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3. März 2024

Panik, Stress, Ruhe (Vagus)

„Herz, Darm und Gehirn kommunizieren eng miteinander über den „Nervus pneumo-gastricus“, den kritischen Nerv, der bei Mensch und Tier am Ausdruck und Management von Emotionen beteiligt ist. Wenn der Verstand stark erregt ist, beeinflusst er sofort den Zustand des der Eingeweide.“ Charles Darwin, 1872

Zusammenfassung

Der Hirnstamm bildet die Schnittstelle zwischen zentralen und im Körper verzweigten Nervensystem. Seine Funktionen beeinflussen Atmung und Stoffwechselfunktionen (u.a.). Nerven- und Bewegungssystem bilden einen Funktionszusammenhang. Aufgabe des Gehirns ist es, Bewegung zu veranlassen und koordinieren, um mit der äußeren Welt in Beziehung zu treten. Einen anderen Funktionszusammenhang bilden Darm, Darmnervensystem, Mikrobiom und Immunfunktion, die nach der Geburt erst allmählich mit dem zentralen Nervensystem zusammenwachsen. Alle Körperzellen wirken immer zusammen, abgestimmt in unterschiedlichen Klangfarben, wie in einem großen Orchester. Körper und Geist sind nicht getrennt. Auch das autonome Nervensystem tut nichts. Es ist Teil eine hochsensiblen Schwingungssystems, dessen Impulswellen sich gleichermaßen auf die bewussten und die unbewussten Anteile des Seins auswirken.

Betrachtet man die Entwicklung dieser Funktionseinheit während der Schwangerschaft, der Geburt in den ersten Lebenstagen, wird seine Funktionsweise, die bis zum Tod unser Leben bestimmt, verständlich:

Wenige Minuten nach überstandener Todesgefahr. Nach Erstarren und Protestieren, die Beruhigung durch die Verbindung mit der Mutter. Bild: Jäger 2017

Die erste erlernte Programmierung des noch ungeborenen Nervensystems ist die Ausatmung. Die erste autonome Lebensäußerung des Fetus. Ist die Schwangere tätig, ruht das Kind, denn seine Aktivität wäre dann ein unnötiger Energieverbrauch. Ruht oder schläft die Schwangere, ertastet der Fetus mit seinen Fußsohlen die Entspannung der Bauchdecke. Dann darf er spielen: z.B. den Unterkiefer entspannen und passiv Fruchtwasser in die oberen Luftwege laufen lassen. Die aktive Bewegung folgt dann einem Impuls des Stammhirns: Fruchtwasser auspressen. Das übt das Ungeborene monatelang, und kann deshalb nach der Geburt ausatmen. Zeitlebens bleibt die unbewusste Erinnerung, dass Ausatmung bedeutet: die Mutter ist entspannt und man selbst in Sicherheit ist. In Gefahr oder bei Bedrohung hilft es deshalb ungemein, den Atmen ruhig und tief herausfließen zu lassen.

Die nächste ‚Stammhirnprogrammierung‘ während der Schwangerschaft betrifft den hinteren Anteil des Vagus-Nerven, der sehr dicht am Atemzentrum liegt und an einer Zellgruppe, die Erbrechen auslösen kann. Hier schon in der Mitte der Schwangerschaft eine Funktion, die ein Schildkröten-artiges Verhaltensprogramm auslöst: bei Belastung oder Gefahr erstarren, sich nicht bewegen. Wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer verkriecht und erst wieder vorsichtig herkommt, wenn die Gefahr vorbei ist. Das Herz wird dann gebremst, die spielerische Atembewegung unterdrückt und das Gehirn weniger durchblutet.

Spiel: Sympathikus und Vagus-Aktivierung gleichermaßen. Alles geben und Spaß haben. Bild Jäger, Laos 2020

Während der Geburt macht dieses Verhalten Sinn. Es würde nicht helfen, wenn das Kind zappelte und versuchte mitzuhelfen. Der Abfall der Schlagfrequenz der kindlichen Herztöne während der Wehen (‚Dip I‘) ist deshalb völlig normal. Aber unmittelbar nach der Geburt (und zeitlebens) nicht mehr. Denn es nützt nichts, bei Gefahr, in Ohnmacht zu fallen. Erstaunlicherweise werden diese zellen dann nicht abgebaut, sondern langsam umprogrammiert zu einem wesentlichen Impulsgeber für innere Körperfunktion, wie u.a. das Immunsystem.

Direkt nach der Geburt wird von dem Kind ein drittes Verhaltensprogramm erwartet: das Anknipsen von ‚Flutlicht‘ im Gehirn und die Aktivierung aller Körperzellen. Das Kind schreit, zappelt und alle Körperzellen sind schlagartig hellwach, besonders die des Gehirns. In diesem hochaktiven ‚Krokodilmodus‘ des Stammhirns kann das Kind im wesentliche zweierlei: angreifen, protestieren, schreiben oder sich zurückziehen (z.B. wenn sich eine Nadel nähert). Auch dieses Verhaltensprogramm bleibt zeitlebens erhalten, als basale Stressreaktion: ‚Krieg oder Flucht‘.

