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12. Januar 2023

Bummeln in Chinas Garten

Ich unterrichte Formen chinesischer Bewegungslehren. Deshalb interessiert mich die Geschichte der Entwicklung geistiger und körperlicher Bewegungskompetenz in China.

Nichts von dem, was ich bisher neugierig zu verstehen versuchte und erfahren durfte, ist „wahr“:  Ich bin weder Chinese noch Sinologe. Der folgende Text gleicht daher eher einer Skiszenekladde, die Erinnerung an einen Streifzug festhält, bei dem ich immer wieder staute und mich verwunderte.

Im Garten chinesischer Kultur wuchern zwischen uralten Bäumen seltene Kräuter, Duft- und Nutzpflanzen.

Wie in einem Garten bliebe ich mal hier stehen, schnupperte herum, setzte mich auf eine Bank, ging weiter und prägte mir Bilder ein, die mich wieder an scheinbar bekannte und doch andersartige Orte zurückführten.

Alles hier Gesagte ist subjektiv: niemand anderes als ich für die folgenden Irrtümer verantwortlich.

In anderen Kontinenten wären sie längst auf dem Kompost gelandet, vermodert und vergessen. Andere große Religionen hätten sie als Unkraut längst untergepflügt und darüber ihre Monokulturen angelegt. In China reicht die gelebte Erinnerung dagegen noch sehr weit zurück: bis in die schamanistische Frühzeit vor 3.000 Jahren.

Inhalt

  • I Ging – Schamanismus und Philosophie
  • Eros in China
  • Philosophie (LaoTse, KongFuTse, ZhuangTse, Mozi, Yang, Mengzi, Xunzi u.a.)
  • Ver-Religiösung der Philosophie
  • Buddhismus
  • Mystik und realpolitische Lebenslehren
  • Neuzeit (Neo-Daiosmus, Neo-Konfuzianismus, Tianxia)

I Ging: Schamanismus & Philosophie

Das I Ging enthält wie kaum ein anderes Buch der Weltliteratur Erinnerungen an magisches und mystisches Denken, das die ersten Hochkulturen bestimmte. Die „Barbaren“, die Jäger- und Sammler waren (vorübergehend) domestiziert worden, aber ihr Denken blieb weiter präsent, so als hätten die Medizinmänner und Geisterheiler die Macht übernommen. In anderen Kulturen wurden diese Zeugnisse des Denkens nach ihrer Ablösung durch neue dogmatische Ordnungssysteme vergessen und verdrängt. Das Besondere an chinesischer Kultur, besteht darin, das Übernommen zu behalten und durch vielfache Überarbeitungen in die Neuzeit zu transformieren, bis es einen quasi zeitlosen Charakter erhält.

Die Mathematik des I Ging

Angeblich sollen die ersten Texte des I Ging aus „der Urzeit“ stammen und als numerologisches System von dem Helden oder Naturgott FuXi entdeckt worden sein. Der Zusammenhang der Natur sollte verstanden werden, damit ein daran angepasstes, optimales Verhalten entwickelt werden konnte. Es wurden, wie bei den Mayas und den Kelten auch, Rhythmen beobachtet, wie der Wechsel von Tag und Nacht, die Phasen des Mondes, der Sonnenverlauf und klimatische Veränderungen, die wie die Schatten der Sonne an Bergen oder in Tälern Himmelsrichtungen zugeordnet wurden. Daraus entstand, als chinesische Besonderheit, ein binäres Zahlensystem (Plus/Minus, Dunkel/Hell), dem jeweils ein Zwischen- oder Übergangswert zugeordnet wurde (Halb-dunkel, Halb-hell). Aus diesen vier Grundelementen wurden 8 Grundsilben (aus 3 Zeichen) geformt, aus deren Kombination sich wiederum 64 Worte (aus 6 Zeichen) ergaben. So wie wir das I Ging kennen, stellt es die umfassende Weltformel neo-konfuzianischen Denkens dar. Zu jeder möglichen Situation ergibt sich eine ethisch optimale und sehr klar durchdachte Handlungsempfehlung. Und trotzdem ist das I Ging kein Wahrsage-Buch: Es sagt dem Fragenden weder Zukunft voraus, noch leitet es die Gegenwart aus der Vergangenheit ab. Stattdessen zeigte es einem in Problem-Trance verhafteten und in seiner Entscheidung blockierten Nutzer, wie die gegenwärtige Situation auch sein könnte. Damit wird durch Zufall (Ziehen von Scharfgaben-Stängeln oder ein Münzwurf) ein neuer Rahmen vorgeschlagen, zu dem sinnvolle Handlungsmöglichkeiten gehören. In der modernen Psychologie wird diese äußert wirksame Methode, die den eigenen Handlungsspielraum erweitert, als Rahmenwechsel (Re-frame-ing) bezeichnet. Das I Ging sagt also wenig oder nichts über das Äußere (die Welt), sondern alles über das Innere, die Psyche dessen, der handeln oder nicht-handeln will. Für diesen Zweck ist und bleibt es zeitlos aktuell (z.B. im modernen Coaching). Das numerische System des I Ging kodiert Information ähnlich wie die Quantenphysik, als (+) und (-), und ähnlich wie der Informationsstrang jeder lebenden Zelle, die DNS, mit vier Basen, acht Silben und 64 Wörtern. Die gesamte menschliche Erbmasse lässt sich problemlos mit dem „Alphabet“ des I Ging schreiben. Darin liegt nichts Mystisches, es zeigt aber, wie harmonisch das I Ging zum Rhythmus der Naturprozesse tickt. Aus der Numerologie des I Ging ergeben sich acht Trigramme, acht Brokate, acht Leitbahnen und sechs Striche der Hexagramme, sechs heilende Laute und sechs Elemente (Wasser, Feuer, Holz, Metall, Erde, Getreide).

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Eros in China

Die Schöpfergöttin Frau Gua formte den Menschen aus Schlamm. Sie, oder eine andere Göttin, wird im Mawangdui-Grab der Hanzeit als im Himmel herrschende Schlangengöttin dargestellt. Erst später sank ihre Machtfülle und man stellte sie als Kompass tragende Göttin mit dem Handwerker-Helden oder dem Naturgott FuXi auf eine gleiche Stufe. Dann gab es die Sonnengöttin Xi He, die Mutter der 10 Sonnen, die Mondgöttin, die Ewig Erhabene, das Bambusstreifenmädchen, die Mutter der Shang Dynastie und Jiang, der Mutter der Zhou Dynastie. Und natürlich die auch die mächtige Kybele-ähnliche Königinmutter des Westens Xi Wang Mu mit wilden, bösen, unberechenbaren Anteilen, die später im Daoismus der Tangzeit (7.– 10. Jhh.) mit magisch-schamanischten Ritualen verehrt wurde. Der religiöse Buddhismus brachte dann die Verehrung des Bodhisattwas, des heiligen Buddha, der obwohl erleuchtet und mit sich im Reinen, den Menschen helfen wollte und den man mit der Bitte um Barmherzigkeit anflehen konnte.

Der Bodhisattwa Avolokiteshvara wurde in der Mitte des ersten Jahrtausends n.u.Z. durch die Göttin der Barmherzigkeit Guan Yin ausgetauscht, der alten Frau Gua, ein Kult, der in nahezu jedem chinesischen Haushalt bis zur Kulturrevolution lebendig blieb. Vielleicht ist es kein Zufall, dass eine der wenigen intakten matrilinearen Gesellschaften in China zu Hause ist: die Mosuo, im Südwesten um den Lugu See, die eine eigene Religion (daba) neben dem tibetanischen Buddhismus praktizieren.

Eine Erinnerung an die erotische Vorzeit, als Yin und Yang auch im Äußeren herrschten, lebte in den daoistischen, sexuellen Praktiken für ein langes Leben weiter. Während das Christentum versuchte, Sex auf Fortpflanzung zu reduzieren, oder die sexuelle Revolution den Orgasmus als Akte der Befreiung des sexuellen Tieres definierte (Wilhelm Reich), wurde in China der Orgasmus nur als zur Fortpflanzung nützlich angesehen. Sex war für den Spaß da oder für die Erleuchtung oder die Meditation, aber nicht für Erotik. Für Konfuzius war die Ehe zu wichtig für Romantik oder Sentimentalitäten, und für die Daoisten war Sex viel zu bedeutend, um sie für die Liebe zu verschwenden. Alle Yin und Yang Philosophen sorgten sich um „die weibliche Überlegenheit gegenüber den Männern“: „Wasser ist Feuer überlegen“. Daoisten versuchten die sexuelle (weibliche) Bestie ordentlich dressiert an einer Leine laufen zu lassen und sie (für Männer) segensreich einzusetzen. Erregung schuf Energie (ching), die durch den Orgasmus wieder verschleudert wurde.

