5. April 2023

Fragen

Text: Helmut Jäger, Eva Hampel 2010

Fragen sind wichtiger als Antworten

Vielleicht, weil Fragen Unsicherheit und Blößen aufzeigen. Wer Fragen stellt, kann auf Ablehnung stoßen und deckt mitunter Widersprüche auf, die dem Gegenüber unangenehm sind. Neben solchen Unannehmlichkeiten zwingen Fragen zum eigenen Denken. Und dazu fehlt uns oft die Energie, besonders in Krankheitszeiten.

Im Gesundheitswesen werden Antworten betont. Darum ist gerade hier die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen, besonders wichtig. Nur so können Sie unter den empfohlenen Lösungswegen, die für sich selbst am besten geeigneten herausfinden. Der Antworten gibt es viele; um die für Sie richtige herauszufiltern bedarf es kluger Fragen.

Fragen unterbrechen. Antworten leiten Handlungen ein

Ein pickender Vogel schaut zwischen jedem Körnchen in alle Richtungen, ob keine Gefahr droht. Ein Tischler legt den Hobel beiseite, und lässt die Hand über die Holzoberfläche gleiten, bevor er den Hobel erneut ansetzt. Mit fragendem Verhalten öffnen wir unsere Wahrnehmungsfähigkeit. Wir prüfen und bewerten die einflutenden Eindrücke, um sie wieder zu konzentrieren, einzuengen auf die nächste Antwort, um dann die begonnene Tätigkeit wieder aufzunehmen, sie zu verändern oder auch zu beenden. Fragendes Verhalten erfordert etwas Zeit, und Innehalten, damit die Wahrnehmung nicht gestört wird.

In Notsituationen, in denen keine Zeit bleibt, bieten sich scheinbar nur die Alternativen, spontan zu handeln, oder andere handeln zu lassen. Aber selbst Tiere auf der Flucht bleiben abrupt stehen, obwohl sich dann der Abstand zu den Verfolgern deutlich verringert. Durch Umschau entdecken sie einen rettenden Weg, der vielleicht eine dramatische Kursänderung erfordert. Fragen unter Stress erfordern die Selbstsicherheit, unmittelbare Bedrohungen kurz auszuhalten.

Innehalten und Fragen. Bild Gerd Falkenberg

Neugier, Forscherdrang, Interesse und Skepsis an überkommenen Meinungen fallen uns leichter in weniger dramatischen Situationen. Aber selbst dann gehört zum Fragen der Mut, zuzugeben, etwas nicht zu wissen.

Die Evolution hat bei Fischen aus guten Gründen auf die Fähigkeit, Fragen zu stellen, verzichtet: Ein fragender Hering würde sich neugierig außerhalb seines Schwarms begeben und dann gefressen werden. Auch höhere Tiere, wie die Schafe, trotten in der Masse, die ihnen Geborgenheit, und Sicherheit bietet. Nur

Menschen sind offenbar in der Lage auszutesten, wie viel freier Wille ihnen bleibt, um über sich selbst und ihren Weg zu entscheiden.

Gute Fragen sind aber auch tückisch, sie liefern manchmal überraschende oder unbequeme Antworten. Oder sie zeigen Fehler auf, verweisen auf Ungereimtheiten und Widersprüche unseres eigenen Verhaltens, die uns verwirren, da wir glauben mit den richtigen Antworten zu leben. Deshalb wollen wir es meist nicht so genau wissen, sondern schauen über kleine Widersprüche hinweg und hören im Zweifel nicht hin. Anfänglich kleine Fehler, aus Angst viel zu lange ignoriert, wachsen sich dann zu kleinen oder größeren Katastrophen aus.

Für Menschen, die sich trauen mit Fragen die Realität so zu untersuchen, wie sie ist, sind Fehler natürliche Folgen von Ausprobieren. Widerstreitende Meinungen sind für sie wichtige Hinweise, dass die gleiche Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen werden kann. Ein solches «fehler-freundliches» Verhalten wirkt verzögernd. Irrwege werden jedoch seltener begangen, Nebenwirkungen überflüssiger Behandlungen werden vermieden und Katastrophen geschehen seltener.

Es lohnt also, Probleme nicht sofort lösen zu wollen, sondern sich zuerst selbst zu fragen, ob eigene Antworten gesucht werden können und gefunden werden wollen, ob wir aufgedrängte Antworten skeptisch unter die Lupe nehmen können und wollen. Wir finden damit die Ursachen eigener Schwierigkeiten und beeinflussen sie wirksam. Es stärkt das Selbstvertrauen, wenn wir unsere Ideen wachsen lassen, Berge besteigen oder selber das Ruder der Segeljolle halten.

In diesem Text finden Sie Handwerkszeug, das «Fragen-stellen» und eigenes Denken anregen kann. Werkzeuge passen nicht für jede Situation: ein Messer kann Gemüse schälen oder Menschen verletzen. Vorsicht und Skepsis sind deshalb auch hier richtig: Was letztlich zählt, ist Ihr eigener Blickwinkel, Ihre klare Sicht, die Erweiterung Ihres Entscheidungs- und Handlungsspielraums.

Wir beginnen mit Kreativität, damit die Ideen sprudeln. Denken macht Spaß, und jedes Ding hat viele Seiten, wenn wir es hin- und herdrehen. Im Kapitel Verstehen und Klären können Sie Ihrem Ziel näherkommen, indem Sie versuchen, sich ein Bild von Ihrer aktuellen Lage zu machen. Damit ist der nächste Schritt vorbereitet, denn irgendwann müssen oder wollen Sie handeln. Manchmal ist es aber auch gut zu zögern, eine Zeit lang nicht-(zu)-handeln, zu schauen, was passiert. Besonders wichtig wird es, Klarheit zu gewinnen, wenn wir die Verantwortung für uns (oder Kinder oder Angehörige) mit anderen teilen und ggf. das Handeln anderen überlassen müssen.

Alles gesagte und Aufgeschriebene ist subjektiv

Lesen spielt sich im Bewusstsein ab, einem sehr kleinen und entwicklungsgeschichtlich neuem Teil unseres Gehirns und des Denkens. Das, was wir Bewusstsein nennen, ist sprachbegabt, denkt in Begriffen, analysiert Einzelheiten, kann Handlungen unterbrechen: «Das tut man nicht!». Für spontanes Handeln ist es zu langsam. Stellen Sie sich eine heiße Herdplatte vor: Wenn Sie erst warten, bis Ihnen klar ist, was da gerade Ihren Finger verbrennt, ist es schon zu spät. Deshalb handeln wir Millisekunden schneller als es uns selbst bewusstwird. Trotzdem halten wir Bewusstsein (kognitive Intelligenz) für die wichtigste Fähigkeit des Menschen oder überhaupt für das ICH.

Genauso wichtig ist unsere emotionale Intelligenz. Sie ist sprach-unbegabt, aber lässt uns hören, fühlen und sehen. Durch sie erleben wir Musik, Farben, Gesten, Symbole oder Bilder und verstehen Situatio­nen, Beziehungen oder Zusammenhänge. Und schließlich prägt das «Bauchdenken» unser Leben: das sogenannte Unbewusste, der Körper und die Wirk-Bezüge der Umwelt, in die wir eingebettet sind.

Wir irren, wenn wir glauben, das Bewusste habe «Bauch und Herz» im Griff und müsste, wenn einmal «der Groschen gefallen ist» nur noch Befehle erteilen, die dann widerspruchslos umgesetzt werden.

Das Bewusstsein, das Gelesenes verarbeitet und aufgenommene Fäden weiterspinnt, kann nur Impulse geben, und das ist schon sehr viel. Wirklich neue Entwicklungen entstehen aber oft genau durch das Gegenteil: dann wenn das Bewusstsein (also die bewusste Steuerung) zum Schweigen gebracht wird, durch künstlerische Tätigkeit, Tanzen, Körperarbeit oder stille Betrachtung.

Fragen, um etwas besser zu verstehen, erfordert Bewusstsein: abstrakte Informationen müssen untersucht, neu gewertet und anders gewichtet werden. Im Gesundheitsbereich ist das dringend erforderlich. Wenn Sie sich in die Hände eines Heilers begeben wollen, müssen Sie ihm vertrauen. Sie können sich dabei häufig auf Ihr «Gefühl», d.h. emotionales und unbewusstes Bauchdenken verlassen, brauchen aber ergänzend Antworten auf sehr einfache Fragen: z.B. nach Wirksamkeit, Qualität, Kosten, Nebenwirkungen oder Risiken. Gute Ärzte beantworten solche Fragen gerne, oder sie zeigen die Grenzen ihres Wissens auf, und damit rechtfertigen sie den ihnen entgegengebrachten Vertrauensvorschuss.

Zweifel sind gut – nur Personen, die etwas zu verbergen haben, fühlen sich durch Skepsis angegriffen. Sie brauchen im Gesundheitswesen einen klaren Kopf. Andernfalls werden Sie mitunter über den Tisch gezogen.

Um bewusstes Denken kommen Sie also nicht herum, ergänzt durch Ihre emotionale Intelligenz – Sie brauchen unbedingt beides.

Innehalten vor der alten Oper von Paris. Bild: Zwischenzeiten (svdf.de/archives/607)

Wie gelingt das?

Indem Sie nicht nur denken und grübeln, sondern sich auch Zeit nehmen und den Spaß am Leben erhöhen. Der Gedankenfluss sprudelt besonders ergiebig, wenn Sie sich wohl fühlen.

Im Sport gehen einer wirksamen Handlung drei Phasen voraus:

  • Loslassen: entspannen, strecken, leer werden, keine Energie mehr aufwenden für Unnötiges.
  • Zentrieren: sich auf die eigene Kraft besinnen, nach innen zum Schwerpunkt sinken.
  • Verwurzeln: die Umwelt wahrnehmen, den entscheidenden Halte- oder Hebelpunkt finden.

Beim Fragen ist es ähnlich:

  • Ruhe: Denken braucht eine angenehme Atmosphäre; niemand kann es, wenn sich die Wade verkrampft.
  • Besinnung: Die Gedanken müssen erst abebben, bevor neue Ideen eine Chance erhalten. In eine randvolle Tasse können Sie keinen neuen Tee einfüllen.
  • Öffnung: Information wird aufgenommen, bevor Meinungen oder Wertungen sie wieder aussondern. Wenn wir etwas als seltsam, unvertraut und merkwürdig einstufen, dann ist das immer ein guter Anlass, neugierig zu werden.

Fragen allein reicht nicht. Man muss etwas tun

Antworten ohne Fragen führen in falsche Richtungen – aber auch Handlungen, die ständig durch Zweifel, Grübeln und Entschlusslosigkeit unterbrochen werden, sind wenig effektiv.

Wenn Sie den Mut aufbringen, radikale Fragen zu stellen, rechnen Sie mit ungewöhnlichen Antworten. Am besten stellen Sie sich darauf ein, dass Sie weniger «die Dinge» oder «die Verhältnisse», als sich selbst verändern müssen.

  • Wie fühle ich mich heute?
  • Wie könnte es mir heute bestenfalls gehen?
  • Was müsste jetzt geschehen, damit es mir besser geht?
  • Los! Am besten sofort.

Kreativ sein

Kreativität ist im Grunde ein Normalzustand: die Nutzung der großen Vielfalt und der Potentiale, die wir in uns tragen. Dafür müssen wir uns nur öffnen, Gewohntes beiseite lassen, Fremdes betrachten, von eingefahrenen Denkmustern und Normen abweichen, oder Regeln und vertraute Ordnungen hinterfragen und aufheben.

Dieses natürliche Verhalten ist weder positiv noch negativ, weder gut oder schlecht, sinnvoll oder unsinnig, weder verantwortungsvoll oder verantwortungslos. Neben kreativen Künstlern stehen kreative Verbrecher, neben kreativem Sinn gibt es kreativen Unsinn.

Wer kreativ ist, muss nicht unbedingt Erfolg haben. Um festgelegte Ziele zu erreichen, folgt man besser den bekannten Pfaden. Kreativität bringt vom Weg ab und birgt deshalb Risiken. Aber es macht Spaß, setzt Energie frei und stärkt das Selbstbewusstsein, wenn etwas ganz Eigenes gelungen ist.

Kreativ können Sie sich auch widrigen Lebenssituationen anpassen, Ihre Flexibilität erhalten, Ihren eigenen Weg finden und obendrein auch noch zufrieden sein.

Kreativität-Förderer

  • Abstand und Gelassenheit
  • «Kleiner Urlaub» von der Routine
  • Unvoreingenommene Fragen
  • Neugier, Offenheit für Neues,
  • Genaues aber entspanntes Beobachten
  • Aufmerksamkeit für Zusammenhänge und unterschiedliche Blickwinkel
  • Gegenwartsbezug, Achtsamkeit für kleine Dinge
  • Experimentierfreudigkeit
  • Willkommen heißen spontaner Einfälle oder Handlungen
  • Fehlerfreudigkeit und Toleranz statt angestrengter Fehlervermeidung
  • Aushalten von Konflikten und Schwierigkeiten
  • Konfrontation mit anderen Sichtweisen, z.B. einer anderen Kultur, einem anderen Geschlecht, einer anderen Lebensphase u.a.
  • Loslassen, aufgeben und schauen, was passiert
  • Gleichförmige Bewegung (Wandern, Duschen oder Geschirr-Abspülen u.v.a.)