Unmittelbar danach lernt das Kind ein neues autonomes Verhaltensprogramm, das die Aggression beruhigt und Handlungen begleitet, mit dem Gespür, dass es gut werde. Dieses Verhaltensprogramm ist säugetiertypisch und erfordert Hirnfunktionen, die dem Stammhirn übergeordnet sind: Das Mittelhirn, in dem u.a. das Bindungshormon hergestellt wird.

Ramoz-Martinez, Int J Mol Sci., Dez 2021 2021 www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8705572

Wenn aus der vorübergehenden Trennung zwischen Mutter und Kind wieder eine (neue) Einheit wird (Bonding) lernt das Kind allmählich, mit anderem bewusst in Beziehung zu treten. Sich aktivieren und zugleich beruhigen: Spielen. Die beruhigenden Impulse laufen dann, mit jeder Ausatmung über den vorderen Ast des Vagus. Der den Herzrhythmus und die Atmung effektiver gestaltet. Und verschaltet ist mit umfassenderen Beruhigungsfunktionen, die Stimme, Gehör, Gesicht, Haut, Geruch uva. einbeziehen.

Diese Funktion ist besonders bei Menschen perfekt ausgestaltet. Sie ist die Basis, auf der wir liebende, beziehungsreiche, friedliche Wesen werden. (Sapolsky 2021)

Die Evolution der Beruhigung (relativ einfach)

Würmer reagieren auf äußere Reize unmittelbar-reflexhaft. Schildkröten können sich tot-stellen. Reptilien greifen aktiv an, oder sie fliehen.

Säugetiere sind in der Lage, diese schnellen Reaktionsformen zu beruhigen und entspannt mit Artgenossen zu kommunizieren, zu spielen oder gemeinsam zu handeln.

Dazu müssen drei, relativ selbstständige Körpersysteme optimal miteinander koordiniert werden:

  • Der Darm mit dem darin befindlichen Mikrobiom,
    und die mit ihm eng verwoben inneren Organe wie das Immunsystem.
  • Die Bewegungsfunktionen, mit Knochen, Muskeln, Haut, Nervenzellen, Faszien u.a.
  • Herz und Lunge, die die anderen Bereiche mit Energie versorgen.

Die Abstimmung dieser Körperanteile erfolgt in einem Tages-Rhythmus aus Aktivität und Ruhe. Werden der Darm oder das Immunsystem aktiviert, sollte die Bewegungsfunktion ruhen. Wird dagegen gejagt, geflohen oder gekämpft, muss viel Sauerstoff und Zucker bereitgestellt werden. In dieser Zeit wird dann die Tätigkeit der inneren Organe (und damit ihr Verbrauch) drastisch vermindert.

Die Koordination zwischen diesen Körperfunktionen ist bei der Geburt eines Menschen noch unreif. Erst allmählich werden die lebenswichtigen Funktionen aufeinander abgestimmt. Wichtig dabei ist vor allem die Stabilisierung des Vagus-Nerven. Er wird mit einer Isolations-Schicht ummantelt, wächst und wurzelt weiter in Richtung des Herzens auswächst, und zur Lunge, dem Darm und zu den Bauch- und Beckenorganen. Die wesentliche Aufgabe dieser Nervenbahn besteht darin, beruhigende, rhythmische Impulse des Mittelhirns an die Herz-Kreislauf-, Atmungs-, Darm-, Immun- und Stoffwechselfunktionen weiterzuleiten.

Beruhigung: Voraussetzung sozialer Kommunikation

Der Neurowissenschaftler Stephan Porges (s. Lit.) beschrieb den biologischen Zusammenhang der Entstehung sozialer Kommunikation in einem Erklärungs-Modell, das er Polyvagal-Theorie nannte:

  • Die menschliche Psyche sei untrennbar mit körperlichen Funktionen verwoben. Sie beruhe auf körperlichen Strukturen, die sich in der Evolution über verschiedene Stufen entwickelten. (Phylogenese).
  • Die individuelle Entwicklung unmittelbar vor und nach der Geburt folgen Gesetzmäßigkeiten, die das menschentypische Verhalten prägten (Ontogenese). Ungeborene und Neugeborene durchliefen im Prinzip körperlich-psychische Entwicklungsphasen, die die Millionen von Jahren zurückreichende Evolution widerspiegelten.
  • Einfache Verhaltensprogramme würden von höheren überlagert. Beispiel: Unterdrückung der Rückenmark-Reflexe (z.B. eines Ungeborenen) durch den „Tauch-Reflex“ („während der Geburt nicht zappeln!“), und dieser wiederum durch das Aktivierungsprogramm („unmittelbar nach der Geburt brüllen!“). Anschließend würde dann das Protest-Flucht-Angriffs-Verhalten des Neugeborenen allmählich durch die Ausreifung von Beruhigung, Emotion, und später auch Gefühl, überlagert und gedämpft.
  • Eine störungsfreie Schnittstelle zwischen Gehirn und peripherem Körper (Autonomes Nervensystem) sei entscheidend für die körperlich-psychische Gesundheit.
  • Tiere und Menschen würden konstant, unbewusst ihre Umwelt auf Sicherheit prüfen (Porges-Begriff: Neuroception). Sie könnten nur in relativer Ruhe sozial kommunizieren: Wenn die unmittelbare Zukunft stabil erscheine, oder Belastungen bewältigt werden könnten, oder die Situation einen Sinn ergäbe.
  • Die gesunde Entwicklung von Kindern erfordere (neben der Erfüllung der Grundbedürfnisse) vor allem Sicherheit, Bindung und ruhige Kommunikation (Bonding).

