1. Home
  2. /
  3. Blog
  4. /
  5. Die Physiologie des Friedens

Die Physiologie des Friedens

„Menschen sind zu Liebe fähige Tiere.“ Humberto Maturana

Wir können Kriege beginnen. Wie Schimpansen. Wir können Artgenossen umbringen wie Krokodile. Aber besitzen wir nicht auch die Kompetenz zu kommunizieren? Können wir nicht, besser als jedes andere Tier, primitive Verhaltensmuster beruhigen? Warum sollten wir dann nicht fähig sein, für Friede zu sorgen?

Stress, Ruhe und Beziehung

Der Hirnstamm bildet die Schnittstelle zwischen zentralen und im Körper verzweigten Nervensystem. Seine Funktionen beeinflussen Atmung und Stoffwechselfunktionen (u.a.). Nerven- und Bewegungssystem bilden einen Funktionszusammenhang. Aufgabe des Gehirns ist es, Bewegung zu veranlassen und koordinieren, um mit der äußeren Welt in Beziehung zu treten. Einen anderen Funktionszusammenhang bilden Darm, Darmnervensystem, Mikrobiom und Immunfunktion, die nach der Geburt erst allmählich mit dem zentralen Nervensystem zusammenwachsen. Alle Körperzellen wirken immer zusammen, abgestimmt in unterschiedlichen Klangfarben, wie in einem großen Orchester. Körper und Geist sind nicht getrennt. Auch das autonome Nervensystem tut nichts. Es ist Teil eine hochsensiblen Schwingungssystems, dessen Impulswellen sich gleichermaßen auf die bewussten und die unbewussten Anteile des Seins auswirken.

Betrachtet man die Entwicklung dieser Funktionseinheit während der Schwangerschaft, der Geburt in den ersten Lebenstagen, wird seine Funktionsweise, die bis zum Tod unser Leben bestimmt, verständlich:

Wenige Minuten nach überstandener Todesgefahr. Nach Erstarren und Protestieren, die Beruhigung durch die Verbindung mit der Mutter. Bild: Jäger 2017

Die erste erlernte Programmierung des noch ungeborenen Nervensystems ist die Ausatmung. Die erste autonome Lebensäußerung des Fetus. Ist die Schwangere tätig, ruht das Kind, denn seine Aktivität wäre dann ein unnötiger Energieverbrauch. Ruht oder schläft die Schwangere, ertastet der Fetus mit seinen Fußsohlen die Entspannung der Bauchdecke. Dann darf er spielen: z.B. den Unterkiefer entspannen und passiv Fruchtwasser in die oberen Luftwege laufen lassen. Die aktive Bewegung folgt dann einem Impuls des Stammhirns: Fruchtwasser auspressen. Das übt das Ungeborene monatelang, und kann deshalb nach der Geburt ausatmen. Zeitlebens bleibt die unbewusste Erinnerung, dass Ausatmung bedeutet: Die Mutter ist entspannt und man selbst in Sicherheit ist. In Gefahr oder bei Bedrohung hilft es deshalb ungemein, den Atmen ruhig und tief herausfließen zu lassen.

Die nächste ‚Stammhirnprogrammierung‘ während der Schwangerschaft betrifft den hinteren Anteil des Vagus-Nerven, der sehr dicht am Atemzentrum liegt und an einer Zellgruppe, die Erbrechen auslösen kann. Hier schon in der Mitte der Schwangerschaft eine Funktion, die ein Schildkröten-artiges Verhaltensprogramm auslöst: bei Belastung oder Gefahr erstarren, sich nicht bewegen. Wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer verkriecht und erst wieder vorsichtig herkommt, wenn die Gefahr vorbei ist. Das Herz wird dann gebremst, die spielerische Atembewegung unterdrückt und das Gehirn weniger durchblutet. Während der Geburt macht dieses Verhalten Sinn. Es würde nicht helfen, wenn das Kind zappelte und versuchte mitzuhelfen. Der Abfall der Schlagfrequenz der kindlichen Herztöne während der Wehen (‚Dip I‘) ist deshalb völlig normal. Aber unmittelbar nach der Geburt (und zeitlebens) nicht mehr. Denn es nützt nichts, bei Gefahr, in Ohnmacht zu fallen. Erstaunlicherweise werden diese Zellen dann nicht abgebaut, sondern langsam umprogrammiert zu einem wesentlichen Impulsgeber für innere Körperfunktion, wie u.a. das Immunsystem.

Spiel: Sympathikus und Vagus-Aktivierung gleichermaßen. Alles geben und Spaß haben. Bild: Jäger, Laos 2020

Direkt nach der Geburt wird von dem Kind ein drittes Verhaltensprogramm erwartet: das Anknipsen von ‚Flutlicht‘ im Gehirn und die Aktivierung aller Körperzellen. Das Kind schreit, zappelt und alle Körperzellen sind schlagartig hellwach, besonders die des Gehirns. In diesem hochaktiven ‚Krokodilmodus‘ des Stammhirns kann das Kind im wesentliche zweierlei: angreifen, protestieren, schreiben oder sich zurückziehen (z.B. wenn sich eine Nadel nähert). Auch dieses Verhaltensprogramm bleibt zeitlebens erhalten, als basale Stressreaktion: ‚Krieg oder Flucht‘.

Unmittelbar danach lernt das Kind ein neues autonomes Verhaltensprogramm, das die Aggression beruhigt und Handlungen begleitet, mit dem Gespür, dass es gut werde. Dieses Verhaltensprogramm ist säugetiertypisch und erfordert Hirnfunktionen, die dem Stammhirn übergeordnet sind: Das Mittelhirn, in dem u.a. das Bindungshormon hergestellt wird. Wenn aus der vorübergehenden Trennung zwischen Mutter und Kind wieder eine (neue) Einheit wird (Bonding) lernt das Kind allmählich, mit anderem bewusst in Beziehung zu treten. Sich aktivieren und zugleich beruhigen: Spielen. Die beruhigenden Impulse laufen dann, mit jeder Ausatmung über den vorderen Ast des Vagus. Der den Herzrhythmus und die Atmung effektiver gestaltet. Und verschaltet ist mit umfassenderen Beruhigungsfunktionen, die Stimme, Gehör, Gesicht, Haut, Geruch einbeziehen (u.v.a.).

Diese Funktion ist besonders bei Menschen perfekt ausgestaltet. Sie ist die Basis, auf der wir liebende, beziehungsreiche, friedliche Wesen werden.

Vollständiger Artikel

Letzte Aktualisierung: 12.02.2024