Die sichersten Arten Kreativität zu ruinieren

  • Befehle: «Sei kreativ!»
  • Angestrengtes Suchen: «Wo ist die eine Lösung?»
  • Druck: «Schneller!» «Besser!» «Sei gefällig!» «Hab Erfolg!»
  • Krieg gegen irgendetwas: «Bis zum Endsieg!»
  • Killer-Phrasen: «Zeitverschwendung!» «Kein Talent!» «Blödsinn!» «Das war noch nie so!» «Das wird sich nie ändern!»

Mit der Kreativität spielen!

Oben oder Unten?

Legen Sie sich bequem und flach auf den Rücken. Am besten unter freiem Himmel. Strecken sie sich aus. Behalten Sie die Augen offen und konzentrieren Sie sich auf zwei Sinneseindrücke:

  • Gewicht drückt Sie nach unten, der Erde entgegen.
  • Über sich sehen Sie vorüberziehende Wolken (oder eine Zimmerdecke).
  • Heben Sie die Arme nach oben der Decke oder dem Himmel entgegen.

Und jetzt drehen Sie Ihre Wahrnehmung von oben und unten um:

«In Wirklichkeit» kleben Sie jetzt an der Erde, diesem riesigen Ballon über Ihnen und Ihre Arme hängen nach unten in den Weltraum. Gut, dass die Erde Sie festhält, Sie würden sonst den Wolken oder der Decke entgegenstürzen.

  • Wie fühlt sich das an?
  • Brauchen Sie eine Anregung?
    Können Sie oben und unten beliebig vertauschen? Oder sträubt sich alles in Ihnen heftig dagegen, vielleicht haben sie sogar ein ärgerliches Gefühl? Wofür soll eine vertauschte Wahrnehmung von oben und unten nützen? Für gar nichts – Sie brauchen sie nicht für Ihren Alltag! Und doch merken Sie, unser übliches Oben-Unten-Gefühl ist nur eine vertraute Gewohnheit! Die andere Sicht ist mindestens ebenso gültig. Die Wirklichkeit hat immer viele Perspektiven. Kreative Menschen suchen nach unterschiedlichen, gerne auch gegenteiligen Sichtweisen und setzen sich diesen Möglichkeiten in Gedanken oder Taten aus.

Negatives oder positives Abbild?

Setzen Sie sich bequem vor eine Pflanze. Nehmen Sie wahr, aus was sie besteht: Stamm, verschiedene Äste, viele einzelne Blätter, vielleicht Blüten. Schließen Sie kurz die Augen und stellen Sie sich die Pflanze vor. Dann öffnen Sie die Augen wieder. Nehmen Sie jetzt «das Nichts», die Grenzen der Luft wahr, die die Pflanze umgibt. Konzentrieren Sie sich auf die Farbe des Hintergrundes und denken Sie, diese Hintergrundfarbe wäre durch die Pflanze ausgestanzt.

  • Wie geht es Ihnen dabei?
  • Brauchen Sie eine Anregung?
    Ihre Augen und Ihr Sehzentrum konstruieren ein Bild in Ihnen («eine Pflanze») und ordnen ihm ein bekanntes Muster zu, z.B. «eine Zimmerlinde!». Das Umgebende scheint dafür unwichtig, darum haben wir dafür kein inneres Muster und keinen Begriff. Sie können es zwar mit Übung wahrnehmen, aber nicht benennen. Wir könnten fotografisch genauso gut sehen, wenn wir statt der positiven Formen («die Radspeichen» oder «die Dachkante») die Negativ-Formen («die Zwischenräume zwischen den Radspeichen» oder «die abgeschnittene Wolken-Himmelformation») sehen würden. Aber wir tun es nicht, weil wir Negativformen nicht benennen, nicht anfassen können. Wozu soll das Erkennen von Negativformen gut sein? Für nichts anderes, als zu erleben, dass es auch andere Blickwinkel geben kann und nichts so ist, wie es uns mit unserem gewohnten Alltagsblick erscheint.

Nichts tun

Versuchen Sie fünf Minuten nichts zu tun: Schalten Sie Fernseher und Radio aus. Legen Sie sich bequem hin und bleiben Sie wach und aufmerksam. Tun Sie nichts, nehmen Sie nur die Signale Ihrer Sinne wahr. Versuchen Sie das, was Sie wahrnehmen, in Gedanken nicht zu benennen (wie «Wolke!» oder «Hund!»), und nicht zu bewerten (wie «schön!» oder «hässlich!»). Nehmen Sie einfach nur auf, was Ihnen Ihre Sinne vermitteln.

  • Wie geht es Ihnen dabei?
  • Brauchen Sie eine Anregung?
    Musizieren, Trommeln, Singen, Bildhauern, Malen, Zeichnen, Blumen stecken, Schreiben, im Garten arbeiten, im Hobbykeller, am Fahrrad, im Haus, Schwimmen, Laufen, Wandern, Tanzen, Ski-Langlaufen, Segeln, Bergsteigen, Bogenschießen, Tai Chi, östliche Kampfkünste, Feldenkrais, Sauna, Massage, Shiatsu, Yoga, Mudras, Qi Gong, Mandalas, Zen, stilles Betrachten ohne Methode u.v.a.
  • Weitere Anregung:
    «… Solange lerne man sich zu lassen, bis man nichts Eigenes behält. Aller Aufruhr und Unfriede kommt allzumal vom eigenen Willen … Ganz stille stehen und solange wie möglich, das ist dein Allerbestes … Während sich das Türblatt, das unserem aktiven Teil entspricht, bewegt, so sei doch die Angel (der innere Mensch), in der die Tür hängt, ruhig und nicht im Geringsten verändert.» Meister Eckhart (13. Jh.):

Zufälle nutzen

Schreiben Sie ein Problem oder eine Idee, die sie beschäftigt, auf ein Blatt Papier. Wählen Sie etwas aus, zu dem Sie bisher noch keine Antwort gefunden haben.

Jetzt nehmen Sie sich einen umfangreichen Roman oder eine Gedichtsammlung vor. Schlagen Sie irgendeine Seite auf:

  • Was sagt gerade diese (!) Textstelle über Ihr Problem oder Ihre Idee aus?

Sie können sich auch in ein Café setzen, auf eine Wiese oder eine Bank der Fußgängerzone. Schließen Sie die Augen bis Ihre Gedanken verklingen. Öffnen Sie die Augen plötzlich ohne besonderen Anlass:

  • Was sehen Sie als erstes?
  • Warum hat das, was Sie sehen Bedeutung?

Der Kreativität eine Chance geben

Kreativität ist der menschliche Normalzustand, den wir zulassen können, der sich aber nicht erzwingen lässt. Künstlerische Tätigkeit, gleichmäßige Belastung oder Arbeit, fließende Bewegung, Konzentration, passive Entspannung, körper- oder geist-bezogene Meditation können Kreativität in zahllosen Variationen fördern. Oft reicht es aus zu träumen, zu schlafen, langsamer zu werden, oder mit anderen Worten: für sich zu sorgen.

Egal, welche Methode Sie wählen: Sie sollte Ihnen Spaß machen. Ihr «innerer Schweinehund» entpuppt sich vielleicht als ihr «besseres Ich», wenn Sie ihm zuhören. Versuchen Sie nicht ihn zu besiegen, das gelingt Ihnen sowieso nicht. Lassen Sie sich besser von Ihrem Bauch, Ihrem Gefühl leiten. Aber was Sie auch tun, es wird Zeit, Ruhe und Geduld erfordern.

Umgang mit Kreativitäts-Killern: Stress und Zeitdruck

Wenn Sie sehr unter Druck oder Anspannung stehen, können Sie sich ein paar Tage beobachten und sich Notizen machen:

  • Welche Situationen stressen?
  • Was tue ich gewöhnlich, wenn ich mich unter Druck fühle?
  • Versuche ich Stress zu verdrängen, durch Kaffee-, Nikotin-, Alkohol-, Medikamente-, Medien-Konsum, …?
  • Wann brauche ich Stress?
  • Wie viel Zeit brauche ich, um nach einem Stressereignis wieder entspannt zu sein?
  • Kann ich das, was ich tue kontrollieren?
  • Kann ich das, was mich stresst, beeinflussen und verändern?
  • Bin ich mit der Art, wie mein Leben organisiert ist, zufrieden?
  • Was sollte sich verändern?
  • Wie kann ich stärkere Kontrolle über mein Leben gewinnen: Selber steuern?
  • Mit wem kann ich mich aussprechen? Wer kann mich unterstützen?

Sie können sich besser auf Stress einstellen, wenn Sie ihn vorhersehen. Zum Beispiel können vor einer längeren Autofahrt, Pausen und Entspannung einplanen. Auch mit der Einstellung, äußeren Stress nicht als nervend, überflüssig, ermüdend zu empfinden, sondern als Herausforderung, Chance und vielleicht auch als Spaß, verringert sich das schädigende Stresspotential.

Stressoren sind alltäglich und unbestimmbar. Aber selbst Dauer-Stress (Strain) kann noch durch Familie, Freunde und soziale Kontakte ausgeglichen werden. Es ist oft lohnender, Fähigkeiten zu fördern, wie man mit Belastungen flexibler umgehen kann, als Stressoren zu bekämpfen. Gesunde Menschen haben häufig Fähigkeiten oder Einstellungen, die Ihnen helfen, Lebenssituationen zu verstehen und ihnen Bedeutungen oder einen Sinn zu geben. Mit dieser Lebenseinstellung gelingt es ihnen offenbar gut, Stress aufzufangen, ohne daran zu zerbrechen.

Zeitdruck macht krank und Belastungen von außen sind oft wenig beeinflussbar. Aber kommt das krankmachende Gefühl des Zeitdrucks nicht aus uns selbst?

Sie können zahllose Ratgeber kaufen, um zu lernen, mit Zeit rational umzugehen. Trotzdem gibt es wohl kaum etwas Stressigeres als ein durch und durch mit «Zeit-Management» und Zeitoptimierungszwang effektiv verplanter Arbeitstag. Zeit ist keine Masse, die verschwendet oder eingespart werden könnte.

Aber Sie können langsamer werden und unnötiges weglassen. Sie können abwarten und «Tee trinken», oder Prioritäten setzen. Sie können sich auf das konzentrieren, was Ihren Stärken entspricht und Aufgaben vermeiden, in denen Sie Schwächen aufweisen. Sie können das tun, was sich beeinflussen lässt und das lassen, was für Sie unbeweglich scheint.

Wenn Sie auf den Zustand Ihrer Leistungsfähigkeit, Wachheit, Müdigkeit, Ihren Schlafbedarf und Pausen achten, regelt sich vieles von selbst.

Verstehen und Klären

ICH und meine Beziehungen zu anderen

Nehmen Sie ein leeres Blatt. Malen Sie in die Mitte einen Kreis, in den Sie das Wort ICH eintragen. Gruppieren Sie eini­ge Kreise darum herum und bezeichnen sie mit den Namen der wichtigsten Menschen (oder andere Lebewesen), die Ihnen nahe stehen. Dann zeichnen Sie mit einem Stift Pfeile vom ICH auf die umgebenden Kreise. Je mehr Sie diese Personen/Lebewesen aktiv unterstützen oder an sie Energie abgeben, desto dicker zeichnen Sie den Pfeil. Umgekehrt zeichnen Sie Pfeile von den Kreisen auf Ihr ICH zu. Verschieden dick, je nachdem, wie viel Energie oder Unterstützung Sie jeweils vermittelt bekommen.

Versuchen Sie das Gleiche noch einmal mit Tätigkeiten, die Ihnen wichtig sind (Beruf, Sport, Kinder betreuen, …). Achten Sie darauf, wo Energie auf Sie zu, und wo sie abfließt.

Komplexe Situationen sortieren

Betrachten Sie Ihre Situation wie Sie heute ist. Versuchen Sie, Ihre Zufriedenheit und Ihr Wohlbefinden einzuschätzen.

Zur Orientierung genügen vier grobe Richtungen:

  1. Umfeld und soziale Bedingungen (z.B. Arbeitsbereich)
  2. Beziehung / Familie (Familie/ Partnerschaft/ enge persönliche Beziehungen)
  3. Geist / Seele (geistig-seelisches Befinden, innere Stimmung,
    Energiegefühl, Abhängigkeiten)
  4. Körper (körperliche Funktionen, Organe, Stoffwechsel)

In dem Kreuzungspunkt liegend, bedeutet jeweils Zufriedenheit. Ein Punkt an der Pfeilspitzen bedeutet katastrophale Bedingungen. Markieren Sie für jeden Bereich einen Punkt auf der entsprechenden Achse der sich kreuzenden Pfeile, der Ihrem Gefühl am nächsten kommt.

Na und?

Mit der Frage «Na und?» können Sie sich und andere prima aus dem Konzept bringen. Mit «Na und?» können Sie Meinungen und Wertungen abrupt in Frage stellen. Sie zwingen sich zum Weiterdenken oder ihr Gegenüber zur Argumentation.