Die Bedeutung der innigen Beziehung zwischen Mutter und Kind kann durch Messung des Herz- und des Atemrhythmus, und der Hirnstromkurven gemessen werden.

Das autonome Stammhirn-System des Neugeborenen ist zunächst noch sehr instabil. Auf das Kind einwirkender Stress stört die Ausreifung der nötigen Nervenprogramme. Eine störungsfreie Bindung zwischen Mutter und Kind für die gesunde Entwicklung des Kindes essenziell. (Porges 2019, Mulkey 2019)

Eine Störung der Ausreifung der vagalen Funktion durch chronischen Stress kann, ähnlich wie die Störung des Mikrobioms, die Entstehung einer Vielzahl gastrointestinaler und neuropsychiatrischer Erkrankungen begünstigen (psychisch-motorische Entwicklungsverzögerung, Depression, Immunstörung, ADHS, u.v.a) (Kolacz 2019)

Menschen brauchen Sicherheit

Die Bewertung einer Situation als“ sicher“ erfordert Mittelhirnfunktionen, über die Säugetiere verfügen. Wenn Säuger Laute und Handlungen ihrer Artgenossen wahrnehmen, wirken Mittelhirnsignale (Oxytozin und Dopamin) u.v.a. auf den Vagus, und auf reflektorisch mit ihm verbundene Nerven, und ermöglichen so den Ausdruck sozialer Kommunikation und die Beruhigung von Herz- und Atmungsfunktion (Respiratorische Sinusarrythmie). Durch Signale des vorderen, motorischen Anteils und über die sensiblen, aufsteigenden Fasern des Vagus-Nerven, werden die Automatik der Stammhirnprogramme gedämpft und Körperfunktionen auf entspanntes Ausruhen oder wirksam-stress-freies Tätigsein eingestimmt (Colzato 2017)

Die Ausreifung der Vagusfunktion

Die Tonisierung der Vagusfunktion erfolgt nach der Geburt im Rahmen der engen Beziehung zwischen Mutter und Kind (Bonding s.u.).

Die rhythmische, atemsynchrone Auslösung der vagalen Reaktion überlagert bei Neugeborenen die Reflexe des Erstarrens (Tauchreaktion, Panik) oder des „Lautstark-mit-vollem-Körpereinsatz-Protestierens“. Das Kind ruhig, wenn es seine Mama riecht, durch die Haut spürt, und den Herzschlag und die Stimme hört.

Zunächst müssen immer die unmittelbaren Grundbedürfnisse erfüllt werden (Wasser, Nahrung, Unverletztheit, Schmerzfreiheit). Dann kann in dem Neugeborenen die Erwartung keimen, dass die unmittelbare Zukunft sicher sei, und es sich in einer geborgenen, sinnvollen Situation befinde. Wenn das der Fall ist, kann die, immer wieder durch die Mutter neu stimulierte, vagale Reaktion ausreifen: unter anderem durch Auswachsen von Nervenfasern und durch ihre Ummantelung mit einer Schutzschicht (Myelinisierung). Rituale verstärken diese Entwicklung erheblich. Kinder können dann sowohl passiv aufmerksam sein (z.B. lernend zuhören) als auch fröhlich-aktiv tätig werden (z.B. sich rhythmisch, gewandt oder zielorientiert-geschickt bewegen).

Die Bedeutung der Beruhigung

Für die Auslösung von Beruhigung sind Rituale wichtig. Besonders wenn sie die Sinnesreize wie Riechen, Schmecken, Bewegen, Spüren, Hören, Singen, Tanzen, Spielen uva. einbeziehen. Und die (ggf. im Rahmen langsamer Ganzkörperbewegungen) ruhige, vertiefte Aus-Atmungen anregen. Die rituellen Handlungen stabilisieren den natürlichen Rhythmus des Vagus und begünstigten die Entstehung meditativer Zustände. Die Stimulation der reflexartig miteinander verbundenen Nervengeflechte, die Kehlkopf, Rachenraum, Mimik und die Innenohrmuskulatur versorgen, verstärkt diesen Effekt und begünstigt ruhige Herz- und Lungen-Rhythmen und körperliche und geistige Heilungsprozesse. (Porges 2019)

