30. März 2022

Ursprung des Dualismus

Inhalt

  • Mensch und Natur
  • Am Anfang war das Gute
  • Zur Geschichte des Dualismus
    TQJ 2022(1)14-21, dt , en

Mensch und Natur

„Alles ist ein Kreis. Er setzt sich fort. Er bewegt sich.“ JS Hallet, Schamanin der Seneca, „Der Große Geist hört und spricht. Er schreibt nicht.“Häuptling Colonel Cobb, 1830, „Unsere Mutter ist die Erde.“ Häuptling Sitting Bull, 1866, „A very great vision is needed, And the man who has it must follow it as the eagle seeks the deepest blue of the sky. Hokahey! Today is a good day to die.“ Crazy Horse

Hunderttausende von Jahren galt das auch für moderne Menschen. Alles schien in gleichen Rhythmen miteinander verwoben zu sein. Das Dasein wandelte sich kreisförmig: Alles entstand und verging wieder. In ewiger, streng geregelter Wiederkehr.

Mit großer Wahrscheinlichkeit sah die Realität auch anders aus als heute: Denn Menschen, die heute noch in der Steinzeit leben, berichteten, dass sie den Raum immer noch so zu sehen, wie er in Wirklichkeit auch ist: krumm, logarithmisch verformt und subjektiv vom Beobachter gestaltet:

„Wenn der Leopard vor mir steht, ist es ein großer Leopard, während ‚der da hinten am Waldrand‘ ein kleiner Leopard ist.“ Dan Everett, Die Sprache der Pirahá

Heute lernen Kinder schon im Krabbelalter, dass ihre Augen lügen müssen, weil ein Bauklötzchen immer gleich groß zu sein hat, egal ob es gerade in den Händen gehalten wird, oder „da drüben“ in der Schublade verborgen liegt. Ihre Weltsicht wird durch kulturelle Erziehung linear verformt, so als habe alles einen Anfang (Ursache oder Geburt) und ein Ende (Wirkung oder Tod), und als existierten die Dinge objektiv und unabhängig von dem, was persönlich wahrgenommen wird.

Vor zehntausend Jahren war die Welt Gegenwart.

Die Erinnerung der Nomaden an ihr letztes Stammeslager verblasste im Weiterziehen. Die Zukunft in weiter Ferne war ihnen wahrscheinlich unbedeutend, weil sie nicht unmittelbar beeinflusst werden konnte.

Sie verlief, sich stetig rhythmisch wandelnd, immer gleich und kehrte so scheinbar stets wieder in die Vergangenheit zurück. So als werde das Sterbende (im Winter) immer wieder (im Frühling) wiedergeboren.

Der Tod scheint in der Vorstellung des ewigen Kreislaufes nur als eine vorübergehende, wenn auch mit Schmerzen verbundene, Erscheinung zu sein, die für Krieger bedeutungslos zu sein hatte.

Am Anfang war „das Gute“

Der Gegensatz zwischen „Gut und Böse“ ist wenige tausend Jahre alt. Zuerst musste „das Gute“ geboren werden, bevor etwas benannt werden konnte, das „nicht gut“ ist.

Pflanzen und Tiere sind „weder gut noch böse“.

Je nach Art kooperieren sie, oder sie fressen sich. Sie unterscheiden „nützlich oder schädlich“ für den Zellhaufen, der sie ausmacht. Sie befriedigen die Bedarfe ihres inneren Gewimmels. Sie wehren das sie umgebende Chaos ab.

Unsere Vettern, die Schimpansen sind schon weiter: Sie können andere erschlagen und Krieg führen. Ihre Zampanos herrschen so lange, bis ein stärkerer sie entthront oder umbringt. Wer ihrer Bedarfsbefriedigung nutzt, wird gönnerhaft belohnt, wer sich dagegen auflehnt, bekämpft und unterworfen.

Die ersten Menschen konstruierten übergeordnete Machtsysteme.

