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24. September 2022

Würde & Unversehrtheit

Inhalt

  • Unversehrtheit bei Kindern
  • Grundrechte
  • Genitale Unversehrtheit
  • Andere Interventionen bei Kindern

Unversehrtheit bei Kindern

Theoretisch garantiert das deutsche Grundgesetz das Recht auf Unversehrtheit (Artikel 2.2 GG).

Trotzdem werden medizinisch nicht begründete Eingriffe bei Kindern durchgeführt. Die dafür Verantwortlichen werden in der Regel nicht bestraft. Obwohl Körperverletzung und Kindeswohlgefährdung in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden (§ 223 StGB, § 224 StGB, § 1666 BGB).

Warum ist das so?

Nehmen wir an, ein Elternpaar aus dem Volk der Zo’é in Brasilien würde in Berlin bei ihrem achtjährigen Kind den Unterkiefer durchstoßen, und die Öffnung dann durch Dehnung erweitern, um einen Lippenpflock einzuführen. Dürften sie das tun? Vermutlich ja, denn welches Gesetz sollte es ihnen verbieten?

Lippenpflöcke bei den Zo’é Brasilien. Bilder: R. Garve, F. Nordhausen: Kirahé. Ch.Links Verlag, 2007, S. 400 u. 396

Die Eltern könnten argumentieren, diese Praxis werde ihnen aus religiösen Gründen vorgeschrieben. Sie sei ein unverzichtbares Merkmal der Mitglieder des Volkes. Außerdem werde die Durchbohrung mit angespitzten Affen-Knochen und anschließende Einführung immer dickerer Pflöcke von Sachkundigen durchgeführt. Es handele sich keinesfalls um eine Verstümmelung. Und ohne den Eingriff könne das Sozialverhalten des Volkes nicht reibungslos ablaufen.

Die amerikanische Anästhesistin Jumana Nargarwala argumentierte ganz ähnlich. Angeklagt wegen Verstümmelung von Mädchen, gewann sie in zwei Instanzen: Sie habe die Kinder, derentwegen man sie beschuldigte, nur chirurgisch „verschönt“. Hygienisch und operationstechnisch sei alles korrekt verlaufen. Sie habe im Auftrag ihrer Religion gehandelt.

Tatsächlich war es bei diesen Begründungen nicht möglich, sie rechtskräftig zu verurteilen. Denn die Richter fanden kein übergeordnetes Bundesgesetz, das die Praxis von FGM eindeutig verbiete:

In Deutschland ist die Gesetzeslage ähnlich:

  • §1631d BGB schränkt den Geltungsbereich des Grundgesetzes für Jungs ein.
  • §226a StGB untersagt „Verstümmelungen“ bei Mädchen, ohne zu definieren, was damit gemeint sei. Im Umkehrschluss wären Eingriffe legal, die mit beschönigenden Begriffen bezeichnet werden: wie „Beschneidung, Cutting (FGC)“ oder „Kosmetische Genitalchirurgie / Cosmetic Surgery, (FCGS)“. Weiterhin lässt der Artikel 3 des GG Gesetze für unterschiedliche Personengruppen nicht zu. Folglich kann §226a StGB, wenn überhaupt, nur symbolischen Charakter haben. So lange, bis §1631d BGB ersatzlos gestrichen wird.
  • Seit 2022 gilt in Deutschland eine Leitlinie für rekonstruktive als auch kosmetische Eingriffe am weiblichen Genitale (AWMF 009-019). Danach seien kosmetische, nicht medizinisch begründbare Eingriffe am Genitale von Kindern dann gerechtfertigt, wenn diese (von wem auch immer ausgelöstem) großem Leidensdruck stünden. Eingangs erwähnt, dass es sich Bei FGCS um ein wachsendes Geschäftsfeld handele.
  • Genitale Fehlbildungen bei der Geburt sind häufig Normvarianten ohne Krankheitswert. Chirurgische Eingriffe zu ihrer Korrektur sind deshalb nur dann indiziert, wenn die Korrekturen tatsächlichen Krankheitserscheinungen vorbeugen würden. Nicht gerechtfertigt sind Eingriffe um ein Geschlecht eindeutig festzulegen. Die bestehende AWMF-Leitlinie „Weiblichen genitalen Fehlbildungen“ hat allerdings nur Empfehlungscharakter.

Die Lösung der hier skizzierten juristischen Probleme (und damit ein effektiver Schutz der Unversehrtheit von Kindern), wäre sehr einfach:

Der Artikel 2.2 GG müsste nur durch einen ebenso eindeutigen Strafrechts-Paragrafen ergänzt werden. Etwa so: „Die Verletzung der Unversehrtheit bei Kindern wird verfolgt und bestraft. Ausnahmen sind nur bei streng medizinischen Gründen möglich.“

Grundrechte


Grundrechte kann man nicht erwerben und nicht gewähren.
Sie sind gegeben und unveräußerlich. Ulrike Guérot, 10.05.2021

Am Anfang des deutschen Grundsetzes steht der Schutz der Würde des Menschen. Angesichts der Verbrechen des Naziregimes, sollte sichergestellt werden, dass Menschen gegen staatlich sanktionierte Eingriffe verteidigt werden müssen:

  1. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
  2. „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Nach Artikel 2.2. des Grundgesetzes gilt „körperliche Unversehrtheit“ als ein übergeordnetes Menschenrecht. (Prestien 2021)

Wird die Unversehrtheit von Kindern verletzt, handelt es sich um einen Straftatbestand:

  • § 223 und § 224 StGB (Körperverletzung)
  • § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung).