Die sexuelle Energie konnte von der Frau auf den Mann übergehen und vermischte sich dort mit der vitalen Energie des Mannes, solange er seinen Orgasmus erfolgreich gegen „seine Feindin im Kampf“ verteidigen konnte. Postkoitale Erschlaffung, die sich durch Ausschüttung des Schmuse- und Bindungshormons Oxytocin auszeichnet, war verpönt. Masturbation und Zölibat wurde gleichermaßen für ungesund gehalten. Weibliche Orgasmen galten als positiv, da dadurch viel „ching“ erstellt und auf den Mann überfließen konnte, weiblicher Sex nach der Menopause aber war verpönt. Eine Renaissance dieser Art erlebten Yin Yang Spekulation in der Sui Dynastie um 600, als die Herrscher sich für sexuelle Praktiken interessierten (Geheimnisse des Jaderaumes; Handbuch des dunklen Mädchens). Sie versanken wieder, als der trocken unerotische Neo-Konfuzianismus die Macht übernahm, und versuchten Frauen hinter Mauern zu verbannen, und empfahl ihnen die Füße zu verstümmeln.

„Alle Schwäche beim Mann liegt an einer Verletzung des Dao des Geschlechtsaktes zwischen Yin und Yang. Frauen sind den Männern so überlegen, wie Wasser dem Feuer überlegen ist … Durch Hochschätzung des Ching (der sexuellen Energie), Kultivierung des Geistes und Einnahme von Pflanzenmedizin kann der Mann ein hohes Alter erreichen…. Das wesentliche ist, häufig junge Mädchen zu besteigen, aber nur selten zu ejakulieren. Das macht den Körper des Mannes leicht und vertreibt die hundert Leiden. Im Kampf mit dem Feind (der Frau) muss er sie wie Stoff oder Stein ansehen und sich wie Gold oder Jade: Wenn sein Ching gestiegen ist, muss er von ihrem Territorium sich sofort zurückziehen. Kein Sex zu haben wäre ein schwerer Fehler. Himmel und Erde haben ihr Öffnen und Schließen und Yin und Yang müssen ihre Aktivitäten und Transformationen haben. … Die Samenessenz kehrt zurück, um das Gehirn zu ernähren.“ „The Classic of Su Nü“ (Han-Zeit?)

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Philosophen

Sunzi

Sunzi lebte vor über 2000 Jahren als General. Philosophieren lag im fern. Seine „Kunst des Krieges“ bleibt ein zeitlos wertvoller Klassiker des Managements. Und man kann sicher sein, dass modern asiatischen Führungspersönlichkeiten „ihren Sunzi“ genau gelesen haben:

Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen. … In der praktischen Kriegskunst ist es das Beste überhaupt, das Land des Feindes heil und intakt zu übernehmen. … Siegen wird der, der weiß, wann man kämpfen muss und wann nicht … Oft ist es eine Kriegslist, indem man das Schwert in der Scheide lässt. … Ein kluger Kämpfer siegt nicht nur, sondern er zeichnet sich dadurch aus, dass er mit Leichtigkeit siegt. Sunzi (zitiert aus Insel Verlag 2009)

Laozi

Ein Lau-dse (Laozi), der vor Kongzi um 600 gelebt haben soll, ist wohl eine Erfindung des Daoismus der Qin-zeit. Auch der Ur-Daoist Liezi bleibt im Dunklen. Erst mit Yang Chu und Zhunagzi traten um 300 v.u.Z. historisch belegbare Denker einer Dao-ähnlichen, eher naturphilosophisch-skeptischen oder hedonistischen Richtung auf: humorvoll, kritisch-bissig und an personenbezogenem Glück und leichtem Sterben interessiert. Zu Zhuangzis Zeit gab es offenbar eine seit Langem mündlich überlieferte Tradition einer meditativen Einsiedlerlehre, die eine einfache Staatsführung und das naturverbundene „Nicht-Tun“ empfahl. Im Buch Zhunagzi taucht diese Lehre unter dem Namen Lau-Dse auf, aber möglicherweise wurden Passagen, in denen Kongzi von Lau-dse belehrt wird, erst von späteren Generationen in das Buch eingeführt, um Konfuzianer zu ärgern. Die ältesten Schriftstücke des späteren Daodejing liegen mit den Guodian Bambusstäbchen (300 v.u.Z.) vor. Sie enthalten etwa die Hälfte des späteren Buches des Lao-dse.

Der früheste nahezu vollständige Text stammt aus dem Mawangdui-Grab (168 v.u.Z.) in Shangsa, Hunan, und war dort verbunden mit legalistischen Texten und einer Seidenmalerei der „Großen Mutter-Göttin“, „Weltenmutter“ oder „Herrscherin des Alls“. Sima Qian (1-2. Jhh. v.u.Z.) nannte einen Laozi aus dem Königreich Chu, bezeichnet seine Informationen aber selber als vage. Geschichtlich fassbar ist möglicherweise ein Hofastrologe und Geschichtsschreiber namens Tai Shi Dan, der im 4.Jhh. gelebt haben soll und von Zhou nach Westen ins Reich Qin auswanderte, um dort zu prophezeien, dass das Reich der Mitte unter einem Qin-Kaiser vereint würde.

Diese Geschichte sicherte den sogenannten Naturphilosophen und Alchemisten, die sich nach einem alten Meister (Laozi) Laoten nannten, am Hof des Potentaten Qin Sihuangdi das Überleben, und rettete, neben der späteren Spruchsammlung über das Dao, auch die Schriften Zhuangzis vor der Verbrennung. Nach dem Tod des Qin-Kaisers, wird die Geschichte des Tai Shi Dan wieder klammheimlich aus dem Leben des immer älter und göttlicher werdenden Laozi entfernt. Der Begriff Daodejing (Dao de Ging) wurde erstmals um 150 v.u.Z erwähnt. Die uns zumeist vorliegenden Übersetzungen gehen auf den Wang Bi (3. Jhh. n.u.Z.) zurück, der versuchte, Dao- und Konfuzianismus zu vereinen und der daher die schamnistisch-mutter-religiösen Anteile des Textes modifizierte, sodass aus dem Dao der uns bekannte „Weg“ stand, einer Ethik, die an die Regierenden richtet, die zu ungekünstelt einfachem Leben zurückfinden sollten, sich fernhalten von Gewinn- und Machtstreben, von Selbstsucht und vor zu viel Klugheit und Wissen.

Der vollkommene Mensch wünscht nichts zu wünschen.
Schaffen wir höchste Leere, bewahren wir feste Stille.

Wang Bi’s Version liegt uns aus Exemplaren der Ming-Zeit (16. Jhh. v.u.Z.) vor. Viele der etwa 100 deutschen Übersetzungen des Daodejjing gehen auf jesuitische Vorüber­setzungen des 17. Jhh.’s und zahlreiche spätere Modernisierungsversuche zurück, die den Text ver­-christlichten oder so modifizierten, dass im Dunkel des Weisheitsnebels, das interpretiert werden konnte, was zur jeweils angestrebten Geisteshaltung passte.

KongFu Tse, Mengzi

Bild eingescannt aus „Chinesische Holzschnitte“. Inselbücherei, Leibzig 1954. Künstler nicht genannt

Konfuzius und sein bedeutender Schüler Mengzi soll vor 2.500 Jahren als Beamte, Opferpriester und wandernde Regierungsberater gelebt haben. Nach dem Tod des ersten Kaisers Qin (der den Legalismus favorisierte) stieg der strenge Konfuzianismus zur Religion der Han-Dynastie auf, die mit dem römischen Reich vergleichbar ist).

