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Aufmerksam Nicht-Tun

Zurückgelehnt im Sessel in der ersten Reihe lümmeln.

Aufmerksam das Bühnenbild betrachten.

Lauschen, wie der Unruhe und dem Gekicher, gespannte Stille folgt. Sich von Licht-Geflimmer und Farben beeindrucken lassen. Die Dramatik der Musik spüren. Die Gerüche einsaugen. Es genießen.

Und auf einen Wink mitspielen. Oder auch nicht. Oder:

Hokusai : Die große Welle vor Kanagawa

Chaos und Gewalt erleben. In Ohnmacht erstarren. Sich zusammenreißen und auf Angriff oder Flucht vorbereiten.

Und dann: Wenige Sekunden nicht handeln. Innere Stille zulassen. Wach werden. Das innere Toben wahrnehmen, und damit aufhören, im Tunnel zu rennen. Zurück-treten. Den Raum wahrnehmen. Erkennen, was geschieht. Sich verbinden, und es so verstehen.

Wie Segler im Sturm, die sich an Windböen und Wellenberge anschmiegen, und dem Boot vertrauen. Die nicht gegen die Gewalt kämpfen. Die sich anpassen, von Sehnsucht geleitet. Die möglichst wenig tun, und doch auf Kurs bleiben.

Möglichkeiten, wie wir bewusst (auch) sein könnten. Warum sind sie so selten?

Meist denken wir voraus.

Wir beseitigen eine Kiste, die uns im Weg steht. Bevor wir sie berühren, ist unser Geist bereits am Ziel, an dem es das Problem nicht mehr gibt. Bewusstsein und Handlung stimmen nicht überein. Das macht es so mühsam. Erfahrene Möbelpacker bleiben, bevor sie den schweren Gegenstand wegschieben, etwas länger stehen und tut scheinbar nichts, was äußerlich sichtbar wäre. Sie versuchen, das Objekt zu verstehen, und sich mit ihm zu verbinden. Kaum ist das gelungen, hört es auf, ein Problem zu sein. Stattdessen wird die Situation interessant, herausfordernd. Sie erzählt dann, was sie jetzt braucht.

Ian McGilchrist: Video 2011. Zitat 2023: Wir überhöhen die Fähigkeit, Dinge zu manipulieren (engl. ap-prehend). Und verlieren die Kompetenz zu verstehen, zu erleben und etwas in einen sinnvollen Gesamt-Zusammen-hang einzuordnen (engl. com-prehend)“.

Die Meisten aber nehmen die Gegenwart problembeladen wahr. Als eine Aneinanderreihung von Widrigkeiten, die uns die Zukunft verbauen. Es ist eben ‚Jetzt‘ nicht so, wie sie sein sollte. Deshalb ‚wollen‘ oder ‚müssen‘ sie es ändern. Oder sie halten es aus. Oder sie bekämpfen ein Problem nach dem anderen, oder alle gleichzeitig.

Bis sie kollabieren, und von der Bühne in ihre Höhle stolpern. Dort angekommen entspannen sie wie ein zerschnittenes Gummiband, lenken sich ab, verdrängen oder ziehen sich zurück. Bevor sie sich wieder die große Show stürzten, um den nächsten Kampf zu gewinnen.

Viele haben das Maß verloren, sind unglücklich, leidend, ausgelaugt, müde, gelangweilt, ängstlich. Sie konsumieren, glauben und hoffen. Und wollen nur noch das, was sie sollen.

In modernen Zivilisationen nimmt diese Art der Störung von Bewusstheit rasant zu: Denn wir werden gezwungen, uns auf immer größere Datenmengen toter Details zu konzentrieren, während unsere Fähigkeit schwindet, dynamische Zusammenhänge und körperliche Interaktionen zu verstehen. (MGilchrist 2024)

Das Zählen ’schwarzer und weißer Erbsen‘ gewinnt immer mehr an Bedeutung. Rechnen mit ‚Null und Eins‘ können Algorithmen wesentlich besser als Menschen. Roboter werden immer besser darin, geschickt und zielgenau, immer das Gleiche zu tun.

Menschen-typische verkörperte Kompetenzen werden weniger wertgeschätzt. Eine Hebamme, ein Gärtner, eine Lehrerin, ein Pilot, eine Ärztin sollen ‚richtig‘ handeln. Genau so, wie es ihnen Algorithmen und technische Handlungsanweisungen vorgeben.

https://www.youtube.com/embed/dFs9WO2B8uI?feature=oembedThe devided brain, Ian McGilchrist 2011: https://www.youtube.com/watch?v=dFs9WO2B8uI

Die Kunst, sich selbst oder die Situation oder andere zu spüren und fühlen, verliert an Bedeutung. Denn es wird verlangt, schnell, zielgenau und geschickt zu intervenieren. Wir werden für das Tore-Schießen bezahlt und nicht für die Freude am Spiel.

Im Gegensatz zu Maschinen können Menschen aber auch gewandt handeln, sorgsam, verbunden, kunstvoll. Dann gleicht ihr Bewusstsein nicht mehr einem Spot-Light, das versucht, im Dunkel der Bühne hektischen Handlungen zu folgen. Sondern: Die gesamte Bühnenbeleuchtung wird anschaltet. Alle Körpersinne klingen in Resonanz mit dem, was geschieht.

Wird der Zusammenhang nicht betrachtet, sondern nur ausgewählte Einzeldetails, kann er nicht verstanden werden. Strampelt man immer verzweifelter, im Orkan sinnloser Information, ist es einfach Ängste auszulösen, Scheinlösungen anzubieten, und Interessen-geleitet zu manipulieren und lenken. (Desment 2023, Mausfeld 2023)

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Letzte Aktualisierung: 18.02.2024