Medizin-Müll
„Wenn es hässlich aussieht, ist es meistens auch falsch.“
Rat eines Chirurgen, Reutlingen 1986.
Krankheitsbehandlung erzeugt Müll
Nach medizinische Eingriffen müssen Handschuhe, Kittel, Ausrüstungen und Atem-Schutzmasken entsorgt werden. Ferner: Tupfer, Verbänden, Einmal-Plastik-Material, Medikamente, Verpackungen, Nadeln, chirurgische Instrumente u.v.a. In vielen Ländern wird dieser Gift-Müll einfach irgendwo hinter den Gesundheitseinrichtungen abgeladen. Oder er wird mit dem allgemeinen Abfall vermischt und auf allgemeine Mülldeponien verbracht. Oder auch einfach vor Ort – offen qualmend – verbrannt.
Abwässer enthalten Ausscheidungen nach Chemo-, Antibiotika- oder Radiotherapien, Labor-Reagenzien, Desinfektionsmittel, Infusionsreste oder Lösungen mit Chemikalien oder Desinfektionsmitteln. Vielerorts werden sie in allgemeine Kläranlagen, oder auch (ungeklärt) direkt in Flüsse oder in das Meer eingeleitet.

Stolz berichtet die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit von einem neuen „Schwerpunkt der Umweltgesundheit“ in Nepal – den es ohne „Gesundheitsprogramme“ (der internationalen Zusammenarbeit) nicht gegeben hätte. PodCast: Healthy developments 30.03.2021 (Podcast)
Mehr Krankheit durch mehr Medizin
Bis 1980 wurden im Gesundheitswesen weltweit überwiegend Glasspritzen, und Injektionsnadeln und chirurgische Messer aus Metall verwendet. Dieses Kleinmaterial musste, ebenso wie die größeren Operationsinstrumente immer wieder gesäubert und sterilisiert werden.

Bilder: Jäger, Tansania 1983
Oft war die Desinfektion wiederverwendbarer Instrumente und Materialien unzureichend. Dann wurden Krankheitserreger übertragen, insbesondere Hepatitis C und HIV:
Um das Problem der Infektionsübertragungen durch medizinische Institutionen zu lösen, wurden durch die WHO u.v.a. wiederverwendbare Spritzen, Nadeln, Operationsmesser und kleine, chirurgische Gebrauchsgegenstände nach und nach durch Einmal-Material ersetzt.
Erfolgreich, denn tatsächlich sanken die Übertragungsrisiken. Aber nicht überall.
Langfristig war der Nutzen nicht so eindeutig. Denn die die Einführung von Einmal-Material
- führte zu einer erheblichen Ausweitung medizinischer Anwendungen und Interventionen.
- In Ländern mit beschränkten Ressourcen wurde zudem (nicht sterilisierbares) Einmalmaterial oft wiederverwendet. Selbst dann, wenn es „selbstzerstörend“ konstruiert sein sollte.
- Und für Drogenabhängige war und ist das Einmalmaterial sehr leicht zugänglich. So das der Gebrauch intravenöser Drogen drastisch zu nahm (Mehr s. Lit.).
Die Risiken für die Übertragung von Hepatitis C und HIV (trotz Einmaterialverwendung) sind seit 1987 intensiv untersucht. Eigentlich hätten Ende der neunziger Jahre bei der WHO angesichts dieses globalen Gesundheitsrisikos die Alarmglocken schrillen müssen.
Man hätte darauf hinwirken müssen, medizinische Interventionen, die mit Nebenwirkungen verbunden sein könnten, auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Das Gegenteil war der Fall: Denn der Gesundheitsmarkt wächst sehr dynamisch.
Die Einführung von Einmal-Material führte zu einem drastischen Anstieg von Krankenhausmüll. Die Gefahren, die sich daraus ergaben, wurden nicht ernst genommen. (Gisselquist 2008)

Bilder: Jäger, Laos 2020. Oben links: Geburtshilfe, Oben Mitte: Elektroschrott, oben rechts: Eimer vor Patient-Unterkunft zur Müllverbrennung, unten links: Müllwerker im Krankenhaus, unten rechts: Chirurgie mit importiertem Einmalmaterial.
Covid-19

Die Anwendung von Schutzmaßnahmen wird im Zusammenhang mit Covid-19 massiv ausgeweitet. U.v.a. mit so genannten „FFP-Alltags-Masken“ und Testsystemen. (Lancet 13.08.2020, Alazeerah, 02.06.2020).
In den USA soll sich der Anfall von Gesundheits-Müll seit 2020 versechsfacht haben. (TheVerge 26.03.2020) In den ersten anderthalb Jahren der Pandemie seien > 8,4 Millionen Tonnen Covid-19-Kunststoffmüll produziert worden.
Die über 6.000 Krankenhäuser der USA verbrauchten pro Mitarbeiter:in täglich mehrere Masken, Handschuhe und Kittel. Der Abfall (inklusive Spritzen, Verpackungen, Desinfektions- und Medikamentenreste) landet typischerweise auf Mülldeponien. Sie gehören zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen und Luftverschmutzung, und machten bereits vor der Pandemie etwa 6.600 Tonnen medizinischen Abfall pro Jahr aus. Damit sind sie der zweitgrößte Verursacher von Deponieabfällen. Beckers Hospital Review 06.04.2021
Von März bis Oktober 2020 soll allein die Zahl nicht ordnungsgemäß entsorgter Masken um das mehr als 80-Fache angestiegen sein. Allein in Großbritannien machten Masken mehr als fünf Prozent aller achtlos weggeworfenen Abfälle aus. (Roberts 2021)