Mengzi und Konfuzius hielten den Menschen im Prinzip für gut. Man müsse ihn nur (wie ein ungezogenes Kind) zu Sittlichkeit, Menschlichkeit, Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit und Weisheit führen. Mengzi betonte noch mehr die Ethik der individuellen Selbstverantwortung. Der Mensch müsse sein inneres Wesen veredeln, dann erst wirke er auf die innere Ordnung der Gesellschaft und nur so erlange er Freiheit.

Der Meister lehrte Bildung, sittliches Handeln, Treue und Aufrichtigkeit. … Der Meister sprach: Anderen Geistern als den eigenen (den Ahnen) zu dienen, ist Schmeichelei. Pflicht sehen und nichts tun ist Mangel an Mut. Zitate aus „Konfuzius (Kung-Fu-Tse) – Gespräche (Lun Yü)“: Übersetzung: Richard Wilhelm, Deutscher Bücherbund 1954

Nicht die Gesetzgebung (der Legalismus) sei wichtig, und das Nicht-Tun der Daoisten schon gar nicht. Vielmehr müsse das erhabene Vorbild wirken. Der weise, edle, tugendhafte, bescheidene, ausdauernde Mann (Frauen waren beiden eher weniger wichtig, und sollten sich eher um den Haushalt kümmern)

Die durch die Natur „gegebenen Anlagen“ des Menschen (das Gute, die Menschlichkeit, das Mitleid) müsse durch Erziehung gefördert und geleitet und Ideen abgewehrt werden wie die der Hedonisten (Beispiel: Yang), der Daoisten (Beispiel Zhungzi) und der Mohisten (der Pazifist Mo Ti). Wenn der Mensch sich im tatsächlichen Leben nicht anständig verhalte, dann liege dies nicht an seiner Natur, sondern an der Unvollkommenheit der Gesellschaftsordnung, und in Fehlern der Regierenden.

Ein höchstes den Menschen übergeordnetes Prinzip wird als sicher angenommen, aber über die nicht sichtbaren Dinge reden und grübeln wird abgelehnt. Im Vordergrund steht die Ethik, die Sitte, die Keuschheit, die Sauberkeit, der jeden Aberglauben verdränge, inbrünstige Glaube an die Macht des Guten, die Klarheit, die Wahrheit, die Möglichkeit, des sittlichen Aufstieges verbunden mit Frömmigkeit und das Gehorchen der Obrigkeit.

Das Symbol des Konfuzianismus ist Taiji (das schlichte Yin-Yang-Zeichen). Es stellt den höchsten Gegensatz (zwischen Hell & Dunkel dar und damit die stete Wandlung). Damit Taiji „rund“ läuft, ohne innere Reibungsverluste, ist sehr intensives, fleißiges, beharrliches und selbst kontrollierendes Üben nötig.

Ich war 15 und setzte meinen Willen aufs Lernen. 30 stand ich fest. Mit 40 zweifelte ich nicht mehr. Mit 50 erkannte ich meine Berufung. Mit 60 war mein Ohr aufgetan. Mit 70 konnte ich den Wünschen meines Herzens folgen, ohne das Maß zu überschreiten. … Die Emotionen beruhigen, das eigene Denken unterordnen unter die Riten. Bezüglich des Herrschens: vorangehen und ermutigen. Und nicht müde werden … Wenn man durch Gesetze leitet und durch Strafen gleich macht, so weicht das Volk aus und hat kein Schamgefühl, wenn man durch die Kraft des Wesens leitet und durch Sitte gleich macht zwar das Volk Schamgefühl und wird recht.Lernen ohne zu denken ist verlorene Mühe, denken ohne etwas gelernt zu haben ist gefährlich, sich mit ihren Lehren zu bestehen beschäftigen, ist nur zu schaden. … Zu wissen, was man weiß und zu wissen, was man nicht weiß, das ist Wissen. … Wesen und Schein: der Meister sprach: Wer durch Ausübung der Moral seinen Staat regiert, was für Schwierigkeiten könnte der haben? Wer aber nicht durch Ausübung der Moral den Staat regiert, was nützt dem die Moral? Der Meister sprach: Wer über dem Durchschnitt steht, dem kann man die höchsten Dinge sagen. Wir unter dem Durchschnitt steht, dem kann man nicht die höchsten Dinge sagen.Zitate aus „Konfuzius (Kung-Fu-Tse) – Gespräche (Lun Yü)“: Übersetzung: Richard Wilhelm, Deutscher Bücherbund 1954

Konfuzius war an den Fragen der Metaphysik (und an der Naturphilosophie) nicht interessiert. Sein Anliegen war ganz diesseitige Lebensweisheit. Bezüglich des Übersinnlichen und der Religion zeigt er vorsichtige skeptische Zurückhaltung – doch ist der „von tiefer Demut gegen das Verwalten des Himmels erfüllt“.

Ihm und Mengzi war es nicht wichtig, ob etwas ist („Wahrheit“), sondern ob man fest glaube, als „ob es so sei“ und folglich die Rituale sorgfältig ausführe:

Das Opfer-Schaf: Dsi Gung  wollte, dass das Schaf-Opfer bei der Verkündigung des neuen Mondes abgeschafft würde. Der Meister sprach: Mein lieber sie, dir ist es leid um das Schaf, mir ist es leid um den Brauch. …Hervorragende Stellung ohne Großartigkeit, Religionsausübung ohne Ehrfurcht, Erledigung der Beerdigungsbräuche ohne Herzenstrauer: solche Zustände kann ich nicht mit ansehen. Zitate aus „Konfuzius (Kung-Fu-Tse) – Gespräche (Lun Yü)“: Übersetzung: Richard Wilhelm, Deutscher Bücherbund 1954 – Mehr zu „als ob“: Littlejohn R: Kongzi on Religious Experience, South East Review of Asisan Studies 2007, 29:225-32

Zhunagzi

Bild eingescannt aus „Chinesische Holzschnitte“. Inselbücherei, Leibzig 1954.
Künstler nicht genannt

Zhunagzi lebte als bescheidener Lackbaumpächter bevor es einen Daoismus gab und gilt landläufig als der erste daoistische Philosoph. Seine Schriften überlebten die Brandrodung des Qin Sihunang, da sie zu der spirituell-schamanistisch-religiösen Strömung gerechnet wurden, aus der später der Daoismus hervorging. Zhuang stand in seinem Denken ebenso den Sophisten und Hedonisten nahe und zählt als Urahn des Chan der Tangzeit. Mit ihm waren kein Fortschritt und kein Dogma zu machen.

Zhuangzi lobte den nutzlosen Baum. Er sah „Alles“ in steter Bewegung: „Derjenige, der sich an den Tisch lehnt, ist nicht derjenige, der sich vorhin an den Tisch lehnte.“

„Der höchste Mensch (zhen ren) ist ohne Ego (wu ji).
Der spirituelle Mensch (shen ren) hat keine Verdienste (wu gong).
Der weise Mensch (sheng ren) hat keinen Ruf (wu ming).“

Der Begriff Gottes spielte für ihn keine Rolle, und Dämonen und Ahnengeister bedrohten ihn nicht. Alles sei relativ und die Welt unsere eigenen Konstruktionen: ein Schmetterlingstraum. Zhuangzi beschreibt eine unergründbare Einheit allen Lebens, zu der es keine Wahrheit gibt. Alles sei durchwebt, in Bewegung und in der Betrachtung unterschiedlich und relativ. Daher wird Zwecklosigkeit gelobt, Spontaneität, Ich-Aufgabe, Aufgabe des Klammerns an Nutzen und Wissen und Wuwei, unbewusstes nicht zielgerichtetes Handeln. Zhuangzi sah die Welt unfassbar weit, ohne Form immer in Wandlung und vollkommen.

Die Welt ist versunken im Trüben und ihr war daher mit Wissen nicht beizukommen: Der höchste Mensch hat kein Selbst, der geistige Mensch hat keine Leistung, der heilige Mensch hat keinen Namen.

