Licht- und Schattenseiten
Gut und Böse zugleich
Die Ausdrucksformen menschlichen Verhaltens erscheinen
- „gut“ (sozial sinnvoll)
oder
- „böse“ (anti-sozial)
Schon vor 2.500 Jahren empfahlen griechische Philosophen eine Ausgewogenheit verschiedener innerer und äußerer Wirkkräfte. Ungleichgewichte führten zu Störungen und Krankheit. Harmonie und Verbindung dagegen nährten einander: So entstehe Gesundheit.
Diese Vorstellung von wenigen Elementen, aus denen sich alles zusammensetze, und die sich ununterbrochen wandeln, wurde über die Seidenstraße nach China exportiert, und reiste dann im 20. Jahrhundert mit der TCM-Philosophie wieder nach Europa zurück („Fünf Wandlungsphasen“).
Noch wesentlich früher hatte sich in China die Vorstellung entwickelt, dass alles Helle (der Tag) von einem Dunkeln (der Nacht) begleitet werden müsse. Die dualistische Weltanschauung stetig-fließender Veränderung, wurde später auch in Europa entdeckt, u. a. von Hegel und Jung.
Seither beschäftigt sich die Psychologie mit handlungsleitenden Verhaltens-Programmen, die je nach Betrachter „nützlich oder schädlich“ erscheinen. Diese Kommunikationsmuster bildeten sich im Laufe der Evolution allmählich und nacheinander heraus. Sie dienen dem Erhalt und dem Gedeihen immer komplexer werdender sozialer Gruppen. Ihr Sinn ist die Sicherung und die Befriedigung elementarer Bedürfnisse, und Machterhalt und Gestaltung des eigenen Nutzens oder dessen der Gruppe.
Die älteren (archaischen) Programme beziehen sich auf den Erhalt der Einzelperson, oder anders: auf den des sozialen Staates von Milliarden von Zellen und Bakterien. Die übergeordneten oder evolutionär jüngeren Programme dienen dem sozialen Wohl größerer Gemeinschaften von Menschen. Sie müssen individuelle Bedarfs-Befriedigungen dämpfen, umlenken oder gar (in Not) ganz unterdrücken.
Diese Kommunikations-Formen, die ich „Innere Sprachen“ nenne, wirken sich nicht nur segensreich aus. Manchmal sind sie auch destruktiv und zerstörerisch. Das kann im sozialen, evolutionären Kontext nützlich sein: Denn wer die „anderen“ fernhält, abwehrt, umbringt, erhält gegebenenfalls mehr Lebensraum und Zugang zu reichhaltigeren Ressourcen.
In Ruhe kommunizieren Lebewesen in ihren sozialen Gemeinschaften zunächst mit ihrem neusten Verhaltensprogramm. Erst wenn dieses nicht zum Erfolg führt, wird das nächst-ältere ausgewählt.
Üblicherweise zeigt sich das („für andere“) scheinbar bösartige dann, wenn Versuche friedlicher Kommunikation nicht zu einer gewünschten Wirkung geführt haben. Dann werden die Bremsen für primitivere Handlungsprogramme gelöst. Meist ist es dann nicht nötig, sie erst zu aktivieren, da sie ohnehin (unbewusst) alarmiert waren. Man muss ihnen (in einer Ausnahmesituation) nur erlauben, sich entfalten zu dürfen.
Umgekehrt ist es nötig, ein entfesseltes archaisches Programm wieder zu beruhigen. Und so günstige Voraussetzungen zu schaffen für „jüngere“, ggf. intelligentere Formen der menschlichen Kommunikation. Besonders wichtig ist dafür die Vermittlung von Sicherheit.
Verhalten in sozialen Beziehungen
Sich tot stellen
Dieses entwicklungsgeschichtlich sehr alte Programm sorgt für maximale Entspannung im Augenblick höchster Gefahr: In Ohnmacht fallen. Oder vorgeben, als sei man schon gestorben.