Der vordere (jüngere Anteil) des Vagus wirkt beruhigend auf die Herz-Lungenfunktion. Er spielt (mit anderen Hirnnerven) eine wesentliche Rolle bei der sozialen Kommunikation (u.a. Stimmbildung und Mimik). Die Bewertung einer Situation als „sicher“, im Rahmen einer Beziehung mit Artgenossen, erfordert Mittelhirnfunktionen. Wenn Säugetiere Laute und Handlungen ihrer Artgenossen wahrnehmen, wirken Mittelhirnsignale (u.a. über Hormone wie Oxytocin und Dopamin) auf den Vagus, und auf die reflektorisch mit ihm verbundenen Nerven, und ermöglichen so den Ausdruck sozialer Kommunikation. Die resultierende Beruhigung von Herz- und Atmungsfunktion kann dann als genannte „Respiratorische Sinusarrhythmie“ gemessen werden. So beruhigt, werden die Automatik der Stammhirnprogramme gedämpft und Körperfunktionen auf entspanntes Ausruhen oder wirksam-stress-freies Tätig sein eingestimmt. Der Vagus bremst nicht: vielmehr sorgt seine Funktion für bewegungslose Ruhe (Meditation) oder für freudvolles Spielen und Arbeiten, ohne Stress oder gar Panik. (Colzato 2018)

Die Kompetenzen der Vagus-Beruhigung gehen in der Hektik moderner Zivilisationen verloren. Daher wittern Immunologen, Kardiologen u.a. ein neues lukratives Geschäft im Medizinmarkt: Die chirurgische Einpflanzung elektronischer Vagus-Schrittmacher. Geeignete Trainingskurse sind allerdings preiswerter, risikoärmer und wirksamer.  

Grundlegende Kommunikations-Programme (Graphik Jäger 2018)

  • Wesentliche Möglichkeiten der Antwort auf äußere Reize: Rückenmark-Reflexe, „Tauchreaktion“ des Stammhirns (Erstarren), Widerstehen-Angreifen-Fliehen (Sympathikus, Stamm- & Mittelhirn), und die Fähigkeit in Sicherheit sozial zu kommunizieren (Limbisches System. Mittelhirn&vorderes Großhirn, „Kiemenbogennerven“ inkl. des Nervus Vagus).
  • Der hintere Anteil des Vagus (Motor-Nucleus – DMNv) vermittelt bei der Geburt die „Tauchreaktion („Nicht zappeln!“). Nach der Geburt reift er allmählich aus zu einem wichtigen Rhythmusgeber des Immunsystems („anti-inflammatorischer Reflex“). Er hat ferner große Bedeutung für die Entwicklung der Funktionen der Beckenorgane.
  • Der vordere Ursprungs-Kern des Vagus (Nucleus ambiguus) gehört zu einer Nervengruppe, die beim Übergang von Fischen zu Landtieren „arbeitslos“ wurden: die Kiemenbogennerven. Sie dienen bei Säugetieren der Ermöglichung und Ausgestaltung sozialer Kommunikation.

Das Immun-System lernt Panik zu dämpfen

Der hintere Vagus-Kern DMNv ist der Ursprung des Anti-inflammatorischen Reflexes, der die Immunzellen sinnvoll dämpft. Die vom Stammhirn kommenden, Atem-synchronen Signale tonisiert die Immunfunktion, und gestalten sie ruhig und effektiv. Überschießende Reaktionen, die zu schweren Krankheitsverläufe führen würden, werden so verhindert. Dieser Reflexbogen ist einer der Grundlagen der Entwicklung der erworbenen („intelligenten“) Immunfunktion, die das angeborene „aggressiv-nicht-spezifische“ Immunsystem überlagert. (Tracey 2009), Martelli 2018) 

Der vagale Rhythmus bremst die Immunfunktion nicht (wie die an der Sympathikus-Reaktion beteiligten Nerven oder wie das Hormon Cortisol), sondern tonisiert sie:

Er gestaltet sie ruhiger und effektiver, und verhindert überschießende Reaktionen. Die rhythmische Impulsgebung über den DMNv scheint die Heilungschancen nicht nur bei Infektionen, sondern vielleicht auch bei Krebs zu erhöhen. (Cabej 2018).

Hintergrund (ausführlicher)

Autonomes Nervensystem

Das autonome Nerven-System (ANS) hat die Aufgabe, innere Organe an die jeweiligen Gegebenheiten der Lebenssituation anzupassen. Es tonisiert, aktiviert, synchronisiert oder inaktiviert Organfunktionen. Die in der Entwicklungs-Geschichte jüngeren (und dann übergeordneten) Gehirnzentren sind für die Funktionsfähigkeit des ANS nicht unbedingt erforderlich. Das Stammhirn wird jedoch vom Mittel- und vom Großhirn (in engen Grenzen) intensiv beeinflusst.

Die traditionelle Auffassung, die dem Sympathikus eine antagonistische, „para-sympathische“ Reaktion gegenüberstellte, konnte die geschilderten Phänomene nicht erklären. Sympathische Fasern nutzen als Überträgerstoff Noradrenalin, para-sympathische Acetylcholin. Aber sie wirken, wie wir heute wissen, eher zusammen, als gegeneinander. Daher werden zunehmend Funktions-Zusammenhänge erforscht, und die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Hirnarealen und den vegetativen Zielorganen und den menschlichen Bakterien (Mikrobiom s.u.)