Yang Zhu

In das skeptische Denken des Zhunagzi (um 300 v.u.Z.) sind wohl auch Gedanken des Hedonisten Yang Zhu einflossen. Für ihn gab es kein Mittel, dass den Zweck heiligte. Wie fast zeitgleich Epikur empfahl er unorthodox und genussvoll zu leben und sich nicht in die Politik einzumischen. Von Yang ist, neben schmähenden Kommentaren und Verurteilungen seiner Feinde (u.a. Mencius), nur ein Kapitel im Lieh Tzu übrig geblieben:

While life remains let a man live happily. Let him feed on ghee, though he runs in debt. … Having once come into life, disregard it and let it pass, mark its desires and wishes and be drifted away to annihilation…. Allow the ear to hear what it likes, the eye to see what it likes, the nose to smell what what likes, the mouth to say what it likes, the body to enjoy the comforts it likes to have, and the mind to do what it likes… So poverty will not do, nor wealth either… Enjoy life and take one’s ease, for those who know how to enjoy life are not poor, and he that lives at ease requires no riches.

Ganogsun Long, Huizi

Auch die kritisch differenzierenden Sophisten Ganogsun Long und Huizi (beide um 300) standen skeptischen Denken sehr nahe. Huizi war mit Zhuangzi befreundet, vielleicht auch sein Lehrer. Wie zeitgleich in Griechenland und in Indien (Charvakas) versuchten auch in China die Sophisten mit logischen Haarspaltereien absurde Behauptungen aufzustellen, um damit andere philosophische Strömungen infrage zu stellten: „Ein weißes Pferd ist kein Pferd!“. Oder anders „Begriffe sind relativ und werden willkürlich gesetzt.“ Ferner beschäftigten sich die Sophisten mit Begriffen wie Raum und Zeit, Bewegung und Ruhe, Substanz und Qualität und nahmen spekulativ Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft vorweg. Ihr ethischen Relativismus oder Nihilismus machte sie bei den Autoritäten suspekt und unbeliebt: Viele von ihnen wurden hingerichtet.

Mozi (Mo Ti)

Mozi begann relativ kurz nach Kongzi zu lehren (um 400 v.u.Z.). Er baute auf die Kompetenz der Handwerker, wandte sich gegen Rituale, die er für Geldverschwendung hielt. Seine hölzerne, wissenschaftliche, pazifistische, spartanische, technisch-orientierte Lebenssicht gleicht der griechischen Stoa: Dogmen und Organisationen müssten nützlich sein oder beseitigt werden. Mo blieb allen nachfolgenden Generationen suspekt, weil er, mit seiner Anhängerschaft gefährlich gut organisiert, eine Gegenmacht zum Staat begründen konnte. Der Mohismus bestand aus einer reinen Nützlichkeitsphilosophie (pragmatischer Utilitarismus.) Die allgemeine Wohlfahrt fördern, das Übel bekämpfen und die Bevölkerung vermehren: Diesen Zielen wird alles andere untergeordnet. Da Kriege den Reichtum vermindern und die Bevölkerung dezimieren, werden sie abgelehnt und Abrüstung verlangt. Jede Theorie müsse sich anhand empiristischer Erfahrung überprüfen lassen und als nützlich erweisen. Anderenfalls werde sie verworfen. Mozi forderte eine allgemeine Menschenliebe:

 „Behandle andere Länder wie dein eigenes, behandle andere Menschen wie dich selbst.
… Wer andere liebt, der wird wieder geliebt“.

Musik und andere Künste, die Konfuzius hoch schätzte, lehnte er ab, da sie die Bevölkerung von produktiver Arbeit ablenkten. Noch stärker als Konfuzius tritt Mozi für die überlieferte Religion ein, denn

 Wenn jedermann an die Macht der Geister glaubt, die das Gute zu belohnen und das Böse zu bestrafen, so wird es keine Unordnung geben.

Angeregt durch die Sophisten entwickelte sich später der Neu-Mohismus, um durch Logik und Erkenntnistheorie beweisen zu können, dass genau diese Logik und das Erkennen dem praktischen Handeln untergeordnet werden müsse. Der Mohismus hatte im 4. und 3. Jhh. v.u.Z. seine Hochzeit. Nach der Ausrottungsstrategie des Qi Sihuang verschwand er schließlich völlig. Den Herrschenden waren seine straffen Organisationsstrukturen hochsuspekt und konfuzianische Gelehrte betrachtete den Mohismus als Irrlehre.

Mengzi, Menzius

Mengzi lebte um 300 v.u.Z. und gilt als ein Schüler des Konfuzius, oder als „Paulus des Konfuzianismus“. Er versuchte, dem Konfuzianismus eine psychologische Grundlage zu geben und entwickelte dabei zum Teil Vorstellungen, die ihn in einen gewissen Gegensatz zum Konfuzianismus brachten. Der Mensch sei gut und müsse, um das Wesentliche zu erkennen, nicht die Natur beobachten und auch nicht unbedingt dem Vorbild konfuzianischer Weiser folgen. Er müsse nur in sich selbst schauen, denn in jedem Menschen liege der Schlüssel zum harmonischen Leben. Die durch die Natur „gegebenen Anlagen“ (das Gute, die Menschlichkeit, das Mitleid) müsse durch Erziehung gefördert und geleitet und Ideen der Hedonisten und Mohisten abgewehrt werden. Wenn der Mensch sich im tatsächlichen Leben nicht anständig verhalte, dann liege dies nicht an seiner Natur, sondern an der Unvollkommenheit der Gesellschaftsordnung und in Fehlern der Regierenden.

Deshalb habe das Volk auch ein natürliches Recht, einen unfähigen Herrscher abzusetzen und durch einen anderen zu ersetzen, eine Meinung, die ihn in Gegensatz zum konservativen Konfuzianismus brachte.

Xunzi (Hsün Tse), Han Feizi

Auch er lebte um 300 v.u.Z und hielt den Menschen für böse. Das Gute am Menschen sei künstlich. Ohne Ritual und Recht könnten Menschen nicht existieren. Der Mensch habe von Natur aus das Begehren nach Nutzen, die verschiedensten Bedürfnisse. Lasse man diesen freien Lauf, dann entstehe Zank und Streit, Unordnung und Unzucht. Nur die Erziehung bringe Sitte, Recht und Freundlichkeit hervor. Er versuchte sich als Erkenntnistheoretiker, was vor und nach ihm kaum jemanden mehr interessierte und forderte die tätige Beherrschung der Natur. Damit verankerte er das Rationale im Konfuzianismus gegenüber dem Religiösen des Gutmenschen Mengzi. Schüler von Xunzi wie Hsin Tsu sahen alle Menschen schlecht und befürworteten eine autoritäre Regierung.

Der Legalist Han Feizi schalt die Dummheit des Alten und suchte nach Gesetzen, die die Gesellschaft zwanglos wie ein Uhrwerk laufen lassen. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, nach Rom zu reisen, hätte er sich in der Weltstadt des Legalismus sicher sehr wohl gefühlt. Andere Denker seiner Art entwickelten den Legalismus zu einer Theorie der skrupellosen Machterhaltung, mit Prinzipien, die viel später auch in Mao’s Kulturrevolution bejubelt wurden: Bürokratisierung, absolute Herrschaft des Gesetzes, Militär, Kontrolle, Auflösung von Großfamilie und Feudalsystem.

Brandrodung durch Qin Shihuang

Der skrupellose Macht-Legalismus war geschaffen für Qin Shihuang, den schamanistisch gesteuerten Haudegen und Egozentriker eines kulturell zurückgebliebenen, westlichen Fürstentums, der den Rest des chinesischen Gedankengartens kurzerhand abfackeln ließ. 213 Bücher wurden nach seiner Machtübernahme verbrannt, 490 Denker gemeuchelt und das Volk in absolute ameisenhafte Fron und Ich-losigkeit gezwungen. Obwohl Qin Shihuang den Fangshi (Zauberer) Xu Fu auf eine maritime Expedition zur Suche nach dem Lebenselixier schickte, nutzte es ihm nichts: sein Leben war offenbar auch für ihn selbst wahnhaft schrecklich. Er starb irgendwo in seine Panzerkutsche auf einer Inspektionsreise. Seine Leiche kehrte, bereits sehr übel nach Verwesung stinkend, in die Hauptstadt zurück und seine Gebeine modern möglicherweise heute noch in einem Quecksilberbad im Hügel hinter seiner Tonarmee. Er drehte die Zeit des Denkens radikal zurück, um gut 1.500 Jahre, in die Zeit der Todesangst der ersten Trance-Könige, die im Westens Gilgamesch oder Djoser hießen.