Einfach „Weg-tauchen“ ist für Schildkröten die beste Strategie. Aber für Kinder, die diese Art der Reaktion auf Belastung unter der Geburt aktivieren, ist sie (vor dem ersten Atemzug) hochgefährlich. Denn das Gehirn muss mit Sauerstoff versorgt werden. Das Auslösen des Programms des Erstarrens kann (besonders bei Frühgeborenen) tödlich enden.
Freunden von mir hat dieser Reflex allerdings das Leben gerettet, als ihr Haus in Kinshasa während einer Revolte von plündernden Soldaten überfallen wurde: Eltern und Kindern harrten mehrere Stunden regungslos in einer Besenkammer aus und gaben keinen Laut von sich. Aber natürlich kuschelten sie auch miteinander und kommunizierten in einer anderen Sprache: der Emotion.
Meist ist für Erwachsene „Sich tot stellen in höchster Not“ die Schlechteste aller möglichen Strategien. Wer „sich-selbst-verteidigend“ überleben will, hat bessere Chancen, wenn sie oder er sich immer wieder aufrichten. Wer regungslos liegenbleibt, gerät in die große Gefahr, dass nachgetreten wird.
Aktiv sein.
Das nächst höhere und „intelligentere“ Verhaltensprogramm sorgt für Aktivierung. Reptilien z. B. können sich nicht nur tot stellen, sondern auch zuschnappen oder fliehen. Diese Reaktionsweise gründet sich auf noch viel ältere Formen zellulärer Kommunikation: auf spontane Dehnungen und Ent-Dehnungen von Bindegewebsfasern und auf direkte Nerv-Muskel-Reflexe.
Sobald Tiere über eine winzige Hirnzentrale und andere spezialisierte Nervenstränge verfügen, können sie nicht nur wie Insekten reflexhaft handeln. Sondern sie können auch etwas lernen: zum Beispiel, wann es günstig zu sein scheint anzugreifen, und wann weglaufen die bessere Alternative wäre. In Situationen, in denen es um Sekunden geht, ist dieses Verhaltensprogramm schnell und zielführend. Und auch für Menschen kann es angesichts starker Bedrohung scheinbar lebensrettend sein.
Wenn es aber ohne die Begleitung „intelligenterer“ Verhaltensmuster aktiviert wird, im sogenannten Stress oder noch schlimmer im Dauer-Stress, führt es zu Kollateralschäden, insbesondere am Herzen, dem Immunsystem und der Kreislauffunktion.
Für das soziale Umfeld ist Stress ausgesprochen anstrengend oder gefährlich. Da Menschen über ein ganzes Arsenal effektiverer Kommunikationsformen verfügen, ist es eigentlich in keiner denkbaren Situation nötig, in Stress zu verfallen, und natürlich auch nicht, sich tot zustellen.
Selbst angesichts des Todes ist Stress vollkommen sinnlos. Denn was könnte schon schlimmeres geschehen? Stress würde nur die Chancen, wie man handeln könnte, radikal einschränken, wie in einem Tunnel, der nur ein „Vor oder zurück“ erlaubt.
Umso mehr ist Stress bei Konflikten ein sinnloses (wenn auch beliebtes) Verhaltensmuster: Denn Flucht fordert Gewalt heraus, und Gewalt erzeugt Gegen-Gewalt. Gerade unter Belastung in unsicheren Situationen wäre es gut, wenn die Beteiligten intelligentere neuere Verhaltensprogramme aktivieren könnten, statt einander zu erschlagen.
Sex
Sex ist ein wunderbares Mittel friedlicher, inniger und liebevoller Kommunikation.
Säugetiere nutzen dazu die gleichen Nervenbahnen, die bei den Reptilien Stillhalten und Aktivierung vermitteln. Mit dem Unterschied, dass gleichzeitig und zusätzlich Belohnungs-Zentren aktiviert werden, die dafür sorgen, dass beide Beteiligten „Spaß“ daran haben können.
Menschen sind eng mit den Zwergschimpansen (Bonobos) verwandt, die Sex zur sozialen Kommunikation nutzen.
Ob die auch so intensive Orgasmen empfinden können wie Menschen, ist mir unbekannt.