Der anti-inflamatorische Reflex

Ein Reflexbogen des Autonomen Nervensystms beginnt mit Signalen, die aus der Art der mikrobiellen Besiedlung des Darmes stammen, oder die von Immunzellen freigesetzt werden (Cytokine). Die motorische Weiterführung dieses Reflexbogens verläuft über den hinteren Anteil des Vagus Nerven (DMNv). Dessen Fasern leiten Impulse einen Nervenknoten im Bauchraum (das sympathische Ganglion coeliacum), und werden von dort weitergeführt über den (ebenfalls sympathischen) Nervus Splanchnikus.

Schließlich werden die Splanchnikus-Signale auf Immunzellen der Milz übertragen, die den Botenstoff Acetylcholin herstellen (ACH produzierende T-Zellen). Die Freisetzung des Botenstoffes Acetylcholin wirkt dann auf einen Signalempfänger großer Immunzellen (auf den alpha7nAChR „Nikotin-artigen“ Rezeptor von Makrophagen). In diesen großen Zellen dämpft dann das rhythmisch eintreffende Signal des Stammhirns die Produktion Entzündung auslösender Botenstoffe (inflammatorischer Zytokine wie der ‚Tumor-Nekrosefaktor‘).

Möglicherweise findet diese Art der Informationsübertragung nicht nur in der Milz, sondern auch in weiteren Regionen des Bauchraumes statt. (Martelli 2018)

Ein Maß für die Funktionsfähigkeit dieses anti-inflammatorischen Reflexes ist die Qualität des Herzrhythmus (der durch den vorderen Anteil des Vagus Nerven beeinflusst wird). (Yasumu 2004, DeWayne 2019)

Die enge Kommunikation zwischen dem Mikrobiom, dem Darm und dem Gehirn (Riehl 2023) erfolgt u.a. über efferente und afferente Fasern des Vagus-Nerven. Störungen dieser Feedback-Schleifen können neurologische Erkrankungen wie Parkinson auslösen oder verschlimmern. (dos Santos 2023)

Die Polyvagal-Theorie ausführlicher

Ein anderer (entwicklungsgeschichtlich jüngerer) Reflexbogen des autonomen Nervensystems beginnt an der Halsschlagader und meldet den Blutdruck über den sensiblen Vagus-Ast ins Gehirn. Die motorische Weiterführung des Bogens wirkt als Feedbackschleife zurück auf das Herz und den Spannungszustand der Gefäße.

Diesen Funktionszusammenhang fasste Stephan Porges 1995 in ein Modell, das er „Polyvagale Theorie“ nannte.

Er unterschied dabei zwei unterschiedliche Reaktionsmuster, die durch zwei voneinander getrennt liegende Nervenzellengruppen vermittelt werden, deren Axone gemeinsam durch den Nervus Vagus verlaufen. Das Erkennen dieser Differenzierung half ihm beim Verstehen des evolutionären Schritts von Reptilien zu Säugetieren

Phylogenese

Die Gehirne der frühen Wirbeltiere entsprachen etwa dem Hirnstamm der Säugetiere mit reflexhaft gesteuerten, relativ robusten Neuralkreisläufen. Sie waren wenig abhängig von einer konstanten Sauerstoff- und Nährstoffsättigung des Blutes und benötigten daher nur ein sehr einfaches autonomes Nervensystem. Die größeren Gehirne der Säugetiere ermöglichten es dann später, Emotionen und Kern-Bewusstheit als Mittel sozialer Interaktion einzusetzen.

Ohne emotionales Kontaktverhalten wäre die Aufzucht Neugeborener durch Säugen und Wärmen nicht möglich. Die Fähigkeit, Affekte auszudrücken und soziale Bindungen einzugehen, wurde bei den Säugetieren mit der Notwendigkeit erkauft, für eine gleichmäßige Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen zu sorgen. Dieser Funktion dient differenzierteres, ausgereifteres Autonomes Nervensystem (ANS):

Das ANS reguliert den Zustand der Eingeweide und der Blutgefäße so, dass bei Säugetieren ein stabiles soziales Verhalten möglich wird, d.h. schafft die Voraussetzungen für die Kommunikation von Emotionen. Besonders wichtig dabei ist die Regulierung der Herz- und Atemfrequenz. Sie erfolgt bei Wirbellosen noch endokrin, also sehr langsam und auch bei Reptilien und Fischen mit nicht-myelinisierten Fasern immer noch relativ verzögert. Säugetiere besitzen aber myelinisierte (schnelle) Fasern, die aus dem Stammhirn kommend, die sympathische Reaktion dämpfen. Deshalb untersuchen Säugetiere ständig ihre Umwelt, ob sie sich in Sicherheit befinden, oder ob Gefahr droht. Nur in Sicherheit kann die sympathische Reaktion beruhigt werden, das Herz schlägt dann langsamer und die Kommunikation mit den Artgenossen kann beginnen.

