Faszination des Flachen
Inhalt
- Warum fasziniert das Zweidimensionale?
- Die Macht der Bilder
- Die Raum-Zeit-Dimensionen
- Was macht Kunst aus?
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Warum fasziniert das Zweidimensionale?
Eine schwangere Frau kann die Lebendigkeit ihres Kindes spüren und mit ihm eine Beziehung aufbauen. Wenn sie genau hinhört, weiß sie, ob es ihrem Kind gut geht. Frauenärzt:innen können das Gefühl dann bestätigen, und zur Erinnerung ein Ultraschallbild ausdrucken.
Bilder Ungeborener sind starr, unbeweglich und flach. Trotzdem sind werdende Eltern von ihnen fasziniert. Warum?
Die „flachen“ Illusionen lösen offensichtlich Emotionen und Gefühle aus, und landen als „süß, witzig, lustig“ in den sozialen Netzwerken oder bei YouTube.
Selbst die ‚Ausdrucke‘ von 3D-Bildern in der echten 3. Dimension eines Kunstharzblockes bleiben unbewegt wie Totenmasken. Was ist daran so schön?
„Als Théo vom jungen Karamanke ein Foto macht, empfindet dieser das Bild als „Chuallachaqui“, als eine leere Hülle seiner selbst. Aber er erlaubt Théo es mitzunehmen“. Der Schamane und die Schlange – El abrazo des serpiente, Kolumbien 2015
Die Macht der Bilder
Affen lassen sich nicht von Bildern betören. Selbst pornografische Darstellungen potenzieller Sexual-Partner:innen lassen sie vollkommen kalt. Menschen reagieren nicht nur auf äußere Bilder, sondern sie können auch innere Bilder erzeugen, etwa das eines geliebten Menschen. Und diese Vorstellungen lösen in ihnen Empfindungen und Gefühle aus.
Die ersten halluzinierten Visionen und Träume wurden vor 30.000 Jahren an dunkle Höhlenwände gemalt. 20.000 Jahre später wurden Symbole erfunden: Ein einfacher Kreis konnte dann das philosophische Konzept der ewigen Wiederkehr spiegeln, eine Schlangenlinie sexuelle Energie und ein Hakenkreuz die Speichen des göttlichen Streitwagens.
Nach der Perfektionierung der Symbole zur Schrift folgte die Abbildung der Welt, wie sie vor den Augen erscheint. Künstler:innen schufen immer realistischere Abbildungen, die den inneren Bildern immer näher kamen. Dann löste sich die Kunst wieder in Abstraktion auf, als die Fotos die Realität optisch perfekter einfingen. In Serie geschaltet, verschmolzen die Bilder zu Film-Träumen. Und schließlich können wir heute mit 3D-Brillen visuelle Welten erschaffen, die der tatsächlichen Realität zum Verwechseln ähnlich sehen. All das bietet den Vorteil, etwas zu erleben, ohne dabei sein zu müssen.
„Dies Bildnis ist bezaubernd schön!“ Pamino, Mozart, Zauberflöte
Der Hirnforscher Ramachandran (s.u.) glaubt der wesentliche Reiz eines zweidimensionalen Bildes betsehe darin, „Unwesentliches weggelassen und Wichtiges überhöhen“. Ramachandran 1999
Das für eine bestimmte Situation Entscheidende erstrahle damit stärker, als es in der Realität möglich sein könnte: das Niedliche, das Entzückende, das Bezaubernde.
Künstler:innen können mehrdimensionale Realitäten in zweidimensionale verwandeln und in den Zuschauer:innen damit wieder Illusionen einer mehrdimensionalen Realität erzeugen, die sie aus einer sicheren Distanz betrachten können.
Die Macht der Schamanen rührte unter anderem von ihrer Fähigkeit, in anderen Menschen (sonst nicht sichtbare) Wirklichkeiten zu erzeugen, zu beeinflussen und zu bannen, und so deren Spüren, Fühlen und Denken zu beherrschen.
Die Raum-Zeit-Dimensionen
Der Raum verformt sich stetig.
Wenn Physiker:innen rechnen, mit elf Raum-Dimensionen (oder mehr?), die sich ständig verändern. Fünf davon (und die Vorstellung des Nichts) sind alltagstauglich.
Welche Dimensionen wir wahrnehmen, hängt davon ab, welcher Anteil unseres Nervensystems gerade die Führung übernimmt: Wir können ein Bild als Ganzes betrachten und im Chaos einen Sinn erkennen, oder es in seine Einzelteile zerlegen. Und diese dann zählen und messen.
