Sexualität
Sex ist ein Grundbedürfnis.
Für Sex lohnt es sich (vorübergehend) auf Nahrung und Wasser zu verzichten und viel zu riskieren.
Damit Tiere sich reproduzieren und damit gegen eigene Fressinteressen verstoßen, müssen im Organismus starke Belohnungssysteme wirken.
Eines der wichtigsten für Säugetiere ist die Ausschüttung des Hormons Dopamin, das Lust verspricht und zur Aktivität treibt.
Interessanterweise wird Dopamin aber nicht als Belohnung für Sex ausgeschüttet, sondern vielmehr davor, bis kurz vor dem Orgasmus.
Sobald der Zweck erfüllt und der Samen übertragen wurde, stürzt der Dopaminspiegel ab. In der Erschlaffung steigt dann der Pegel für Oxytocin, das Bindungshormon. Es sorgt dafür, dass Paare manchmal miteinander schlafen. Dann bleiben sie häufiger zusammen, als wenn sie nur miteinander Sex haben.
Bei Sex hört bei den meisten Tieren der Spaß auf.
Sex ist eine ernste Angelegenheit. Ähnlich wie Nahrungsbeschaffung. Mindestens ein Partner muss sich dabei anstrengen.
Gefühlsäußerungen sind erhöhen die Spannung bei dem spielerischen Geplänkel, dem Werben und Flirten vor dem Sex. Kurz vor dem Orgasmus zu lachen oder traurig zu sein passt aber nicht. Es würde stören.
Beim Sex wird die maximale Leistungsfähigkeit des Sympathikus aktiviert, so als sei man in einem Kampf. Oder man hält in der passiven Partnerrolle still. Empfindet man dabei Genuss, vermitteln andere Anteile des Gehirns Freude am Spiel.
Die Befriedigung nach einem Orgasmus hält nicht lange an.
Die Sexualitätsfunktion ist so angelegt, dass ihr nicht ein zu langes Zufriedenheitsgefühl folgt. Nach einer kleinen Latenzphase wächst wieder die Sehnsucht nach mehr. Oder es entwickelt sich eine Frustration, dass es gestern so schön war, und heute nicht mehr ist.
Weil das auch Stress mit sich bringen kann, leiden viele Menschen an „Konflikten im kleinen Becken“, die sie dann zu Sexualtherapeut:innen, Frauenärzt:innen und Urolog:innen führen.
Affenartige Rituale
Die engsten Verwandten des Homo sapiens, die Bonobos, entwickelten die geniale Idee, die Sprache der Sexualität für die Lösung sozialer Konflikt zu nutzen. Dafür haben die Männer unter ihnen im Vergleich zur Körpergröße etwa viermal so große Hoden wie Homo sapiens. Das erlaubt den Bonobos drei bis fünf sexuelle Kontakte pro Tag. Im Gegensatz zu Schimpansen sind dafür nicht in der Lage Kriege zu führen.
Möglicherweise gehörten Ur-Adam und Ur-Eva in ihrem Paradies zu einer ähnlich Sex-verliebten Sorte großer Affen. Jedenfalls steht Homo sapiens den Bonobos genetisch etwas näher als den Schimpansen.
Bei modernen Menschen ist Sex vergleichsweise selten. Männer und Frauen sind zwar immer dazu bereit, aber der starke Trieb zur genitalen Erlösung wird durch Sehnsucht und Verlangen überhöht. Die spannungsgeladene Fantasie stimuliert zu Heldentaten. Aber dadurch sinken die Gelegenheiten zu realem Sex.
Sich selbst befriedigen
Von Diogenes of Sinope (404–323 v.u.Z.) wird erzählt, er habe sich in der Öffentlichkeit selbst befriedigt. Darauf angesprochen, soll er geklagt haben: „Wenn es nur so einfach wäre, den Hunger zu stillen, indem man sich den Bauch reibt …“
Man verlachte ihn. Aber er hatte Wesentliches erkannt.
Bei Männern ist die Ausschüttung des Sekrets von Prostata und Samenblasen ein Grundbedürfnis. Denn die Flüssigkeit wird immer wieder nach produziert und muss entleert werden. Ein Vorgang, der wesentlich komplexer ist als Wasserlassen. Man benötigt Finger, um sich zu befriedigen. Bei der Auslösung von Kontraktionen im weiblichen Becken ist es ähnlich.
Im Prinzip reichen Fantasie und körperliche Stimulation aus, um eine aufgestaute Spannung abzubauen und die Kaskade eines Orgasmus auszulösen. Dafür sind weder Partner:innen noch Partner erforderlich.
Wenn es aber so leicht ist, mit sich selbst (ohne Komplikationen) glücklich zu sein, warum verdammt man dann die Selbstbefriedigung? In fast allen Kulturen gilt sie bis heute als ein Tabu. Und oft wird sie zusätzlich durch Beschneidungen oder Verstümmelungen des Genitales erschwert.
Aus Sicht des Erhalts einer sozialen Gruppe scheint das für die meisten nötig zu sein. Denn die ersehnte Belohnung durch Sex soll zu großen Leistungen anspornen. Das Verlangen nach Befriedigung ist wichtiger als das Happy End. Mit sich selbst zufriedene Menschen werden für den Erhalt und den Nutzen der Gruppe als unproduktiv angesehen. Denn Sex mit sich selbst zeugt keine Kinder. Und wer keine Sehnsucht verspürt, den zieht es nicht unbedingt in die Gefahr, um anschließend im Bett als Held gefeiert zu werden.