Monotheismus und Gewalt
Der Ägyptologe Jan Assmann beschreibt, wie der Monotheismus scheinbar zwangsläufig von Gewalttätigkeit begleitet wurde (1). Sie sei die logische Konsequenz aus Vorstellungen,
- dass etwas von einem anderen radikal getrennt sein könnte („mosaische Unterscheidung“),
- und sich deshalb auch eine Gruppe von Menschen, die dem „einen Gott“ näherstünde, sich fundamental von anderen unterscheide, und es vor allem,
- ein einziges, unanzweifelbares, niedergeschriebenes Wahrheits-Dogma gäbe, dessen Verkündung alle widersprechenden Ansichten als bösartige Lügen entlarve.
Menschen, die außerhalb einer solchen monotheistischen Religion stehen, werden daher missioniert, oder ausgegrenzt, oder bekämpft oder auch vernichtet.
„Der Begriff ‚Gott‘ erfunden als Gegensatz-Begriff zum Leben … Der Begriff „Jenseits“, „wahre Welt“ erfunden, um die einzige Welt zu entwerten, die es gibt … Der Begriff „Seele“, „Geist“ … „unsterbliche Seele“ erfunden um, den Leib zu verachten … Der Begriff „Sünde“ erfunden samt dem zugehörigen Folterinstrument … der Begriff „freier Wille“, um die Instinkte zu verwirren, um das Misstrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen.“ Nietzsche (2)
Den Gedanken Nietzsches folgend diagnostizierte Sigmund Freud Religion als gefährliche, kollektive Zwangsneurose (3). Auch der Biologe Richard Dawkins hielt Religionen für einen irrationalen und zerstörerischen Wahn (4), dessen Ausbreitung, wie der Historiker Karlheinz Deschner beschreibt, Blutspuren hinterlässt. (5) Ähnlich beschrieben Philosophen wie Anton Grabner-Haider (6), Michel Onfray (7) u.v.a. monotheistische Religionen als tickende Bomben, die selbst die eigenen Gesellschaften in den Tod reißen können.
Dennoch waren Religionen in der Menschheitsgeschichte sehr erfolgreich. Vermutlich, weil sie mithalfen, sehr große und komplexe Gemeinschaften zusammenzuhalten. (8, 9)
Wäre es ohne monotheistische Dogmatiker sicherer?
Gibt es heute auf Erden einen Terror,
der nicht von Gläubigen dieser oder jener Konfession verursacht wäre?
Man muss nur stark genug glauben –
und schon gehen im Namen irgendeines Gottes die Bomben hoch.
Lütkehaus (1943-2019)
Monotheismen sind bezogen auf die Menschheitsgeschichte relativ jung. Die erste monotheistische Idee entwickelte sich erst vor etwa 3.300 Jahren aus den Vorstellungen des ägyptischen Pharao Echnaton von Amarna. Ob das kurze Aufblühen dieses Ur-Monotheismus mit großer Gewaltanwendung verbunden war, wissen wir nicht. Wahrscheinlicher ist, dass nach dem Tod des Pharaos, der Glaube an die „ketzerische“ Heilreligion bei den Sklaven, die auf eine größere Macht, als die des Pharaos hofften, radikal unterdrückt wurde. Bis einer kleinen multi-ethischen Gruppe von ihnen, unter Führung eines ägyptischen Offiziers, die Flucht gelang. (1)
Der erste schriftlich fixierte und staatspolitisch sehr erfolgreiche Monotheismus des Zarathustra (10) schien relativ wenig blutrünstig gewesen zu sein. Vor vielleicht 2.900 Jahren erschuf Zarathustra ein moralisches, dem König übergeordnetes Ordnungs-Prinzip. Die Willkür schamanistischer Kulte (Mithras u.a.) und die egomanische Tyrannei wurde gleichermaßen unter dem Dach einer allgemeingültigen Gesetzmäßigkeit beruhigt. Der allumfassende gute Gott (Ormuzd oder Ahura Mazda) durchdrang alles Sein, und verlangte von den Menschen sich gegen das Böse (Dew, geführt vom Teufel Ahriman, einem gefallenen Engel) zu entscheiden. (10)
Mit diesem Ur-Monotheismus konnte fast 300 Jahre lang ohne große innere Konflikte oder Kriege ein riesiger Vielvölkerstaat zusammengehalten werden. Möglicherweise durch den Glauben, dass der „eine Gott“ nichts ausgrenze, sondern im Gegenteil alles durchdringe und durchflute. (10)
Die Bedeutung der Zarathustra-Staatsreligion und später ihre Renaissance unter den Sassaniden (224-642 v.u.Z.) wird für die Entstehung der späteren Monotheistischen Religionen, inkl. des Islam (11), meist unterschätzt.