Möglicherweise sind Menschen die Tiere, die für den zur Arterhaltung notwendigen Akt der Fortpflanzung am meisten belohnt werden.
Das muss einen sozialen Sinn haben, denn sonst wäre diese Fähigkeit in der Evolution nicht so stark betont worden.
Aber Sex hat, wenn nicht andere, jüngere Kommunikationsmuster mitschwingen, auch schreckliche Schattenseiten: Gewalt, Vergewaltigung und Missbrauch. Im Ansatz gibt es das alles auch schon bei den aggressiven Vettern der Bonobos: den Schimpansen.
Menschen haben diese Formen der Boshaftigkeit aber noch verstärkt u.a. als Mittel systematischer Kriegsführung.
Heul doch!
Säugetiere sind in der Lage, primitive Stressreaktion durch ein nächst jüngeres Programm sozialer Kommunikation zu dämpfen. Sie sind emotional und erlernen dieses Verhaltensmuster nach der Geburt in der Kommunikation mit der Mutter. Dann können sie bewerten, ob eine bestimmte Situation oder ein Zustand aufgrund ihrer Erfahrung für sie gut sind, und ob sich die Zukunft (hinsichtlich der Bedarfs-Befriedigung) günstig entwickeln wird.
Die in ihnen entstehenden emotionalen Zustände beeinflussen alle Sinneswahrnehmungen, und sie können den Vertrauten der eigenen Sippe vermittelt werden, sodass diese fühlen, „was ich fühle“.
Gefühle sind immer berechtigt, und (im Gegensatz zu Stress) auch nötig. Sie bilden die Basis der menschlichen Psyche. Wenn sich Gefühle zeigen, haben Annahme und Klärung Vorrang vor rationalen Erwägungen.
Eltern freuen sich, wenn ihre Kinder sechs Monate nach der Geburt erste Gefühle entdecken, und sie auch spiegeln können. Aber beginnen sie auch genervt zu sein, wenn ihre „Gören“ bei ihrem Gefühlsüberschwang verharren und sich dagegen wehren, in Schulen „vernünftig erzogen“ zu werden.
Zu viel Gefühle strengen auf Dauer an.
Nicht nur im Kindergarten. Sondern besonders bei Erwachsenen, die scheinbar professionell über rationale Zusammenhänge reden und unterschwellig gerade nur emotionale Botschaften senden und empfangen können.
Zum Beispiel setzten die amerikanischen Parteien auf Ihren Konventen fast ausschließlich auf Emotionen, und rührten so ihre begeisterten Fans zu Tränen. Damit lenkten sie sehr erfolgreich ab: von Nachfragen, Überprüfungen, Selber Denken oder gar von Kritik.
Dass sie sich dabei von Aggressionen absetzten, macht sie für intelligentere Amerikaner/innen sympathisch. Aber natürlich verhindern sie so auch sehr erfolgreich eine nüchterne Kommunikation zu Sachthemen. Stattdessen vereinten sich die Partei-Größen auf der Polit-Fete mit ihren jubelnden Massen im Glauben, dass im Dusel des warmen „Wir-Sind-Zusammen“ auch „Alles gut werde“.
Immerhin ist das eine zivilisiertere Art, einen Zug von Lemmingen zu lenken, als die Trump-Krokodil-Alternative.
Besonders interessant ist das Angst-Gefühl, da es gewohnte Handlungsmuster unterbricht. Gefährlich bei der Angst ist nur, wenn sie einfriert und nicht (in Sicherheit) in ein anderes Gefühl verwandelt werden kann: z.B. in Neugier oder Ärger oder Wut oder Trauer oder Freude. Oder wenn Angst in primitive Stress-Panik-Reaktionen abkippt.
Das gilt genauso für andere Gefühle: Trauer kann zur Depression führen, Ärger zu psychosomatischen Erkrankungen, Wut zu inneren und äußeren Kollateralschäden, Freude zu Manie, Überraschung zu Fehlschlüssen, Ekel zu Essstörungen und Amae (das japanische Gefühl der kindlichen Mutter-Bindung) zu devotem Dienerverhalten.
