1. Home
  2. /
  3. Medizin
  4. /
  5. Ökosystem Mensch: Mikrobiom
  6. /
  7. Publikationen und Hinweise
5. März 2024

Publikationen und Hinweise

Inhalt

Mitochondrien gleichen Nutztieren. Bild: ronin@posteo.de

Links

Die Entwicklung des Ökosystems Mensch

Pädiatrische Praxis, Januar 2023, 99(2)193-204

Menschen bestehen nicht nur aus Zellen, sondern unter anderem auch aus Bakterien und Viren. Diese sind untereinander und mit dem Darm, Gehirn, Nerven-, Stoffwechsel- und Immunsystem und Bewegungsapparat in vielfältigen Feedbackschleifen verwoben. Die frühe Interaktion zwischen Bakterien, Immunfunktion und Nervensystem beeinflusst so auch die kognitive, immunologische und motorische Entwicklung des Kindes.

Krieg und Frieden

Vor 170 Jahren vermutete Rudolf Virchow, Krankheiten seien die Folge intrazellulärer Störungen. Kurz darauf beschrieb Antoine Béchamp Mini Lebewesen auf den Oberflächen kranker Pflanzen (1). Er hielt diese „Mikrozymen“ für natürliche Bestandteile lebender Organismen, die im Falle eines inneren Ungleichgewichtes nach außen gelangten, und sich dort weiter vermehrten. Ein Jahrzehnt später übernahm auch Louis Pasteur Béchamps Theorie. Allerdings hielten Pasteur, Ferdinand Cohn und Robert Koch die Bazillen oder „kleinen Stäbchen“ (griechisch ‚bakterion‘) für Feinde gesunder Lebensformen (2). Ihre kämpferische Sicht bestimmt die Infektiologie bis heute, zumal immer wirksamere Waffen entwickelt wurden.

Zuerst entdeckte Paul Ehrlich chemische Substanzen, die Bakterien abtöteten, aber Zellen relativ wenig schädigten. Er nannte sie „Zauberkugeln“ („magic bullets“). Sein erstes Medikament „Salvarsan“ (lat. salvare = retten, sanus = gesund), eine organische Arsenverbindung, setzte er zur Syphilisbehandlung ein. Es erwies sich aber als sehr nebenwirkungsreich (3). Der endgültige Durchbruch antimikrobieller Therapie gelang erst Alexander Fleming, der 1928 die wachstumshemmende Wirkung von Pilzen der Gattung Penicillium bei Staphylokokkenkulturen beobachtete. Mit seinem Penicillin begann der Siegeszug der Antibiotika, der jetzt 100 Jahre später, angesichts weltweit zunehmender Antibiotikaresistenz, allerdings ins Stocken gerät. Denn Antibiotika selektieren resistente Infektionserreger, denen sich durch die Therapien neue evolutionäre Nischen eröffnen (4,5).

Die moderne, ökologische Sicht auf die Keime, die um den Menschen, und in ihm, leben, eröffnete sich mit dem Biologen John Whipps (6), der 1988 den Begriff Mikrobiom prägte, für „eine mikrobielle Gemeinschaft, die eine einigermaßen gut definierte Fläche einnimmt und über bestimmte physikalisch-chemische Eigenschaften verfügt“. Der Nobelpreisträger Joshua Lederberg verstand darunter das Zusammenleben kommensaler, symbiotischer und pathogener Mikroorganismen, die sich unseren Lebensraum teilen (7,8).

Er beschrieb die intra- und extrakorporalen Mitbewohner als unendlich vielgestaltig und variabel sie interagiert untereinander und mit anderen in einem breiten Spektrum von unverzichtbarem Nutzen bis hin zu großer Gefährlichkeit. Manche Keime seien parasitär oder pathologisch, und andere kommensal oder nützlich oder sogar unverzichtbar. Wenig später wurde entdeckt, dass auch das Vorhandensein bestimmter pathogene Keime nicht zwangsläufig zu negativen Auswirkungen für den Wirtsorganismus führen muss. Denn sie trainieren die Immunabwehr und hemmen so indirekt die Vermehrung anderer Infektionserreger (9). So selektiert das Mikrobiom bestimmte Varianten potenziell pathologischer Bakterien (wie Staphylokokken oder Streptokokken), die dann Epithelzellen hinsichtlich Toleranz und Immunität kalibrieren, pathologische Varianten wachsend verdrängen und sogar bei Reparaturprozessen von Gewebsdefekten heilungsfördernd mitwirken (10).