  • «Sie sind zu dick!»
  • «Na und?»
  • «Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bestimmt bald krank!»
  • «Na und?»

Diese Technik sollten Sie unbedingt erlernen, um ihr zu begegnen. Sie ist die Lieblingstechnik Pubertierender.

Klarheit über das eigene Glück

Was ist Glück? Für Sie: Schicksal, Vorbestimmung oder Zufall? Das Ergebnis erfolgreicher Arbeit und geschickter Lebensplanung? Zufriedenheit?

Das Nachdenken über die folgenden Aussagen könnte Ihnen helfen, Ihre persönliche Haltung zum Glück etwas klarer zu sehen:

  • Mein Glück hängt nicht von mir ab.
  • Wenn ich es will, kann ich mein Glück erarbeiten.
  • Glück hat keine Vergangenheit und keine Zukunft, es ist nur hier und jetzt.

Das größte Lebenshindernis ist die Erwartung: Abhängig vom Morgen, verliert sich das Heute. Über das, was in der Hand des Schicksals liegt, verfügst du, doch das, was in deiner Hand liegt, lässt du dir entgehen. Wonach hältst du Ausschau? Wonach streckst du dich? Alles Künftige ist ungewiss: Lebe jetzt gleich. Seneca

Umgekehrtes Denken

Wenn Sie vor einem Problem stehen und nach einer idealen Lösung suchen, gelingt das oft nicht und Sie fühlen sich blockiert.

  • Trick: Drehen Sie die Frage, mit der Sie nicht weiterkommen, einfach um.
  • Fragen Sie mal nicht, «wie werde ich glücklich?».
  • Fragen Sie, «Was kann ich tun, damit es mir möglichst schlecht geht?».

Dem negativen Denken sind meist keine Grenzen gesetzt. Schreiben Sie die Ideen auf: Beim Betrachten des Ergebnisses wird Ihnen auffallen, was sie davon jetzt schon tun. Sie könnten überlegen, was Sie davon künftig vielleicht besser bleiben lassen.

Provokation

Eine blödsinnige Idee provoziert uns, zwingt uns zum Lachen oder verärgert. In jedem Fall bringt sie hergebrachte Werte und Anschauungen durcheinander.

Nehmen Sie irgendeine völlig irreale Idee, die Ihnen spontan eingefallen ist, und die Sie sofort verworfen haben. Sie haben z. B. Ärger und denken: «Flüchten auf eine einsame Südseeinsel». Halten Sie die Idee fest! Nehmen Sie sich etwas Zeit, um Aktionsschritte dafür durchzuspielen. Möglicherweise sind einige Aspekte doch gar nicht abwegig (ein paar Tage verreisen, Abstand gewinnen, eine schöne Landschaft genießen …)

Einstein soll diese Methode öfter angewandt haben, z.B. als er gegen alle Alltagserfahrung fragte, ob der Raum nicht vielleicht krumm sei, womit er Recht behielt.

Vier Perspektiven

Die «Vier-Perspektiven-Methode» kann helfen, Ihre Sicht und die Sicht Anderer zu verstehen. Sie läßt möglicherweise Ihr Problem in einem neuen Licht erscheinen:

Teilen Sie ein Blatt Papier in vier Felder. Um den Kreuzungspunkt malen Sie einen Kreis, in den Sie ein Wort schreiben, das Ihr Problem zusammenfasst (z.B. «Familienkonflikt»). Dann benennen Sie jedes Feld mit einer wichtigen Person, die Einfluss auf das Problem hat oder haben könnte, z.B.: Lehrer, Ehepartner, Tochter, Chefin.

  • Versuchen Sie sich in die Sicht der jeweiligen Person zu versetzen.
  • Welche Ursachen sieht sie, welche Probleme, welche Lösungsmöglichkeiten?
  • Welche Aspekte sind allen deutlich, welche können die jeweils anderen nicht sehen?
  • Können Sie die Sichtweisen der anderen annehmen, oder stehen Sie im Konflikt mit Ihnen?
  1. Ideenanalyse

Teilen Sie ein großes Blatt Papier in vier gleichgroße Felder. Beschriften Sie die vier Felder und füllen Sie sie anschließend mit dazu passenden Stichworten, die Ihnen in den Sinn kommen:

  • Ihre Idee oder Ihr Wunsch: «Was könnte ich tun? Was hätte ich gerne?»
  • Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung: «Wie könnte es gehen?» Phantasieren Sie günstige Bedingungen.
  • Warum ist die Idee nicht umsetzbar?: «Warum kann es nicht gehen?» Sehen Sie schwarz
  • Erste Maßnahmen: «Welche ersten Schritte sind möglich? Wo finde ich Unterstützung?»

Handeln

Handle stets so, dass sich die Zahl der Möglichkeiten vergrößert! von Foerster

Sie wollen eine Sache praktisch angehen. Auch hier bietet unser Handwerkskasten verschiedene Möglich­keiten. Sie können sie nacheinander anschauen und ausprobieren, oder gleich zu einer springen, auf die sie neugierig sind.

Tu es!

Eine einfache Anleitung, um zu ersten Handlungsschritten zu kommen:

  • Machen Sie eine Liste Ihrer Probleme
  • Wählen Sie die Probleme aus, die Sie für lösbar halten
  • Nehmen Sie aus dieser Gruppe das kleinste Problem
  • Überlegen Sie eine Aktion, wie Sie dieses kleine Problem lösen könnten
  • Überdenken Sie eine Alternative
  • Entscheiden Sie sich für eine Aktion
  • Führen Sie die Aktion durch
  • Anschließend: Betrachten Sie das Ergebnis
  • Nehmen Sie sich das nächste Problem vor

Probleme kleiner machen

Der Mensch, der den Berg versetzte, war derselbe, der anfing, kleine Steine . China.

Oft sind Probleme so groß, das Sie uns verzweifeln lassen (z.B. «Diese Firma macht mich krank!», «Gegen Krebs habe ich keine Chance!» o.ä.). Wir fühlen uns überwältigt oder gelähmt. Dennoch steckt auch in dem größten Problem ein kleineres Teilproblem, welches Sie lösen können. Versuchen Sie es. Werden Sie wieder handlungsfähig.

  • Schreiben Sie Ihr großes Problem links an die Seite eines großen Blatt
    Papiers.
  • Aus welchen Teilen oder Faktoren setzt sich das Problem zusammen?
  • Schreiben Sie diese Faktoren rechts daneben und untereinander.
  • Jetzt beginnen Sie mit einem kleineren Teilproblem und fragen nach dessen Ursachen.
  • Wenn Ihnen spontan Lösungen einfallen, schreiben Sie diese rechts neben die Ursachen.
  • Dann gehen Sie über zu dem zweiten Teilproblem und tun das Gleiche.
  • Am Schluss wählen Sie ein Teilproblem aus, mit dem Sie umgehen können, und bei dem Ihnen die Lösungswege umsetzbar erscheinen.
  • Statt wie ein Kaninchen vor der Schlange zu hocken, erlangen Sie in kleinen Schritten Ihre Handlungsfähigkeit (zurück).
  • Wenn Sie ein Teilproblem ausgewählt haben (und für den Anfang reicht eins!), können Sie es zum Ausgangspunkt weiterer Planungen machen.

Stärken und Schwächen

Herausfinden, was Sie tun können, und was Sie künftig besser bleiben lassen.

Teilen Sie ein großes Blatt Papier in vier gleichgroße Felder. Beschriften Sie die vier Felder und füllen Sie sie anschließend mit dazu passenden Stichworten, die Ihnen in den Sinn kommen:

  • Stärken «Was kann ich gut? Was liebe ich an mir? Welche Stärken erkennen andere in mir?» Seien Sie nicht bescheiden, nur bleiben Sie möglichst nahe an der Realität.
  • Schwächen «Was kann ich nicht gut? Wie sehen andere meine Schwächen?» Bleiben Sie realistisch, und beschönigen Sie so wenig wie möglich.
  • Möglichkeiten «Was könnte ich entwickeln? Welche Chancen stecken in mir?»
  • Risiken «Welche Gefahren drohen mir? Mit welchen Widerständen muss ich rechnen?»

Wenn Sie wissen, in welchen Bereichen Sie Handeln wollen, können Sie Aktionsschritte mit «Pro und Kontra» abklären oder mit der «Ideenlandschaft» genauer untersuchen.

Pro und Kontra

Eine Entscheidung abwägen: Handeln oder besser nichts tun?

Zeichnen Sie eine Tabelle mit drei Spalten: „Pro, Contra, Konsequenz“.

Schreiben Sie in die erste Spalte Argumente, die für die mögliche Entscheidung sprechen, in die zweite alle Argumente, die dagegen sprechen und in die dritte mögliche Konsequenzen, die sich ergeben würden, wenn die Entscheidung entsprechend «Pro oder Kontra» getroffen würde.

Dann schreiben Sie zu jedem Feld eine Gewichtung (z.B. zwischen -5 und +5) je nachdem, ob Ihnen der genannte Punkt sehr viel bedeutet (+5) oder eher weniger (0) oder mit hohen Risiken verbunden wäre (-5).

Dann zählen Sie die Spaltensummen, treffen Sie Ihre Entscheidung, oder suchen Sie nach einem versöhnlichen Kompromiss.

Ideenlandschaft

Nehmen Sie alles, was Ihnen spontan in den Kopf kommt, auf und geben ihm einen Namen. Schreiben sie ihn auf. Bewerten Sie nicht. Verfolgen Sie kein konkretes Ziel.

Wenn Ihnen eine spontane Lösungsidee als «zu anstrengend, zu teuer, völlig unrealistisch» erscheint, verwerfen Sie sie nicht! Spielen Sie einfach einmal durch, entdecken Sie neue Aspekte!

Es ist gut den Gedanken freien Lauf zu lassen, ohne sie sofort zu zensieren. Nur so sehen wir die Welt ohne Scheuklappen.

Die beiden folgenden Methoden helfen Ihnen, alle (auch scheinbar unwichtige) Ideen festzuhalten, ohne dabei die Übersicht zu verlieren.

Spontane Ideen und Gedanken («Brainstorming»)

Sie benötigen ein möglichst großes leeres Blatt Papier und Stifte. Nehmen Sie sich Zeit, schließen Sie Störungen (Telefon etc.) aus. Malen Sie in die Mitte des Papiers einen Kreis. Schreiben Sie in den Kreis ein Wort, das am besten zum Ausdruck bringt, was Sie gerade am meisten beschäftigt: Ihr Hauptproblem oder Ihre große Vision. Lassen Sie Ihr gezieltes planmäßiges Denken zur Ruhe kommen und achten Sie auf die spontanen Gedankenfetzen und Ideen. Zu jedem Einfall schreiben Sie ein oder höchstens zwei Worte irgendwohin, ohne sich Gedanken um Struktur oder Ordnung zu machen. Wenn sich Gedankenketten ergeben oder zu einem Unterproblem plötzlich viele Teilaspekte deutlich werden, gruppieren Sie die Worte. Das Blatt wird sich rasch und scheinbar chaotisch mit Ihren Gedankenblitzen anfüllen.

Lassen Sie Ihr Denken ausklingen mit einer Pause, einem Spaziergang oder einer völlig anderen Beschäftigung.

Irgendwann später, wenn Ihr Kopf wieder frei wird, betrachten Sie das Ergebnis und umranden die wesentlichen Punkte mit Buntstiften. Hängen Sie das Ergebnis an der Wand auf und machen Sie Schluss für heute.

Eine Ideenlandschaft strukturieren («Mind Map»)

Eine übersichtliche Ideenlandschaft entsteht, wenn Sie ein Problem, eine Vision oder Strategie auf einem Blatt oder einer Tafel ins Zentrum stellen. Die Ideen, die sie beim ersten chaotischen Durchlauf (Brainstorming) gesammelt haben, ordnen Sie jetzt im Kreis um den Begriff herum an. Sie können in weiteren Schritten eine dieser Ideen weiterverfolgen und in Verästelungen erkunden, aber immer wieder ins Zentrum zurückkehren und einen anderen Punkt entwickeln. Sehr einfach funktioniert Mind-Map auch mit einer Software am PC, die es Ihnen erlaubt, solange an Ideen zu basteln und sie zu verschieben, bis Sie schließlich in ein Schriftdokument umgewandelt werden können. Aber es geht auch ohne Computer: Nehmen Sie für die Ideenlandschaft jetzt viele kleine Klebezettel, die Sie anschließend beliebig sortieren und gruppieren können, auf einer Papptafel, an der Küchenwand, oder wo es Ihnen Spaß macht.

Einfache Projektplanung

Vierfeldertafel

Mit dieser Methode können Sie eine einfache, aber wirksame Projektplanung durchführen: z.B. Gründung einer Selbsthilfegruppe, die Finanzplanung für ein kleines Vorhaben, den Umzug oder auch den Aufbau einer neuen beruflichen Perspektive.

Teilen Sie ein großes Blatt Papier in vier gleichgroße Felder.

