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18. März 2023

Medizin-Müll (Medical waste)

Mikro-Plastik

Plastik-Müll-Pandemie seit 2019. Wang 2023

Jedes Jahr werden über dreihundert Millionen Tonnen Plastik produziert.

Zehn Millionen Tonnen davon gelangen in die Ozeane, und werden dort von Walen und Fischen aufgenommen. (NOC 2023) Seit 1950 habe die Menschheit 180 Millionen Tonnen Plastik in die Weltmeere gelangen lassen. (NZZ 18.12.22)

Weltweit schwämmen etwa 270.000 Tonnen Kunststoff im Meer oder lagerten sich in der Tiefsee ab. Sie sammelten sich in den Ozeanen in Müllteppichen oder in Müllstrudeln: schwimmenden Inseln aus Einmal-Flaschen, Joghurt-Bechern und Badelatschen. Von den „Vereinten Nationen“ wird die Plastikverseuchung als gefährlicher für die Meeres-Gesundheit eingeschätzt, als die Verschmutzung durch Öl. (Guardian 10.10.2021)

Winzige Mikroplastikpartikel befinden sich auf allen Berggipfeln der Erde. Ein gigantischer Mikroplastik-Kreislauf zirkuliert in der Biosphäre, unter Einbeziehung aller Böden, Luft, Wasser, und der Lebewesen. (Allen, 2021, Alfaro-Núñez 2021)

Screenshot: NZZ 18.12.2022

Pro Tag kann ein Blauwal, der sich von Krill ernährt, zehn Millionen Stück Mikroplastik aufnehmen. Ein Buckelwal, der sich von Fischen ernährt, nimmt ~200.000 Stück Mikroplastik pro Tag zu sich. (Kahane-Rappot 2022)

Das aufgenommene Plastikmaterial schädigt das Mikrobiom von Fischen und Meeressäuger, und damit ihr Immunsystem. (Nugrahapraja 2022)

Krankheits-Müll

„Wenn es hässlich aussieht, ist es meistens auch falsch.“
Rat eines Chirurgen, Reutlingen 1986.

Stolz berichtet die GiZ von ihrem „Schwerpunkt der Umweltgesundheit“ – den es ohne die „Gesundheitsprogramme“ (u.a. der GiZ) nicht gegeben hätte. PodCast: Healthy developments 30.03.2021 (Podcast)

Nach medizinische Eingriffen müssen Handschuhe, Kittel, Ausrüstungen und Atem-Schutzmasken entsorgt werden. Und ebenso: Tupfer, Verbände, Einmal-Plastik-Material, Medikamente, Verpackungen, Nadeln, Chemotherapeutika, chirurgische Instrumente u.v.a.

In vielen Ländern wird dieses Gift einfach irgendwo hinter den Gesundheitseinrichtungen abgeladen.

Feste Bestandteile werden mit dem allgemeinen Abfall vermischt und auf gewöhnliche Mülldeponien verbracht. Oder auch einfach vor Ort – qualmend hinter dem Krankenhaus – verbrannt.

Risiko Krankenhaus. Bilder: Jäger, Tansania 1983

Abwässer enthalten Ausscheidungen nach Chemo-, Antibiotika- oder (Reste von) Radio-Therapien, Labor-Reagenzien, Desinfektionsmittel, Infusionsflüssigkeiten oder Lösungen mit Chemikalien, Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln. Häufig werden in allgemeine Kläranlagen, oder auch (ungeklärt) direkt in Flüsse oder ins Meer eingeleitet.

Mehr Krankheit durch mehr Medizin

Bis 1980 wurden im Gesundheitswesen weltweit überwiegend Glasspritzen, und Injektionsnadeln und chirurgische Messer aus Metall verwendet. Dieses Kleinmaterial musste, ebenso wie die größeren Operationsinstrumente immer wieder gesäubert und sterilisiert werden.

Oft war die Desinfektion wiederverwendbarer Instrumente und Materialien unzureichend. Dann wurden Krankheitserreger übertragen, insbesondere Hepatitis C und HIV.

Um das Problem der Infektionsübertragungen durch medizinische Institutionen zu lösen, wurden durch die WHO u.v.a. wiederverwendbare Spritzen, Nadeln, Operationsmesser und kleine, chirurgische Gebrauchsgegenstände nach und nach durch ‚Einmal-Material‘ ersetzt.

Erfolgreich: Denn die Übertragungsrisiken sanken.