Heute ist gesichert, dass sich alle lebenden Zellen in einer symbiotischen Ko-evolution mit den sie umgebenden Mikroorganismen entwickeln. Umwelt, Mikrobiom, Zellen und Organfunktionen müssen daher in ihren Zusammenhängen, Rückkopplungen, Wechselwirkungen und Dynamiken verstanden werden (11). Das wesentliche Merkmal der Gesundheit solcher Ökosysteme ist ihre Vielgestaltigkeit. Beim Menschen wird aber zunehmend eine Verarmung des Mikrobioms beobachtet, was zu unterschiedlichen Störungen führen kann (12).

Superorganismus Mensch

In die ersten Sequenzierungsstudien mit dem humanen Mikrobiom um 2005 flossen nur die Daten weniger Personen ein. 2008 begann das „Human Microbiom Project“ des amerikanischen „National Institute of Health“ Mikrobiome zu katalogisieren, die aus fünf verschiedenen Körperstellen von wenigen 100 Personen gewonnen wurden. Heute (nach zehn tausenden weiterer Studien) beschreibt die Biologie Lebewesen als „Holobionten“ oder „Superorganismen“ (13). Sie bestehen aus Kolonien sehr unterschiedlicher Unter- oder Teil- Lebewesen, die zusammen große übergeordnete Organismen formen.

Menschen bestehen neben Zellen überwiegend aus Art typischen Bakterien und Viren. 93 % der gesamten DNA des Mikrobioms der inneren und äußeren Körperoberflächen stammt von Bakterien (meist Firmicutes und Bacterioides), 0,2 % von Protozoen, 0,1 % von Pilzen, 0,8 % von Archebakterien und etwa 5,8 % von Viren. Manche schätzen den viralen Anteil an der Gesamt-DNA des Mikrobioms sogar auf über 20 % (14-17).

Sind Mitochondrien ein Teil des Mikrobioms?

Virom

Die Summe aller menschentypischen zellgebunden (eukaryotischen) und bakteriengebunden (prokaryotischen) Viren wird als Virom bezeichnet. Die Einteilung in günstige, belanglose und gefährliche Viren innerhalb des Mikrobioms steht am Anfang seiner Erforschung. Endogene Retroviren machen etwa 8 % des menschlichen Genoms aus (45). Sie wurden nach Infektionen über Jahrmillionen in die Informationsstränge unserer Chromosomen integriert, und erfüllen wichtige Funktionen innerhalb der Zellen, unter anderem im Zusammenhang mit dem Interferonstoffwechsel des Immunsystems (46). Ein anderer wesentlicher Bestandteil sind Viren, die Bakterien zerstören (Bakteriophagen). Sie spielen eine bedeutende Rolle bei der Steuerung und Kontrolle der bakteriellen Populationen, insbesondere im distalen Kolon (14). Damit erfüllen sie Kontrollaufgaben, zum Beispiel, indem sie, im Schleim auf Zelloberflächen eingelassen, Bakterieninvasionen vermindern (47).

Das Mikrobiom der Körperoberflächen

Die Zahl der Zellen entspricht etwa der Zahl der Bakterien im Körper. In und um den Menschen herum leben in unmittelbarer Umgebung aber etwa zehnmal so viele Bakterien wie Körperzellen (48). Dieses ausgereifte Mikrobiom hat eine Körpergewichtsmasse von mehr als einem Kilo. Es enthält etwa einhundertmal mehr Gene als die menschlichen Zellkerne. Das Mikrobiom der Körperoberflächen ist ein Teil eines komplexen Wirkungsgeschehens, bei dem der Darm, das endokrine System und die Nerven, der Bewegungsapparat und die Immunfunktion miteinander wechselwirken. Es wird in der ersten Lebensphase und durch Umweltanpassung geprägt und ist für jeden einzelnen Menschen typischer als sein Fingerabdruck. Menschen können sogar in Räumen durch die Wolke der Bakterien erkannt werden, die in der Luft um sie herumwirbeln (49).