Abweichungen von den Bestimmungen des StGB und des BGB sind gerechtfertigt, wenn das Leben des Kindes gefährdet ist, oder wenn es in erheblichem Maße beeinträchtigt werden könnte:

  • Notfall-Operation
  • Verletzung, die nur in Narkose versorgt werden kann
  • Verhinderung einer Infektion, die beim Kind zu schweren Schäden führen könnte (Beispiel: Masern)

In diesen Situationen dürfen Ärzt:innen tätig werden, wenn sie die Erziehungsberechtigten über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt haben, und diese ihren Maßnahmen ausdrücklich zustimmen.

Das Grundrecht „körperlicher Unversehrtheit“ kann in Deutschland gefährdet sein, durch chirurgische Eingriffe an den Genitalien von Kindern, oder durch pharmakologische oder kosmetische Interventionen bei Kindern (ohne medizinische Indikation).

Das Grundgesetz garantiert allen Menschen Unversehrtheit

Worldwide Day of Genital Autonomy – „11 Jahre Kölner Urteil“. Beiträge: www.youtube.com/playlist?list=PLZ7QOGwnh8_0F2ROdoQJS9UfQWNLUos90

Der Artikel 2.2 des Grundgesetzes sichert in Deutschland das Recht auf Unversehrtheit. Ergänzend schließt Artikel 3.3 des Grundgesetzes geschlechtsspezifische Gesetze aus.

Am 12.12.2012 wurde mit dem §1631d BGB der Geltungsbereich des Grundgesetzes für männliche Kinder eingeschränkt. Bei ihnen sei das nicht-therapeutische Abschneiden der Penisvorhaut aus jeglichem Grund legal.

Unklare Rechtslage auch für Mädchen

Denn §1631d BGB, der Beschneidungen von Jungs erlaubt, widerspricht §226a StGB, der Beschneidungen bei Mädchen untersagt.

Die Voraussetzung für eine Rechtssicherheit aller Kinder ist daher die Abschaffung von §1631d BGB. (Hilgendorf, Medizinstrafrecht 2016)

Freispruch bei FGM in den USA

In den USA wurde aufgrund einer ähnlich unklaren Rechtslage eine Ärztin in zweiter Instanz freigesprochen. Dr. Jumana Nagarwala rechtfertigte von ihr durchgeführte Verstümmelungseingriffe bei Mädchen mit folgenden Argumenten:

Bilder: intaction.org. Die Beschneidung ist ein „Mittel gegen Masturbation, welches bei kleinen Jungen fast immer erfolgreich ist. Die Operation sollte von einem Arzt ohne Betäubung durchgeführt werden, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird. Bei Mädchen, so hat der Autor herausgefunden, ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure (Phenol) hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern.“ John Harvey Kellogg, M.D., Treatment for Self-Abuse and its Effects, Plain Facts for Old and Young. Iowa 1888, S. 295.
  • Ihre Religion habe es von ihr verlangt
  • Sie habe ihre Eingriffe hygienisch sauber durchgeführt
  • Sie verstümmele auch Jungs

Geschäft mit „Kosmetischen Eingriffen“

Seit Juni 2022 gilt in Deutschland eine Leitlinie für rekonstruktive als auch kosmetische Eingriffe am weiblichen Genitale (AWMF 009-019). Kosmetische Eingriffe am Genitale (female genital cosmetic surgery, FGCS, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von Genitalverstümmelung (female genital mutilation, FGM) wenn sie bei nicht-einwilligungsfähigen Personen durchgeführt werden. (Shahvisi A: Clinical Ethics 2017, 12(2)102-108).

Im Leitlinien-Text fehlt der Hinweis auf Minderjährige, bei denen kosmetische Eingriffe (FGCS) medizinisch nicht indiziert wären. Stattdessen wird angedeutet, dass Mädchen unter einem erhöhten psychischen Leidensdruck stehen könnten. Daher könne ggf. „FGCS medizinisch indiziert“ sein. Bereits im 19 Jhh. wurden Genital-Eingriffe „psychiatrischen Gründen“ vorgenommen. (Hulverscheid, Weibliche Genitalverstümmelung Mabuse 2000)

BBC 13.05.2022: Preis für Krankenschwester im Kampf gegen Zwangsheirat und Genitalverstümmelung.

In den letzten Jahrzehnten stieg die Nachfrage nach Genital-Eingriffen im Rahmen von Störungen der der geschlechtlichen Identitätsfindung in der Pubertät („Gender-Dysphorie“).