In China, wie anderswo auch, gestaltete sich der Übergang von Trance und Skepsis in die neue Epoche des Dogmas äußerst blutig:

Zitat: „Imperial degree (Qin Shi Huang Di): “I therefore request that all records of the historians other than those of the state of Qin be burned. With the exception of the academicians whose duty it is to possess them, if there are persons anywhere in the empire who have in their possession copies of the Odes (poetry), the documents (Kongzi …), or the writings of the hundred schools of philosophy, they shall in all cases deliver them to the governor or his commandant for burning. Anyone who ventures to discuss the Odes or Documents shall be executed in the marketplace. Anyone who uses antiquity to criticize the present shall be executed along with his family. Any official who observes or knows of violations and fails to report them shall be equally guilty. Anyone who has failed to burn such books within thirty days of the promulgation of this order shall be subjected to tattoo and condemned to ‚wall dawn‘ convict labour. The books that are to be exempted are those on medicine, divination, agriculture, and forestry.” … He [the Emperor] then ordered the imperial secretary to subject all the scholars to investigation. The scholars reported on one another in an attempt to exonerate themselves. Over 460 persons were convicted of violating the prohibitions, and were executed at Xianyang, word of it being publicized throughout the empire so as to act as a warning to later ages. In addition, increasing numbers of convicts were transported to the border regions.” … Master Lu said to the First Emperor, „I and the others have searched for zhi fungus, rare herbs, and the immortals, but we can never seem to encounter them. There would appear to be some entity that is blocking us. The magic arts teach that the ruler of men should at times move about in secret so as to avoid evil spirits. If evil ’spirits are avoided, one can reach the status of True Man. If the whereabouts of the ruler of men are known to his ministers, this hinders his spiritual power. A True Man can enter water without getting wet, enter fire without getting burned, soar over the clouds and air, and endure as long as heaven and earth. But now Your Majesty, though ruling the whole world, has not yet been able to attain calm and quietude. When you are in the palace, do not let others know where you are. Once that is done, I believe that the herbs of immortality can be obtained.“ Sima Qian: Chancellor Li Si’s Advice, Biography of the First Emperor, 200 v.u.Z.

Ver-Religiösung

Den Versuch der Ausrottung des Denkens durch die Qin-Dynastie überlebten nach Sima Qin nur sechs der „1.000 Denkschulen“: Konfuzianisten, religiös-alchemistische Daoisten, Moisten, Logiker, Legalisten und „Yin-Yang-Gelehrte“. Kritisches, skeptisches, hedonistisches, sophistischen Denken wurde nachhaltig erledigt, und ein Großteil der Mythen und Überlieferungen beseitigt.

Der Konfuzianismus war in der Han-Periode anschließend zunehmend staatstragenden Ritualen und Gesetzen verhaftet und mutierte zu einer, gegenüber dem Qin-Legalismus relativ toleranten, Staatsideologie. Nur Bürokraten mit hoher Bildung, definiertem Wissen und moralisch-konfuzianistischer Haltung erhielten Zugang zur Macht. Der Daoismus ergänzte den Gesellschaftsbezug des Konfuzianismus durch seine spirituelle und magische Komponente. Er wirkte als Religion für Bauern und Höhergestellte, die durch bestimmte Praktiken ein langes Leben erreichen wollten. Die handwerker-orientierten Kader des Mohismus erschienen den Herrschern der Han-Zeit gefährlich und wurden verdrängt. Der später von außen hinzutretende Buddhismus musste sich zwangsläufig in dem Kraftfeld der etablierten Doppelphilosophie orientieren. Mit dem Ende der Han-Periode blühte das Religiöse noch stärker auf, ähnlich wie im zerfallenden Rom das Christentum. Das philosophische Dao war verschwunden, dafür lebten sexuelle, mystisch-kultische und alchemistische Praktiken zur Lebensverlängerung auf, die von Fangshi (Zauberer und Alchemisten) am Kaiserhof gelehrt wurden.

Dao-jiao, der religiöse Daoismus mit Göttern, Dämonen, Zauberei, entstand im 2. Jhh. mit messianischen Führern, die Gottesstaaten des Allerhöchsten Herrn Lao (Taishang laojun) zu etablieren versuchten (Theokraten wie Zhang Ling Zhang Lu, Sun En, Kou Qianzhi, Lu Xiujing, …) tauchen zwischen 200 und 800 auf und rangen um die Macht. Im Jahr 846 soll dann der Tang-Kaiser Wuzong nach der Einnahme von Langlebigkeitspillen der daoistischen Alchemie umgekommen sein. Das hinderte spätere Kaiser aber nicht daran einen umfassenden Daoistischen Kanon erstellen zu lassen. Auch der Konfuzianismus verreligiöste in den tausend Jahren nach Qin ebenfalls, um weiter überleben zu können. In die nunmehr philosophisch ausgedünnte Denkwelt konnte der ausländische Buddhismus eindringen, der die Philosophie des Nichts betrieb, aber als eigenständige Religion in der Renaissance der Tang bis Song-Zeit, mit Ausnahme des Cha’an (jap. Zen), wieder vertrieben wurde. Innerhalb von 1.000 Jahren etablierte sich in China dann eine stabile, solide, etablierte Triple-Philosophie-Religion mit dem Neo-Konfuzianismus (Ritus, Dogma, Begriffe, Staatsethik, Logik), Chan (Klarheit, Leere, Begriffslosigkeit) und Daoismus (Trance, barocke Religion, Magie, Exorzismus, Alchemie, Mystik, Schamanismus). Der Daoismus entwickelte mit Ge Hong (um 300 n.u.Z.) einen esoterischen, staatsfrommen, erimitierenden, Talisman produzierenden Alchemismus, eine Art Wunder-Religion fürs Volk. Welche Rolle die Verbreitung der nestorianisch-christlichen Kirche zwischen 700 und 1.000 in China spielt, und wo sie vor allem dann blieb (integriert im Daoismus?) liegt für mich im Dunkel.

Wang Chong (Wan Tschung) kämpfte im 1. Jahrhundert u. Z. (vergeblich) gegen die mittelalterliche Erstarrung des Konfuzianismus. Unter Berufung auf Erfahrung und Vernunft (Empirie und Ratio) wandte er sich gegen alle Formen des Irrglaubens, bzw. Aberglaubens. Er sah die Dinge „als von selber geboren“. Die Natur sei einfach so, wie sie ist, er distanzierte sich von mystischen Spekulationen und versuchte ein tatsachenorientiertes, philosophisches, fragendes Konzept aufzubauen, das auf experimentellen Erfahrungen beruhe:

„Wenn der Mensch stirbt, so hört sein Blutkreislauf auf, wenn er aufhört, so werden die Samenessenzen vernichtet, wenn sie vernichtet werden, so zerfällt der Körper, und wenn der zerfällt, so verwandelt er sich in Staub und Asche – wie soll da ein Geist entstehen?“

Um 200 n.u.Z. versuchte der junge Wang Bi den Konfuzianismus weiterzuentwickeln und gründete die sogenannte Dunkel- oder Mystik-Schule. Er schrieb Kommentare zum Dao De Ging und dem I Ging, auf die vor allem R. Wilhelm und viele andere Übersetzer in Deutsche zurückgriffen. Während Lao Dzu noch Nicht-Sein als komplementär zum Sein betrachtete, sollte bei Wang „Sein“ Nutzen (Li) und „Nichtsein“ Brauchbarkeit (Yong) sein. Wang setzte das Wuji absolut und auf den Gipfelpunkt seines Gedankengebäudes. Dao, das er als Weg oder Bahn bezeichnete, führe ins Nichts:

 „Will man sein Sein vollenden, so muss man zurückkehren zum Nichtsein … die quellende Essenz (chong qi) ist in allem das Eine … das keimwunderhafte Sein (das mit Leben erfüllte) ist das Sein im Nichtsein.