Heute glauben vielleicht 200.000 Parsen oder Zarathustrier weiterhin an die Gesetze der ältesten monotheistischen Religion. Sie scheinen relativ friedlich und in ihr soziales Umfeld integriert zu leben. Fundamentalistischer Hass scheint von Ihnen nicht auszugehen.
Nicht-monotheistische Religionen sind (auch) nicht friedfertig.
Viele zehntausend Jahre lang herrschten Göttinnen und Götter in den Menschen, die von ihnen besessen waren. Im Traum oder unter Stress erschienen sie oder ihre Botinnen und Boten als Visionen oder Stimmen, denen absolut Folge zu leisten war. Diese inneren Stimmen konnten jähzornig, irrational, launig, egomanisch, irre, gewalttätig, brutal und für Tabubrecher oder Feinde auch vernichtend sein.
Erst ab 800 v.u.Z. wurden in Mythen Helden beschrieben, die sich wie Odysseus (15) vor Einflüsterungen die Ohren stopften und selber-dachten. Oder die noch später alle Naturphänomene als natürlich erklärbar ansahen (16).
Doch eine Dominanz des kritischen Denkens entwickelte sich damals nicht, weil die Skepsis sich für den Zusammenhalt großer Staatsgemeinschaften nicht als nützlich erwies. Stattdessen wuchsen in der sogenannten Achsenzeit (1) kurz nach dem Monotheismus des Zarathustra viele andere moral-ethische Konzepte (Konfuzianismus, Legalismus), gottlose Dogmen (Jain, Buddhismus), und die rationale Erneuerung des Hinduismus u.a. zum Monismus (Vedanta). Gemeinsam ist den nur wenige tausend Jahre alten modernen Religionskonzepten das Dogma eines außerhalb des Menschen stehenden, mehr oder weniger rational nachvollziehbaren Konstruktes, das allem Sein übergeordnet sei (Gott, Brahman, Dao, Quintessenz, Moral, Nichts, Gesetz …).
Auch im Namen der gottlosen Dogmen wurden brutale Kriege geführt, Verbrechen begangen und Völker vertrieben.
Selbst der scheinbar friedfertige Buddhismus hat viele dunkle Seiten (17). Mit dem Segen buddhistische Mönche wurden in Südostasien viele Kriege geführt (u. a. die totale Zerstörung von Siam / Ayutthaya 1765), oder der japanische Angriff im 2. Weltkrieg gestartet (18), oder die Vertreibung der muslimischen Minderheit aus Myanmar 2017 betrieben. Auch der polytheistische Hinduismus ist nach innen (Kastensystem) und nach außen (gegen Muslime) gewalttätig. Selbst der „gottlos“ moralisierende Konfuzianismus, der in China wieder als Staatsreligion etabliert zu werden scheint, kann, wie es Tibetaner und Uiguren erleben, ausgesprochen brutal sein.
Die Ansicht, dass monotheistische Religionen, im Gegensatz zu anderen, besonders gewalttätig seien, trifft auch deshalb nicht zu, weil das Christentum, in seiner römisch-katholischen und seiner orthodoxen Ausprägung, nicht eindeutig „monotheistisch“ genannt werden kann.
siehe Anmerkung (c)
Trotzdem wurden mit dem Segen der Kirche viele Verbrechen begangen, z.B. bei der Eroberung Lateinamerikas (19).
Kann es Religion ohne Gewalt geben?
Xenophanes, einer der ersten rationalen Religionskritiker (20), sagte sich vor 2.600 Jahren nicht von „den Göttern“ los, sondern vertrat einen friedfertigen Monotheismus, der Menschen die Sicherheit gäbe, sich zu entwickeln: „Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.“
Das Wesen der Friedfertigkeit dieser Art monotheistischen Denkens bestand im Verzicht auf die Illusion absoluter Trennung. Denn, wenn alles mit allem verwoben und so gleichsam von Gott durchdrungen sei, könne es keine absoluten Gegensätze geben, die sich statisch gegenüberstünden und sich bekämpften.