Das bakterielle Mikrobiom gleicht einer funktionellen Einheit, und nicht etwa einem zusammenhanglosen Sammelsurium von Keimen. Seine Gesamtheit, Diversität, Dynamik und Vielgestaltigkeit ist mit der Gesundheit assoziiert, und seine Degradierung mit Krankheit (50).

Das komplexe Fließgleichgewicht des Mikrobiom-Systems ist einerseits geprägt durch die Erinnerung an die phylogenetische Entwicklung und andererseits durch das Erleben (und die Epigenetik) in der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der ersten Lebenszeit. Die Kolonisation mit Menschen typischen Bakterien schützt gegen pathogene Keime, stellt biochemische Bausteine her und fördert die Entwicklung des Immunsystems zwischen Toleranz, Beruhigung und Training. Die Gemeinschaft insgesamt selektiert die Sorte von Mikroben, die für den Funktionszusammenhang am günstigsten sind. Die Bakterien konkurrieren untereinander und kontrollieren sich dadurch. Je größer die Diversität, desto besser (17).

Darm, Immunsystem und Gehirn

Die wesentlichen Funktionen des Darmes sind die Nahrungsaufnahme und die Vermittlung eines Gleichgewichtes zwischen Toleranz und Immunität, zwischen dem Selbst und den Antigenen des Nicht-Selbst. Aus der Sicht des Darmes hat der Bewegungsapparat für einen Rhythmus von Aktivität und Ruhepausen und für die regelmäßige Zufuhr von Wasser und Nahrungsmitteln zu sorgen. Das zentrale Nervensystem (inklusive neuro-endokrinologischer, neuro-immunologischer und autonomer Funktionen), das Darmnerven-Geflecht und die auf den inneren und äußeren Körperoberflächen lebenden Mikroorganismen bilden in mehrere Richtungen wirkende Feedback-Kreise. Dieses regulative Zusammenspiel wirkt unter anderem über die Gefäß-Permeabilität, Immunmodulation und die Produktion von Zytokinen und Neurotransmittern. Einer der wichtigsten Nerven in diesem Zusammenhang ist der Nervus vagus, dessen motorische Anteile aus zwei unterschiedlichen Hirnregionen entspringen: aus dem dorsalen Motornukleus und aus dem ventralen nucleus ambiguus. Seine sensiblen Fasern steigen in den Nucleus tractus solitarius auf. Das Mikrobiom ist an der Bedeutung vieler Messenger-Peptide beteiligt, die antiinflammatorisch wirken, die Produktion von ACTH beeinflussen und über Tryptophan die Voraussetzungen bilden für die Serotonin-Verfügbarkeit im Gehirn. Ferner produzieren bestimmte Bakterien Neurotransmitter, wie unter anderem GABA, das im Gehirn inhibitorisch wirkt (51).

Der Darm ist ein sensorisches Organ mit etwa 200-600.000.000 Neuronen. Die neuronale Verbindung zum Gehirn über motorische und sensorische Fasern des Nervus vagus wirkt beruhigend auf Gehirnfunktion, Verhalten, Immunfunktion und den Stoffwechsel (16). Die vagale Funktion scheint eine protektive und eine Reparaturfunktion für das in Testfinale Epithel zu haben und zu einer erhöhten Verbindung zwischen den Epithelzellen zu führen. Bei ruhiger körperlicher Bewegung scheint das Darm Epithel besser zu funktionieren,, während Stressreaktionen zelluläre Bindungen erschweren (zum Beispiel „leaky gut syndrome“) und so chronische Inflammation fördern (41, 52).