Ihre kulturell erworbenen Hirnprogramme spiegelten das Verhalten ihrer Sippen: allen Tabu, Rituale und Regelsysteme, die den Stamm zusammenhielten. Das immer wieder von außen Gehörte und Erlebte, beherrschte sie. Und nicht nur die affenartig äußeren Machtdemonstration.

Etwas in ihrem Inneren erschien ihnen als Vision, Stimme, Orakel, Erscheinung oder Traum, und lenkte sie. Im Zustand von Besessenheit wurden sie zu Opfer-Ritualen und Tabu-Gehorsam gezwungen: gegen direkte persönliche Interessen. Das, was wir heute Psychose nennen würden, nutzte damals dem Erhalt der eigenen Gruppe. Denn es half Frühmenschen, sich gewaltsam gegen andere zu behaupten, die von fremden Visionen gesteuert wurden. Ihre jeweiligen Trance-Geister waren ähnlich herrschsüchtig, verführerisch, gewalttätig, unberechenbar, geil, wirr, eifersüchtig und egoistisch. Besonders brutal gebärdeten sie sich, nachdem es den Herrschern versklavter Bauern gelang, die Nomaden ihres Umfeldes zu verdrängen.

Echnaton: Sonnenhymnen, Reclam 2007. „Die Sonne“ vertreibt die Willkür der Tance-Rituale der alten (entmachteten) Priester. Sie durch dringt alles. Sie wirkt nutzbringend. Für alle Wesen und Ausdrucksformen des Universums. Sie ist ohne Ausnahme „gut“, für die Gesamtheit dessen, was existiert: Erde, Pflanzen, Tiere, Menschen.

Die Erfindung des Guten

Vor etwa 3.400 Jahren verbannte Amenophis IV die Herrschaft widerstreitender Stimmen in die Unterwelt seines Bewusstseins. Er definierte ein, der Besessenheit übergeordnetes, Prinzip des Guten, das alles durchstrahlte. Und stufte sich selbst zurück, vom lebenden Gott (Pharao) zu Echnaton, dem untergeordneten Diener. Sein „Gutes“ kannte kein Böses. Aber es war schwach. Nach seinem Tod wurde es durch eine Gegen-Revolution frustrierter Trance-Priester weggefegt, und der Name des Ketzers Amenophis IV wurde aus der Liste der Pharaonen gestrichen.

Auch Zarathustra, der zweite große Religionsstifter des Westens, erschuf zuerst das „Gute“. Das Prinzip eines alles durchdringenden, in sich ruhebenden Gottes (Ahura Mazda). Allerdings gestand er den Menschen die Freiheit zu, sich aktiv für „Gutes Denken, Gutes Reden, Gutes Handeln“ zu entscheiden. Folglich musste es für ihn einen (vorübergehend) verwirrten Geist geben, der nicht gut sei. Seither ist sein Ahriman (das Zerstörerische, Teuflische, Verderbte, Bösartige) in der Welt. Es beherrscht bis heute alle Ablenkungs- und Kriegs-Mythen.

Im ersten Gottesstaat des Zarathustra spielte Ahriman allerdings neben dem „Guten“ eine untergeordnete Rolle. Das eindeutig Böse (als rassistischer oder ideologischer Begriff) war noch nicht erfunden worden. Tatsächlich gelang es so einige Jahrhundert lang einen multi-nationalen Vielvölkerstaat in relativem inneren Frieden zusammenzuhalten (Holland 2009).

Und heute?

Wenn Zerstörerisches auf Zerstörerisches trifft, entsteht nichts Gutes. Nur schreckliche Schäden und Wunden, die bestenfalls Pausen erzwingen, beim gegenseitigen Morden. In Kämpfen gewinnt der Stärkere. Vorübergehend.

In der Evolution setzen sich langfristig die durch, die sich in friedliche Ökosysteme integrieren. „Das Gute“ ist dem „dem Bösen“ (mit der Zeit) überlegen.

Deshalb reicht es nicht, Böses abzuwehren: Wir müssen Gutes entwickeln.

