Grundrecht Unversehrtheit
Menschenrechte kann man nicht erwerben und nicht gewähren.
Sie sind gegeben und unveräußerlich.
Gesetzliche Regelungen in Deutschland

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert allen Menschen (Art. 3.3 GG) Unversehrtheit (Art. 2.2 GG) als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1.3. GG).
- Körperverletzung wird strafrechtlich verfolgt (§ 223/224 StGB).
- Das Kindeswohl ist besonders geschützt (§ 1666 BGB, KKG) Das Einwilligungsalter für Sex liegt bei 14 Jahren. (Age-of-consent 2024)
- Auch sexuelle Nötigung und Vergewaltigung verstoßen gegen das Recht auf Unversehrtheit. Sie sind in Deutschland strafbar. (§ 177 StGB). Allerdings im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, nicht auf der Basis des Konsensprinzips und mit relativ milden Strafen. (Amn. Int. 2024, Politico 2023, TDF 2024).
- Die Bedrohung der Unversehrtheit oder ihre Verletzung kann ein Asylgrund sein. (Asylgesetz, Factsheet, Caritas)
- Am 01.11.2024 sollte das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft treten. (BMJ 2023, Bundesregierung) Es regelt die Voraussetzungen für die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen im Personenstandsregister. Es geht auf Verletzungen der Unversehrtheit nicht ein. Nach geltendem Recht sind aber Eingriffe an Körperorganen nur dann zulässig, wenn die Korrekturen Krankheitserscheinungen vorbeugen würden. Nicht gerechtfertigt sind Eingriffe, die versuchen, bei Kindern ein Geschlecht festzulegen. (AWMF-Leitlinie „Weiblichen genitalen Fehlbildungen)
Die o.g. Gesetze beziehen auf alle Menschen, im Gegensatz zu
- § 226a StGB (Verbot weiblicher Genitalbeschneidung)
- § 1631d BGB (Erlaubnis männlicher Genitalbeschneidung)
Gesetze für unterschiedliche Menschengruppen widersprechen dem Grundgesetz. (Art. 3.3 GG) Wenn durch Auslegung von Recht definiert werden muss, was im Sinne von § 226a StGB strafbar sein soll und was nicht (gemäß anderer Begrifflichkeiten wie ‚Beschneidung/FGC‘, ‚Verstümmelung/FGM‘, ‚Kosmetischer Chirurgie/FGCS‘ …), ergeben sich
Juristische Konflikte:

- Landgericht Braunschweig 2023/2024: Seit November 2023 wird gegen einen gynäkologischen Chefarzt aus Braunschweig verhandelt, der seine Frau ‚mit einer Bastelschere‘ vaginal verletzt haben soll (TAZ 11/2023). Im März 2023 wurde einem Journalisten auf Nachfrage mitgeteilt, es sei keine Anklage wegen FGM (§ 226a StGB) oder Vergewaltigung (§ 177 StGB) erhoben worden, sondern wegen Körperverletzung (§ 223, § 224 StGB). Diese Entscheidung sei vom OLG bestätigt worden. (Persönliche Information) Der Fall hat auch eine Bedeutung für das wachsende Geschäftsfeld von „Female Genital Cosmetic Surgery (FGCS)“ bei Minderjährigen, u. v. a. zur ‚Jungfernhäutchen-Rekonstruktion‘. Damit ist die operative Verletzung der Scheide gemeint, die zu Vernarbungen führen soll, die dann an ein Organ erinnern sollen, das es biologisch nicht gibt. (BR: 13.12. 2023: Mythos Jungfernhäutchen)
- USA 2019: Die amerikanische Anästhesistin Jumana Nargarwala wurde wegen Verstümmelung von Mädchen angeklagt. Sie gewann in zwei Instanzen: Sie habe die Kinder, derentwegen man sie beschuldigte, nur chirurgisch optimiert. Hygienisch und operationstechnisch sei alles korrekt verlaufen. Sie habe im Auftrag ihrer Religion gehandelt und eher zur Verschönerung der Kinder beigetragen. Es war angesichts dieser Begründungen nicht möglich, sie rechtskräftig zu verurteilen. Die Richter fanden kein übergeordnetes Bundesgesetz, welches die Praxis von FGM eindeutig verbiete. ( 1 , 2 , 3 , 4 )