  • Positive Ist-Analyse: Was ist gut?
  • Negative Ist-Analyse: Was ist schlecht?
  • Optimistische Zukunftsanalyse: Was ist erreichbar?
  • Pessimistische Zukunftsanalyse: Welche Widerstände erwarten Sie?

Dieses System enthält alle wesentlichen Elemente die vor jeder konkreten Aktionsplanung berücksichtigt sein sollten.

Vier Sichtweisen

Versuchen Sie, Argumente für oder gegen einen Plan aus vier verschieden Blick- bzw. Gefühlswinkeln zu finden:

  • nüchtern
  • gefühlvoll
  • optimistisch
  • pessimistisch

Entdecken Sie dabei neue Aspekte, die Ihnen bisher vielleicht entgangen sind.

Kosten und Nutzen

Kosten, Nutzen und Risiken abzuwägen, ist immer gut. Besonders wichtig ist das Abwägen, wenn Sie sich für oder gegen die Vorschläge Dritter (z.B. Dienstleister) entscheiden wollen.

Direkte Kosten sind entweder einmalig oder entstehen mehrmals in bestimmten Zeitabständen. Achtung: Kosten entstehen ggf. auch dadurch, dass sie etwas nicht tun: so genannte indirekte oder Opportunitäts-Kosten.

Nehmen Sie ein Papier und zeichnen Sie eine Tabelle mit drei Spalten.

  • Tragen Sie in die erste Spalte die Kosten (Aufwand) ein, die entstehen werden: Einmalige Kosten, Unterhaltskosten, indirekte Kosten … nehmen Sie es genau!
  • In die zweite Spalte kommen alle Nutzen, der mögliche Gewinn. Welche und wessen Interessen werden mit der Durchführung der vorgeschlagenen Handlung befriedigt?
  • In die dritte Spalte schreiben Sie mögliche Risiken und Chancen die das Gelingen befördern oder behindern können.

Nicht Handeln

Um Klarheit zu gewinnen ist es gut, einen Moment innezuhalten. Und es ist gut, dass einem ein Weg auch mal durch «aktives Nicht-Handeln» entgegen kommen kann.

  • Gras wächst nicht schneller, wenn Sie daran ziehen.
  • Dinge geschehen auch ohne Ihr Zutun. Bleiben Sie eine Minute wach, nehmen Ihre Umgebung wahr und denken Sie darüber nach:
  • Außen ist nichts und innen ist alles – Innen ist nichts und alles ist außen.
  1. Aufmerksames Abwarten
  2. Nehmen sich etwas Zeit. Suchen Sie einen schönen Platz, an dem Sie allein sind und eine Zeitlang verweilen können.
  3. Lassen Sie Ihre Augen ein wenig ausruhen. Betrachten Sie, was sich vor Ihnen bewegt: eine Wasserfläche, ein Bach, eine Pfütze, Blätter, Gräser, Blumen, Ameisen, Käfer, Schmetterlinge oder vorüber ziehende Wolken. Sie sind still und reglos, aber um Sie herum verändert sich alles langsam, scheinbar un­merklich. Es gibt keinen Stillstand.

Überlegen Sie, was passiert, wenn Sie nichts aktiv unternehmen, nicht eingreifen.

«Watchful-Waiting» (aufmerksames Warten) ist übrigens die wichtigste Kunst in der Geburtshilfe:

  • Mitfühlen
  • Geduld haben
  • Aufmerksam präsent sein
  • Warten können
  • Den Fluss der Entwicklung spüren
  • Normalität und Risiko unterscheiden können
  • Bereit sein

Methoden des Nicht-Handelns

In Asien werden viele Methoden des Nicht-Handelns kultiviert. Einige davon sind auch bei uns zu erlernen und von vielen Menschen praktiziert. Seit mehr als 3.000 Jahren entwickelten sich in China Methoden, um Störungen des Einklangs von Mensch und Natur zu verstehen und ausgleichend zu beeinflussen. Auf verschiedenen Wegen versuchten sie den Fluss der Lebensenergie zu unterstützen und krankmachende Blockaden zu lösen, z.B. durch Druck auf winzige Punkte: Akupunktur. Oder durch Formen von Meditation, Atem- oder Bewegungsformen.

Eine einfache und wirksame Methode ist Qi Gong, die den Energiefluss im Körper verstärkt und reguliert. Diese Übungen können auch in hohem Lebensalter und bei schweren Erkrankungen ohne große Mühe erlernt und angewandt werden. Qi Gong hat ähnliche Auswirkungen wie Yoga, ist aber, bei guter Anleitung, leichter ausführbar. Die Anwendung von Qi Gong zur Beeinflussung der Umwelt nennt sich Tai Chi(Taiji). Dabei wird in Bewegung Hartes (Yang) mit Weichem (Yin) beantwortet und umgekehrt. Die Grundhaltung dieser Entspannungs- und Aktivierungsmethoden entsteht aus drei Prinzipien: Loslassen, Zentrieren und Verwurzeln.

Das sehr ähnliche Yoga entwickelte sich aus indischen Bewegungs-, Atem- und Meditationstechniken. Konzentrierte, langsame Gymnastikübungen und Körperhaltungen entspannen Muskeln und Gelenke und machen sie geschmeidiger. Yogaübungen können helfen, Stress-Situationen besser zu bewältigen. Sie können Gesundungsprozesse und die Gesunderhaltung fördern. Bei gewaltsamer Durchführung von «Yoga-Verrenkungen», beim Nachahmen von Übungen aus Büchern oder bei schlechter Anleitung kann es zu Verletzungen und Zerrungen insbesondere im Rückenbereich kommen. Yogamethoden dienen auch als Vorbild für «Autogenes Training» und verschiedene «Atem-Schulen». Yoga und Qi Gong Elemente haben Eingang in sehr viele Bewegungs- und Gymnastik-Formen gefunden.

Meditationstechniken entwickelten sich in nahezu allen Religionsformen. Christliche Mystiker, islamische Sufi oder Buddhisten stehen sich in ihrer Grundauffassung sehr nahe: die Beruhigung des Geistes wirkt auf den Körper und mündet in dem Gefühle eins zu sein mit sich und der Umwelt im weitesten Sinn. Die bewährten Techniken, die den Geist leeren oder verebben lassen, können auch unabhängig von religiösen oder rituellen Seiten genutzt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist Zen (japanisch, chinesisch: Chan): Es ist eine erfrischend klare Philosophie, die zu jeder Weltanschauung passen kann und dabei überkommenes Wissen radikal hinterfragt. Entstanden ist diese Denkrichtung aus dem chinesischen Tao und dem indischen Buddhismus. Zen bezieht sich auf den Alltag des Lebens. Jedes Ding hat seine eigene Natur, die wir nicht kennen, lebt in seinen Beziehungen und ist eins mit dem Rest des Universums. Die berühmten Zen-Fragen (Koan) sind absurd, komplett widersinnig und sollen durch die Erzeugung einer maximalen Denkblockade zu neuem Denken zwingen. Zen/Chan und andere Meditationsformen finden auch Anwendung in der Kunst, Dichtung und Musik, in Bewegung, Tanz und Raumgestaltung oder in Managementtechniken. Wer seine Form des Meditierens entdeckt hat kann sie anwenden beim Laufen, Segeln, Kochen, Geschirrspülen, Motorrad-Reparieren oder Rasenmähen. Entspannen, sich bewegen und die Gedanken entgleiten zu lassen: gibt es etwas Schöneres?

Handeln anderen überlassen

Die Verantwortung für die Reparatur einer defekten Waschmaschine oder einer verklemmten Servolenkung an einen Experten abzugeben fällt uns relativ leicht.

Wenn Sie die Verantwortung für sich selber oder Ihre Kinder/Angehörigen mit anderen Personen in wichtigen Lebensfragen (z.B. im Bereich Gesundheit) teilen, ist es gut, sich etwas Zeit zum Überlegen zu nehmen. Zeit dafür ist da, wenn wir nicht gerade im Koma liegen oder der Blinddarm zu platzen droht.

Wir möchten Sie auf den folgenden Seiten mit Kriterien vertraut machen, mit denen Sie die «Behandlungsqualität im Gesundheitswesen» beurteilen können. Wir nehmen dieses Beispiel, weil es hinsichtlich Dienstleistungsqualität sehr umfassend ist. Für andere Bereiche (z.B. Rechtsanwälte, Reiseveranstalter, Immobilienmakler, Versicherungsvertreter, Kundenberater der Bank …) können Sie ggf. einige Kriterien auslassen.

Hinweise für gute Behandlungs- und Dienstleistungsqualität

  • Ihr Gegenüber
  • hört zu
  • schafft eine vertrauensvolle, offene Atmosphäre
  • gibt Raum für Ihre Fragen
  • stellt «Für und Wider» dar
  • zeigt die Grenzen seines eigenen Wissens
  • spricht verständlich (ohne «Fachchinesisch»)
  • macht Ihnen Mut zum Handeln
  • schafft keine Abhängigkeiten
  • macht notwendige Kosten transparent
  • bemüht sich, Geld und Zeit (Kosten) sparsam zu nutzen
  • unterwirft sich Qualitätsprüfungen
  • verbessert den Aus- und Fortbildungsstand auch von Mitarbeitern
  • hält sich an veröffentlichte Standards und Leitlinien oder nennt die Gründe, wenn er aus sinnvollen Überlegungen heraus davon abweicht.

Hinweise für schlechte Behandlungs- und Dienstleistungsqualität

Ihr Gegenüber:

  • gibt sehr schnell Rat (ohne eingehende Betrachtung der Situation)
  • gibt sehr teure Empfehlungen
  • gibt nur wenig Information über seine Lösungsvorschläge
  • beeindruckt mit viel Beiwerk (Ablenkung, unsachlichen Beeinflussungsversuchen)
  • macht sehr umfassende Lösungsversprechen
  • sagt nichts über Neben- und Fernwirkungen der angebotenen Lösung
  • spricht abfällig über andere Personen und andere Sichtweisen
  • verlangt Vorauszahlungen

Vor der Befragung von Expert:innen

Bevor Sie jemanden um Hilfe bitten, ist es nützlich, sich klar darüber zu werden, was die Hilfe bewirken soll. Außerdem ist es gut, sich auf einen Termin bei einer Therapeutin bzw. einem Therapeuten (oder Berater/in) etwas vorzubereiten. Die folgenden Schritte können Ihnen dabei helfen

Schritt 1: Beobachten

Für welches Problem brauche ich Hilfe?

Wie äußert es sich?

  • Wodurch wird es besser?
  • Wodurch wird es schlechter?
  • Womit könnten die Ursachen zusammenhängen?
  • Kann ich das Problem allein lösen?
  • Wo erhalte ich die beste Unterstützung?
  • Kann ich an der Lösung mitwirken?
    Wenn Nein: Wer soll mein Problem lösen?
    Wenn Ja: Wie kann ich zur Lösung beitragen?
  • Wer kann mir raten?

Schritt 2: «Womit kann ich sofort beginnen?»

Am besten wählen Sie zunächst eine Handlung, die ganz einfach ist:

  • länger Spazieren gehen,
  • lange schlafen,
  • ein Wochenende wegfahren, etc.

Entspannen Sie an einem gemütlichen Platz, und schreiben Sie Ideen auf, die Sie «morgen» konkret ausführen könnten. Meist haben Sie auch bei Krankheit noch etwas Zeit, selbst nachzudenken, bevor Sie einen Expertenrat suchen.

Nehmen Sie sich diese Zeit.

Schritt 3: Eigene Erwartungen klären, sich informiert vorbereiten

  • Was erwarten Sie von einer Unterstützung?
  • Klärung der Ursachen?
  • Abmilderung meines Problems?
  • Lösung für mein Problem?
  • Aufmerksamkeit?
  • Verständnis?
  • Versöhnung?
  • Weitervermittlung an einen anderen Spezialisten?

Wie können Sie sich vorbereiten?

  • Freunde, Bekannte, Kollegen fragen
  • Im Internet nachsehen
  • In einer Bücherei stöbern
  • Ihre Geschichte aufschreiben

Was können Sie mitnehmen?

  • Unterlagen
  • Vorgeschichte des Problems
  • Liste der Fragen, die Sie stellen wollen

Schritt 4: Mögliche Fragen an Experte

  • Womit hängt mein Problem zusammen?
  • Was kann ich selber tun?
  • Was können andere tun?
  • Wie kann ich mit einem bleibenden Problem umgehen?
  • Welche anderen Personen müssen einbezogen und informiert werden?
  • Müssen weitere Handlungen durch den Experten erfolgen?
    (Nutzen? Ziel? Risiken? Folgen? Kosten?)
  • Sind weitere Begutachtungen bei anderen nötig? (Ziel, Konsequenzen, Kosten)?