Zur Geschichte des Dualismus

Nach Hippolytus von Rom (gestorben um 235) soll Zarathustra Pythagoras gesagt haben, dass „die Ursachen aller seienden Dinge von Anbeginn an zwei sind, nämlich Vater und Mutter. Und der Vater ist das Licht und die Mutter die Dunkelheit: Und die Teile des Lichts sind die Wärme, die Trockenheit, das Leichte und Schnelle, und die der Dunkelheit das Kalte, Feuchte, Schwere und Langsame. Und aus diesen, aus Mann und Frau, setzt sich der gesamte Kosmos zusammen.“ (Hippolytus: Refutatio contra omnes haereses, zitiert aus Paul Wendland: Refutatio Omnium Haeresium,1897, Nachdruck: de Gruyter Verlag

Publikation

Jaeger H: Zur Geschichte des Dualismus und der Phasen, TQJ 2022 1:14-21

Bilder zu den Urformen der Psyche

Reptilien konstruieren einen Unterschied zwischen „sich“ und anderem. Sie beurteilen, ob etwas nützlich oder gefährlich für „sie“ sei, könnten so Rivalen verdrängen, Beute machen und sich gegen Feinde verteidigen. Aber sie sind eingebettet in einen Gesamtkontext, von dem sie bedingungslos abhängen, und den sie nicht beeinflussen können.

Säugetiere erschaffen sich seit 50 Millionen Jahren zusätzlich zu ihrer individuellen noch eine Gruppenidentität, die bedeutsamer ist als das einzelne „Sein“.

Tiere konstruieren ein Proto-Selbst, Säugetiere erweitern es, und Menschen werden „sich selber bewusst“. Graphik Jäger, nach Antonio Damasio

Das Aufkeimen der Gegensätze bei Menschen

Mit der Früh-Menschen vor wenigen Millionen Jahren gewannen die sozialen Zusammenhänge noch weiter an Bedeutung. Die ersten Horden des Homo sapiens (vor vielleicht 60.000 Jahren) waren vermutlich nicht weise, aber sie verhielten sich ausgesprochen sozial. Sie trennten allmählich das große, ungeteilten Ganze auf. In Spannungspole, die für Dynamik sorgen.

Polarisierung des weiblichen und des männlichen Prinzips: Der erste Dynamo menschlicher Entwicklung. Eros bedeutet viel „Arbeit & Risiko“ und nur relativ wenig Sex (gegenüber im Vergleich Primaten). Stattdessen viel Sehnsucht (Himeros) & Verlangen (Pothos). Bilder: links und Mitte: Gobustan, Aserbaidjan, rechts: Qala, Aserbaidjan, Jäger 2019

Abbild der Psyche früher Menschen. Der Spannungsbogen zwischen Mann und Frau eingebettet in das ungeteilte Ganze. Bilder: Qala, Aserbaidjan, Fotos Jäger 2019

Frauen, Männer und (links) ein Schamane als Versöhner zwischen sichtbaren und unsichtbaren Welten. Bilder: Jäger 2019, Gobustan, Aserbaidjan, eine heilige Stätte von Nomaden des Mesolithikums (~15.000 Jahre). Eine ähnliche Fundstätte in der Türkei ist Göbekli Tepe

Prähistorische Musik: Naturgeräusche modulieren, um sich so gestaltend zu verbinden. Bilder: Klangsteine (vulkanischen Ursprungs mit inneren Lufteinschlüssen). Links: Gobustan, Aserbaidjan, rechts: Qala, Aserbaidjan, Jäger 2019. Weitere Bilder früher Instrumente: Knochenflöten , Harfen ,  „Neandertal-Musik“ , Bildersammlung

Höhlenbilder und frühe Felszeichnungen spiegeln eine den Menschen umgebende, dynamisch veränderliche Realität. Irgendwann vor 10.000 Jahren erscheinen dann abstrakte Linien und Muster. Spätestens ab dann brauchten Menschen professionelle Vermittler zwischen den Welten des Absoluten, die Alltags-Sinnen nicht zugänglich sind, und dem, was in der Gegenwart erfahren wird. Schaman*innen konnten in Besessenheits-Trance fallen, was Menschen, die begannen eigene Entscheidungen zu treffen, nicht mehr so gut gelang. Bilder abstrakter Muster: links: Gobustan, Aserbaidjan, rechts: Felsgravur in La Palma, Bild-Quelle Wikipedia

Bilder: Vergleich von Höhlenkunst (oben) & Autismus (unten). Humphrey 1998: Cave Art, Autism, and the Evolution of the Human Mind. In: Cam. Arch. Jnl 8 (02), S. 165.