Die Basis der Erhaltung von Homöostase bilden komplex interagierende Neuro-immune Zelleinheiten (NICO), in denen afferente und efferente Nervenfasern (Sympathikus, Nervus vagus) mit Makrophagen, Bindegewebszellen und Bakterien einen komplexen Wirkungszusammenhang bilden. Bakterien und Zellen können offenbar miteinander kommunizieren, unter anderem über einen gesonderten Transport Mechanismus (Norephedrine, Dopamin, Histamin, Tyramin, Tryptophan und andere) (53). Störungen dieser Zwiesprache zwischen Genom, Mikrobiom und Virom (Dysbiosen) sind wichtige Krankheitsursachen (54, 55). Bei vielen chronischen Leiden mehren sich die Hinweise, dass Dysbiosen im Darm, dem Mund und der Vagina als ein Trigger zu Immun-Fehlregulationen Regulation führen können. Störung der mikrobiellen Besiedlung (zum Beispiel nach Antibiotikatherapien), der zentralen Immunmodulation im Stammhirn (zum Beispiel bei Stress) oder Fehlfunktionen der Immunzellen (zum Beispiel bei Autoimmunreaktionen) können sich gegenseitig verstärken und so allmählich zu schweren Fehlregulationen auswachsen (56, 57).

Darm, Immunsystem und Mikrobiom beeinflussen das Gehirn und das Verhalten (und umgekehrt) (13,58-60). Damit sich ein Organismus flexibel an Anforderungen anpassen kann, müssen diese komplexen Systemfunktionen harmonisch zusammenwirken (61,62).

Beim „leaky gut syndrome“ sind Epithel Zell Verbindungen gestört. Die ständige niedrigschwellige Aktivierung des Immunsystems äußert sich hier durch erhöhte Zytokinspiegel, die neben Entzündungen auch zu depressiver Verstimmung führen können (63-65). Für solche Zusammenhänge spricht auch dass bei depressiven Patienten oft eine gestörte und verarmte Darmflora gefunden wird (55, 58).

Bei Stoffwechselerkrankungen (Diabetes unter anderem) und Immun-Störungen (Asthma, Neurodermitis unter anderem) sind diese Zusammenhänge zunehmend gut untersucht (62); ebenso bei Adipositas (66). Sie scheinen aber auch bei der Entwicklung vieler weiterer Erkrankungen von Bedeutung zu sein (67): zum Beispiel bei rheumatoider Arthritis (68) oder Störung der Ausreifung der Stammhirnfunktion (51,69) oder bei der Entwicklung von Multipler Sklerose (70, 71).

Frühkindliche Ausdifferenzierung von Immunfunktion und Gehirn

Die Entwicklung des Kindes wird im Uterus durch epigenetische Prägungen hinsichtlich seiner metabolischen, immunologischen und neuronalen Ausdifferenzierung beeinflusst. Die Gehirnentwicklung des Kindes befindet sich im letzten Trimester in einer besonders kritischen Phase. Mit der Hirnfaltung wird eine qualitative Veränderung des Gehirns eingeleitet. Die letzten Monate der intrauterinen Entwicklung, die Postpartal-Periode und vermutlich die ersten drei Jahre nach der Geburt sind extrem wichtig für die Entwicklung des Zusammenspiels von Neuronen-Zellen und Bakterien: Sie prägen den gesamten Rest des menschlichen Lebens (72-74).

Die Plazenta ist nicht steril. Sie beherbergt ein für die Schwangere typisches, rudimentäres Mikrobiom mit zahlreichen Bakterien und Viren (74). Feten schlucken große Mengen von Amnion Flüssigkeit, sodass bei der Geburt der Darm des Feten bereits mit einem rudimentären Mikrobiom ausgestattet ist. Zusätzlich wird im Verlauf der Schwangerschaft die Variabilität des Mikrobioms in der Scheide auf die Kulturen reduziert, die für die Besiedlung des kindlichen Darms wichtig sind (75,76). Die Art der Ernährung während der Schwangerschaft hat vermutlich aus diesem Grund einen bleibenden Einfluss auf die Entwicklung des Mikrobioms des Kindes (74).