Schritt 5: Aufmerksamkeit beim Gespräch

  • Hilfen für eine Gesprächsvor- oder -nachbereitung:
  • Fühle ich mich wohl in dieser Gesprächssituation?
  • Ist die Atmosphäre angenehm?
  • Hört man mir zu?
  • Wird mein Problem verstanden?
  • Habe ich Vertrauen?
  • Verstehe ich die Informationen und Erklärungen?
  • Ist Raum für meine Fragen und Sorgen?
  • Sind Handlungsvorschlag und Handlungsziel für mich verständlich?
  • Sind Nutzen, Risiken, Auswirkungen auf den Alltag ausreichend mit mir besprochen?
  • Wurden die Kosten der vorgeschlagenen Handlungen oder Lösungen angesprochen?
  • Wird begründet, warum eine bestimmte Maßnahme empfehlenswert ist?
  • Wird abgewogen, ob es besser ist, zu handeln oder zuerst zu beobachten und abzuwarten?
  • Werden Vor- und Nachteile von Alternativen besprochen?
  • Wird auf Quellen verwiesen, wo ich mich schlau machen kann?
  • Bin ich mit dem Gesprächsergebnis zufrieden?
  • Würde ich die Praxis/ den Dienstleister uneingeschränkt weiterempfehlen?

Schritt 6: Nachdenken

  • Brauche ich eine fachliche Zweitmeinung?
  • Welche Vor- und Nachteile hat der empfohlene Weg?
  • Wie schnell führt der vorgeschlagene Weg zum Ziel? Steile Wege führen schneller zum Ziel als langsam
    ansteigende!
  • Mit welchen Gefahren ist er verbunden? Steile Wege sind risikoreicher als langsam ansteigende!
  • Welche Konditionen und Eigenanstrengungen erfordert der Weg?

Schritt 8: Wichtige Entscheidungen treffen

  • Das Gewirr der Wege im Gesundheitswesen verläuft nicht nur in «gute oder falsche» Richtungen: Alternativen, die zu entgegengesetzten Entwicklungen führen, stehen hier gleichberechtigt nebeneinander und sind je nach persönlicher Situation gut oder schlecht geeignet. Die Existenz solcher Kreuzungsstellen nehmen wir selten wahr, weil wir bereits entschlossen in eine bestimmte Richtung unterwegs sind oder dorthin geschoben werden, oder uns schieben lassen.
  • Um die sich bietenden Möglichkeiten erkennen zu können, müssen wir stehen bleiben und uns umschauen. Dazu dienen die hier aufgezeigten Fragen, die in das Gesundheitswesen hinein oder aus ihm heraus weisen.
  • Für solche Richtungsentscheidungen bleibt wenig Zeit, wenn uns vor dem Tor gerade der Ball zufliegt oder uns beim Joggen im Park ein aggressiver Hund hinterher rennt: In solchen Situationen müssen wir spontan, das heißt mit sehr wenigen Informationen, handeln. Unser inneres Gefühl leitet uns dabei umso sicherer, je häufiger wir solche Situationen bereits bewältigt haben.
  • In weniger dramatischen Lagen besteht kein Grund vorschnell, übereilt oder hektisch zu handeln. Lassen Sie die Gedanken mal abschweifen. Beim Umherschlendern oder Ausruhen, lösen Sie sich mal einen Moment aus der Fixierung auf Lösungen. Eigene, so weit wie möglich freie Entscheidungen erfordern innere Ruhe.

Wann und wozu brauchen Sie (wirklich) medizinisch-therapeutische Hilfe?

  • Wenn Sie sich krank und/oder unwohl fühlen, sollten Sie sich zwei wichtige Fragen stellen:
  • «Ist mein Problem wirklich ein Gesundheitsproblem?»
  • «Beschleunigt oder verzögert medizinische Behandlung die Problemlösung?»

Weiterdenken

Im Leben wechseln stabile Phasen plötzlich mit sehr veränderlichen (labilen) Situationen ab. Diese Krisen zerreißen den gewohnten Rhythmus durch starke Belastungen, Verluste oder Verletzungen. Auch normale Lebensvorgänge wie die Geburt, die Pubertät, die Neuorientierung in der Lebensmitte und der Alterungsprozess können krisenhaft verlaufen. Hinter einem auslösenden Ereignis am Anfang einer Krise verbergen sich oft weitergehende Probleme. Bei bereits zuvor verunsicherten, wenig selbstbewussten Personen können kleine Belastungen heftige Reaktionen auslösen, Panik und Gefühle der Hilflosigkeit. Die Gedanken drehen sich im Kreis, kleben in der Vergangenheit, führen zu Selbstbeschuldigungen und lassen die Zukunft schwarz aussehen. Personen in Krisen neigen zu «Kurzschlusshandlungen», Lähmung und Ziellosigkeit. Aber es gibt auch Menschen, die in der Lage sind, Katastrophen zu überstehen, ohne psychisch zu erkranken.

Kurzfristig lassen sich manche Krisen mit dämpfenden Mitteln (Alkohol, Tabletten etc.) oder mit Durchhalteparolen wie «Augen zu und durch!» meistern. Beide Verhaltensweisen verzögern eine wirksame Problemlösung oder verschlimmern gar die Situation.

Krisen entstehen wenn etwas Altes an sein Ende gekommen ist, das Neue aber noch nicht geboren werden kann. Sie bergen immer eine Chance der Veränderung – sehr häufig auch zum Besseren.

Am Anfang der Lösungsversuche in einer Krisensituation steht oft die Umbenennung eines «schwerwiegenden Lebensproblems» in ein «Gesundheitsproblem». Damit sind dann zumindest die Zuständigkeiten geklärt: Für Lebensprobleme sind Sie selbst verantwortlich, für Gesundheitsprobleme die Ärzte. Da jede Krise körperliche Störungen bewirkt und umgekehrt auch Krankheiten schwere Lebensprobleme auslösen können, hat das Gesundheitssystem in jedem Fall viel zu bieten. Ob dadurch die Krisenbewältigung begünstigt wird, ist nicht garantiert, manchmal entstehen auch nur langwierige Therapiezyklen, deren Unterbrechung erst zu einem Ende des Problems führen.

Eine Krise kann auch ausgehalten werden, z.B. bei Halt, Verständnis und Orientierung durch gute Freunde. Dann haben Sie eine Chance zu fragen:

  • Womit hängt die Situation zusammen?
  • Woran leide ich?
  • Mit welchem Handlungsspielraum kann ich etwas bewirken?
  • Kann ich akzeptieren, was ich nicht ändern kann?
  • Was könnte ich als erstes tun und was brauche ich dazu?
  • Will ich wirklich verstehen, oder lieber nicht alles wissen?
  • Will ich den Dingen ins Auge sehen oder auf andere hoffen?
  • Halte ich Wissen um Gefahr und Unsicherheit aus?

Die Stärke des Gesundheitswesens ist es, körperliche Auswirkungen von Problemen frühzeitig zu erkennen. Wenn die Ursachen körperlicher oder seelischer Blockaden aber aus ganz verschiedenen Bereichen der Lebenssituation wirken, erwächst Genesung oft aus der Änderung der Lebensumstände, des sozialen Gefüges, des eigenen Verhaltens oder Beeinflussung der Beziehungen zu anderen Menschen. Medizinische Maßnahmen, die nichts ursächlich bewirken, können schaden, wenn sie die Umsetzung solcher Lösungschancen verzögern.

Fragen Sie nach:

  • Ist Ihr Problem ein Gesundheits- oder ein Lebensprobleme?
  • Welche Hilfen aus der Vielfalt der Angebote im Gesundheitsmarkt brauchen sie wirklich?

Tests

Machen Sie sich klar, was bestimmte Labor-Test wirklich aussagen und welche Konsequenzen das Ergebnis für Sie haben soll. Was würden Sie tun, wenn es positiv, und was, wenn es negativ ausfiele? Sind die Antworten auf beide Fragen gleich, besteht kein Grund, den Test durchzuführen!

Reihenuntersuchungen (screenings) richten sich an unauffällige Personen, mit dem Ziel, diejenigen zu entdecken, deren Testergebnis vom Normalwert abweicht. Ein Verfahren der Reihenuntersuchung sollte empfindlich sein, d.h. möglichst alle Personen mit nicht-normalen Merkmalen entdecken, und natürlich spezifisch, d.h. möglichst nur bei tatsächlich nicht-normalen Tatbeständen «positiv» ausfallen. Es sollte außerdem im Fall richtig oder falsch positiver Ergebnisse nicht schaden und zu einer für die betroffene Person praktisch verwertbaren Konsequenz führen.

Wer auf sich achtet und sich gesund fühlt, ist es meist auch, da sich Krankheiten durch Veränderungen ankündigen. Auch Personen, die anderen sehr nahe stehen, wie z.B. manche Mütter ihren Kindern, haben oft ein genaues Empfinden für die Gesundheit des anderen. Testverfahren bei scheinbar Gesunden sind notwendig, wenn auf deren Körpergefühl nicht vertraut werden kann. Frauen, die ihre Brust regelmäßig selbst abtasten, können Brustverhärtungen wesentlich früher entdecken, als ein Frauenarzt. Stressbelastete Menschen sehen sich oft beschwerdefrei auf der Höhe ihrer Schaffenskraft, bis ein Betriebsarzt bei ihnen einen erhöhten Blutdruck misst. Die persönliche Überlastung, die sich in einer Blutdruckveränderung äußert, wird von den Betroffenen oft zu Beginn nicht wahrgenommen.

Je mehr Tests angeboten werden, desto unwesentlicher scheint das eigene Gefühl zu sein. Eine Frau fühlt sich nicht schwanger, sondern der Urintest teilt ihr ihren neuen körperlichen Zustand mit. Sie spürt nicht mehr die ersten Kindsbewegungen, sondern der Arzt zeigt sie ihr im Ultraschall. Sie fühlt nicht mehr, wie es ihr und dem Kind geht, sondern überlässt sich der Aussagekraft der Expertenbefunde.

Früherkennungsverfahren, wie Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft, Prostataabtastungen oder Mammographie, sind in ihrer Aussagekraft notwendigerweise begrenzt. Ihre Ergebnisse müssen interpretiert werden. Selbst bei höchster technischer Qualität und Kenntnis der Anwender kann ein Verfahren nie 100% empfindlich und 100% spezifisch zu gleich sein. Mit der Entwicklung der Medizintechnik werden häufig einfache (manuelle) Untersuchungsverfahren durch kompliziertere (technische) ersetzt, ohne dass immer eine höhere Genauigkeit der Ergebnisse zuvor belegt wurde.

Die Beurteilung eines Testergebnisses hängt also zum einen von der Qualität des Testes ab. Ebenso wichtig ist für das Verstehen eines Ergebnisses aber auch das Wissen um die Häufigkeit der getesteten Krankheit in der Gruppe der Untersuchten (d.h. die Wahrscheinlichkeit mit der die untersuchte Krankheit, mit oder ohne Test, vorliegen mag). Diese Tatsache ist auch für viele Gesundheitsexperten schwer verständlich oder wird bei der Testfreudigkeit im Gesundheitswesen häufig vergessen:

  • Nehmen Sie an, Ihr Blut wird auf eine seltene Tropenerkrankung untersucht, die in Deutschland nicht vorkommt. Der Test fällt positiv aus, Sie waren
    aber noch nie im Ausland und kennen auch niemanden, der dort war. Dann können Sie sich ruhig zurücklehnen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie an dieser Erkrankung leiden, ist null.
  • Umgekehrt sind Sie sich eventuell sehr sicher, dass ein bestimmter Zustand besteht, z.B. eine Schwangerschaft, wenn sie Kindsbewegungen spüren. Dann braucht ein «negatives» Ergebnis eines Schwangerschaftstestes Sie nicht zu verunsichern. Bei Wahrscheinlichkeiten kommen alle Zwischenstufen vor.
  • Das Risiko bei positivem HIV-Test tatsächlich HIV-infiziert zu sein, ist groß, wenn Sie Heroin konsumieren und dabei mit anderen die Kanülen teilen,
    oder häufig ihre Sexualpartner wechseln. Wenn sie dagegen weder drogenabhängig sind, noch sexuell sehr riskant leben, ist dagegen die Chance sehr groß, dass der Test falsch liegt.
  • Nach allgemeiner Übereinkunft gelten Ergebnisse, die in einem Randbereich von 5% einer normalen Ergebnisverteilung liegen signifikant auffällig. Wenn hundert kerngesunde Personen mit einem Test untersucht werden, ist die Wahrscheinlichkeit, wenigsten einen «krankhaften» Befund zu erhalten sehr groß.

Krank sein oder eine Krankheit haben?

Wie wir «Krankheit» erleben, hängt auch von unserer eigenen Definition, unserer Haltung zu uns selbst ab: Bin ich krank oder habe ich eine Krankheit? Habe ich ein erkranktes Organ oder leide ich als Mensch

Haben

Was Sie «haben», können Sie bewahren, schützen, vor anderen verbergen oder pflegen. Wenn dieser Besitz Sie stört, oder gar beginnt sich bedrohlich zu entwickeln, sollten Sie ihn loswerden, weggeben oder entfernen lassen.

Die folgenlose Entfernung eines unangenehmen Teils erfordert äußere Interventionen, mit Medikamenten, Anwendungen oder operativen Eingriffen: Sie brauchen dafür unbedingt Experten, die sich gut auskennen, und denen Sie vertrauen können.