Bei der Geburt von Säugetieren sind die Fasern des Vagus noch nicht von einer Isolationsschicht umgeben (Myelin-Ummantelung). Sie erfolgt erst allmählich unter dem Einfluss sozialen Lernens in den ersten Lebenstagen. Bestimmte absteigende (efferenter) motorische Bahnen des Vagus Nerven werden dann mit einer Schutzschicht umgeben, während andere, die aus dem dorsalen Vaguskern entspringen, oder die Fasern, die von den Organen aufsteigen, un-myelinisiert bleiben. Myelinisierte (schnelle) und nicht myelinisierte (langsame) Vagusfasern können an gleichen Zellgruppen unterschiedliche Reaktionen auslösen und bei jeweils anderen angepassten (adaptativen) Verhaltensweisen beteiligt sein.

Kiemenbogen-Nerven

Der vordere Vaguskern (Nucleus ambiguus), aus dem die myelinisierten Fasern entspringen, gehört entwicklungsgeschichtlich zu anderen „Kiemenbogen-Nerven“:

Diese Nervengruppe versorgte bei Fischen die Kiemen, und wurde beim Übergang von den Fischen zu den Landsäugetieren „arbeitslos“. Dies Kiemenbogen-Nerven leiten Impulse höherer motorischer Gehirnzentren (Großhirn, Zwischenhirn, Basalganglien, Formatio retikularis u.a.) weiter und vermitteln innere Sinnesmeldungen ins Gehirn.

Diese Nervengruppe ist untereinander reflektorisch verschaltet. Ihnen obliegt die Kontrolle koordinierter motorischer, sensorischer und viszeraler Funktionen, die im Wesentlichen folgende Zielorgane betreffen: Herz, Atemwege, Rachen, Kehlkopf, Mimik, Halsmuskulatur. Gemeinsam vermitteln sie die Grundlage sozialer Kommunikation durch die Spiegelung der eigenen Emotionalität und der Offenbarung eigener Gefühle.

Die Gesichtsnerven (Fazialis VII und Trigeminus V) vermitteln den mimischen Ausdruck. Sie dämpfen ferner über die Aktivierung der Mittelohrmuskeln (M. stapedius – N. VII, M. Tensor tympani – N. VII) nieder-frequente Hintergrundgeräusche, um so die höher-frequenten Töne der Vokalisierung und Stimmgebung deutlicher hervorzuheben. Mit dieser phylogenetischen Neuerung war es Säugetieren möglich, in Frequenzbändern zu kommunizieren, die von Reptilien nicht erreicht werden konnten. Wichtig dabei ist auch, dass die Stimmgebung durch einen Seitenast des N. Vagus beeinflusst wird (N vagus recurrens). (s.u Tinnitus)

Weitere enge Beziehungen der Koordination bestehen mit phylogenetisch älteren Nerven wie N. olfactorius (I Riechen), N. vestibulocholeraris (Gleichgewicht), N. hypoglossus (Zunge) und dem dorsalen Motornukleus des N. vagus u.a.

Beruhigend auf die Kiemenbogennerven wirken daher u.a. angenehmer Geruch, das Hören und Sehen von Artgenossen, Betätigung der Kaumuskeln, Rachen- und Kehlkopfmuskeln, sanfte Kopfdrehung, Öffnen der Augenlider und ruhige Bewegung der Augenmuskeln.

Die Aufgabe der Kiemenbogennerven ist die Sicherung einer sozialen Einstellung zur Umwelt: Absenkung der Herz- und Atemfrequenz, Kauen, Säugen und Saugen, gemeinsam Fressen, Kommunikations-Zentrierung auf Artgenossen: u.a. durch Geräuschfilter im Mittel-Ohr, Gesichtsfunktion und Mimik (Emotionsvermittlung, Kommunizieren), Stimmgebung (Kehlkopf, Rachen), ruhige Aufmerksamkeit und Zuwendung (Augenlid-Öffnen, Kopfdrehung), Herz- und Atem-Beruhigung.

Säugetiere sind zu sozialem Kontakt und Kommunikation fähig

Die soziale Kommunikation unter Artgenossen kommt nur bei Säugetieren (und einigen Vögeln) vor. Sie erfordert Ruhe und Sicherheit. Die Evaluierung einer sicheren Umgebung läuft unbewusst ab und erfordert die Rückmeldung der auf Kommunikation ausgerichteten Hirnnervenkerne (Porges nennt dieses unbewusste Sicherheitsscreening: Nociception). Das resultierende Verhaltensmuster beruht auf der Aktivierung myelinisierter, motorischer Vagusfasern („Smart Vagus“‘), die die Herzfrequenz und die Atmung dämpfen. Die Ermöglichung dieser Verhaltensmuster durch das ANS ist erforderlich für Nahrungsaufnahme, das „sich Kümmern“ um den Nachwuchs (oder schwächere Gruppenmitglieder), und für das Lernen von Anderen.

Die Analyse der fluktuierenden Herzfrequenz zeigt zwei wesentliche Impulsgeber von niedrigerer und höherer Impulsfrequenz. Das dominierende höhere Frequenzmuster wird als Respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) bezeichnet und bewirkt eine Absenkung der Herzfrequenz in der Exspirationsphase. Nach heutigem Stand des Wissens wird es über die myelinisierten Fasern des Nucleus ambiguus vermittelt, der von einigen Autoren ‚Smart Vagus’ genannt wird. Menschen mit hoher RSA-Amplitude erwiesen sich als unempfindlicher sowohl gegenüber Stress als auch der Bewegungskrankheit.