Spannende Paar-Beziehung
Die Fähigkeit sich mit einem anderen geliebten, aber fernen Wesen intensiv verbunden zu fühlen, ist die älteste menschentypische Kommunikationsform.
Menschen sind zur Liebe fähige Tiere.
Für eine enge Zweierbindung lohnt es sich, Heldentaten zu begehen, Gefahren durchzustehen oder gar zu sterben. Sie ist der Dynamo, der den Homo sapiens Gruppen die notwendige Energie lieferte, ihre großen sozialen Verbände zu bilden.
Die Sprache des urgewaltigen Eros wurde später zu romantischen Liebe verfeinert. Sie kann stark und potent (männlich), schön und klug (weiblich), zärtlich verbindend, ur-menschlich lebensbejahend und todesverachtend klingen.
Die durch das Paradies starker Geschlechter-Polarisierung streifenden Nomaden waren alles andere als friedlich. Emotionen blieben der Kindheit vorbehalten und wurden Jugendlichen durch brutale Initiationsriten ausgetrieben.
Wer bei einer Folter emotional „heulte oder um Gnade zu wimmerte“ oder in Panik verfiel oder den Tod zu fürchtete, wurde verachtet und (falls er überlebte) aus seiner Gemeinschaft ausgestoßen.
Frauen hatten sich ähnlich schmerz- und emotionslos unter der Geburt zu verhalten, oder angesichts von Bedrohungen durch feindliche Krieger. Auch sie sollten ihren individuellen Lebenswillen dem Interesse des Stammes unterordnen und sich ggf. opfern.
Männer oder Frauen, die aus der Rolle fielen, wurden in archaischen Frühzeiten umgebracht, zerstückelt, verstümmelt und zur Förderung der Fruchtbarkeit zerstückelt und über die Felder verteilt (u.a. bei den Pelaskern). Oder man kastrierte sie. Oder sie wurden (und werden) zumindest symbolisch (in Verstümmelungs-Riten) ent-mannt oder ent-fraut.
Auch die Frauen waren damals keinesfalls nur liebevoll und mitfühlend: Sie kämpften nur anders (möglicherweise intelligenter und indirekter) als Männer:
Frauen zeigten weniger physische Aggression, sondern verfolgen die Strategie der maximalen Schädigung der Konkurrentin bei minimalem Risiko für sich selbst … Die Idee vom friedlichen Geschlecht ist ein Mythos. Karin Blawat, Süddeutsche Zeitung 21.02.2016: „Biester“.
Erb-Sünde
Seit 8.000 Jahren (seit der neolithischen Revolution) erscheint vielen Eros als das typisch Böse, Sündige oder Teuflische. Aber alle Versuche, Eros zu kontrollieren oder zu vernichten, waren bisher nicht wirklich erfolgreich.
Bei den Nomaden hatten Männer „richtige Männer“ zu sein und Frauen „richtige Frauen“ (geprägt nach stereotypem Rollenmuster). Jeweils andere psychologische Anteile oder Orientierungen hatten sie in sich (zumindest vor anderen) zu unterdrücken.
Die sexuelle Orientierung war dabei in vielen Kulturen unerheblich: Auch intensive „Männer-Freundschaften“ und „Frauen-Beziehungen“ brachten erhebliche Überlebens-Vorteile mit sich, besonders wenn die Geschlechter bei Jagd- und Raubzügen lange voneinander getrennt leben mussten.
Für Eifersüchtige, die von einem Verlust der Eros-Macht bedrohten, war (und ist) diese Gefahr so unerträglich, dass sie Morde und ggf. auch den Selbstmord rechtfertigte.
Stärkere junge Männer mussten immer wieder die aktuellen, gealterten Helden herausforderten. Und es war üblich, dass sie nach deren Ermordung die Königin heirateten, sofern es den alten Kämpen nicht gelungen war, den Emporkömmling umzubringen.
Zu keinem anderen Thema wurden bis heute so viele Sagen (Artus), Tragödien (Carmen) oder Gedichte geschrieben (Jung-Walter). Denn das Eros-Verhaltensmuster scheint im Menschen genetisch angelegt zu sein, und ist daher kulturell kaum auszurotten.