Roberts K et al.: Increased personal protective equipment litter as a result of COVID-19 measures, Nature Sustainability 09.12.2021, https://doi.org/10.1038/s41893-021-00824:
„Der Anteil der Masken in den Abfällen stieg infolge der COVID-19-Gesetzgebung um das 80-fache, von <0,01 % auf >0,8 %. Der Anteil von Handschuhen und Tüchern, der vor der Pandemie bei ~0,2 % der Abfälle lag, verdoppelte sich auf 0,4 % … Die Handschuhabfälle nahmen in der Anfangsphase der Pandemie zu, gingen aber nach der Einführung der Gesichtsmaskenpolitik zurück, woraufhin der Anteil der Gesichtsmaskenabfälle zunahm. Nationale COVID-19-Strategien und internationale Verlautbarungen und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation sind wahrscheinlich eine treibende Kraft für die Dynamik der Abfälle, insbesondere für die Umsetzung von Gesichtsmasken-Strategien. …“ Abstrakt, freie Übersetzung, Roberts 2021
Ein Großteil der Medizinabfälle gelangt in die Meere.

Die Autoren einer Studie der Nanjing Universität schreiben, die zusätzlichen medizinischen Plastikabfälle, die bis Ende August 2021 in den Meeren „entsorgt“ worden seien, entsprächen 1,5 % aller weltweit über Flüsse eingetragenen Plastikabfälle. (Peng 2021)
Weltweit schwämmen etwa 270.000 Tonnen Plastik im Meer: weit über fünf Billiarden Einzelteile unterschiedlicher Größe – in allen Regionen, von der Tiefsee bis zum arktischen Eis. Von der UN werden sie als gefährlicher für die Meeres-Gesundheit eingeschätzt, als die Verschmutzung durch Öl. (Guardian 10.10.2021)
Die Menschheit muss neu denken
Mikroorganismen, die ihren Wirt mit immer mehr Abfallprodukten belasten und vergiften, verspielen ihre evolutionären Chancen. besonders gut ist dieses Phänomen an Cholera-bakterien untersucht. Langfristig setzen sich in der Regel nur anpassungsfähige Varianten durch, die sich in ein Ökosystem integrieren können (auch bei der Cholera).
Dieses allgemeine Evolutionsprinzip trifft natürlich auch auf unsere Spezies zu, wird aber bisher noch nicht besonders ernst genommen. Der Umgang mit der Covid-19-Pandemie hat tunnelartiges Denken verstärkt: Ein scheinbar im Vordergrund stehendes Problem müsse zuerst ausgerottet werden. Kollateralschäden (wie uva mehr Mülle) müssen dafür in Kauf genommen werden. Erst wenn „das Virus“ kontrolliert sei, könne man sich anderen Problemen zuwenden. Der Zwang ein Einzel-Problemausrottung sei alternativlos.
Strategien des „Problembär-Erschlagens“ haben sich in der Steinzeit bewährt
Damals konnte Nomaden einfach weiterziehen und gerodete Wäldern, verbrannte Ackerflächen und vermüllte Lagerstätten einfach zurücklassen.
Eigentlich müsste das Verständnis für die Ökosysteme, in denen wir leben, und die uns ausmachen, an Bedeutung gewinnen. Politiker:innen müssten dringend nach Strategien suchen, die alle Krankheitserscheinungen und alle Probleme gleichermaßen günstig beeinflussten. Und sie müssten mit Interventionen vermeiden, die Kollateralschäden erzeugen. Wir müssten, um in der Evolution weiter überleben zu können, lernen Gesamtzusammenhänge zu verstehen. Damit wir Entwicklungen begünstigen könnten, die allen Lebensformen dieser Erde dienen.
Erfahrungsgemäß „lernen“ wir leider meist nur aus Katastrophen.
Mehr
Öko-Krise
- Heribert Lenz, Zur Hölle mit uns Menschen, Komplett-Verlag 2017, Video 2019
Infektionen durch das Medizinsystem
- AIDS in Afrika –
- Gefährliche Nadeln –
- Hepatitis C –
- Projet SIDA, Kinshasa 1987-1990 –
- David Gisselquist. Points to consider. Adonis&Annex, London 2008 – Blog: Don’t get stuck 2020
Medizinische „Masken in Alltag“, Test und ihre Entsorgung
- Roberts K et al.: Increased personal protective equipment litter as a result of COVID-19 measures, Nature Sustainability 09.12.2021, https://doi.org/10.1038/s41893-021-00824
- Should masks be worn outdoors? BMJ 2021; 373 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.n1036 (Published 28 April 2021) Cite this as: BMJ 2021;373:n1036 https://www.bmj.com/content/373/bmj.n1036?utm_source=etoc&utm_medium=email&utm_campaign=tbmj&utm_content=weekly&utm_term=20210430 –
- Wehrstedt C: Luft zum Atmen, DHZ 2021, 73(4):70-72 –
- Kai Kisielinski et al: Is a Mask That Covers the Mouth and Nose Free from Undesirable Side Effects in Everyday Use and Free of Potential Hazards? Evironm Research and Public health https://www.mdpi.com/1660-4601/18/8/4344/htm
- https://tkp.at/2021/04/22/bereits-24-us-bundesstaaten-ohne-maskenzwang-und-12-mit-verbot-vom-impfpass/
- Peng Y et al: Plastic waste release caused by COVID-19 and its fate in the global ocean. PNAS November 23, 2021 118 (47) e2111530118
Nosokomiale (medizinsystem-verursachte) Infektionen
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- Fernando, D: The AIDS Pandemic: Searching for a Global Response. The Journal of the Association of Nurses in AIDS Care : JANAC 09.07.2018. – http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S105532901830133X
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