Die Dimension „Null“
Die Null ist der dimensionslose Punkt. Etwas unendlich in sich Verdichtetes, Nicht-Ausgedehntes. Physiker:innen stellen sich so den Zustand des Universums vor, bevor es explodierte und sich ausdehnte. Akupunkteur*innen glauben, dass das Einstechen in bestimmte Punkte wellenförmig Systemwirkungen auslösen könne, und Pharmakolog:innen arbeiten an der Herstellung punkt- oder Rezeptor-genauer Substanzen.
Die erste Dimension
Sie ist die Linie. Sie lässt schon eine Richtung zu: wie ein Strahl unterscheiden sich „vorwärts und zurück“. Erst vor etwa 10.000 Jahren begannen die Menschen, sich so die Zeit vorzustellen: als Linie zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Die zweite Dimension
Die Fläche entsteht aus vielen Linien unterschiedlicher Richtungen, die sich auf einer Ebene kreuzen. Auf ihr können bereits „platte Wesen“ herumkriechen, so wie die Figuren in den Videospielen, die auch dann flach bleiben, wenn sie als optische Täuschung dreidimensional erscheinen. Menschen sind in der Lage, Bilder in mehrdimensionale innere Vorstellungen zu verwandeln. Entweder, indem jemand ein inneres Bild erzählend erzeugt, wenn er etwa ein Märchen erzählt, oder indem man ein Bild zeigt. Am besten beides, deshalb lieben Kinder Bilderbücher, aus denen ihnen vorgelesen wird.
In der dritten Dimension
eröffnet sich der Raum, den wir im Alltag wahrnehmen. In ihm sind nicht nur Bewegungen in horizontale Richtungen möglich, wie bei einem Kompass, sondern zusätzlich nach oben und unten, nach *innen und außen. Die Dreidimensionalität ist in der Geburtshilfe von überragender Bedeutung, wenn zum Beispiel in der Geburtshilfe beurteilt werden soll, ob „dieser Kopf“ durch „dieses Becken“ passt.
Ohne Vorstellung der Dreidimensionalität können die Verformungen des Beckens, die Einstellung des Kopfes und die Spiralbewegungen der Feten nicht verstanden werden. Aber das allein reicht nicht aus:
Die Zeit
Sie wird seit einhundert Jahren als die vierte Ausdehnung unseres Universums bezeichnet. Die Vorstellung eines Zeitstrahles blockiert das Verständnis dieser Dimension, die die dynamische Veränderung der drei anderen Dimensionen bewirkt: Der kindliche Kopf in der Gebärenden verformt sich. Er passt sich an, und das Becken bewegt sich „in sich“. Und alle Beziehungen zwischen den beteiligten Faktoren beeinflussen sich in einer zeitlichen Dynamik gegenseitig. Eine statische, „zeitlose“ Dreidimensionalität kommt nur bei leblosen Objekten vor (und selbst die verrotten langsam ´mit der Zeit). Alles, was lebt, verändert sich unablässig, vier-dimensional und prozesshaft.
Die fünfte Dimension
ist die Vorstellung eines „Raumes der Möglichkeiten“, die in der Quantenphysik „Wahrscheinlichkeitsraum“ genannt wird. In der Geburtshilfe hat diese Dimension eine besondere Bedeutung. Denn sie umfasst „alles, was sein könnte“.
Die fünfte Dimension ist mehr als ein theoretisches Konstrukt, denn die Vorstellung von Wahrscheinlichkeiten ist praktisch nutzbar. Wird zum Beispiel etwas eingeengt, nehmen seine Möglichkeiten, sich zu entfalten, ab. Öffnet sich dagegen eine Situation, entstehen neue Möglichkeiten, wie sich die Geschehnisse entwickeln könnten.
Es ist deshalb günstig, dafür zu sorgen, sich geistig und körperlich frei und uneingeschränkt bewegen zu können
Was macht Kunst aus?
Prinzipien künstlerischer Erfahrung
- Ausgewogenheit – alles gesund-lebende erscheint symmetrisch. (Symmetry)
- Überspitzen mit unbewusstem Super-Stimulus, z. B. bei Venus-Figuren (Peak shift principle).
- Betonung: etwas heraus-isolieren. (Allocation attention – isolating a singel cue)
- Gestalt im Betrachter entstehen lassen. („Aha!“ sensation, perceptional grouping)
- Kontrast (Linien, Flächen, Farben) verstärken. (Extraction of contrast)
- Imaginäres Bild: Im Betrachter etwas entstehen lassen, was im Bild nicht ist. (Puzzle-Problem solving)
- Abscheu unnatürlich-regelmäßiger „Zufalle“ (Abhorrence of suspicious coincidences)
- Sinnzusammenhang (Metaphors of Art)
Ramachandran VS et al.: The Science of Art. A Neurological Theory o Aesthetic Experience. Journ. of Cociousness Studies, 1999, 6(&-7):15-51