Waren Psychosen und Autismus früher normal?

Die Analyse der Höhlenzeichnungen in Europa und auch in Südafrika lassen Psychologen (wie u.a. Nicolas Humphrey) vermuten, dass sich die Künstler in einem psychischen Ausnahmezustand befanden. Vielleicht war das, was wir heute Psychose nennen, damals der Normalzustand.

Das Gehirn von Homo sapiens hat sich zwar seit mehr als 50.000 Jahren nicht mehr anatomisch verändert, aber die Art, wie es genutzt wird, muss rasante Wandlungen durchlaufen haben, die zu psychischen Zuständen führten, die uns heute merkwürdig erscheinen.

Hirnforscher betonen den stark symbolischen Charakter früher Kunst (u.a. Ramachandran 1999)

Die „Venus von Hohefels“  war nach Ramachandran nicht etwa ein ungeschickt-stümperhafter Versuch, eine Frau realistisch abzubilden. Sondern umgekehrt eine genial-groteske Übertreibung von Signalen, die bei Betrachtung oder der Berührung in einem Jäger ein bestimmtes (heldenhaftes) Verhalten anregten: Sie verhalfen zur Ausschüttung von Überträgerstoffen im Gehirn (Dopamin u.a.) Ähnlich wie der Zaubertrank des Druiden, der den Kriegern die Illusion übernatürlicher Kräfte vermittelte.

Die Kunst spiegele so bestimmte Geisteszustände, was auch die Untersuchungen des Archäologen David Lewis-Williams zu bestätigen scheint. Er fand dort deutliche Ähnlichkeiten zwischen den 30.000 Jahre älteren Steinzeit-Picassos in Südfrankreich und erst zweihundert Jahre alten Höhlenmalereien der San In Südafrika (Video): In den in Raum und Zeit weit auseinander liegenden Kunstzeugnissen schienen visionäre Verzerrungen und stilisierte Muster für psychotische Zustände sprechen.

Bis heute suchen Schamanen Zustände veränderter Realitätswahrnehmung auf, um in Welten einzutauchen, in denen sich das Alltags-Bewusstsein verliert. Sie versetzten sich durch Rituale, Tänze oder Halluzinogene in Trancezustände und irrten dann durch das unsichtbare Paralleluniversum. Anschließend versuchen sie das, was sie dort erlebten, durch künstlerisches Schaffen, Tänze, Gesänge oder prophetische Erzählungen wiederzugeben.

Kunst im psychischen Ausnahmezustand (in prähistorischen Zeiten möglicherweise der Normalzustand): „Wenn ich arbeite, werfe ich mich ins Leere. In etwas, das stärker ist als ich.“ Joan Miró – Fotos: Ateliers-Wände von Joan Miró, Palma de Mallorca, Jäger 2018 / „What gives this art its power, is that it makes us dream.“ Clottes 2016

Kasai Teppiche
Kasai-Teppiche, abstrakte Muster der Realität, in Trance erschaffen. Trance ist gekennzeichnet durch ungeteilte Verbundenheit. Für auftrennendes (duales) Denken ist dort kein Platz. Dem. Rep . Kongo. Fotos: Jäger, Kinshasa 1990