Ein anderer seiner Zeitgenossen, Guo Xiang, vollzog in einem Kommentar zu Zhuangzi im Daoismus einen weiteren Purzelbaum, wobei er den Zentralwert, das Dao, verlor: Er machte aus Wangs bewölktem Nichtsein einfach ein schlichtes Nichts. Unversehens fand sich der Daoismus ohne Dao (Weg oder Göttin) und ohne Nichtsein wieder. Weder kam Sein aus Nichtsein, noch Nichtsein aus Sein; sondern es war alles einfach schon immer so wie es ist, sich immer wieder aus sich selbst erzeugend, ohne irgendeinen Schöpfer, ohne von irgendetwas abhängig zu sein. Auch Leben entstünde einfach aus sich selbst, „von selber so seiend“:

Jedes Ding gebiert sich selbst und nichts (ist) aus dem es hervorgegangen ist.

Wuwei (das Nicht-tun) des Daoismus wandelte er in „natürliches Tun“. Im Buch Liezi (4. Jhh. n.u.Z., aber vom Ursprung ggf. älter als das Dao De Ging) geht es dann um den Freiheitsspielraum im vorgegebenen Schicksalsrahmen, bei dem Weisheit darin, besteht das, anzunehmen, was eben da ist, genauso wie bei der griechisch/römischen Stoa.

Buddhismus

Ab dem dritten Jahrhundert drangen der Buddhismus und indische Yogaformen in breitem Umfang in die chinesische Gedanken- und Lebenswelt ein. Der Durchbruch gelang mit den „Barbaren“ der „Nördlichen Wei“ (einem Turkvolk), die dem Konfuzianismus erfolgreich eine andere Ideologie entgegen zusetzten versuchten. In der Tang Periode (600-900 n.u.Z.) schließlich blühte der Buddhismus als beherrschende Ideologie auf, bis er in der Songdynastie (10.–13. Jhh. n.u.Z) in einer Restauration des eigentlich Chinesischen wieder verdrängt wurde. Der Buddhismus bewirkte mit Anatman (Nicht-Ich, Nicht-Seele) und Dharma, unzähligen Elementen und Erscheinungsformen der Welt, eine Wandlung des chinesischen Denkens. Nicht mehr Mensch, Erde und Himmel standen im Mittelpunkt der Betrachtungsweise, sondern das Wechselspiel der Beziehungen zwischen ihnen. Das Ich des Menschen mit all seiner konfuzianischen Menschlichkeit zerbröselte dabei zur Illusion. In verschiedene Debatten argumentierten Realisten („Da ist ein Tisch und zwei Menschen“), mit Idealisten / Solipsisten („Da sind zwei Tische und vier Menschen“, d.h. Vorstellungen), mit transzendentalen Realisten („Da sind drei Tische und sechs Menschen“, d.h. Dinge an sich plus Vorstellungen) und andere Buddhisten, die unendlich viel aufgespaltene Illusionen (keineswegs aber Halluzinationen!) sahen, die alle gleichwertige Korrelate bilden und von nichts abhingen. Die chinesisch buddhistische Grundauffassungen der Realität variierten mit der Zeit erheblich voneinander: da wirbelten Elemente, tauchen auf und wieder weg (dharma), oder hinter all dem Gewirbel der Element sah man Leerheit (sunyata) ohne Attribute, oder es gab gar keine Elemente und auch kein Dharma, da alles nur Unruhe an der Oberfläche eines Vorstellungsbehältnisses (alayana-vijinana) war. Die buddhistischen Schulen wuchsen und spalteten sich wie die Einzeller:

Da war

  • vor allen Erscheinungsformen ursprüngliches Nichtsein (Dao’An, 4. Jhh.), d.h. nichts vor- oder nachgeordnetes,
  • die Materie immer leer (Zji Daolin, 4. Jhh.)
  • das Nicht-Sein des Sinnes (Wu Xin, Zhi Mindu, 4. Jhh.), und Leere war keine Qualität der Erscheinungswelt, sondern eine Qualität des Heiligen (der Welt gegenüber)
  • die Vorstellung ein einziger Traum (Yu Fakai, 4. Jhh.)
  • Alles Wandlung, auch die dharmas zu Illusionen (Daoyi, 4. Jhh.)
  • Alles Unruhe, und dieses Gewirbel war systemimmanent leidvoll.

Alle verschiedenen Schulen propagierten Meditation und Versenkung, um dadurch zu Erkenntnis und zu Erleuchtung zu gelangen. In China missionierte der Buddhismus in zwei und dann drei großen Strömungen:

  • der ursprünglichen Form des kleinen Fahrzeugs (elitär und egoistisch),
  • dem großen Fahrzeug (demokratischer, philosophischer, der Welt zu gewandter und erfolgreich den Volksglauben aufnehmend, über Nordwestindien kommend) und
  • dem magischen, diamantenen Fahrzeug mit spiritistischen und sexuellen Machtpraktiken (über die tibetanische Hochebene bis in die Mongolei).

Während der Dunkelschüler Wang Bi das Nichtsein noch als Ursache allen Seins sah, also letztlich als etwas Substanzielles, drängte der Buddhismus zum reinen Nichtsein, der Leerheit. Dao der Weg, die Bahn, die Göttin wurde durch das Bild des flirrenden kosmischen Edelsteins ersetzt. Immer neue Schulen stritten über die Farbe oder Farblosigkeit des Nichts, und ob die Leere nun vollkommen sei oder nicht. Hieraus entstand ein Konflikt mit der chinesischen Auffassung einer sich stetig wandelnden Welt, gegenüber einem sich nicht wandelnden kloß- oder klotzförmigen Universum, das in sich verharrt.

Rückbesinnung und Wandlungen

Die Tiantai- oder Lotos-Schule näherte sich wieder mehr der chinesischen Volksseele mit einer akrobatischen Nicht-Ich-Leistung, in dem sie Erlösung und reale Wonnen beim Eingang in die wahre Buddha-Natur versprach, eine Erleuchtung, die prinzipiell jeder Mensch erlangen können. Es entstand eine Hierarchie des Erkenntnisweges, der sich erklimmen ließ, bei dem aber „in jedem Staubkorn, in jedem Augenblicks-Gedanken, alle dreitausend Welten enthalten sind.“

Damit war das kleinste Element zugleich das All, was in der Logik wieder in Richtung Brahmanismus tendiert oder zur Quantenphysik, bei der ja nicht die „zehn aufgerollten Dimensionen“ der Spintheorie so schwer vorstellbar sind, sondern viel schlimmer eine punktförmige Ein-Dimensionalität oder unendlich viele davon, aus denen alles erwachsen kann, konnte und erwuchs. Die um 700 n.u.Z. von Gaudapada und seinem Schüler Shankara entwickelte Philosophie des absoluten Monismus (Advaita Vedanta), wurde vermutlich auch nach China getragen. Sie beruhte auf den Quellen der Uphanishaden und der griechischen Philosophie (Parmenides) und nahm an, jedes Tun sei illusionär und nur Brahman, in sich ruhend, sei real. Die Vereinigung und endgültige Beruhigung des illusionären Atman oder Selbst mit oder in Brahman sei in der „der einen tiefsten Quelle“ möglich, die es zu erreichen gälte. Advaita Vedanta konnte allerdings in China keine festen Wurzeln fassen, da der praktische Bezug zum Alltagsleben fehlte.

Um 600 n.u.Z. gründeten die Mönche Fashun und Fazang die Huayan Schule: Nun gab es Li, die Struktur eines „Löwenstandbildes“, das seinerseits aber ein Teil des Absoluten sei, und Shi, das Geschehen, die „scheinbare Löwengestalt“. D.h. einerseits sei jedes Eine zugleich alles, andererseits seien alle Elemente untereinander verbunden. Die Zuwendung zu Beziehung und Leben machte diese Schule fast so erfolgreich wie Jingtu, eine Volksreligion der Errettung durch Glauben und Buddha-Anrufen.

Die Cha’an-Sekte

Cha’an erwuchs aus einer praktisch ausgerichteten, elitären Meditationsschule, die nichts von in Büchern aufgeschriebenen Lehren hielt. Statt Auswendig-Lern-Prozessen des Sutren-Wahrheit-Nachbetens sollte eine plötzliche Erleuchtung in direktem Kontakt zwischen Schüler und Lehrer möglich sein. Einer der ersten Vertreter dieser Schule, Boddhidarma, wurde um 520 dem Kaiser vorgestellt und befragt:

„Was ist die höchste edle Wahrheit?“ – „Sie ist leer – es gibt sie nicht!“
„Wer bist du?“ -„Ich weiß es nicht!“ – sagte es und ging.

