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Kriegspsychologie.

Wenn Gewalt auf Gegengewalt prallt, gewinnen zwangsläufig die Stärkeren oder Schlaueren.

Ist das so?

Nicht unbedingt. Im Dezember 2024 implodierte das scheinbar stabile syrische Regime und übergab die Hauptstadt kampflos an Gotteskrieger. Ähnlich wie 2021, als Barfuß-Kämpfer die NATO aus Afghanistan vertrieben. Die Geschichte ist voll von Ereignissen, bei denen unerwartete Volksbewegungen scheinbar mächtige Reiche in den Abgrund stürzten. Besonders eindrücklich ist die rasante frühe Ausbreitung des Islam, die wie ein Tsunami mehrere hochgerüstete Weltreiche wegspülte. Bei solchen für die beteiligten Eliten meist vollkommen überraschenden Ereignissen war offenbar eine Idee stärker als die Bewaffnung und Ausbildung des Militärs.

Kriege werden eben nicht nur mit Raketen, Panzern und Drohnen gewonnen. Sondern mit dem überzeugenderen Konzept, an das Massen glauben können. Besonders dann, wenn sie an der Front für die Interessen ihrer jeweiligen Superreichen sterben müssen.

Es macht bei der Betrachtung von Kriegsereignissen Sinn, mehr wahrzunehmen als die Zahl und Größe von Bomben und anderem modernem Kriegsgerät. Die Psychologie der Massen, die an Kriegen beteiligt sind, ist mindestens ebenso wichtig. Kriegstreiber wissen das und investieren intensiv in Propaganda. Sie erzählen Geschichten, die den Schäfchen, die zur Schlachtbank getrieben werden, erklären, was sie für absolut sicher halten sollen.

Die eingetrichterte Kriegs-Information konzentriert sich auf das Wenige, was nach Aussonderung von Zusammenhängen übrig bleibt. Medien betreiben im Krieg Ex-Formation: sie lassen weg, was der Kriegsmentalität abträglich sein könnte. Etwa die Vorgeschichte von Kriegen und Konflikten, oder die Interessen der Oligarchen, Superreichen, Konzerne, Militärs, Paramilitärs oder Macht-Institutionen, die den Krieg schüren, weil sie sich Bodenschätze, Macht und noch mehr Reichtum erhoffen.

Ebenso wird natürlich propagandistisch gelogen, Unwesentliches überhöht, abgelenkt und durch Informationsmüll verwirrt. Damit gelingt es meist erfolgreich, ein Nachdenken oder Hinterfragen, das von der als „alternativlose“ verkauften Kampfeuphorie ablenken würde, zu verdrängen.

Niemals kann es Frieden geben, solange sie an ihren Vogel-Gott glauben, und sie nicht unseren Hasen-Gott anbeten! Zeichnung Jäger 2022

Aber nur solange, wie die, die an die Front gehetzt werden, ihren Oligarchie- und Militär-Eliten vertrauen. Dazu ist die Illusion eines Wertsystems erforderlich, das selbst den Mächtigsten übergeordnet zu sein scheint, und das gleichermaßen für Arm und Reich gilt. Eine Religion, eine nationale Idee, eine Vision. Die Massen müssen eine starke Sehnsucht verspüren, die sie in die Zukunft zieht und für die sie bereit sind, zu leiden und zu sterben.

Die Art und Glaubwürdigkeit der jeweiligen ideologischen Erzählung sind entscheidend für den Verlauf und das Ende von Kriegen. Die Vorstellungen einfacher Menschen und deren Neo-Frömmigkeit (an was auch immer) bestimmen die Zukunft.

Nachdenken über den aktuellen Krieg in Ost-Europa.

In der Ukraine und Russland stehen sich Kampfhähne gegenüber, die mit allen legalen und illegalen Mitteln psychologischer, propagandistischer, körperlicher und technischer Kriegsführung vertraut sind. Auf beiden Seiten beruhen die Ausbildungen spezieller Kampfeinheiten auf ähnlichen historischen Traditionen. Die Ideologien beider Seiten wurzeln im orthodoxen Christentum, das bei ländlichen Bevölkerungsgruppen eine ähnlich starke Bedeutung hat wie die katholische Kirche in Polen.

Karte zur historischen Taras Bulba Geschichte: https://origins.osu.edu/read/cossacks-ukraines-paradigmatic-warriors

Im 15. Jahrhundert bildeten sich auf den Gebieten der heutigen Ukraine und in Südrussland Gemeinschaften „freier“, halb-nomadischer Reiterverbände, die geflohene Leibeigene rekrutierten. Sie nannten sich Kosaken und entwickelten eine einzigartige Kultur in ständiger militärischer Auseinandersetzung mit räuberischen Nomaden oder umgebenden gierigen Fürstentümern.

Den umgebenden Mächten boten sie ihren Militärdienst an und erhielten als Gegenleistung Zusicherungen für eine relative Selbstverwaltung.

Die Legenden ihrer Wildheit und Selbstständigkeit bildeten den Archetyp des russischen und des ukrainischen Nationalismus im Kampf gegen die benachbarten Großmächte. (Nikolai Gogol: „Taras Bulba“ 1835)

Kosakenverbände, die am Don siedelten, beteiligten sich im 16.-18. Jh. maßgeblich an der Eroberung Sibiriens. Sie dienten verschiedenen Herren und versuchten, sich und ihrer Kultur treu zu bleiben. Oft wechselten in wirren Zeiten die Seiten: u. a. während der Russischen Revolution und in der Zeit des Faschismus.

Heute stehen sich Kosaken-Einheiten aus der Ukraine (Ukraine Origins) und aus Russland (DWN 22.01.2022) (mit ähnlichem Kampf-Ethos) direkt gegenüber.

In der Ukraine, wie in Russland, wird versucht, das Kosaken-Image in den Streitkräften zu institutionalisieren. Auf beiden Seiten kämpfen Soldaten, die ihren Regimentern Namen geben, die an Mythen erinnern. (Tavrida, Kuban, Scythian, Baltika, Asov)

Die auf unterschiedlichen Seiten (verbissen) Kämpfenden verbindet die Tradition und der Glaube an das orthodoxe Christentum. Und auch das Training ihrer gemeinsamen traditionellen Kampfkunst, die bis heute von der Ukraine bis nach Sibirien praktiziert wird:

Auf beiden Seiten der Kampflinien wird im Training dieser Einheiten versucht, eine jeweils militarisierte Form von Nationalismus aufzublasen, die sich auf einer jahrhundertealten Geschichte einer unterdrückten Volksgruppe beruht, die sich selbst befreit hat. (Cepa 14.08.2024, Ponars 10.02.2023)

Was wäre, wenn die zu Kanonenfutter missbrauchten Krieger beider Seiten, die jeweils für mächtige Oligarchen und industriell-militärische Komplexe um Bodenschätze ringen, einmal keine Lust mehr hätten, einander umzubringen. Weil sie sich kulturell und religiös nahestehen. Und vielleicht eine Pause einlegten, um gemeinsam das orthodoxe Weihnachten zu feiern?

Könnte dann der jetzige (und die geplanten Folge-) Kriege schneller enden, als es sich die Gewaltstrategen beider Seiten ausdenken?

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Letzte Aktualisierung: 15.12.2024