Originaldatei ‎in Wikimedia Commons. Beschreibung der Respiratorischen Sinusarrhythmie in Biologie-Seite.de.
Auch relativ kleine Belastungen können zu einer Krankheit führen, wenn sie ohne Pausen und Erholungsmöglichkeiten andauern. Graphik Jäger

Aktivierung (Flucht, Widerstehen, Kampf).

In bedrohlichen Situationen wird die Bremse des myelinisierten Vagus für die Mobilisierung abgeschaltet: Es resultiert eine Sympathikus-Aktivierung und eine Überschwemmung des Gehirns mit Noradrenalin (Tunnel-Wahrnehmung), und des Körpers mit Cortisol (Blutzuckerbereitstellung, Abschaltung von Darm- und Immunfunktion). Der Organismus ist dann bereit zu kämpfen, zu widerstehen oder zu fliehen. Die Fähigkeit zu kommunizieren wird eingeschränkt oder ist unmöglich geworden.

Lehrer sollten wissen, dass verängstigte Schüler nichts lernen können, und sie nicht aufnahmebereit sind für das „Für und Wider“ langatmiger Erklärungen. Allerdings ist es, zumindest beim Menschen, auch möglich, den myelinisierten Vagus und den Sympathikus gleichzeitig zu aktivieren. In der Sportwissenschaft wird dieser Zusammenklang ‚Flow‘ bezeichnet: eine gleichmäßige, als beglückend empfundene Bewegungsabfolge, die bei genussvollem Jogging, Schwimmen, Segeln oder Skifahren auftreten kann.In nahezu allen westlichen und östlichen Kampfsportarten wird großer Wert darauf gelegt, trotz voller Aufmerksamkeit, und selbst unter starker körperlicher Belastung, auf Bedrohungen nicht mit Stress zu reagieren, sondern Atmung und Herzfrequenz ruhig zu halten.

Erstarren, panisch wehren, sich tot-stellen

Wenn die ersten beiden Lösungsmuster versagen, reagieren Säugetiere paradoxerweise mit Immobilisation, In-Ohnmacht-fallen und der Entleerung von Magen oder Darm. Dieser phylogenetisch alte und primitive Hirn-Reflexbogen wird durch den nicht myelinisierten Vagus (‚Vegetativer Vagus‘ aus dem dorsalen Motornukleus, DMNv) vermittelt. Er war bei Reptilien und Sauriern sehr nützlich: zum Beispiel beim Wegtauchen oder der Einschränkung der metabolischen Aktivität in Notzeiten. Für Säugetiere ist diese Reaktion aber nur selten hilfreich, und oft lebensbedrohlich (u.a. weil bei einem Kollaps das Gehirn nicht ausreichend durchblutet wird).

Es wird vermutet, dass sich dieses Reflexmuster trotzdem erhalten habe, weil es einmal im Leben (unter der Geburt) Sinn macht, und weil es auch nutzbringend angewandt werden kann: Das Muster „Bewegungslosigkeit ohne Angst“ begegnet uns z.B. beim Stillen und in bestimmten Phasen des Partnerverhaltens. Es beinhaltet die bedingungslose Aufgabe des eigenen Grenzbereiches und kann deshalb nur zustande kommen, wenn ein besonders großer Vertrauensvorschuss gegenüber dem Partner besteht. So spielen bei der Sexualität Sympathikus und Vagus in komplexen Aktivierungsmustern zusammen, bei denen sowohl Aktivierung als auch Immobilisation möglich sind. Diese Reaktionsform wird durch die Ausschüttung des Hypophysenhinterlappen-Hormons Oxytozin vermittelt. Wird dieses hormonell geprägte Vertrauensmuster durchbrochen, wie zum Beispiel bei Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung, wird die normale Funktion der Regelkreise schwer geschädigt.

Die Achterbahn bei Bedrohung durch Krankheit oder Verlust. Graphik Jäger

Die therapeutischen Konsequenzen der ‚Polyvagalen Theorie’ und des „Anti-inflammatorischen Reflexes“

Beide Theorien widersprechen dem vorherrschenden, mechanistischen und kriegerischen Modell, das die Medizin seit dem 19. Jahrhundert bestimmt. Und sie legen eine Medizin nahe, die Heilung als einen friedlichen Prozess begreifen würde, der in der Lage wäre, Lern- und Entwicklungsprozesse anzuregen.

Starke oder lang andauernde Spannungen oder existenzielle Bedrohungen führen zu Stress

Von Stress-Betroffene wollen Fliehen, Angreifen oder Durchhalten und schaffen es zunehmend nicht mehr allein. Und es droht ihnen damit ein „Burn-out“. „Irgendeiner“ soll dann das Problem sofort beseitigen. Von dieser Verzweiflung lebt u.a. das Medizinsystem. Denn es ist dann die Zeit gekommen für Doktor-Hopping, Pharma-Shopping oder für alternativ-esoterische Heilmethoden.