Mehr zu Kunst und Trance

  • Clottes, Jean (2016): What Is Paleolithic Art? Cave Paintings and the Dawn of Human Creativity. Univ of Chicago Press. http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=4437849.
  • Jaynes J: Der Ursprung des Bewusstsein, rororo 1993, pdf-download, Video-Vortrag
  • Williams G: What is it like to be nonconscious? A defense of J. Jaynes. Phenom Cogn Sci 2011, 10:217-239
  • Bräuer K: Julian Jaynes und Bewusstsein, Philosophische Aspekte der modernen Physik, Uni Tübingen 2014, pdf-download
  • McGilchirst: The Master and his Emissary (2010), The Divided Brain and the Search for Meaning: Why We Are So Unhappy (2012)

Die Philosophie des ungeteilten Kreises

Das Symbol der Schlange, die sich selber frisst. Ouroboros, das Bild des ewigen Werdens und Vergehens in einem großen Ganzen. Der Mensch als Teil göttlich durchwebter Natur. Bild: Wikipedia. Zitat: „Erste Darstellung des Ouroboros auf dem zweiten Sarkophagschrein des Tutanchamun („Änigmatisches Unterweltsbuch“) Ägyptisches Museum Kairo: Material aus dem Grabschatz des Königs Tutanchamun, 18. Dynastie, Neues Reich

Der sich selbst fressende Drache. Das ewige (bewegte oder unbewegte) Universum, das ‚Alles‘ (oder auch ‚Nichts‘) enthält. Links: Neumann 1949 (neu Patmos 2004), rechts: Bild aus Wikipedia von Theodoros Pelecanos aus Synosius, einem alchemistischen Traktat um 1648.

Moderner Ouroborus. Modeschmuck in Aserbaidschan. Bilder: Jäger 2019

Die ewige Flamme

Südlich des Kaukasus tritt Erdgas aus Felsspalten und brennt so seit Tausenden von Jahren. Bild rechts: Yanar Dag (brennender Berg), Aserbaidschan, Jäger 2019. Links. Buta: Feuer-Symbol ewig verströmender Energie. Quelle: Buta-Film 2011

Buta im Alltag. Links: Flame-Tour in Baku. Mitte: Alltagskleidung. Rechts: Teppich aus Shirvan, Aserbaidschan. Fotos: Jäger 2019

Zwei Buta’s verschwimmen zu etwas Neuem. Vorlage: Muster für Textildruck aus Aserbaidschan, Zeichnung: Jäger

Die Schlange teilt den Kreis

Die Ouroboros-Schlange hört auf, sich selber zu fressen. Sie kriecht durch den Kreis nach oben und teilt ihn in zwei gleiche Hälften. In Aserbaidschan von der Historikerin, die das Objekt in den Händen hält, „Todes-Symbol“ genannt: Der ewige Kreislauf wurde unterbrochen. Ab jetzt gibt es „Anfang & Ende“, „Geburt & Tod“. Das Objekt stammt aus der frühen Eisenzeit Aserbaidschans. Nationales Geschichtsmuseum in Baku. Vielleicht 2.500-3.000 Jahre alt. Bilder Jäger 2019

Ähnlichkeiten und mögliche Beeinflussungen entlang der Seidenstraße: Links außen: Der ewige leere Kreis, der alles umfasst (Ouroboros, die Schlange, die sich selber frisst, chinesisch Wuji, das umfassende Nichts). Links innen: Die Schlange, die irgendwann südlich des Kaukasus den Kreis zerteilte und so die Linearität von Geburt zu Tod einleitete. 3. zwei aneinandergelegte Buta-Flammen. 4. Taiji: der höchste Gegensatz maximaler Widersprüche, die ohne inneren Energieverschleiß rundlaufen, weil sie durch ein großes Ganzes zusammengehalten werden. Das Symbol perfekter, reibungsfreier, dynamischer Dualität.