Genauso träumte Baruch de Spinoza (21), ein ehemals sephardischer Jude, er könne die Vertreter der Monotheismen seiner Zeit von einer einheitlichen göttlichen Natur überzeugen, die sich in allem Sein manifestiere. Wäre ihm das gelungen, wären der Welt viele der sinnlosen Religionskriege erspart geblieben. (5)
Im Sinne Spinozas engagierten (und engagieren) sich viele monotheistisch-religiös orientierte Menschen und handeln im Vertrauen auf ein übergeordnetes, sinnvolles, friedliches und zugleich alles durchdringendes Prinzip (u.v.a. Thomas Merton, Ivan Illich (22), Ernesto Cardenal, Desmond Tutu, Abdul Ghafar Khan (23) …)
Today’s world is traveling in some strange direction.
You see that the world is going toward destruction and violence.
And the specialty of violence is to create hatred among people and to create fear.
I am a believer in nonviolence and I say that no peace or tranquility will descend
upon the people of the world until nonviolence is practiced,
because nonviolence is love and it stirs courage in people.
Khan Abdul Ghaffar Khan
Bisher waren diese klugen Denker:innen wenig einflussreich und konnten nur einige kritisch-empathische Minderheiten beeinflussen. Denn die rasante ökonomische Entwicklung der Globalisierung, die auf protestantisch-christlicher Ethik fußt (24), lies den friedvollen Varianten monotheistischen Denkens und Glaubens nur wenig Raum. Nun aber kriseln die Wertesysteme des kapitalistisch-protestantischen Westens, des mittelalterlich-ritualisierten römischen und orthodoxen Christentums und des noch im Feudalismus verharrenden Islam.
Der amerikanische Kapitalismus hat sich seit 2017 als vollkommen wertfrei, gewalttätig und zerstörerisch erwiesen. Und der Versuch in Chinas den Konfuzianismus wiederzubeleben, führte zur Schaffung eines intensiv überwachten, gelenkten Ameisensystems.
Daher könnte eine Wiedererweckung eines alles durchdringenden Prinzip im Sinne des „guten Gottes“ vielleicht positiv wirken. Da sie das Wissen moderner Naturwissenschaft durch einen Sinn-Zusammenhang ergänzen würde. Auch große Religionsführer denken über diese Möglichkeit nach, und sind sich vermutlich dabei im Klaren, dass eine neue Ethik (wie auch alle Religionen) menschen-gemacht wäre.
Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre,
wenn wir gar keine Religionen mehr hätten.
Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich.
Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen.
Dalai Lama (Der Appell an die Welt, Benevento, 2015)
Wir müssen nicht auf die überfällige, gewaltfreie Neuerfindung der Religionen warten: Eine neue Ethik wird auch dann entstehen, wenn viele und immer mehr (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) sinnvoll handeln:
„Sei Sonne! Sonst bleibst du Fledermaus!“
Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī (1207–1273 v.u.Z.)
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Anmerkungen:
- Erst durch die Befreiung einer jüdischen Elite in Babylon durch den persischen Großkönig Kyros konnten um 520 zurück gewanderte, fundamental-gestählte Priester, unter dem Schutz der zoroastrischen Staatsreligion des Großreiches, einen eigenen strikten (aber trennenden) Monothesimus etablieren. (1)
- Evolutionspsychologen vermuten als Ursache der dramatischen Veränderungen in der Kunst, „überstürzte“, anfangs noch instabile Entwicklungen der Hirnfunktionen seit 40.000 Jahren, die durch dynamische Veränderungen der sozialen Beziehungen erzwungen wurden. Der Psychologe Niclas Humphrey (12) u. a. vermutete, dass Menschen zur Zeit der Höhlenmalereien noch in einem Bewusstseins-Zustand befunden haben müssten, den wir heute als Autismus bezeichnen würden. Und andere wie Julian Jaynes (13) oder Ian McGilchrist (14) glauben, dass die Koordination der beiden Großhirnhälften sich erst langsam stabilisierte, und Psychosen (bei denen innere göttliche Stimmen befehlen, was zu tun ist) bis vor 3.000 Jahren für Menschen normal waren.