Sein

Wenn Sie etwas als Teil innerer oder äußerer Zusammenhänge auffassen, dann «sind sie es». Mit dieser Einstellung können Sie Gesamtentwicklungen beeinflussen; Veränderungen bewirken, die nicht nur einen Teil, sondern Sie selbst, Ihre Beziehungen und vielleicht auch nahe Bereiche Ihrer Umwelt betreffen.

Sie sind der wichtigste Experte für Ihr eigenes Leben. Gesundheitlich erfahrene Fachleute können Sie bei Ihrem Weg, als ortskundige Lehrer oder Führer, tatkräftig unterstützen, aber Sie gehen den Weg wohl oder übel selbst: Sie müssen deshalb aushalten, dass ein geeigneter Arzt nicht sofort, wie gewohnt, nach seinem Rezept-Block zu greift, sondern Sie stattdessen fragt, was Sie jetzt tun wollen.

Sie können ein Fahrrad haben, ein Problem, Haare und Fingernägel, ein Haus, eine Brille, ein gebrochenes Bein, eine Infektion, aber vielleicht auch, und hier wird es schwierig, ein verhaltensauffälliges Kind, einen Herzinfarkt oder Krebs.

«Haben» bezeichnet etwas äußeres, von Ihnen unabhängiges, getrenntes, wie einen von Karies durchlöcherten Zahn, der Körper und Seele in Mitleidenschaft zieht. In diesem Fall löst sich das Problem mit der Zahnentfernung: das Ganze heilt, weil ein gefährlich, störendes Teil entfernt wurde. Oder etwas Fremdes ist von außen in uns eingedrungen, ein Splitter, ein Insekt oder eine Infektionskrankheit: Invasoren, die wir abwehren, entfernen oder «bekämpfen» können. Bei einer Borreliose oder einer Malaria wäre es sicher fatal darauf zu hoffen, dass der Körper sich selber hilft. Bei anderen Infektionen ist das nicht so einfach: ein Schnupfen ist vielleicht nur Ausdruck des Zustandes, in dem Sie sich gerade befinden.

Sie können sich auch als Teil von inneren oder äußeren Beziehungen sehen, Ihre Körperorgane gehören dann dazu, genauso wie die Personen, die Ihnen nahe stehen oder vielleicht auch Dinge mit denen Sie umgehen. Die einzelnen Teile sind dann weniger wichtig als die Art des Zusammenspiels. Nicht ein bestimmtes Organ erkrankt dann, sondern eine Störung oder eine Blockade eines größeren Zusammenhanges führt zu Problemen in den schwächsten Teilen. Verhaltensstörungen eines Kindes haben dann vielleicht etwas mit den Eltern zu tun, Herzinfarkt mit einem bestimmten Lebensweg und Krebs mit einer schweren Störung, die ein ganzes Lebenssystem und vielleicht auch das Umfeld betrifft. Krankheit signalisiert, dass etwas schief läuft oder blockiert. Die Ausschaltung dieses Warnsignals bringt innerhalb eines gestörten Systems keine dauerhafte Lösung.

Krank sein, also zu sagen, «ich bin krank», ist schwieriger. Sie müssen innere und äußeren Gegebenheiten und Verknüpfungen zunächst einmal annehmen und selbst kranke und störende Teile als dazugehörig empfinden. Wenn Sie sich «als Ganzes» als krank empfinden, interpretieren sie die Situation weniger als Schicksal, sondern mehr als Folge der Entwicklung Ihrer Biographie. Sie sind zwar nicht schuld an einer bestimmten Krankheit, da Ihr Einfluss auf den Verlauf Ihres Lebens begrenzt ist, und doch sind Sie beteiligt und auch mitverantwortlich. Auch bei dieser Sicht müssen kranke Teile manchmal entfernt werden, wobei sich der ganze Organismus verändert, im Gegensatz zu einer alten Maschine, die ein neues Ersatzteil erhält. Manchmal gelingt es auch, Beziehungen zu harmonisieren und eine neue innere und äußere Stabilität wiederzufinden: dann können vielleicht erkrankte Organe im Körper verbleiben.

Gerade im Gesundheitswesen ist die Frage nach «Haben oder Sein» wichtig: denn wer, außer Ihnen, soll entscheiden, ob Sie eine Niere, einen Blinddarm, eine Gebärmutter, ein Auge oder ein Gehirn haben – d.h. etwas besitzen, was ggf. entfernt oder ersetzt werden kann. Oder ob Sie traurig sind, depressiv, lebensfroh, manisch, am Boden zerstört, noch voller Energie; Zustände aus denen Sie sich verändern, mit oder ohne die Hilfe anderer Menschen.

Auf Grenzen und Übergänge achten

Problematischen Situationen lösen sich manchmal, wenn etwas Störendes entfernt wird, oder sie erfordern eine Harmonisierung der Beziehungs­geflechte in denen Sie entstanden sind.

Grenzen sind wichtig

Um Entscheidungen zu treffen, müssen Sie Grenzen definieren. Kein medizinischer Eingriff gelingt ohne eindeutige Grenzziehung:

  • Ist etwas bösartig oder gutartig?
  • Muss eine Krankheit behandelt werden, oder sind die Beschwerden zwar lästig aber noch auszuhalten?
  • Bedroht uns ein gefährlicher Infektionserreger oder leben wir vorübergehend mit einem eher harmlosen Keim?
  • Ist der Befund wirklich krankhaft oder weicht er nur von der Norm ab?

Grenzziehungen wie diese fallen leicht, wenn das verursachende Problem groß und seine Lösung dringend ist, zum Beispiel bei einer Gallenkolik.

Häufig erstrecken sich aber zwischen den Extremen weite Grauzonen. Dann müssen Sie die Grenzen aktiv ziehen und entscheiden, ob etwas entfernt oder behandelt werden soll. Andernfalls wird die Grenze von anderen gezogen, ob berechtigt oder nicht.

Übergänge sind wichtig

Wenn Sie keine Grenzen ziehen, müssen Sie aushalten, dass klare Entscheidungen nicht getroffen werden. Magendrücken, Muskelverspannungen, häufige Infektionen, und viele andere körperlichen oder seelischen Erscheinungen können Anzeichen dafür sein, daß mit dem Ganzen etwas nicht in Ordnung ist, und nicht nur mit dem Organ, das schmerzt. Vielleicht brauchen Sie statt einer Intervention eher Abstand zu der jetzigen Lebenssituation, eine Auszeit, etwas was es ihnen ermöglicht, eine klare Sicht zu gewinnen. Sie ziehen keine Trennungslinie, sondern achten mehr auf die Gesamtheit der Beziehungen, die sich entwickeln, versuchen Einfluss zu nehmen, Blockaden zu lösen und darauf hinwirken, das Ganze gesunden zu lassen.

Alles innerhalb persönlicher Grenzen zählt zum Ich, alles außerhalb zur Umwelt. Das Ich kann aktiv nach außen wirken oder passiv äußere Einflüsse erleiden. Es kann Wirkungen und Empfindungen positiv oder negativ bewerten und als lustvoll-bedürfnisbefriedigend oder schmerzhaft-frustrierend empfinden. Was gehört zum Ich dazu? Augenbrauen, Muskeln, der Schluck Wasser, den wir gerade getrunken haben, das logische oder das emotionale Bewusstsein, die unbewusste Psyche, die Seele oder alles zusammen? Entweder verschwimmen Grenzen oder sie werden willkürlich festgelegt, wie die Zahl der Seemeilen, die das Ende eines Festlandssockels kennzeichnen:

Wo liegt unsere Grenze?

Keinesfalls an der Hautoberfläche, sondern in deutlichem Abstand dazu. Im Gespräch mit Unbekannten halten wir größere Distanz als bei Arbeitskollegen. Freunde können uns näher kommen und nur intime Partner dürfen jede Hautstelle berühren. Werden unsere unsichtbaren Grenzen ohne Einwilligung überschritten, fühlen wir uns «angemacht», belästigt, verletzt oder vergewaltigt.

Gehört alles «in uns» zum Ich?

Die Oberflächen von Lunge und Darm besiedeln Bakterien, ohne die wir nicht leben könnten. Gehören sie zu unserem Ich dazu oder leben sie außerhalb?

Ist ICH letztlich nur das Unverzichtbare?

Lebenswichtige Körperorgane wie Leber und Gehirn zählen für uns eher zum Ich als Fußnägel, die wir regelmäßig schneiden. Wie ist es mit einem Organ, dessen Verlust zwar schmerzt, aber nicht den Tod bedeutet? Wem wären Sie bereit, eine Niere zu spenden? Noch schwieriger wird die Trennung bei erkrankten Körperteilen: Auf einen erkrankten Zahn können Sie gern verzichten, auch auf eine Gebärmutter oder eine Leber? Können Sie ein erkranktes Organ in Ihnen bekämpfen? Vermutlich nicht, aber wie ist es mit Krebs?

Je nach dem ob eine Krankheit «in mir oder außerhalb von mir» wahrgenommen wird, bietet sich ein anderer Lösungsansatz. Zum Beispiel kann ein Beziehungskonflikt mit dem Partner als äußeres Problem aufgefasst werden, dass zu dem inneren Problem der «Impotenz» führt. Genauso gut könnte die Impotenz als «inneres Problem» zu einem äußeren Konflikt, einer Beziehungskrise führen. Was ist wichtiger in diesem Fall: Beziehungsberatung oder «Viagra-Rezept»?

Ich-Definitionen sind für jede Person unterschiedlich, vorläufig und sehr kulturabhängig. Mit größerem medizinischen Fortschritt wird es immer schwieriger, genaue Grenzen festzulegen, zwischen:

  • natürlich entwickelten und «künstlich erworbenen» Körperbestandteilen, wie Hüftersatz, einer Kunststoff-Arterie, Leichenhornhaut, Siliconeinlagen, Organtransplantaten, …
  • Körper und Maschinenteilen (Herzschrittmacher, Herz-Lungenmaschinen, Dialysegeräten, Inkubatoren für Frühstgeborene, ….), die ein Arzt abschalten muss, wenn er der Auffassung ist, der Tod sei eingetreten.
  • weitverzweigtem Nervensystem, Rückenmark, Stamm-, Klein-, Mittel und Großhirn. Wartete man bis wirklich alle Nervenzellen absolut tot wären, gäbe es keine Organentnahmen zur Transplantation. Wo ist also die exakte Grenze des ICH im Nervensystem?
  • mikroskopisch kleinen Körperbestandteilen (der Zelle, dem Gen,…) und möglicherweise krankheitsverursachenden Einzelteilchen, die sich dort befinden (besondere Gen-Sequenz, «schlafendes» Virus, …)
  • einer Frau und der unbefruchteten oder befruchteten Eizelle, oder dem multipotenten «Zellhaufen» oder dem Ungeborenen in ihr.

Ein fester Halt in einer Umwelt, in der nichts statisch ist, sich alles bewegt und sich wandelt, kann uns als Illusion nur vorübergehend trösten. Wenn unser ICH eindeutig und fixiert wäre wie ein Foto, wäre es bereits vergangen. Stattdessen verändert es sich ständig, wie ein Fischschwarm im Meer.

Versuchen Sie für sich eine Vorstellung davon zu entwickeln, wo bei Ihnen Innen und Außen ist. Wenn Sie Ihre eigene Position gefunden haben, können Sie für sich Entscheidungen treffen. Sonst werden andere über Sie bestimmen – müssen.

Reparieren oder beobachten und verstehen?

Bei einem gebrochenen Sprunggelenk oder bei einer verschluckten Gräte brauchen Sie bei dieser letztlich mechanisch bedingten Situation Experten, die für Sie, oder mit Ihnen, die Probleme lösen und reparieren: Wie bei einem Computer bei dem der Lüfter gewechselt werden oder einem Fahrrad, bei dem ein gerissenes Bremskabel ersetzt werden muss. Sie müssen sich für einen Experten und einen «richtigen» Weg entscheiden.

Die meisten Situationen sind aber Teil eines komplexen Wirkzusammenhanges, den Sie zunächst verstehen müssen. Dazu lassen Sie am besten los und beobachten die Zusammenhänge, damit Sie den besten Ansatzpunkt erkennen, in dem Sie das Problem oder die Situation am günstigsten beeinflussen können. Fachleute und Helfer können Ihnen hierbei raten und Sie stützen. Sie können beliebig viele Experten einbeziehen und befragen, je verschiedener die Meinungen, desto besser. Ihren Weg, der zwangsläufig Veränderung mit sich bringt, finden sie alleine.

In der Medizin stehen oft wenige Faktoren, einzelne Teile und deren Funktion im Vordergrund. Ein «Landschaftsgärtner mit drei Kindern» wird zum «Gallensteinpatient». Bei dieser Sicht hat jede Wirkung eine eindeutige Ursache. In diesem Fall verursacht ein Gallenstein Bauchschmerzen. Krankheit scheint deshalb zu bestehen, weil ein Teil nicht funktioniert. Sie kann leicht beseitigt werden, z.B. durch eine Gallenblasenentfernung. Abweichungen von der Norm werden als krankhaft angesehen, z.B. der zufällige Nachweis eines Gallensteins bei einem beschwerdefreien Patienten. Probleme werden in diesem Konzept durch Behandlung gelöst, krankmachende Ursachen «bekämpft», Veränderung durch Eingriffe erzwungen. Wirkungen und Nebenwirkungen werden kontrolliert. Das Ziel ärztlichen Handelns ist hier die Heilung oder eine weitgehende Reparatur. Fachkräfte kennen sich aus, haben den Überblick, sind qualifiziert und entscheiden. Der Patient wird, wenn überhaupt, nur in kurz bevorstehende Entscheidungen einbezogen, z.B. ob eine Operation durchgeführt werden soll oder nicht. Aus Spezialisten-Sicht kann nach dem Stand des Wissens nur eine Meinung richtig sein und die Kompetenz des Experten entscheidet über den günstigen Ausgang des Eingriffs. Der Patient sollte den Expertenrat befolgen, weil er die komplizierte Situation nicht überschauen kann.