Drachen töten

anubani_inanna_naramsin

Das alte Herrschaftskonzept der starken jungen Frau und des männlichen Helden zerfiel mit der Entstehung bäuerlicher Frohn und der Verstädterung. Links: vor 4.300 Jahren schenkte Anubani von Lulubi (Persien: Zagros, Kermānschāh) noch der Kriegs-und-Liebes-Göttin Inanna Gefangene. Allerdings besiegte ihn wenig später Naram Sin (der „Weltherrscher von Akkad“) (Stele rechts). Inanna verschwand in die Unterwelt, und Naram Sim huldigte nun dem männlichen Gott Enil. Bilder: Wikipedia. Das Gilgamesch-Epos erzählt von dieser frühen Bewusstseins-Revolution. Wenige hundert Jahre später wird sie dann in Mesopotamien mit der Vernichtung des weiblichen Tiamet-Drachen durch den männlichen Gott Marduk abgeschlossen. Seither wurden in vielen späteren Kulturen mythischen Schlangen und mythologische Drachen getötet (und so die alten Symbole der nomadischen Herrschaftsprinzipen starker Frauen und Männer beseitigt). Picasso beschrieb diesen bis heute brutal geführten Krieg in einer Stierkampf-Serie. Sie huldigt der Ermordung des alten Eros-Machos der Jäger und Sammler (symbolisiert als gewaltiger Stier) durch den modernen Reiter, der nun die Natur beherrscht. Sein Sieg wird bis heute gefeiert. (Picassos obsession with bullfighting. Guardian 2017). Statt Erotik und zirkulärer Weltsicht herrscht nun lineare, zielorientierte Macht.

Dualismus in China

In China durfte der Drache im Himmel überleben. Als Mutter, die den Sohn des Himmels, den Kaiser, beschützt. Ausschnitt einer Nachbildung des Throns des Qin Shi Huang Di. (Foto Jäger, Ausstellung „Die Soldaten des Kaisers“, Bremen 2018)


Die Erfindung der binären Logik aus der ursprünglichen dualen Teilung (in Tag-Nacht, Plus-Minus, Schwarz-Weiß …): Aus der weiteren Aufteilung in vier Varianten (stark-hell, schwach-hell, stark-dunkel, schwach-dunkel) ergeben sich acht Trigramme (Bagua). Aus deren Zweier-Kombination werden 64 Worte gebildet. Ähnlich, wie bei der DNA, die ein Alphabet aus vier Buchstaben besitzt (die Nuklein Basen G, U, A, C). Aus ihnen entstehen ebenfalls 64 Worte. Grafik: Jäger 2015

Dualismus im Westen

Im medisch-persischen Vielvölkerstaat wurde der monotheistische Dualismus vor 2.600 Jahren durch Kyros II und Dareius den I. zur Staatsreligion erhoben. Einige Hundert Jahre zuvor hatte Zarathustra den Kampf des Guten (des Einheitsgottes Ahura Mazda) gegen das Böse (den Teufel Ahriman) beschworen. Der „Eine Gott“ werde zwar siegen, und so den Dualismus einst wieder auflösen, aber bis dahin müsse sich der Mensch aktiv (für das Gute) entscheiden. Nach dieser Weltsicht galt Feuer als Symbol ewig fließender (göttlicher) Energie, das die Elemente, aus denen die Welt bestehe, durchdringe und ineinander verwandele. Zarathustrische Tempel wurden viereckig gebaut und bargen in ihrer Mitte eine ewige Flamme: Ateshgar, Aserbaidschan (erbaut über einer natürlich brennenden Erdgasquelle, Bilder: Jäger 2019). In Ateshgar behauptet man heute, die Kanten des Tempels symbolisierten die vier „griechischen“ Elemente „Feuer, Wasser, Luft, Erde“ und die Flamme die „Quintessenz“ (die Wandlung). Allerdings ist die Lehre des Zarathustra einige hundert Jahre älter als die „griechische Elementenlehre“, aus der später das erste Medizinmodell entstand.