Der Hass auf die brutal-erotische Chaos-Zeit muss gewaltig gewesen sein.
Heute stellt Eros ein Risiko dar für Dunkelregime und mittelalterlich-orientierte Theokratien. Dort können erotisch-starke Frauen und Männer immer noch Beben auslösen.
Für fanatisch Gläubige ist Eros daher das Böse schlechthin, der Teufel, die Erbsünde. (Lustloser) Sex wird nur toleriert zur Fortpflanzung, als Ehe-Pflicht oder als Prostitution. Der Handlungsdynamo einer starken Liebesbeziehung soll dagegen möglichst zerstört werden.
Im industrialisierten Norden löst sich Eros als Machtfaktor zunehmend auf. Der Kapitalismus braucht angepasst-gleich-handelnde Konsument:innen. Liebe, Beziehungen, Verbindungen sind für gewinnmaximierende Prozesse unnötig. Und so ebbt die Spannung zwischen den Geschlechterrollen ab: Gender wird zum geschlechtsneutralen Einheits-Grau.
Die weiblich-erotische Rolle ist heute konsum-konform, modisch-kosmetisch-inhaltleer. Der Schein der äußeren Fassade ist wichtig. Die männliche-erotische Rolle des zärtlich-starken Helden (Adonis) in einem Männerbund findet, in der modernen Gesellschaft zunehmend weniger positive Besetzungen. Es sei denn in Fußball-Klubs, Fan-Gemeinschaften oder Abenteuer-Sport-Events von Red Bull o. Ä.
„Könnte man doch auch den Bauch ebenso reiben, um den Hunger loszuwerden“.
Diogenes von Sinope, als er sich öffentlich auf dem Marktplatz befriedigte.
Aus dem Niedergang des Eros erwächst eine neue Gefahr:
Die vielen zornigen, hoffnungslosen, frustrierten, jungen Männer, die keinen Halt finden in klassischem Rollenverhalten. Und die sich so, wie sie sind, nicht ihn in der Gesellschaft wiederfinden.
Sie schließen sich aggressiven Straßengangs an, oder klein-kriminellen Netzwerken, oder radikalen Männer-Parteien, oder sie landen schließlich bei fanatischen Extremisten.
Die Herrschaft der Schamanen
Trance ist eine vermutlich viele Millionen alte Kommunikationsform, die schon Wölfe (bei ihren koordinierten Angriffen) oder Wildpferde (in geordneter Flucht) aktivieren.
In Trance ist der „Kopf leer“, und alle anderen inneren Sprachen werden maximal gedämpft: Emotionen, Sex und Eros, aber auch Stress und Panik. Wer in Trance kämpft, ist innerlich vollkommen klar und ruhig, wie Asterix, nachdem er seinen Zaubertrank schluckte. In Trance scheint alles möglich, Schmerzempfindungen und Zeit sind verschwunden, und Gefahren gibt es nicht.
Bei den Nomaden wanderte neben den „erotischen“ Held:innen der alte Druide, der mit dem unsichtbaren Kontakt aufnehmen konnte. Er half den Helden mit seinen Zaubermitteln und Beschwörungen zum Sieg, in dem er sie angesichts höchster Gefahr in starke Trancezustände katapultierte. Um aber große Menschenmassen in Dörfern und Städten zusammenhalten zu können, mussten die Schamanen die Macht ganz erobern (Neolithische Revolution):
Der Muskel-Stärkste wurde besiegt, und der von den höheren Mächten Besessene eroberte die Königswürde.
So entstanden riesige Reiche, wie uva. die der Assyrer, der Indo-Europäer oder der Inkas. Unter diesen Herrschaftsformen gab es viel zu arbeiten, und daher wenig zu lachen. Eros war absolut überflüssig geworden und wurde als staatsgefährdend sanktioniert.