- Bundestag 2018: Strafbarkeit der Beschneidung von Mädchen in besonderen Fällen mit Asylbezug. Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 075/18. Der Text zeugt von der Unkenntnis des Klitorisorgans. Eine dort genannte ‚Entfernung des Klitoris-Organs‘ (Clitoridectomie) gibt es nicht. Er eröffnet die Möglichkeiten für den Kommerz (Female Genital Cosmetic Surgery) auch bei Minderjährigen, also bei Nicht-Einwilligungsfähigen: „Auch in Schönheitsoperationen, die mit dem teilweisen Entfernen von Schamlippen, Klitoris oder der Labien, sowie einem Umgestalten der Klitorisvorhaut einhergehen, ist die rechtfertigende Einwilligung einer erwachsenen Frau möglich. Die Einwilligung soll auch durch eine Minderjährige möglich sein, wenn diese sich über die Bedeutung, Konsequenzen und Folgen eines solchen Eingriffs im Klaren ist.“
- USA ‚Alabama Supreme Court‘ (Feb. 2024: eine 7:2 Entscheidung): „Ein Embryo ist ein Kind. Das Kind im Uterus ist eine Rechtsperson. Uterus-Besitzer (früher ‚schwangere Frau‘) dürfen nicht über ‚das Kind im Uterus‘ bestimmen“. (AJ 21.02.21) Das Urteil tangiert die Unversehrtheit schwangerer Frauen, da es (je nach religiöser Rechtsauslegung) rechtliche Vertreter oder ggf. auch ‚Besitzer des ungeborenen Kindes‘ geben soll.
Um dieses juristische Chaos zu klären, müsste Artikel 2.2 GG (‚Unversehrtheit‘) durch einen ebenso eindeutigen Strafrechts-Paragrafen ergänzt werden. Etwa so, wie es das Netzwerk zur Umsetzung der UN Kinderrechtskonvention fordert:
Zitat: „Genitale Selbstbestimmung: Die UN-KRK gibt vor, dass eine vom Geschlecht des Kindes abhängige unterschiedliche Zusprechung von Kinderrechten unzulässig sei. Zudem stellt die Genderforschung fest, dass das äußere Genital bei Geburt nicht zwingend mit dem tatsächlichen Geschlecht eines Menschen übereinstimmt. Darum ist besonders beim Thema der genitalen Unversehrtheit bzw. Selbstbestimmung von Kindern nur eine einheitliche Regelung zum Schutz aller Kinder ethisch und rechtlich vertretbar.
Das Entfernen eines gesunden und funktionsfähigen Körperteils ohne mündige und informierte Einwilligung der betroffenen Person widerspricht immer dem Recht des Kindes auf unbeeinträchtigtes Aufwachsen und auf volle Entfaltung seiner Persönlichkeit. Ein gesetzlicher Schutz aller Kinder vor jeglicher medizinisch nicht notwendiger Genitalverletzung, -Verstümmelung, -Operation und -Normierung würde die Bestimmungen der UN-KRK erfüllen. Unsere Forderungen: Der Schutz vor therapeutisch nicht notwendigen Genitaloperationen aller Kinder soll gesetzlich formuliert werden. Wege der Umsetzung sind in breiten gesellschaftlichen Foren zu erarbeiten (z. B. Moratorien, Zwischenschritte, Übergangsfristen), begleitet von Informationen und Sensibilisierungskampagnen.“ (Zwischenbericht, S. 32)
Zitat: „Der Standpunkt, den ich vertrete, ist recht einfach: Kinder sollten vor medizinisch unnötigen Genitalbeschneidungen und/oder -veränderungen geschützt werden, bis sie erwachsen sind; sobald sie erwachsen sind, sollte es ihnen gestattet sein, ihre Genitalien verändern zu lassen, wenn sie dies wünschen.“ (Townsend 2022, 2023)
So wären alle Kinder vor einer Verletzung ihrer Unversehrtheit geschützt.