Teppich mit Bildern der großen Herrscher des medisch-persichen, monotheistischen Vielvölkerstaates, der den Dualismus von Gut und Böse zur Staatsreligion erhob. Oben unter dem Zeichen des Zorastrismus (dem erleuchteten Menschen, dessen gute Gedanken, Taten und Handlungen ihm Flügel verleihen) sitzt Kyros II der erste zoroastrische Herrscher. Er ist für den Westen deshalb von Bedeutung, weil es ohne ihn die drei, auf dem Alten Testament fußenden Religionen (so) nicht gäbe. Denn er war als von Gott gesandter Heilsbringer von der jüdischen Elite im babylonischen Exil empfangen worden, und ermöglichte nicht nur deren Rückkehr. Sondern er schützte auch das Wachstum und die Ausreifung des jüdischen Monothesimus, dessen Wurzeln auf die Herrschaft des Pharao Amenophis IV – Echnaton zurückreichen. Der Gott Zarathustras war allerdings nicht parteiisch. Er glich eher einem energetischen Fluss, der alles durchdringt. Verwandt der Vorstellung, die Baruch de Spinoza im 17. Jhh. formulierte: „Es gibt nur Eine, alle Determination und Negation von sich ausschließende, unendliche Substanz, welche Gott genannt wird und das ein Sein in allem Dasein ist.“ Ateshgar, Aserbaidschan (Jäger 2019)

Die Philosophie des Zarathustra blieb nach der Invasion Alexanders in einem kleinen Landesteil des neuen Großreiches unberührt. In den übrigen eroberten Regionen wurde stattdessen die Religion der Gottesmutter und des Heilands (Soter) propagiert. Der Herrscher des Südkaukasus, Atropates, ein General der medisch-persischen Armee, konnte durch geschicktes Verhandeln eine Autonomie für sein Land erreichen. Hier blieb der Monotheisus des Zarathustra weitgehend intakt, was Jahrhunderte später seine Renaissance unter den Sassaniden ermöglichte. Bild: Artopates trifft Alexander den Großen. National Museum of History of Azerbaijan.

Zoroastrisch dualistische Ideen prägen alle drei anderen großen Weltreligionen (Gut-Böse, Himmel-Hölle, Gott-Teufel). Aber auch andere östliche Interpretationen des Dualismus sickerten in den Westen. Das ist leicht verständlich, angesichts der wechselnden Herrschaft über den Südkaukasus und der intensiven Handelswege von und nach Indien und China. Die Sassaniden dehnten ihren Herrschaftsbereich im 6. Jhh (in Konkurrenz zu Ost-Rom) bis nach Jerusalem aus. Die zoroastrische Religions-Philosophie war kurz vor der Ausbreitung des Islam im ostlichen Mittelmeerraum und auf der arabischen Halbinsel sehr präsent. Bilder: links: Felsinschrift eines römischen Legionärs, Gobustan, Aserbaidjan. Rechts: Schildwappen der weströmischen Infanterieeinheit armigeri defensores seniores (um 430 n. Chr.) mit dem vermutlich aus China stammenden Yin-Yang-Symbol.

In der chinesischen Philosophie vollzog sich die Wandlung der großen Gegensätze im Rahmen eines form- und namenlosen Ganzen. Zarathustra sah (ähnlich wie Heraklit) alle Existenz durchflutet von einer unaufhörlich fließenden Energie. In Europa dagegen zerbrach der Dualismus in kategorische Gegensätze. Die Erschaffung eines trennenden, parteiischen Gottes belohnte Gläubige und bestrafte Ungläubige (Bild links: Jan Assmann, Totale Religion. Wien 2016). Aristoteles erfand ergänzend die begriffliche Wahrheit, das sichere und beweisbare Wissen (Episteme). Bis dahin war die europäische Philosophie „zu gut um wahr zu sein“ (Zitat: Karl Popper, Die Welt des Parmenides, 1998). Seither ist das westliche Weltbild von starken Gegensätzen geprägt, die sich ausschließen: wahr-unwahr, richtig-falsch, gut-böse, materiell-geistig, …. Erstaunlicherweise, denn der technische Fortschritt wäre undenkbar, ohne eine Physik, die seit 100 Jahren ungeteilte Systemzusammenhänge und die Subjektivität von Beobachtungen wahrnimmt.

Eine Aussage kann nicht nur wahr, falsch oder sinnlos sein, sondern auch imaginär.
Laws of Form , George Spencer Brown (1923-2016) .

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Letzte Aktualisierung: 22.11.2023