Trancezustände bestimmen auch heute unser Leben. Bei jeder Kunstform und als fröhliche Massentrance beim Festival, in stiller Andacht im Konzert, im Stadium beim Fußballfieber, auf Dorffesten oder im Gewühl der Love-Parade. Feiern und Spaß-haben zählt zu unserem Lebensstil. Er vermittelt uns das Gefühl unbekümmerter Freiheit.
Zugleich erschrecken uns aber die Gewalt der Hooligans, der Amokläufer, der brandstiftenden Schlägertrupps und der Massen, die von durch Demagogen aufgeputscht Lynchjustiz begehen oder den totalen Krieg fordern.
Auch das ist Trance.
Götter, Psychosen, Liebe verlachen
Trance, kann wie Emotion und Eros erfolgreich gedämpft werden: durch klares, fröhliches, kritisches Denken. Die Schönheit skeptischen Denkens besteht darin, dass sich Menschen von inneren und äußeren Zwängen befreien können, die als sozial-sinnvolle Illusionen im Laufe der Evolution erfunden worden sind. Innere Götter, Geld, militärische Orden, Eifersucht und Liebeswahn: all das sind Erfindungen, die verhindern sollen, sich unter einem Baum nachdenkend selbst zu erkennen.
Die Fahrten Odysseus beschreiben, wie diese Sprache von Seeräubern im Ägäischen Meer erlernt wurde, deren unsichere Situation sie dazu zwang selber zudenken. Aber nicht nur Eros und Trance konnten durch kritisches Denken gedämpft werden, sondern auch die aufkommenden Wahrheits-Systeme. Denker wie Phyron von Elis (vor 2.300 Jahren) oder Hui-Neng (einer der Begründer des Zen vor 1.300 Jahren) erkannten, dass Wahrheit ebenso versklavt, wie andere Arten von Gehirnwäsche. So verstanden ist der Satz von René Deskartes eine Befreiung des Individuums von der Last des erdrückenden Über-Ich der sozialen Zwänge:
„Ich denke, also bin ich!“
Statt: „ich höre oder ich glaube, also bin ich.“
Die Schattenseite der Sprache der Kritik ist egoistische Gewaltherrschaft.
In der griechischen Antike herrschten sogenannte Tyrannen (Generäle oder Söldnerführer), die sich nur sich selbst gegenüber verantwortlich fühlten. Ihnen waren die inneren Götter gleichgültig. Sie waren nicht besessen und hörten keine inneren Stimmen mehr. Und auf äußere Gottheiten konnten sie noch nicht hören, weil die bislang nicht erfunden worden waren.
Tyrannen waren in der Regel unbeliebt, weil sie sich keinem „höheren“ oder einem inneren ethischen Prinzip verpflichtet fühlten. Und weil sie so aus rein egoistischen Gründen, nur an ihren Nutzen denkend, handelten.
Während der kurzen Herrschaft von Menschen, die weder an Götter noch an andere übergeordnete Kontrollsystem glaubten, kam es immer wieder zu endlosen Kriegen und sinnlosem Morden. Die „demokratische“ Phase Griechenlands oder die etwa zeitgleichen Wirren der streitenden Königreiche in China sind dafür sehr blutige Beispiele.
Skepsis war gesellschaftlich immer nur kurzzeitig „modern“ (Z. B. in der Zeit der Aufklärung) wenn technische Revolutionen die erstarrten Ideologien Gesellschaft zwangen, Umwälzungen des Denkens zu ertragen. Sie bleibt aber unangenehm und gefährlich für die, die wissen wie etwas wahr und richtig zu sein hat. Und sie wird im Trend der Ver-Ameisung menschlicher Kulturen zunehmend verdrängt.
Die heilige Wahrheit
Die Erschaffung verbindlicher, ethischer Systeme, die höher standen als alle menschlichen Entscheidungen, räumte sowohl mit der Trance (dem Heidentum) auf, als auch mit dem gefährlichen Egoismus und der Entscheidungs-Beliebigkeit der Herrschenden.