Mehr
- Frauen und Migration –
- FGM – pro familia Magazin 1/2024
- Initiation und FGM in Tansania –
- Worldwide Day of Genital Autonomy (WWDOGA),
Flyer 04.05.2024 – Rede-Beiträge 2023
Literatur zu Recht und Ethik
Gesetze in Deutschland
- Unversehrtheit: Art. 2.2. GG, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html
- Gleichheit: Art. 3.3 GG, https://dejure.org/gesetze/GG/3.html
- Körperverletzung: § 223 / 224 StGB https://dejure.org/gesetze/StGB/224.html
- Vergewaltigung: §177 StGB, https://dejure.org/gesetze/StGB/177.html
- Kindeswohl: § 1666 BGB: Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls. https://dejure.org/gesetze/BGB/1666.html – „Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (BGBl. I S. 2975): https://www.gesetze-im-internet.de/kkg/BJNR297510011.html
- Asylgesetz § 3a: https://dejure.org/gesetze/AsylG/3a.html Flüchtlingsrat Nds: https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/downloads/Themen_a-Z/Asylverfahren/2022-03-24_factsheet_FGM_C.pdf Caritas: https://www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2020/artikel/weibliche-genitalverstuemmelung-im-deutschen-straf-und-asylr
- Geschlecht-Gender-bezogene Regelungen
- Mädchen: § 226a StGB, https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__226a.html
- Jungs: § 1631d BGB https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1631d.html
- Selbstbestimmungsgesetz gilt ab 01.11.2024: www.bmj.de/DE/themen/gesellschaft_familie/queeres_leben/selbstbestimmung/selbstbestimmung_node.html – www.bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/selbstbestimmungsgesetz-2215426
Rechts-Auslegungen, Kommentare
- Brussels Collaboration on Bodily Integrity: Medically Unnecessary Genital Cutting and the Rights of the Child: Moving Toward Consensus. Am J Bioeth Am J Bioeth 2019 Oct;19(10):17-2, https://www.arclaw.org/wp-content/uploads/Brussels-Collaboration-Medically-Unnecessary-Genital-Cutting-and-the-Rights-of-the-Child-Moving-Toward-Consensus-AJOB-2019.pdf – Bezug: Duivenbode R: Female Genital Cutting (FGC) and the Cultural Boundaries of Medical Practice. Am J Bioeth 2019 Mar;19(3):3-6
- Deutscher Juristen-Tag 2014(Diskussionen und Abstimmungen)
- Duttke G. in „Medizinrecht Kommentar“ von Prof. Dr. Dorothea Prütting) , 4. Auflage 2016, ca. 3412 Seiten, gebunden Luchterhand: §226a Verstümmelung weiblicher Genitalien, Seite 3042-3045
- Hilgendorf: Einführung in das Medizinstrafrecht, C.H. Beck 2016, S. 17 (pdf)
- Hörnle T: Gutachten für den 70. Dt. Juristentag 2014, Seiten 22-26: „nicht alle Veränderungen an weiblichen Genitalien unter ‚verstümmeln‘ zu fassen sind … etwa wenn nur die Vorhaut der Klitoris, ohne Amputationen und weitere Verletzungen“ entfernt wird.