Cha’an blühte richtig auf mit Huineng, dem „ungebildeten, südlichen Barbaren“ und späteren „6. Patriarchen“ (7. Jhh. n.u.Z.), der nach langen Jahren der Verfolgung die Sutren zerriss und (selbst ein) die südliche Schule gründete, die sich nach später nach Japan, Korea und Vietnam ausbreitete. Im Chan (oder Zen) blitzte Erkenntnis in Rätseln (Koan) auf:

„Nagele keinen Stock in den leeren Raum!“

Damit rückte die spontane Unmittelbarkeit geistiger oder körperlicher Bewegung ins Zentrum des Interesses. Chan bildete den Höhepunkt des Buddhismus in China und löste gleichzeitig seine Theorie auf zugunsten der Anwendungspraxis. Dem starken Gedankenfundament des Chan von 600-900 n.u.Z. folgte sein barocker Überbau in der Songzeit und schließlich der Druck der „Niederschrift von der Smaragdenen Felswand – Bi yan lu“ im 13. Jhh. (Ursprung 11. Jhh.) als Grundlagenwerk des Chan.

Vertreibung des Buddhismus

Der Buddhismus, mit der Ausnahme des Chan, der gut zum Konfuzianismus passte, wurde am Ende der Tangzeit ab 800 n.u.Z. radikal verfolgt. 4.600 Klöster wurden zerstört und 260.000 Mönchen und Nonnen vertrieben. Mit den Maßnahmen sollte die chinesische Weltanschauung wiederhergestellt werden. Han Yu (9. Jhh.), einer der pragmatischen konfuzianischen Neuerer, wagte es todesmutig seinen Kaiser wegen der Verehrung „verrotteter Gebeine“ von Buddha zu kritisieren, und wetterte gegen übernatürliches Geistergehabe des religiösen Daoismus und des alten Buddhismus. Er hielt, wie Mengzi, den Menschen im Prinzip für gut, man müsse ihn nur zu Sittlichkeit, Menschlichkeit, Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit und Weisheit führen. Seinem Schüler Li Ao ging es um die Zufriedenheit, die innere Ruhe, wie die Klärung von Wasser in dem Schlamm aufgewühlt wurde. Seine „Wahrheit“ war das Auffinden der inneren Mitte, in Meditationspraxis, die dem Chan sehr nahekam. Die Chan-Sekte konnte vermutlich nur überleben, weil lebenspraxisbezogenes, konstruktiv-kritisches Sinnieren mit dem neu-schamanistischen Daoismus und der rational logisch-legalistischen Neo-Konfuzianismus harmonisch verbunden werden konnte.

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Neue Zeiten

Neu-Daoismus

Der Daoist (oder Nestorianer?) Lü Yen (8. ? oder 15. Jhh?) versuchte den Hokuspokus der Alchemie zu verlassen und auf das Psychische umzudeuten (Hui Ming Ging und Tai I Gui Hua). Er distanzierte sich vom Buddhismus, der das individuelle „Ich“ leugne und begründete eine Lichtreligion:

„Ein Lichtschein umgibt die Welt des Geistes. Man vergisst einander, still und rein, ganz mächtig und leer. Die Leere wird durchleuchtet vom Schein des Herzens des Himmels. Das Meerwasser ist glatt und spiegelt auf seiner Fläche den Mond. Wolken schwinden im blauen Raum. Die Berge leuchten klar. Das Bewusstsein löst sich im Schauen auf. Die Mondscheibe einsam ruht.“

Das Besondere an Lü oder des viel späteren Umbaus dieses Gedankengebäudes ist die kristallartig spiegelnde Auffächerung des Bewusstseins in 25 und mehr Einzel-„Seelen“, die in der Meditation wachgerufen und auf einer höheren Ebene wieder vereinigt werden können.

Neu-Konfuzianismus

Der Konfuzianismus versuchte in der Sung-Zeit (10.-12. Jhh.), die äußeren Einflüsse des Buddhismus und des Christentums zu verdrängen und zu den eigenen Wurzeln zurückzufinden Der Buddhismus leugne die handgreifliche Realität und schätze Nahrung, Kleidung usw. gering, also die Banalitäten des täglichen Lebens für deren Bereitstellung eine gute Regierung zu sorgen habe. Es sei feige und unwürdig, sich wie die Buddhisten seiner sozialen Verantwortung zu entziehen und seine Familie und seine Heimat zu verlassen. Die buddhistische Theorie der Nichtigkeit von allem Bestehenden zeuge von einem mangelnden Verständnis des wahren Wesens der Welt. Lu Liyiuan (12. Jhh), sah alles im Kosmos, verwebt und doch wie in einem Brennglas in jedem einzelnen vereint, der es in sich finden könne. Diesen Gedanken hatte auch Anaxagoras von Clazomenae 1.700 Jahre zuvor und er hat, wie viele der zuvor genannten Ideen bis heute nichts an Aktualität verloren. Der Zhou Dunyi (11. Jhh.) versuchte wieder zur Dao-Lehre zurückzufinden:

Das Grenzenlose (Wuji) und dennoch die höchste Grenze (Taiji)!
… Ruhe und Bewegung bringen sich nacheinander gegenseitig hervor.

Von ihm stammt auch der Begriff Ji, der Impuls, der Bewegungskeim, der die Ruhe (Cheng) in Unruhe und Veränderung versetzt, bis wieder Ruhe einkehrt. Sein Zeitgenosse Shao Yong versuchte die Welt numerologisch-mathematisch auf der Basis der 64 Hexagramme zu erklären und Zhang Zai (11. Jhh.) arbeitete den Begriff Qi heraus als „flutende Lebenskraft“. Das Qi-Zeichen war ursprünglich wolkenähnlich, Dampf symbolisierend, später wurde es zu „Dampf aufsteigend aus einer Reisschale über Feuer“. Qi, früher eher durchsichtig, farblos, verwandelte sich jetzt in etwas Allumfassendes, transzendentes, das eins sei mit Taixu, der höchsten Leere, Dao, dem Weg und mit Taiji, dem höchstem Gipfel: Es gäbe nur den Ätherstoff (Qi) und kein Nicht-Sein:

„… alles was den Kosmos durchzieht ist meine Natur. Alle Menschen sind Geschwister und alle Dinge Gefährten. Ich will Himmel und Erde nachfolgen und dienen und im Tod meinen Frieden finden.“

Der Mensch rückte wieder ins Zentrum. Tschu Hsi (12. Jhh., Neu-Konfuzianismus) prägte die Begriffe Li (eine umfassende Weltvernunft) und Ki (Materie). Der Gegensatz von Li und Ki, die aufeinanderbezogen sind, entspricht dem von Yin und Yang, ohne damit identisch zu sein. Die Vernunft ist das Obere, die Materie ist das Untere, ohne zeitlich unterschiedlich entstanden zu sein. Die Vernunft bildet kein gesondert für sich bestehendes Wesen. Vernunft ist nie von der Materie getrennt gewesen. Ohne Materie hätte die Vernunft keinen Anhaltspunkt. Die Brüder Cheng entwickelten das Ordnungsprinzip (Li), dem alle Dinge folgen müssen, ähnlich Platons Ideen oder den Naturgesetzen der Quantenphysik. Cheng Hao (11.Jhh.) definierte Liebe als vom Ätherpuls durchflutet, ähnlich wie lange vor ihm Empedokles. Das Ziel sei das reine klare Wasser der Seele, das nicht durch Gefühle aufgewühlt sei.

Der sich Übende muss zuerst die (verbindende) Liebe gewinnen

etwas, was anderen konfuzianischen Tugenden übergeordnet und in der menschlichen Natur angelegt sei.