Aber nicht überall. Und langfristig war der Nutzen nicht so eindeutig. Denn die Einführung von ‚Einmal-Material‘

  • führte zu einer erheblichen Ausweitung medizinischer Anwendungen und Interventionen.
  • In Ländern mit beschränkten Ressourcen wurde (nicht sterilisierbares) Einmalmaterial manchmal wiederverwendet. Selbst dann, wenn es „selbstzerstörend“ konstruiert sein sollte.
  • Und für Drogenabhängige war und ist ‚Einmalmaterial‘ leicht zugänglich. Der Gebrauch intravenöser Drogen drastisch nahm zu.
Bilder: Jäger, Laos 2020. Oben links: Geburtshilfe, Oben Mitte: Elektroschrott, oben rechts: Eimer vor Patient-Unterkunft zur Müllverbrennung, unten links: Müllwerker im Krankenhaus, unten rechts: Chirurgie mit importiertem Einmalmaterial.

Die Risiken für die Übertragung von Hepatitis C und HIV (trotz ‚Einmaterial‘-Verwendung) wurden seit 1987 intensiv untersucht. Eigentlich hätten Ende der neunziger Jahre bei der WHO angesichts dieses globalen Gesundheitsrisikos die Alarmglocken schrillen müssen.

Man hätte darauf hinwirken müssen, medizinische Interventionen, die mit Nebenwirkungen verbunden sein könnten, auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Das Gegenteil war der Fall.

Die Einführung von ‚Einmal-Material‘ führte zu einem drastischen Anstieg von Krankenhausmüll. Und die Gefahren, die sich daraus ergaben, wurden aber nicht ernst genommen. (Gisselquist 2008)

Weltweit verfügen ein Drittel der Gesundheitseinrichtungen über kein sicheres System der Müll-Entsorgung. (WHO 2023)

Covid-19

Die COVID-19-Pandemie führte zu einem starken Anstieg der Abfälle im Gesundheitswesen.

Desinfektions- und Schutzmaßnahmen, die Anwendung von „FFP2-Alltags-Masken“, Testsysteme uva. wurden massiv ausgeweitet. (Lancet 13.08.2020).

In den USA versechsfachte sich der Anfall von Gesundheits-Müll vorübergehend. (TheVerge 26.03.2020) In den ersten anderthalb Jahren der Pandemie seien > 8,4 Millionen Tonnen Covid-19-Kunststoffmüll produziert worden.

„Der Anteil der Masken in den Abfällen stieg infolge der COVID-19-Gesetzgebung um das 80-fache, von <0,01 % auf >0,8 %. Der Anteil von Handschuhen und Tüchern, der vor der Pandemie bei ~0,2 % der Abfälle lag, verdoppelte sich auf 0,4 % … Die Handschuhabfälle nahmen in der Anfangsphase der Pandemie zu, gingen aber nach der Einführung der Gesichtsmaskenpolitik zurück, woraufhin der Anteil der Gesichtsmaskenabfälle zunahm. Nationale COVID-19-Strategien und internationale Verlautbarungen und Empfehlungen der WHO sind wahrscheinlich eine treibende Kraft für die Dynamik der Abfälle, insbesondere für die Umsetzung von Gesichtsmasken-Strategien. …“ freie Übersetzung (Roberts, Nature 2021)

Die über sechstausend Krankenhäuser der USA verbrauchten pro Mitarbeiter:in täglich mehrere Masken, Handschuhe und Kittel. Der Abfall (inklusive Spritzen, Verpackungen, Desinfektions- und Medikamentenreste) landet typischerweise auf gewöhnlichen Mülldeponien. Bereits vor der Pandemie galt Medizinmüll als der zweitgrößte Verursacher von Deponieabfällen. Beckers Hospital Review 06.04.2021 Die Verbrennung von Müll zählt zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen und Luftverschmutzung.

Von März bis Oktober 2020 soll allein die Zahl nicht ordnungsgemäß entsorgter Masken um das mehr als 80-Fache angestiegen sein. In Großbritannien machten Masken mehr als fünf Prozent aller achtlos weggeworfenen Abfälle aus. (Roberts 2021)

Die Autoren einer Studie der Nanjing Universität schreiben, die zusätzlichen medizinischen Plastikabfälle, die bis Ende August 2021 in den Meeren „entsorgt“ worden seien, entsprächen 1,5 % aller weltweit über Flüsse eingetragenen Plastikabfälle. (Peng 2021)