Die Sicht auf die komplexen Situationen, in denen sich gesunde oder kranke Personen meist befinden, ist ungewöhnlicher und scheinbar schwierig. Aus diesem Blickwinkel wird nicht nur auf die einzelnen Teile und ihre Funktion geachtet. Wichtiger ist Aufmerksamkeit für Verknüpfungen und Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen. Die Ursachen von Störungen werden in Blockaden oder Hemmungen des Gesamtzusammenhanges gesehen und können nur durch Beobachtung innerer und äußerer Dynamik verstanden werden. Eingriffe zielen dann nicht auf die Heilung von außen, sondern auf eine Stärkung der Selbstheilungskräfte. Eigendynamik wird gefördert, krankmachende Erstarrungen werden gelockert. Ein komplexes System wird in seiner Lebensfähigkeit gestärkt.

Lebende Pflanzen, Tiere oder die Umwelt, in der sie jeweils eingebettet sind, verändern und wandeln sich ständig aus sich selbst heraus. Sie bestehen aus zahlreichen einzelnen Teilen, die miteinander verbunden sind und aufeinander einwirken. Ihre Verknüpfungen haben eine Eigendynamik und sind wenig berechenbar. Bewegung in Systemen hat zahllose Ursachen, die Wirkungen auslösen, die ihrerseits wieder die Ursachen beeinflussen. Das Zusammenwirken seiner Teile verleiht Systemen Eigenschaften, die einzelne Bestandteile nicht besitzen.

Was ist ein System?

Ein System besteht aus vielen Bestandteilen, die miteinander ver­knüpft Eigendynamik erzeugen. Zum Beispiel kann unser Gehirn als ein System betrachtet werden. Wenn wir lesen, sind nahezu alle Zellen unseres Gehirns aktiv und bilden durch zahl­lose Verästelungen und Wechselwir­kungen sehr komplexe Gedanken­muster und Gedankenbilder, die sich konzentrieren, davongleiten und zurückkehren. Dagegen ist ein Haufen Sand kein System, da er seine Form nicht aus sich heraus verändert, sondern nur durch äußere Einwirkung, durch die Schaufel des Bauarbeiters oder durch Wind und Regen.

In Systemen gehen von starken Reizen oft nur geringe Wirkungen aus. Wenn uns ein sehr lautes Geräusch vertraut ist, nehmen wir es kaum noch wahr. Sehr schwache Einwirkungen an einer sensiblen Stelle eines Systems können dagegen sehr starke Reaktionen auslösen, wie ein unmerkliches Augenzwinkern bei einem Flirt. Wir leben in Systemen und neben anderen Systemen. Erde, Luft, Städte, Wälder, Pflanzen und Tiere sind Systeme. Jeder Mensch kann als System mit Untersystemen aufgefasst werden: Herz-Kreislauf-, Nerven-, Gerinnungssysteme oder Stoffwechsel sind miteinander verwoben und vermischt. Wir halten Systeme nur auseinander, um sie einzeln betrachten und einfacher verstehen zu können. Kennen Sie ein lebendes System, das vollkommen von jeder Verknüpfung zu allen anderen Systemen getrennt ist?

Systeme gelten als gesund, wenn sie stabil und elastisch zugleich sind, sich verändern, sich anpassen und flexibel auf Belastung reagieren. Sie sind in der Gesamtheit ihrer Entwicklung nur ungefähr vorhersagbar, wie das Wachstum eines Baumes aus einem Samen, dessen chaotisches Blättergewirr im Voraus niemand berechnen kann.

In einer Maschine, die nur sinnvoll tätig ist, solange ein Techniker es ihr befiehlt, erfüllt jeder Teil seine Funktion im Rahmen enger Zuständigkeit. In lebenden Systemen sind alle Teile gemeinsam auf die gleiche Problemlösungsaufgabe fixiert oder entspannen sich gemeinsam in Ruhephasen. In der Umgebung lebender, dynamischer, vernetzter Strukturen, die einem ständigen Wandel unterworfen sind, kann ein System nur überleben, wenn es sich an veränderte Umwelt-Bedingungen anschmiegt, selbstständig, spontan und flexibel handelt und unter vielen Lösungswegen die erfolgreichste Strategie herauswählt.

Lebensformen sind immer mit mehreren Problemlösemechanismen ausgerüstet, damit die Blockade eines Weges nicht zwangsläufig zur Katastrophe führt. Wenn ein Weg der Blutgerinnung gehemmt ist, wird die Blutung über den alternativen Weg zum Stehen gebracht. Wenn es nur einen Lösungsweg gäbe, wäre ein System bei plötzlichen Gefahren oder veränderten Umweltbedingungen sehr wenig anpassungsfähig. Wenn die Anpassungsfähigkeit des Systems überfordert ist, erkrankt es, letztlich bricht es zusammen und stirbt.

Eingriffe in ein komplexes System, die nur ein ganz bestimmtes Einzelproblem lösen sollen, können völlig unerwartete Effekte bewirken. Mögliche Nebenwirkungen sind vor solchen Eingriffen bekannt, können mit Patienten besprochen werden und müssen, wenn der Nutzen des Eingriffs überwiegt, bewusst in Kauf genommen werden. Völlig ungeplant ereignen sich dagegen unliebsame Überraschungen, die durch so genannte Fernwirkungen verursacht werden.

Beispiele:

  • eine psychische Entgleisung auf Grund eines falsch positiven Testergebnisses, die in einem Selbstmordversuch endet, oder
  • eine Lungenentzündung mit einem sehr widerstandsfähigen Erreger bei einer augenärztlichen Krankenhausbehandlung, oder
  • die Verkettung unglücklicher Umstände, in der ein kleiner Fehler eines übermüdeten Arztes in eine Katastrophe führt, oder
  • eine Erkrankung, die erst nach jahrelanger Einnahme eines Medikamentes in Kombination mit anderen auftritt, oder
  • ungeahnte psychologische, familiäre und soziale Auswirkungen völlig korrekt durchgeführter, technischer Interventionen.

Um komplexe Systeme günstig beeinflussen zu können, müssen ihre inneren Widersprüche verstanden werden. Ärzte können Problemkomplexe häufig nicht lösen, sondern nur bewegen: durch Flexibilität, neue Ideen, Ausloten unterschiedlicher Möglichkeiten. Sie können Lösungswege günstig beeinflussen oder ermöglichen und flexible Anpassungsmechanismen unterstützen, Eingriffe auf das Notwendige begrenzen, Eigendynamik und die Entscheidungsfähigkeit des Betroffenen fördern und beobachten. Damit werden Ärzte von Heilern zu Begleitern und Moderatoren, und Patienten, an denen gehandelt wurde, entwickeln sich zu Handelnden.

Wenn dagegen mechanisch gehandelt oder behandelt wird, können Details vernachlässigt werden. Wir vereinfachen dann auf das Wenige, was wir gerade noch überblicken können und was für die Problemlösung erforderlich ist, und sehen ein Organ, einen verletzten Fuß, für sich allein. Damit wird Komplexes auf das Handhabbare begrenzt und «Unwichtiges» weggelassen. Vereinfachungen helfen uns Vergleiche heranzuziehen.

Zum Beispiel kann ein gebrochener Knochen ebenso verschraubt werden wie totes Material. Für die Notoperation scheint es zunächst nicht wichtig zu sein, dass er lebt. Erst auf lange Sicht wirkt die dynamische Veränderung des Knochenumbaus und beeinflusst den Halt der eingebrachten Schrauben.

Für den Alltag und die Vermeidung grober Fehler reicht es meist aus, eine Situation gerade soweit oberflächlich zu überblicken, dass sie an der entscheidenden Stelle beeinflusst werden kann. Dabei werden Zusammenhänge und Verknüpfungen leicht vergessen oder verdrängt, und es entsteht die Illusion, die Lösung eines Teilproblems sei gleichzeitig die entscheidende Lösung für das Ganze.

Umgekehrt entsteht ein schiefes Verständnis der Welt, wenn wir nur auf «das Ganze» achten und die Teile vernachlässigen. «Das Ganze» und «die Teile» sind jeweils Gedankengebilde unterschiedlicher Betrachter, die nur Sinn machen, wenn sie gerade praktisch verwertbar sind.

Ein selbst-bewusster Patient, der sich und seine Situation kennt, hat keine Probleme damit, dass ein Augenarzt nur die Sehschärfe prüft und nicht versucht, die Familiensituation zu verstehen. (Daran wird er erst denken, wenn z.B. ein Kind nicht sieht, er bei ihm aber keine funktionale Einschränkung feststellen kann.) Dagegen müssen bei komplexen und bedrohlichen Krankheiten, wie Krebs, möglichst viele Aspekte in Lösungsbemühungen einbezogen werden. Patienten brauchen Unterstützung, um die Kraft zu entwickeln, selbst «das Ganze» zu sehen und mit professioneller Hilfe zu beeinflussen. Sie benötigen Menschen, die Ihnen helfen, das Puzzle Ihres Lebens neu zu ordnen, eigene richtige Entscheidungen zu treffen und trotz Ihrer Not vom behandelnden Objekt zum handelnden Subjekt zu werden.

Ob eine Situationen einfach-unveränderlich oder dynamisch-chaotisch ist, bestimmt in erster Linie unsere Wahrnehmung: zum Beispiel durch die Wahl des Zeitabschnittes, den wir gerade betrachten. Nur Katastrophenlagen erfordern schnelle Expertenhilfe. In allen anderen Fällen bleibt genügend Zeit Vor- und Nachteile verschiedener Lösungswege zu erkunden.

Glauben oder Selber denken?

Erst müssen wir glauben und dann glauben wir. Lichtenberg

Wenn Sie gesundheitliche Hilfen brauchen, können Sie Menschen und Informationen suchen, denen Sie glauben können, oder sich schlau machen, um soviel wie möglich selber zu verstehen. Oft ist die Die wissenschaftliche Gemeinde ist gespalten: Einige meinen, das, dass gerade vermarktet wird sei gefährlich, andere nicht!

Glauben

Sie wollen jemandem vertrauen und die Auswahl des richtigen Weges fachkundigen Personen überlassen. Das ist sinnvoll, wenn Ihnen die Kraft für eigene Überprüfungen fehlt, oder die Zeit sehr drängt. In diesem Fall müssen Sie eine sichere Auswahl der Experten treffen oder sich auf Stellen verlassen, denen sie schon in der Vergangenheit berechtigt Vertrauen entgegenbringen konnten.

Hinterfragen

Sie können auch einen skeptischen Weg einschlagen, selbst wenn Sie weder Spezialist sind, noch werden wollen. Sie müssen dafür kein großes Wissen anhäufen, aber unnötige Überinformation aussondern und intelligente Fragen stellen, wie zum Beispiel diese: «Wenn das Wissen grundsätzlich begrenzt ist, warum ist dann diese Empfehlung so eindeutig?»

Sie verletzten nicht das Vertrauen kompetenter Ärzte, wenn Sie nachfragen. Abwehrend reagieren meist Mediziner mit Qualitätsmängeln.

Jemandem zu vertrauen gibt Sicherheit, beruhigt. Skepsis verunsichert, erfordert eigenes Urteilsvermögen und die Bereitschaft, Verantwortung für sich übernehmen zu wollen. Im Gesundheitswesen hat die Vermittlung von Vertrauen große Bedeutung. Unser Denken, Fühlen, Wollen und Handeln wird im Gesundheitsmarkt beeinflusst und gelenkt. Diese Suggestion wirkt um so besser, je willensschwächer, unselbstständiger, kränker oder leichtgläubiger wir sind. Glauben und Hoffen gründen auf persönlicher Wirkung des Heilers, auf Ausstattungsgegenständen oder Ritualen, «bedeutungsvoll» – inhaltsleeren Handlungsabläufen oder einem Produktimage. Viele Studien belegen, dass mindestens die Hälfte einer Medikamentenwirkung aus Suggestion entsteht. Sogenannte Placebos, die nichts außer Milchpulver enthalten, gehören deshalb zu den wirksamsten Arzneimitteln. Die Ausstrahlung der Behandler hat oft heilendere Wirkung, als das verordnete Medikament selbst.

