeit, für den Genuss der Machtausübung, für die Freuden der unkontrollierten Ausübung der Kontrolle. Meine Auffassung ist, dass man niemals glauben sollte, man sei in moralischer oder irgendeiner anderen Hinsicht etwas Besonderes: Man ist dann auf die Situation, die einen vielleicht zu einem Folterer werden lässt, gedanklich nicht vorbereitet. Wer sich für immun hält, wird, so glaube ich, in einer bestimmten Situation am ehesten zum Folterer. Er ist sich seiner eigenen Verführbarkeit nicht bewusst. Was immer ein menschliches Wesen an Schrecklichem oder eben auch an Großartigem zu tun vermag – ein anderer, der man selbst sein könnte, kann dies auch. Eine solche Einsicht erlaubt es, das eigene Leben bewusst zu führen und sich zu entscheiden, ob man sich für die Demokratie oder die Diktatur engagiert.“ 

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Letzte Aktualisierung: 14.03.2025