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Frieden durch Religion?

„Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln. … Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“ Papst Franziskus 09.03.2024

Vatikan News, aufgerufen am 12.03.2024

Strack-Zimmermann schämt sich dafür »als Katholikin« (Spiegel 10.03.24). Andere, die Menschen in den Tod hetzen, sind entsetzt. Sie nennen ihn senil. Einen „Kleingläubigen“, der vor einem Hitler kapituliert. (Express 10.03.2024)

Wie kann er es wagen, querzudenken?

Droht jetzt, nach zwei Enzykliken gegen unbegrenzte Gier, eine Dritte für den Frieden? (Laudatio si, 2015, Fratelli tuti, 2020)

Oder noch gefährlicher, will er die „Feindschaft von Christen und Marxisten“ beenden, und die katholische Theologie befreien? Will er sich auf die Seite der Armen stellen? (Bauer, Soziallehre vs. Befreiungstheologie, 08.06.2021)

Christentum und Macht

Offenbar versucht Franziskus durch seine Kirche ein Vakuum zu füllen, das nach der Implosion des religiösen Überbaus des Kapitalismus (in den G7-Staaten) entstand: Dort verfällt der Protestantismus in eine ähnliche Bedeutungslosigkeit, wie der Buddhismus in Japan. Und der Ersatz durch Kapitalismus-genehme Schein-Kulte erwies sich als nicht wirklich erfolgreich:

Ablenkung, Konsum und Unterhaltung (u.a. Leistungssport) bieten keine sakralen, heiligen Werte, keine Ethik und keine Moral. Gesundheitskult und Todesangst sorgten zwar für brave Angepasstheit, aber sie erwiesen sich langfristig als kontraproduktiv. (Lauterbach 21.04.2024) Denn jetzt ist Kriegstüchtigkeit gefragt (Lauterbach 02.03.2024), also Verachtung gesundheitlicher Risiken und Todes-Sehnsucht. Wie soll aber jemand, der durch tägliche Hirnmassage verinnerlicht hat, den Tod zu fürchten, um Sicherheitsprodukte zu konsumieren, motiviert werden, an der Front zu reisen, um dort den Heldentod zu sterben?

Es zeugt von strategischem Denken, wenn der Papst erkennt, dass seine Kirche weltweit an Bedeutung verlieren könnte, wenn sich die Machtverhältnisse in der Welt rapide ändern (Richard Wolff: Empire Declins an Costly Delutions, 07.03.2024). Denn nur der konfuzianischen Religion in Asien scheint es zu gelingen, sich als ein dem Kapitalismus übergeordnetes Moralsystem anzubieten.

Der Papst sieht gerade jetzt, wo der Islam noch relativ schwach ist, und sich die orthodoxen Kirchen bekriegen, eine Möglichkeit, wie er seinen Gläubigen Hoffnungen machen könnte auf eine sinnvollere Zukunft.

Aber plant die Katholische Kirche tatsächlich, sich konsequent für Frieden einzusetzen? Im Laufe ihrer langen Geschichte hat sie furchtbare Verbrechen begangen. Aber dafür nie die Verantwortung übernommen. (Daschner 2013) Alt-testamentarischer Monotheismus war stets mit Gewalt verbunden (Assmann 2018), wie soll da ein Paradigmenwechsel zum Frieden gelingen?

Die katholische Kirche war seit ihrem Beginn mit Feudalismus und Kolonialismus verheiratet: Dabei ging es um Land, um Gold und um noch mehr Land. Ihr Abstieg begann mit der Erfindung der Spekulation an der Börse. Das neue Prinzip „Geld – Ware/Land – noch mehr Geld“ trat ein Schneeballsystem los. Seither verschlingt es, unbegrenzt wachsend, immer mehr Ressourcen. Erfunden wurde die Börse 1610 in Amsterdam von streng religiösen Männern, die in evangelikalen Kirchen und sephardischen Synagogen beteten. Auch die ersten Londoner Börsenmakler und ihre Siedler waren fromm. Sie beteten inbrünstig für das Gelingen ihrer guten Werke, wenn sie Land und Bodenschätze raubten, Eingeborene ausbeuteten, verdrängten, unterjochten, einsperrten oder umbrachten.

Damals diente Religion als Geist und Überbau des Kapitalismus. (Weber 1904). Bis das Raubtier den Reiter abwarf, auffraß und nur noch den ‚religiösen Schein‘ benutzte:

There was a young lady of Niger,
Who smiled as she rode on a tiger.
They returned from the ride
With the lady inside
And the smile on the face of the tiger.

Hat der Katholizismus noch eine Chance?

Vielleicht. Aber nicht unbedingt in Europa oder Nordamerika.

Die katholische Kirche von Kipatimu in Tansania (Bilder: Jäger, 01/2024). Hier begann 1905 der MajiMaji-Aufstand gegen die Deutschen Kolonialtruppen. (Mapunda 2017, Rushohora 2018). Hier wurde mindestens die Hälfte der örtlichen Bevölkerung umgebracht (und bis 1907 in ganz Tansania etwa 300.000 Menschen). Wie kann es sein, dass einer der beiden tansanischen Priester heute darauf stolz ist, dass in Kipatimu der katholische Marien-Glaube stärker sei ‚als in Bayern‘. Seine Erklärung war einfach: Weil der Glaube an höhere Gerechtigkeit dabei helfe, den Alltag zu bewältigen.

Der Katholizismus war ein Wegbereiter des Kolonialismus.

Er war direkt an Landraub, Verbrechen und Unterdrückung beteiligt. Aber (manche) Missionare und Nonnen sorgten sich auch um Schulbildung und Krankenbehandlung. Und es entwickelten sich Formen afrikanischer Interpretationen des Christentums (Beispiel: Kimbangisten). Beim Aufstieg des Kapitalismus als beherrschendes Wirtschaftsprinzip lief der Katholizismus eher mit, ohne je eine kontrollierende Position zu erlangen. Gegründet auf seiner Sozialethik wurden aber auch Gedanken entwickelt, die versuchten, dem kapitalistischen Raubbau entgegenzuwirken. (Ivan illich, Leonard Boff, Ernesto Cardenal)

Chancen für einen Neo-Katholizismus

Vielleicht könnte eine der Möglichkeiten eines geläuterten Katholizismus darin bestehen, Frieden zwischen verfeindeten orthodoxen Kirchen zu stiften. Oder sich mit dem Islam auszusöhnen, dessen ʿĪsā ibn Maryam besser zu den historischen Geschehnissen passt, als die christliche Erzählung eines ‚göttlichen Jesus‘ (Fried 2019).

Oder vielleicht könnte sich der Katholizismus auch auf friedvolle Ethik besinnen (die zu seiner Wurzel zählt): auf den Buddhismus und auf die Religion des Zarathustra, die beide zeigen, dass Religion nicht zwangsläufig mit Gewalt verbunden sein muss.

Oder vielleicht könnten sich Katholiken auch mit Barauch de Spinoza und dem Pantheismus beschäftigen. Seine Auffassung, Universum und Gott stellten eine einzige Realität dar, widersprach dem religiösen Mainstream in Amsterdam des 17. Jh. Sie passten nicht zur Logik grenzenloser Geldvermehrung und Naturzerstörung. Aber sie fügen sich widerspruchsfrei in die physikalische Betrachtung der Welt und passen auch zu dem Unsagbaren und Wunderbaren, das die Religionen bestaunen.

Angesichts psychologischen Elends ist Spinozas These, dass Gott das Dasein selbst sei, hochaktuell.

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Letzte Aktualisierung: 12.03.2024