Kritisches, wissenschaftliches Denken entzaubert solche Show-Effekte und wirkt deshalb auf viele kalt und nüchtern. Unerwartete Entdeckungen machen Angst, dass ein sicher geglaubter Boden unter den Füssen nachgeben könnte. Wenn uns ein Theaterstück gefällt, wollen wir, wie Kinder beim Kasperl-Theater, nicht unbedingt genau wissen, was sich hinter der Bühne abspielt. Skeptisches Denken ist zudem nicht sehr praxisbezogen, da es zu immer neuen Zweifeln und Fragen führt und uns oft Erkenntnisse liefert, die uns im Alltag herzlich wenig nutzen.

Medizin ist keine exakte Wissenschaft, sondern Handwerk, Erfahrungswissen und kriminalistische Indizien-Zusammenstellung, Kunst, magisches Glaubenssystem und auch Geschäft. Sie bedient sich der Rasterfahndung (durch Reihenuntersuchungen), schließt Tatbestände aus (mit Hilfe diagnostischer Tests), sucht Belege für Vermutungen und fällt Urteile auf Grund von Wahrscheinlichkeiten, die nie ganz zweifelsfrei sind.

Die Medizin gründet dabei entweder auf wissenschaftlichem Denken und Verständnis für Lebens-Zusammenhänge oder auf Dogmen, die von den Meinungsführern und den Marktgesetzen bestimmt werden.

Qualifiziertes ärztliches Vorgehen erfordert kontrolliertes Probehandeln, um durch «Versuch und Irrtum» für und am besten mit den Patienten einen sicheren Weg zu finden. Der Versuch medizinischer Forschung, Unbestimmtheit im Verständnis von Krankheit zu beseitigen, bringt zwangsläufig immer neue Fragen und neue Unbestimmtheit mit sich. Die ausufernde Produktion medizinischen Wissens kann kein Experte mehr überblicken, und ein guter Arzt ist deshalb oft nicht nur an solidem Wissen zu erkennen, sondern an dem Wunsch weiterzulernen und weiterzuüben.

Wissenschaftliches Denken in der Medizin kann sich auf einen Zusammenhang von Wirkungsabläufen konzentrieren, Beziehungen abwägen und «die Lebensenergie» in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen. Diese Denkrichtung stammt aus östlichen Kulturen und lässt sich mit «Sowohl – Als auch!» umschreiben.

Europäische Medizin beruht auf der Betrachtung von Einzelfaktoren. Sie ergreift Partei, zum Beispiel gegen Krankheitserreger, bei deren Bekämpfung manchmal «Kollateralschäden» in Kauf genommen werden: Sie fußt auf dem Prinzip «Entweder – Oder!».

Der Vorteil westlicher Medizinwissenschaft, die auf Krankheit und Ursachen blickt, ist die Überprüfbarkeit der Wirkung einzelner Faktoren (sogenannte Evidence based medicine). Diese einzelnen Faktoren müssen aber für ihre Beobachtung immer von Störeinflüssen abgegrenzt werden, was die Schlussfolgerung aus der Beobachtung und ihre Übertragung auf die Situation eines Einzelschicksals zwangsläufig einschränkt. Extrem effektiv ist westliche Medizin in akuten Not- und Katastrophensituationen: Intensivmedizin, Versorgung Schwerverletzter, Tumorentfernung u.a. Der umgekehrte Blickwinkel auf Gesundheit, auf Chancen und Blockaden, wird in der westlichen Medizin in der Wissenschaft des Gesundbleibens, der so genannten «Salutogenese», wieder entdeckt. Während die hervorragende Rolle der «westlichen» Medizin bei der Lebensrettung unbestritten ist, ist sie bei der Gesundheitssicherung sehr fragwürdig.

«Östliche» Medizin oder Gesundheitsförderung wirken eher bei Störungen, bei denen noch die Chance einer Selbstheilung besteht. Dafür sind ihre Möglichkeiten, schwere Krankheiten zu heilen oder schnell zu bessern, sehr begrenzt.

Klarheit oder Wahrheit?

Sie können nicht gleichzeitig ein Detail genau untersuchen und den Gesamtzusammenhang betrachten. Sie können entweder alles über einen genetischen Defekt, ein Virus, einen bestimmten Enzymmangel herausfinden oder das Umfeld, die Beziehungen, die Zusammenhänge verstehen, in denen der Störfaktor wirkt.

Klarheit

Sie sind sicher, dass Sie an einer entscheidenden Stelle angelangt sind, an der es sich lohnt, intensiv ins Detail zu gehen. Damit Ihnen das gelingt, müssen sie sich konzentrieren, immer mehr störende Überinformation aus anderen Bereichen ausklammern, Ihren Blickwinkel einengen und etwas fixieren.

In einem Bild: Sie paddeln auf dem Meer des Wissens; an der richtigen Stelle springen ins Wasser und tauchen so tief wie möglich um Ihren Schatz zu entdecken.

  • Vorteil: Sie sehen ein Detail (den Schatz genau an dieser Stelle) ganz klar.
  • Nachteil: Wenn Sie den Gesamtzusammenhang aus dem Auge verlieren, treibt die Strömung Sie ab und Sie erreichen Ihr Boot nicht wieder.

Wahrheit

Sie schauen sich alles an, ohne ins Detail zu gehen. Sie weiten Ihr Blickfeld auf alle möglichen Chancen und Risiken, Zusammenhänge und Beziehungen, die Sie umgeben.

Noch mal das Bild: Sie paddeln auf dem Meer des Wissens, schauen sich nach den Möwen um, spüren Wind, Sonne und Wellen und gehen nicht tiefer ins Wasser als Ihre Hand reicht, weil sie die Stelle, an der sie tauchen wollen, noch nicht gefunden haben.

  • Vorteil: Sie spüren das Ganze, das Sie nicht vollständig wahrnehmen und auch nicht in Allem verstehen können.
  • Nachteil: Sie erkennen keine Details und können so den ersehnten Schatz nicht heben.

Klarheit und Wahrheit sind gleichzeitig nicht zu haben. Das wissen wir spätestens seit Entdeckung der Quantentheorie, aber auch aus dem Lebensalltag: Wir können nicht gleichzeitig eine Nadelspitze und den Horizont scharf erkennen.

Um «Klarheit» zu erlangen, müssen Sie alles Unwichtige wegdenken oder in einem Experiment ganz wegschließen. Dann wird eine Einzelwirkung klar, es gelingt sogar einen bestimmten kleinen Ausschnitt unserer Wirklichkeit in einer logischen Formel abzubilden.

«Wahrheit» ist ein anderes Wort für die Realität wie sie ist: komplex, verwoben und voll chaotischer Wechselwirkungen. Wenn Sie auf dieses Ganze schauen, können Sie es nur begrenzt verstehen, aber sehr wohl in seiner Vielfalt bewundern oder genießen. Eine «ganze Wahrheit» oder «die» Wahrheit gibt es nicht, oder wenn es sie doch gäbe, könnten wir sie nicht erkennen.

Um etwas zu verstehen, brauchen Sie beides: Klarheit (den Blick auf das Detail) und Wahrheit (den Blick auf die Zusammenhänge). Das ist aus den genannten prinzipiellen Gründen nur abwechselnd möglich.

Beispiel

Eine Feder und ein Stein fallen unterschiedlich schnell. Viele Jahrhunderte glaubte man, diese Bobachtung hänge zusammen mit ihrem Gewicht. Aristoteles (384-322 v. Chr.) zog einen falschen Schluss von der Realität auf ein Prinzip: Je schwerer etwas sei, desto schneller falle es. Erst Galileo Galilei (1564-1642) kam auf den Gedanken, die Realität «auf das hier Wesentliche» einzuschränken: Er dachte sich alles Störende, wie die Luft und ihre Bewegung, einfach weg. Auf rein theoretischem Wege gelangte er so zu der Ansicht, dass Feder und Stein «im Nichts» gleich schnell fallen müssten. Erst viele Jahre später wurde diese Behauptung tatsächlich bestätigt (Robert Boyle: Vakuumpumpe; Isaac Newton: Gravitationsgesetz). Durch Weglassen alles Überflüssigen öffnete sich eine klare Sicht auf einen Zusammenhang, hinter dem sich ein Naturgesetz verbarg. Die «mechanische» Übertragung der Theorie und der Beobachtung im Experiment auf die Realität ist aber offensichtlich falsch: Auch weiterhin fallen eine Feder und ein Stein nahe der Erde unterschiedlich schnell, und – wegen des Windes – meist unberechenbar.

In der Medizin sind wissenschaftliche Studien, die nur ein oder zwei Faktoren betrachten und alles andere ausschließen, notwendig, um klar zu sehen, ob etwas wirkt oder nicht. Medizin ohne solche experimentelle Bestätigung ist Mystik, Glaube und oft auch Hokuspokus.

Der direkte Rückschluss von den Ergebnissen einer Studie auf die komplexe Realität einer betroffenen Person ist aber trotzdem nicht möglich.

Heilung erfordert Aussöhnung

Krankheiten äußern sich körperlich, während Gesundungsprozesse von der Geisteshaltung abhängen. Heilung erfordert ein Nachlassen geistiger Anspannung, von Unruhe und Angst; wie bei einem Kind, das getröstet von seiner Mutter trotz seines Fiebers selig einschläft.

Deshalb empfahl der griechischer Arzt Sextus Empirikus vor 2200 Jahren, sich von festen Meinungen, an die wir uns besonders gerne in Krankheitszeiten klammern, loszusagen: «… Unsere wesentliche Krankheit ist das vorschnelle Urteil, der dogmatische Glaube! … Deshalb lebe undogmatisch nach der alltäglichen Lebenserfahrung …».

Ein anderer Denker dieser Zeit, Pyrrhon von Elis, sah den Schlüssel zur Gesundung in der «Zurückhaltung im Urteil; und wie ein Schatten [folge] die unerschütterliche Gemütsruhe». Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckehard gab einen ganz ähnlichen Rat: «Laß dich – das ist dein Bestes!».

Epiktet, ein Philosoph, der ein extrem hartes Leben als Sklave fristen musste, empfahl «das Schicksal» zu «lieben» und meinte damit, das intensiv zu erwünschen, was gerade da ist: «In unserer Macht steht: Annehmen … was nicht in unserer Macht steht, ist kein Übel und geht uns nichts an. Leiden entsteht in dem wir nicht Annehmen. Nicht die Dinge beunruhigen uns, sondern unsere Urteile und Meinungen über sie. Jedes Ereignis hat positive und negative Wirkungen. Nicht ein Ding, der Tod, ist furchtbar, sondern die Meinung, die wir über es haben. Du bist selbst Vorstellung.»

Die Aussöhnung mit sich selbst, den begrenzten Möglichkeiten, den zunehmenden Gebrechen, Krisen und Schicksalsschlägen ist ein notwendiger Schritt für geistige und körperliche Heilungsprozesse. Die Gedanken lassen, lockerlassen und entspannen, das was ist wird angenommen und zukunftsbezogene Wünsche und Hoffnung verebben. Damit entsteht Zeit und Ruhe für das Gesunden.

Mit dem Prozess des «sich Versöhnens» verändern sich unmerklich die Betrachtungsstandpunkte, und es eröffnen sich neue Perspektiven: Aus «Ich bin unglücklich!!» wird «Bin ich unglücklich??»

Wenn wir sie akzeptieren können, verlieren Schmerz, Niederlagen, Misserfolge, Verlust, Leid und Tod ihren Schrecken. Und damit erweitert sich unser Handlungsspielraum.

Das Prinzip des An-Nehmens findet sich in vielen Sportarten wieder: Ein Ball muss erst unter Kontrolle gebracht werden bevor er gezielt weitergespielt werden kann, ein Kampfsportler fängt die Energie seines Gegners elastisch auf und lenkt sie ins Leere, bevor er seinerseits angreift, ein Segler nimmt das Wetter hin wie es ist und bestimmt aus dem gegebenen Wind seinen optimalen Kurs.

Aus diesem ersten Schritt des Lockerlassens folgen alle anderen wie von selbst. Aufmerksame Entspannung schafft die beste Voraussetzung für Handlungsbereitschaft, wie bei einem leicht vorgedehnten Muskel, der den Arm plötzlich nach vorne schnellen lässt.

Wenn aus dieser Ruhe Kraft erwächst etwas zu tun, kommt die beste Zeit zu fragen. In früheren Zeiten war für das richtige Handeln der Zugang zu Information (im Sinne des zu diesem Zeitpunkt bekannten Wissens) besonders wichtig: das «eine Buch», «der eine Lehrer», die «eine Denkschule» hatten daher überragende Bedeutung. Heute werden wir mit Informationen überhäuft und die tiefste Detailkenntnis befindet sich nur noch drei oder vier «Maus-Klicks» von uns entfernt. Seither gewinnt das Aussondern von Informationen an Bedeutung: die Kunst des Auswählens, des Weglassens oder des Zusammenfügens verschiedener Puzzleteile unterschiedlicher «Bücher» oder «Lehrer».

Niemand kennt Sie besser als Sie sich selbst, und mit etwas Selbstvertrauen werden Sie Schritt für Schritt Ihr eigener Experte.

Tapferkeit stärkt, Eigensinn
macht Spaß und Geduld gibt Ruhe …
Sei du selbst ist das ideale Gesetz. Hesse

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Letzte Aktualisierung: 06.04.2023