Dieses psychologische, kulturelle und gesellschaftliche Phänomen bietet wachsende Möglichkeiten für die Vermarktung (nebenwirkungsreicher) pharmakologischer und chirurgischer Interventionen. (Lenzen-Schulte, DÄB, 02.12.2022)

Zur Sicherung des Rechtes auf Unversehrtheit (Art 2.2 GG) reicht daher die Streichung des §1631d BGB nicht aus. Kinder müssen zusätzlich vor Missbrauch, Kommerz und Medikalisierung geschützt werden. U.a. durch Untersagung von

  • kosmetischen (d.h. medizinisch nicht indizierten) Genitaleingriffen,
  • bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen,
  • unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit.

Weltweite Bewegung zur Genitalen Selbstbestimmung

unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und Tradition

Weitere Hinweise:

FGM und Asylträge

Selbstbewusst
Selbstbewusstes Mädchen in Tansania 1981 (Bild: Jäger)

Nach der Asylaufnahmerichtlinie gelten Opfer genitaler Verstümmelungen oder Traumatisierungen als besonders schutzbedürftig. Der Staat ist auf der Basis des Grundgesetzes verpflichtet, Menschen die in Deutschland leben, eine angemessene Basisgesundheitsversorgung zu garantieren und sie vor Verstümmelung zu schützen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwingt Frauen, die von genitalen Traumatisierungen betroffen sind, und die in Deutschland Asyl beantragen, zu rechtsmedizinischen Untersuchungen. Es solle geklärt werden, ob bei diesen Frauen eine Genitalverstümmelung (FGM) vorliege, und wenn ja welcher Grad.

Sie werden zu Frauenärzt:innen (oder in Bayern zu Rechtsmediziner:innen) geschickt, die gegen eine Gebühr ein „Gutachten“ für das BAMF erstellen sollen. Eine sachgerechte Beratung, wie diese Verletzungen versorgt und korrigiert werden könnten, erfolgt dabei nicht.

In einer Veröffentlichung von 153 Untersuchungen wurde behauptet, dass eine genitale Befunderhebung „möglicherweise“ zum Schutz von Mädchen vor Genitalverstümmelungen im Heimat beitragen könne, wenn „unverstümmelten Mädchen genau aufgrund dessen Asyl gewährt würde“ (Zinka 2018).

Dieses Argument rechtfertigt die Untersuchungen nicht. Denn zur Beurteilung, ob ein Asylgrund vorliegt oder nicht, hilft Stadien-Einteilung von Genitalbefunden (FGM 0-IV) nicht weiter:

  • Frauen, bei denen keine Vernarbungen sichtbar sind, können massive (insb. psychische) Traumatisierungen erlebt haben (Vergewaltigung, Missbrauch, Ritzungen).
  • Oder es kann ihnen eine Verstümmelung drohen (oder eine Vergewaltigung oder eine Zwangsverheiratung).
  • Und Frauen, bei denen eine genitale Verletzung stattgefunden hat, sind ggf. gefährdet, nochmals verstümmelt zu werden.

Wenn Ärzt:innen nicht zu kultursensibel-sexualkundlichen und gynäkologisch-fachlichen Beratungen in der Lage sind, werden die Frauen durch Zwangsuntersuchungen zur „Feststellung einer Genitalverstümmelung“ re-traumatisiert.

Die für die betroffenen Frauen belastende „rechtsmedizinische Untersuchungen“ ist sinnlos und sollten unterlassen werden. Stattdessen sollten die Frauen auf Beratungsstellen, Hebammen und Praxen zu verwiesen werden, wo sie sachkundig informiert und weiter unterstützt werden.

Medizinische Interventionen bei Kindern

„… Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe erlangen Familien mit Kindern
nur mit geimpften Kindern …“ (Beschlussprotokoll DÄT S. 31/32 )

Der Deutsche Ärztetag forderte 2021, dass das Menschen-Recht auf Bildung einem vermuteten Nutzen für andere Bevölkerungsgruppen untergeordnet werden solle. Interventionen bei Kindern sollten danach (im Gesamtgesellschaftlichen Interesse) höher stehen als das Grundrecht der Unversehrtheit.

Infektionen mit Coronaviren stellen für gesunde Kinder keine nennenswerten Erkrankungsrisiken dar. Für gesunde Kinder brachte eine Impfung gegen Coronaviren keine Vorteile, aber sie konnte schaden (ÄFI 12.02.2022, Jama Cardiology 20.04.2022, Shay Jama 29.03.021) Die Risiken betrafen Gehirn, Bewegungsapparat, Genitalorgane und Immunsystem, deren Entwicklungen nicht abgeschlossen waren. Im April 2023 wurde auch in Deutschland auf die „routinemäßige Impfung“ bei Kindern verzichtet (RKI 25.04.2023). Wer haftet?

Mehr

Weitere Hinweise:

Schutzbrief

Medien

  • BBC-Report 03.04.2019 –
  • Slide-Share
  • Ergebnis: FGM III
  • FGM-Durchführung: (1) und (2) und (3)
  • Male Circumcision: siehe weiter unten

Hintergründe und Projekte (zu FGM)

FGM (weltweit)

FGM (in Deutschland)

Jungenbeschneidung / Male Circumcision

Literatur zu Recht und Ethik

Letzte Aktualisierung: 25.09.2023