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Kolonial – Logik

Deutschland besaß in Afrika Kolonien. Ende des 19. Jahrhunderts begann man sie wirtschaftlich auszubeuten. Und verlor sie im Ersten Weltkrieg.

Es ist die Geschichte einer Bruchlandung.

Viele träumten danach weiter. Sie hielten die imperialistische Expansion Deutschlands für eine nationale Schicksalsfrage. Sie engagierten sich im Reichskolonialbund mit fast zwei Millionen Mitgliedern. Und bereiteten sich vor, für den Schicksalstag der Rückkehr: In Forschungs- und Verwaltungseinrichtungen der deutschen Kolonial-Technik oder Tropen-Medizin.

Vieles von dem, an das sie glaubten, lebt bis heute weiter.

Noch 1944, kurz vor dem Ende, wollte Heinz Rühmann das Volk mit „Quax in Afrika“ bespaßen. (Mehr: Schwarze Komparsen, WDR 2002)

Nach der erneuten Schlappe hatte Afrika für Deutschland eine geringe Bedeutung: Nur für das kleine Geschäftsfeld der Entwicklungs-Zusammenarbeit. Jetzt scheint sich das zu ändern. Denn afrikanische Rohstoffvorkommen gewinnen an Bedeutung. Und auch die wachsenden Märkte für deutsche Produkte:

„Wettrennen um Afrika – Chinas Einfluss wächst, Deutschland müht sich. Außenministerin Annalena Baerbock bereist derzeit das kriegsgebeutelte Äthiopien. Ihr chinesischer Amtskollege war schon da – ein Sinnbild für ein größeres Problem.“ Handelsblatt 12.01.2023

Unsere Außenministerin beglückt Afrika wieder mit neu-deutschen Werten (DW , STZ März 2023). Angesichts vergangener Fehler käme dort Bescheidenheit besser an.

Logik

1912 glaubten die Deutschen noch an ihr Kolonial-Imperium. Möglicherweise träumte auch der Matrose Joachim Ringelnatz von dieser Zukunft, als er ein Gedicht über ein „Suahelischnurrbarthaar“ verfaßte.

War es ein für ihn typischer Unsinn? Oder wollte er etwas andeuten? Machte er sich lustig über Ängste vor dunkelhäutigen Menschen, die an der Nordseeküste auftauchen könnten?

Logik-Tango als Chorstück. Musik: Johannes Matthias Michel *1962, Text: Joachim Ringelnatz

„Logik

Die Nacht war kalt und sternenklar,
Da trieb im Meer bei Norderney
Ein Suahelischnurrbarthaar. –
Die nächste Schiffsuhr wies auf drei.

Mir scheint da mancherlei nicht klar,
Man fragt doch, wenn man Logik hat,
Was sucht ein Suahelihaar
Denn nachts um drei am Kattegatt?“

Gedicht von Joachim Ringelnatz, (1883 -1934), eigentlich Hans Bötticher, deutscher Lyriker, Erzähler und Maler, Quelle: Ringelnatz, J., Gedichte. Die Schnupftabaksdose. Stumpfsinn in Versen, 1912

Adulrazak Gurnah

Adulrazak Gurnah, der Nobelpreisträger von 2021, betrachtete die gleiche Zeit aus einer afrikanischen Perspektive. Sein Roman „After Lives“ dreht sich um die Figur eines „Ilyas“ und seiner Familie. Die Handlung beginnt kurz vor dem Ersten Weltkrieg.

Auf den letzten Romanseiten gelingt es dem Sohn von Illyas Schwester den Lebensweg des Onkels zu entschlüsseln. Eine Geschichte, die sehr an einen Tansanier erinnert, der tatsächlich in Deutschland lebte und starb.

Dieser Bayume Mohamed Husen war ein suaheli-sprachiger Träger oder Askari der deutschen „Schutztruppe“ in Ostafrika. Aus der Kriegsgefangenschaft verschlug es ihn nach Deutschland. Er habe, als ein Mitglied der „Schutztruppe“, auf eine Rückkehr nach Tansania gewartet. Deshalb sei er beim Nazi-Reichskolonialbund als Aushänge-Askari mitgelaufen.

Als singender Afrikaner sei er durch Varientés, Kneipen und Bars in Nord-Deutschlands getingelt. Warum nicht auch in Norderney? Schließlich wurde er wegen „Rassenschande“ verhaftet. Und im KZ Sachsenhausen umgebracht. (Mehr)

Kolonialverbrechen und Völkermord

Zum Hintergund dieser Geschichten gehören die großen Vernichtungsfeldzüge der deutschen Kolonialarmee:

Bernhard Nocht (4 v.r. sitzend) in Ostafrika, vor 1914. Bild, Jäger, BNI, 2015.

Zur Zeit des weitgehend verdrängten Maji-Maji-Krieges war der Süden Tansanias bedeutender als der Norden. Die Deutschen mordeten dort so gründlich, dass diese Region bis heute weniger entwickelt ist als nördliche Landesteile.

Der Geist der „Seuchen-Hygieniker“ des Sanitätsdienstes der Schutztruppe spukt bis heute in medizinischen Gemäuern. Mir vertraute Mediziner wie Bernhard Nocht (im Bild) und Robert Koch waren (u.a. in „Deutsch-Ostafrika“) „im Dienst der Wissenschaft“ an Menschenversuchen beteiligt.

Die Verantwortung für den Völkermord in Tansania wird bis heute in Deutschland verdrängt.

Als ich im Januar 2022 Kilwa besuchte, fand ich die dortige Gedenkstätte in einem jammervollen Zustand.

Besitzt die deutsche Botschaft in Tansania keine Portokasse?

Wäre es für Außenpolitiker:innen nicht logisch, sich für das, was geschah, mit einer versöhnlichen Geste zu entschuldigen?

Mehr

Literatur

Abdulrazak Gurnah

Kolonialmedizin

Letzte Aktualisierung: 14.03.2023