Interessanter wäre es, wenn Betroffene begännen, sich dafür zu interessieren, was da in ihnen im Widerstreit liegen könnte. Wenn sie verstehen wollten, warum einzelne Zellen oder Funktionen nicht in Harmonie mit anderen sind, und warum sie durch Schmerz oder Fehlverhalten stören.

Dieses Verstehen könnte bei den Patient:innen langsam und allmählich zu Veränderungen führen.

Manche Methoden, die helfen besser „mit sich“ in Kontakt zu kommen (Alexander Technik, Yoga, Taiji, QiGong, Pilates …), muss man nicht rational verstehen. Man kann sie einfach machen. Und erlebt sich dann (fühlend) und atmend. Und schließlich spürt man auch etwas von seinen inneren Sinnen (Druck, Zug, Wärme, Kälte, Gelenkstellung und den Kribbeln-Jucken-Schmerz-Sinn). Besonders Schmerz ist interessant, weil er etwas Wichtiges vermittelt. Man kann mit ihm spielen, sofern der Vagusnerv den Körper dabei beruhigt: denn auch Kitzeln und Juckreiz sind niedrig-schwellige Schmerzsignale. Wenn von Schmerz nicht abgelenkt wird (Hypnose oder Selbsthypnose), und er auch nicht durch chemische Produkte beseitigt wird, dann kann man ihn günstig beeinflussen und ihn dabei verändern.

Krisen, Krankheiten, Störungen, Probleme verlaufen wie auf einer „Achterbahn“. Solange jemand im Stress ist, und mit aller Macht „gegen etwas ankämpft“ (gegen Krebs, Borreliose, Migräne, Neurodermitis …) und alle möglichen „Heiler“ sucht, die das Problem wegmachen sollen, wird es für ihn keine Entwicklung geben, die zu Integration führt. Wirkliche Heilung beginnt mit einer Aussöhnung, mit einem „Akzeptieren wie es ist“ (durch Beruhigung, die u.a. über den Vagus-Nerven geleitet wird). Erst dann kann neugieriges Ausprobieren beginnen. Und entsteht Integration: „Friede mit sich selbst und der Umgebung“. Ich sehe das oft bei Krebspatienten, die bis zuletzt kämpfen, und erst ganz zum Schluss kurz vor dem Tod loslassen und „einen Frieden mit sich machen“.

Längst hat aber auch die Industrie (im Zusammenhang mit der Vagusreaktion) ein lohnendes neues Geschäftsfeld entdeckt. Experimentiert wird mit Geräten und Implantaten bio-elektrischer Stimulation (Steinberg 2016, Tarnawski 2018, Pavlov 2012, 2019)

Dabei handelt es sich um (möglicherweise) kommerziell lohnende, inhaltlich aber fragwürdige Versuche. Denn der Vagus Nerv ist nur ein Teil eines hochkomplexen, unregelmäßig-angepasst, chaotisch-organisierten Schwingungs-Systems, das musik-ähnlich-harmonisch klingt. Eine mechanische Intervention würde maschinenartig-metronom-artig schlagen. Folglich könnte (anders als das Erlernen körperlicher Achtsamkeit) ein „Vagus-Impuls-Geber“ auch nachteilig wirken.

Hilfe bei Angst und Panik

Vor einer Informationsvermittlung im Rahmen sozialer Kommunikation muss immer eine Beruhigung stehen. Die Schaffung sicherer, stressfreier Zustände. Abstrakte Erklärungen sind zur Beeinflussung eines verängstigten Zustandes im Stadium der Sympathikus-Aktivierung sinnlos.

Patienten mit Angst- oder Panik-Reaktionen, können durch nonverbale Stimulation der Versorgungsgebiete der Hirnnerven (Berührung, Stimme, Schlucken, …), durch Veränderungen der Körperhaltungen und durch leichte Trancezustände (Flow) entspannen.

Deshalb ist es so wichtig, Menschen in Not ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören, und mit ihnen zu sprechen. Auch ohne jede Kenntnis ihrer Sprache. Denn der Inhalt des Gesagten ist oft ohne Belang. Ganz im Gegensatz zu der Art, wie etwas gesagt wird (Prosodie): Melodie, Rhythmus, Tonlage, Lautmalerei …

Der Körperausdruck vermittelt (durch Mimik, Bewegung, Haltung, Präsenz, Prosodie) eine Bereitschaft sich zu öffnen, sich zu zeigen, andere wahrzunehmen und Beziehungen einzugehen. Mit einem zunehmenden Sicherheitsgefühl löst sich dann der Stress (Stammhirn) und schließlich auch das Angstgefühl (Mittelhirn).

Mehr

Skript

Artikel

Links

Anti-Inflammatorischer Reflex 2021

Stephan Porges

Literatur

Anti-inflammatorischer Reflex (gut-brain-axis)

  • Cabej N: Epigenetics in Health and Disease (in Epigenetic principles of evolution, second edition 2018, Chap. 14, p. 647-730 
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Letzte Aktualisierung: 07.03.2024