- Neben der jüdischen Religion beruht das Christentum auf dem Glauben, den Sitten und Gebräuchen der römischen Staatsreligion der Muttergottes (Mater deum magna ideaea), die viele Elemente u.a. der Mithras-Religion integriert hatte. Die Fusion zur Trinitatis-Variante des Christentums erfolgte auf dem Konsil von Nicäa, das geleitet von dem „heidnisch-polytheistischen“ Kaiser Konstantin, dem „strahlenden Heiland“ (Sol invictus). Die reinen Monotheisten um Arius wurden verbannt, und mussten nach Äthiopien, Jemen und Arabien ausweichen. Dort begründeten sie einen der Keime, aus denen später der reine Monotheismus des Islam erwuchs. (9)
Literatur
- Assmann J: Monotheismus und die Sprache der Gewalt. Picus 2007 ; Totale Religion Picus 2018 ; Moses der Ägypter Fischer 2000; Achsenzeit – Eine Archäologie der Moderne Beck 2018
- Nietzsche F: Ecce Homo. 1908
- Freud S: Totem und Tabu, 1913
- Dawkins R: Der Gotteswahn. Ullstein 2007
- Daschner KH: Die Kriminalgeschichte des Christentums. Rowohlt 1986 ; Weltkrieg der Religionen Weitbrecht 1995
- Grabner-Haider A, Wuketits F: Religion als Zeitbombe? Alibri 2016
- Onfray M: Wir brauchen keinen Gott. Piper 2006
- Norezaran A: Big Gods How Religion Transformed Cooperation and Conflict, Princeton Univ Press 2015
- Whitehouse H et.al (2019): Complex societies precede moralizing gods throughout world history. Nature 20.02.2019. www.nature.com/articles/s41586-019-1043-4
- Anquetil-Duperon AH: Zend-Avesta, ouvrage de Zoroastre. 1771. Deutsch: Das Zend-Avesta, Weißenseeverlag 2011: www.weissensee-verlag.de/autoren/Hannemann/hannemann_kurz.pdf
- Bowersock GW: Die Wiege des Islam. Beck 2018
- Homer: Odyssee. Hrsg. Anton Weiher. Sammlung Tusculum. Artemis & Winkler 2003
- Trimondi V: Der Schatten des Dalai Lama. Patmos 1999
- Viktoria B: Zen at war. Weatherhill 1997
- Rovelli C: Die Geburt der Wissenschaft. Anaximander und sein Erbe, Rowohlt 2019
- Galleano E: Las veinas abiertas de america, 1971. Erweiterte Neuauflage: Die offenen Adern Lateinamerikas. Peter Hammer Verlag 2009, Peter Hammer Verlag 2009, www.alliteratus.com/pdf/gesch_geg_lateinamerika.pdf
- Humphrey N. 2000. How to solve the mind-body problem. Journal of Consciousness Studies 2000, 7: 5-20. Humphrey N: Cave art autism an the evolution of human mind, 1998. Weitere („How to solve the mind body problem…“): www.humphrey.org.uk
- Jaynes J. 1976. The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind. Boston: Houghton. Jaynes J: “The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bikameral Mind”, 1976, dt.: Der Ursprung des Bewußtseins, Rowohlt, 1993, www.julianjaynes.org, Kommentare: uva. Dennet D: J. Jaynes‘ Software archeology, Brainchildren, 1998
- McGilchrist I: The Master and his Emissary (2010), The Divided Brain and the Search for Meaning Why We Are So Unhappy (2012), Vollständiger Vortrag, Kurzvortrag
- Popper K, L. Bennett: In Search of a Better World. Lectures and Essays from Thirty Years, 1996 ; The World of Parmenides. Essays on the Presocratic Enlightenment, 1998 ; Deutsch: Die Welt des Parmenides, Piper Verlag
- Spinoza B: Tractatus theologico-politicus. („Theologisch-politischer Traktat“) Amsterdam 1670
- Paquot Th: Ivan Illich Denker und Rebell, CH Beck 2017. Ivan Illich-Journal
- Radhakrishnan N: Khan Abdul Ghafar Khan: The Apostel of Non-Violence. 2011
- Weber M: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. 1905