Widerstand gegen Barbaren

Mit der Eroberung des Reiches durch die Mandschu im 17. Jhh., war es endgültig aus mit dem philosophischen Sinnieren. China organisierte sich in der Praxis des inneren Widerstandes wie Hang Zhongxi, der den chinesischen Nationalismus in der Kritik gegen die Fremdherrschaft der Barbaren begründete. Wang Fuzhi definierte dann Barbaren-tum biologisch und schuf damit den Rassismus in China. Ansonsten war er praktisch veranlagt:

„Die Fähigkeit (beim Beispiel des Bogenschießens)
entsteht aus dem Gerät und ohne Gerät gibt es keinen Weg“

Er grub den Legalismus wieder aus, die Legitimation durch das Gesetz. Gu YanWu war ebenfalls von dem Niedergang der Ming und der Okkupation durch die Mandschu entsetzt, propagierte eine zeitlang den Guerilla-Widerstand – vielleicht der Ursprung von Taiji – und sah dann den Weg „… in umfassender Bildung und persönlichem Schamgefühl“ und der Rückkehr zu der Ursprünglichkeit des Konfuzianismus.

Wang Shouren (15. Jhh. n.u.Z.) hielt diesen Teil des Selbst für den entscheidend wichtigen, da für „den Weg des Heiligen die eigene Natur“ ausreiche, und dass es falsch sei, nach dem „Prinzip“ außerhalb des eigenen Selbst, nach den Dingen und Geschehnissen draußen zu suchen. Er wollte nicht mehr erkennen, sondern nur noch durchleben, durchfühlen und die Außenwelt erst durch den Prozess des Erkannt-werdens an Gestalt gewinnen lassen. Ohne vorheriges Wissen, so Wang, könne es keine Pflanzen. Bäume oder Ziegel geben. Dinge existierten nur, weil sie mit dem Menschen interagierten. Die heutige Biologie hat dafür den Begriff Strukturdeterminismus geprägt. Wang sah das angeborene, in der Struktur enthaltene Gute, das es zu entwickeln gälte, und hielt Buddhisten und Daoisten für unfähig die Welt zu regieren, weil sie untauglich wären

„Unkraut zu jäten, den eigenen Garten zu pflegen und
sich von jedem eigensüchtigen Gedanken fern zu halten.“

Yan Yuam (~ 1700) und sein Schüler Li Gong entwickelten nichts Neues, formulierten aber sehr klar, das Ätherstoff und menschliche Natur eins seien und untrennbar mit dem Ordnungsprinzip verbunden seien. Sie ersetzten die fünf Elemente durch die vier Kräfte (de): Ursprungskraft (yuan), Wuchskraft (heng), Ertragskraft (li), Bewahrungskraft (zhen). Die Erkenntnis entstehe aus dem Tun als Arzt, im Ackerbau, beim Bogenschießen oder Gewichtheben, bei Musik oder Tanz. Damit wurden die Gefühle wiederentdeckt und aufgewertet.

Heute

China war im Mittelalter dem Westen eigentlich weit überlegen. Aber Kontrolliertheit und das Einzwängen in ein starres Korsett rituell-festgeschriebenen Handelns führten es in die Stagnation. Es ließ dem Westen den Freiraum für katholisch-gesegnete Kolonialeroberungen und den von prostetantischen Gebeten inspirierten Kapitalismus.

Dai Zhen (18. Jhh.), ein Philosoph, der sich mit exakten messbaren Wissenschaften und Textkritik beschäftigte, und dessen Arbeiten an die erfolgreiche westliche Empirie erinnern, blieb eine Ausnahmeerscheinung. Kang Youwei versuchte im 19. Jahrhundert ein letztes Mal den Konfuzianismus zur Staatsideologie zu institutionalisieren. Er scheiterte.

Im 20. Jahrhundert zerfiel chinesisches Denken in tausend Stücke. Mao Tse Tung war vielleicht kein großer Philosoph und auch kein langfristig erfolgreicher Religionsgründer. Aber unter seiner Führung wurde „das Alte“ konsequent zerschlagen, ohne sich sofort (wie in Hong Kong, Taiwan und Süd-Korea) mit „dem Fremden“ (dem westlichen Kapitalismus) zu vereinen. Stattdessen entstand in den Trümmern der Kultur ein Freiraum, der zur Selbstbesinnung zwang. Ohne das militärisch-hierrachisch organisierte Beamtentum der Partei zu gefährden, konnten die westlichen Errungenschaften des Kapitalismus rezepiert werden. Das ebenfalls westliche Konzept des „Kommunismus“ wurde dafür problemlos abgelegt.

China saugte, wie ein Schwamm, alles Wissen des Westens auf und kopierte es. Alles, was so von außen eindrangt, wurde aus dem Schwamm ausgepresst und in einem riesigen Kochtopf eingerührt, in dem (der fast vergessene) Rest eine uralte Suppe vor sich hin köchelte und einen würzigen Bodensatz bildete. Jetzt, im 21. Jahrhundert, wandelt sich die Suppe, für den Westen völlig überraschend und erschreckend, und bildet eine völlig neue Geschmacksrichtung aus.

Das gab es schon einmal in China: Vor 1.500 wurden die indischen Nichts-Philosphien aufgesogen: Ghandara-Buddhismus, Jain, Yoga in vielen verschiedenen Varianten. Konfuzianismus und Daoismus wurden scheinbar verdrängt. Einige hundert Jahre später wurden die Fremdlinge wieder vertrieben. Denn China hatte ihre Ideen gemeinsam mit den alten ursprünglichen Philosophien und in qualitativ völlig Neues verwandelt: in Ch’an (jap. Zen) und die Wudang-Kampfkünste.

Es wäre zu einfach, die jetzige Rückbesinnung auf die alte Stärke Chinas als „Neo-Konfuzianismus“ zu bezeichnen, so als wende sich der chinesische Drache nur konservativ zurück.

Zwar gründet die neue chinesische Staats-Religion auf dem Kernelement des Konfuzianismus: Das es belanglos sei, ob es eine „dogmatische Wahrheit“ tatsächlich „gibt“, solange die Rituale so ausgeführt werden, „als ob“ es diese Wahrheit „gäbe“.

Es gibt aber Anzeichen dafür, das im Zusammenbruch der alten Weltwirtschaftsordnung in China ein fruchtbarer Humus entstanden sein könnte, aus dem vielleicht bisher unbekannte Pflanzen wachsen werden.

Zum Beispiel hat der chinesischen Philosoph Zahao Tinyang (Ed. Suhrkamp 2020) den alten Begriff „Tianxia“ ausgegraben. Tinaxia bedeutet „Land unter dem Himmel“ oder einfach „die ganze Welt“. Das Schriftzeichen symbolisiert eine Summe aller Teilsysteme, deren Erkennen jede Trennung in „Innen und Außen“ ad absurdum führt. Das westliche Denken, das nach einem wahren Endpunkt suche, veröde, weil ihm die Moral abhandengekommen sei. Und auch deshalb, weil es unnötige Energie in immer neue lineare Bekämpfungs-Strategien von „Heiden“ verschwende, und sich in der Gier des Fortschrittsglaubens erschöpfe. Längst überfällig sei dagegen integrierendes System-Handeln. In China könne es erwachsen.

Nachäffen

Konfuzianische Moral und Sitte könnten (formal und scheinbar) problemlos im Rahmen der Errichtung einer „westlichen Gesundheitsdiktatur“ kopiert werden. Michel Foucault ahnte diese Strategie voraus. Er bezeichnete „die Bannung der Pest“ als „Traum einer disziplinierten Gesellschaft“.

Allerdings beruht aufkeimende die „Gesundheitsreligion des Westens“, die einige bereits „Neue Normalität“ nennen, beruht aber auf der wesentlich älteren Religion des linearen Denkens: Dabei muss immer (wieder) irgendetwas Einzelnes, von anderem getrenntes „isoliert, bekämpft und ausgerottet“ werden, damit das eigene unbegrenzt weiter wachsen kann. Nur auf der Basis dieses Glaubens lassen sich, im Rahmen angst-verursachter „Problem-Löse-Trancen“ Gesundheits-Produkte und Krankheits-Dienstleistungen massenweise verkaufen. Solange, bis die Blase der endlosen Medikalisierung endlich platzen wird.

Gegenüber, dem, was gerade an geistiger Erneuerung in Asien geschieht, wirkt (das sich ankündigende) westliche „Gesundheits-Religionssystem“ ziemlich alt und lächerlich.

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Letzte Aktualisierung: 21.11.2023