- Kinderschutzgesetz: Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) §4 Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
- LG Köln, Urteil von 07.05.2014, Az 151 Ns 169/11: https://openjur.de/u/429887.html
- Modrek S et al.: Mother, daughter, doctor: Medical professionals and mothers’ decision-making about Female Genital Mutilation/Cutting in Egypt, Guttmacher Institute – International Perspectives on Sexual and Reproductive Health 2016, 42(2), August 2016 26 pp. 634 kB
- Putzke H (2013) Das Beschneidungsgesetz (§ 1631d BGB), 161(10):950-951, Monatszeitschrift Kinderheilkunde
- Putzke H et al. (2013): After Cologne: Male Circumcision and the Law – Parental right, religious liberty, or criminal assault? J of Med Eth 2013:444–449
- Shahvisi A et al.: The law and ethics of female genital cutting. 28.04.2018, in FGCS Creighton (Hrsg), Cambridge Univ. Press 2019 (Download: Academia)
- Townsend, Nature 2022: https://www.nature.com/articles/s41443-021-00503-x.pdf
- Townsend, Nature 2023: https://www.nature.com/articles/s41443-021-00503-x#change-history
- Zinka, B et al.: Morphol. Befunde nach FGM, Rechtsmedizin, 09.03.2018, pp 1–8 –
Unversehrtheit bei Mädchen
- AWMF: Rekonstr. & ästh. Chir. des weibl. Genitales (01.06.2022) –
- End FGM: map.endfgm.eu/map –
- FIDE 2007 –
- Füchtlingsrat Nds: Deine Rechte als Frau in Deutschland. –
- Genitale Selbstbestimmung, Köln 07.05.2019 –
- Intaktiv – Worldwide Day of Genital Autonomy (WWDOGA) –
- Integra – Dt. Netzwerk zur Überwindung von FGM –
- Mama-Africa–
- PRB: Bestimmung der Häufigkeit von FGM i.d. USA – Daten: USA 2015 –
- Pro Kinderrechte: Mein Körper gehört mir –
- She Decides: shedecides.com
- Stopfgm.net –
- Stop-Mutilation e. V (Düsseldorf) –
- Target (Nehberg) –
- Terre de Femmes – Kampagne genitale Selbstbestimmung –
- UEFGM-Wissensplattform –
- Unicef: –
- „Wie kann ich helfen?“ (BAMF) –
- WWDOGA —
Unversehrtheit bei Jungs
- ARTE „Jungenbeschneidung – Mehr als nur ein kleiner Schnitt“, 23.07.2022 (bei Arte nicht mehr verfügbar), SWR 20.04.2023: https://www.ardmediathek.de/video/swr-wissen/jungenbeschneidung-mehr-als-nur-ein-kleiner-schnitt/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE4NDM4MTM
- BVKJ: Aufruf zum 07.05.2022 BVKJ –
- BVKJ: PM nach dem 07.05.2022 –
- Circumcision Reference Library https://www.cirp.org/ –
- Earp B et al.: Circumcision, Sex. Exp. & Harm, Uni Penn Int Law, 2017, 37(2), SSRN-Pdf-Download –
- Graphik zu Aufbau und Funktionen der Penisvorhaut –
- Jungenbeschneidung Fachtagung 2017 –
- Male circum. in South Africa: Ulwaluko (1) 2019 – Ulwaliko (2) 2017 – pictures of complications –
- Male circumcision & HIV – dontgetstuck.org – Howe S: JPH in Africa 2011 –
- Mogis e.V: mogis.info. – die-betroffenen.de
- Nolte St: Unverzichtbare Vorhaut. Nolte S.H., DHZ 1/2019 –
- WWDOGA –
- Erfahrungsbericht „Sex vor & nach Beschneidung“ —
- Betroffener: „Die Politik ist gescheitert“, NOZ 02.05.22 —
- Vier Betroffene berichten, NOZ 05.05.22 —
- Male circumcision in South Africa (Ulwako): Wilcken A: Bull. WHO. 2010 Dec 1; 88(12): 907–914 –