„Zehntausende Tonnen zusätzlicher medizinischer Abfälle im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie haben die Abfallentsorgungssysteme des Gesundheitswesens weltweit enorm belastet, und die Gesundheit von Mensch und Umwelt bedroht … Der WHO Report stützt seine Schätzungen auf die rund 87.000 Tonnen persönlicher Schutzausrüstung, die zwischen März 2020 und November 2021 beschafft und im Rahmen einer gemeinsamen UN-Notfallinitiative zur Deckung des dringenden COVID-19-Bedarfs der Länder versandt wurden. Es wird erwartet, dass der größte Teil dieser Ausrüstung im Abfall gelandet ist. …“ (WHO 01.02.2023)

Zusätzlich nahm im Rahmen der Quarantäne-Maßnahmen auch der Anfall von allgemeinem Haushaltsmüll zu (Wang 2023, BBC 01.0223, Beispiel Niedersachsen: Anstieg um 4% seit 2019, LSN 14.03.2023)

Guardian 10.10.2021: „… Der giftigste Müll von dem man gehört hat …“

Die Menschheit muss neu denken

Mikroorganismen, die ihren Wirt mit immer mehr Abfallprodukten vergiften, verspielen ihre evolutionären Chancen. Besonders gut ist dieses Phänomen an Cholera-Bakterien untersucht.

Langfristig setzen sich in der Regel nur anpassungsfähige Varianten von Lebewesen durch, die sich in ein Ökosystem integrieren können.

Dieses allgemeine Evolutionsprinzip trifft natürlich auch auf unsere Spezies zu, wird aber bisher noch nicht ernst genommen. Im Gegenteil: Der Umgang mit der Covid-19-Pandemie hat tunnelartiges Denken verstärkt. Ein scheinbar im Vordergrund stehendes Problem müsse zuerst ausgerottet werden. Bevor es möglich sei, sich über Resilienz in friedlichen Ökosystemen Gedanken zu machen. Kollateralschäden müssten (wie in allen Kriegen) in Kauf genommen werden. Erst wenn „das Virus“ kontrolliert sei, könne man sich wieder anderen Problemen zuwenden.

Steinzeitliches „Problembär-Erschlagen“

Vor 30.000 Jahren konnten unsere Nomaden-Vorfahren gerodete Wälder, verbrannte Ackerflächen und vermüllte Lagerstätten hinter sich zurücklassen.

Heute ist das ausgeschlossen. Das Verständnis für die Ökosysteme, in denen wir leben, und die uns ausmachen, müsste deshalb an Bedeutung gewinnen. Politiker:innen müssten nach Strategien suchen, die alle das Wohlergehen aller Lebewesen der Erde gleichermaßen günstig beeinflussten. Sie müssten mit Interventionen vermeiden, die Kollateralschäden erzeugen. Aus Fehlern müssen sie lernen und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen.

Um als Gattung Mensch in der Evolution weiter überleben zu können, müssten wird dringend damit beginnen, Gesamtzusammenhänge ernstzunehmen und zu verstehen.

Mehr

Plastik-Pandemie

  • Allan S: Evidence of free tropospheric and long-range transport of microplastic at Pic du Midi Observatory Nature Communications 2021, 12:7242
  • Alfaro-Núñez A et al: Microplastic pollution in seawater and marine organisms across the Tropical Eastern Pacific and Galápagos Nature Nature 2021, Scientific Reports 11:6424
  • Kahane-Rapport et al: Field measurements reveal exposure risk to microplastic ingestion by filter-feeding megafauna, Nature communications, 2022, 13:6327, https://www.nature.com/articles/s41467-022-33334-5
  • Lenz H: Zur Hölle mit uns Menschen, Komplett-Verlag 2017
  • Nugrahapraja H et al: Effects of Microplastic on Human Gut Microbiome: Detection of Plastic-Degrading Genes in Human Gut Exposed to Microplastics, Environments, 2022, 9(11), 140; https://www.mdpi.com/2076-3298/9/11/140
  • Peng Y et al: Plastic waste release caused by COVID-19 and its fate in the global ocean. PNAS November 23, 2021 118 (47) e2111530118
  • Roberts K et al.: Increased personal protective equipment litter as a result of COVID-19 measures, Nature Sustainability 09.12.2021, https://doi.org/10.1038/s41893-021-00824
  • Wang Q etal: Plastic pollution induced by the COVID-19: Environmental challenges and outlook, Environmental Science and Pollution Research, 2023:1-22. doi: 10.1007/s11356-022-24901-w.
  • WHO: Global Analysis of Health Care Waste in the Context of Covid-19, WHO 01.02.2023

Infektionen im Medizinsystem

Medizinische „Masken in Alltag“

Bild Jäger, Laos 2020, Müllgrube hinter dem Krankenhausgelände

Nosokomiale (medizinsystem-verursachte-) Infektionen

Letzte Aktualisierung: 31.05.2023