Vor etwa 2.500 Jahren bildeten sich dazu mehrere Formen heraus, die auf dem gleichen Prinzip beruhen: Es gibt eine Wahrheit, die höher steht als jedes Individuum, und vor dieser Wahrheit sind alle (im Prinzip und von Ausnahmen abgesehen) gleich.
- In der römischen und zeitgleich chinesischen Ausprägung wurde der Legalismus eingeführt: Ein verbindliches, von Menschen gemachtes Rechtssystem. Später wurde es in China ergänzt durch ein starr-hierarchisches Regel- und Sittensystem (Staats-Konfuzianismus).
- In Indien hatte das starre Kastensystem die Trance integriert, passte sie aber in immer neuen Gottheitsinkarnationen den modernen ideologischen Vorstellungen an. Die späteren, das Leben verneinenden Religionen Indiens (Jain, Buddhismus), schufen die scheinbar an Trance und destillierten, die reine Ideologie.
- In Griechenland erfand Aristoteles die „wissenschaftliche Wahrheit“ (Episteme) und beerdigte damit die kritische Wissenschaft bis zu ihrem Neu-Erwachen in der Renaissance.
- In Persien wurde erste Gottesstaat erschaffen, mit der Zarathustra-Religion des obersten guten Gottes (Ahura Mazda). Und nach diesem Boden wuchsen nach dessen Zusammenbruch die bis heute weltbeherrschenden Mono-Thesimen, in ihren jeweiligen Ausprägungen.
Die guten Seiten des Dogmas sind Ordnung im Rahmen komplexer sozialer Systeme. Man hat es nun mit Verlässlichkeit einer planbaren Zukunft zu tun. So ist es z. B. nützlich zu wissen, dass in Deutschland alle Fahrzeuge rechts fahren. Das Leben gestaltet sich dadurch zweifelsfrei sicherer. Auch wenn auf einer benachbarten Insel Menschen genau das Gegenteil tun, und links fahren.
Der wesentliche Nachteil einer geregelten Herrschaft ist die Enge der jeweils starren Wahrheiten, die nicht hinterfragt werden dürfen. Daraus erwachsen Dogmen, Fanatismus, Unterdrückung, Staats-Willkür, ideologisches Gezänk, Hexenverbrennungen und Glaubenskriege.
Papst Franziskus sagte in Krakau 2016: „Die Welt ist im Krieg“. Es sei aber kein Krieg der Religionen. Möglicherweise irrte er hier, denn Religionen, Dogmen und absolute Wahrheiten verursachen natürlich immer neue Kriege, seit sie erfunden wurden (Assmann 2003).
Zu viel oder zu wenig Polizei, Gesetz und Glaube?
Damit sich die unangenehmen Seiten der Trance-Psychosen (Amok und Terror) in Grenzen halten, fordern viele, um die gewünschten und bewusst herbeigeführten Zustände von Ich-Verlust unter Kontrolle zu halten, mehr Polizei-Staat, Kontrollen, Zwangsmaßnahmen und ehrenamtliche Ordnungshüter. Im Ergebnis droht dann Polizeigewalt, und Kontrollwahn und Staatswillkür.
Wir möchten den jeweiligen Friedens- und Ethikbotschaften der Religionen vertrauen, die jede für sich einen gearteten, guten Kern in sich tragen, und erleben und fürchten die Gotteskrieger, die sich und andere in die Luft sprengen. Und bekämpfen die Fanatiker, die dazu aufrufen, die jeweils Andersgläubigen auszurotten. Aber auch dieser Kampf kann zu Dogmatismus und Ideologie-Starrsinn führen.
Sprachkompetenz
Alle Sprachformen des Menschen sind gut, sozial und sinnvoll. Keine von ihnen muss bösartig ausarten. Man muss man sie nur miteinander aussöhnen.
Alle menschlichen Kommunikationsformen gibt es „in mir“ und zugleich in allen anderen. Sie sind nur unterschiedlich gestaltet und abgemischt.
Es ist möglich
- sie sich frei entfalten zu lassen,
- sie zu beruhigen, wenn sie alles andere übertönen,
- sie zu wechseln und zu kombinieren,
- sie wie in einem vielstimmigen Chor erklingen lassen.