Die Zeit vor der Geburt und die ersten zwei Wochen des Lebens sind maßgeblich für das Gelingen der physiologischen Umstellungsprozesse: für die Anpassungen von Atmung und Kreislauffunktion und für die Ausbildung wesentlicher Synapsen, für die Myelinisierung und die Ausreifung der Diversität des Mikrobioms und der damit verbundenen Entwicklung der Immunfunktion (77, 78).

Muttermilchbakterien beeinflussen den Aufbau und die Entwicklung des Säuglings-Mikrobioms nachhaltig (70). Sie besitzen einen ausgeprägten Kohlenhydrat-Stoffwechsel, Aminosäure Stoffwechsel, Energiestoffwechsel, zum Beispiel die Milchsäurebakterien (Bifido-Bakterien), die für eine gesunde Entwicklung des Neugeborenen unerlässlich sind (80). Stillen schützt auch vor Fettleibigkeit. Und die Übertragung des mütterlichen Mikrobioms beim Stillen stimuliert die Ausreifung des kindlichen Immunsystems, in dem den T-Zellen in der Thymusdrüse Bakterienbestandteile präsentiert werden (81).

Die Entwicklung des Mikrobioms in der Schwangerschaft wird durch das Verhalten der Mutter beeinflusst, unter anderem durch Stress, Rauchen, Haustierhaltung und Medikamentenkonsum. Negative Ereignisse in dieser sensiblen Frühphase stellen ein besonderes Risiko für die somatische und psychomotorische Entwicklung dar (75). Störungen der Programmierung der frühkindlichen Nerven und Immunentwicklung können lebenslange, gegebenenfalls irreversible Schäden verursachen, wie unter anderem autoimmune Fehlentwicklungen (Diabetes, SLE, Multiple Sklerose, Alzheimer), Adipositas, neuropsychiatrische Störungen wie Depression oder Erkrankungen des Autismusspektrums. Zu den gut untersuchten Einflussfaktoren gehören insbesondere Stress, Ernährung, Rauchen, Alkohol, Drogen, Medikamente, Bluthochdruck, Stoffwechsels-Erkrankungen, Leberstörungen, Plazentainsuffizienz, Frühgeburt, Immun-Stimulationen, primäre Kaiserschnitte, Antibiotika-Gaben, Flaschennahrung und Exposition gegenüber Umweltgiften (69, 72, 82-85).

Prävention von Frühgeburtlichkeit und postnataler Sepsis

Die Gründe für Frühgeburtlichkeit sind unter anderem psychosozialer Stress, hormonelle Schwankungen und uterine Kontraktionsneigung, zervikale Erkrankungen, vaskuläre Störungen oder ein Zusammenbruch der materno-fetalen Einheit. Auslöser sind häufig Entzündungserscheinungen. Sie entstehen durch die Vermehrung von pathogenen Keimen, Verschwinden des natürlichen Mikrobioms oder durch eine erhöhte Agitationsbereitschaft des Immunsystems. Lange Zeit hatte man vermutet, dass die Infektion mit einem bestimmten Bakterium Frühgeburtlichkeit auslöst. Mittlerweile wird deutlich, dass es sich eher um das komplexe Geschehen einer Dysbiose des vaginalen und möglicherweise auch placentaren Mikrobioms handelt, die sich beide im Laufe der Schwangerschaft verändern (86).

Das Neugeborene ist durch zahlreiche endogene und umweltbedingte Faktoren in der postnatalen Periode gefährdet. Bonding dient der allgemeinen Beruhigung des Kindes und damit auch direkt der Darmfunktion und begünstigt die Entwicklung eines funktionierenden Mikrobioms. Und natürlich dient es der Hygiene zum Schutz vor nosokomialen Infektionen, gegen die es noch keine ab der aufgebaut hat. Wesentliche Risikofaktoren sind Stress, mangelndes Bonding und auch fehlendes Stillen, da die Diversität der Bakterienflora unter anderem von Bacteroides und Firmicutes) in der Muttermilch vor potenziell pathologischen Spezies schützt (75).

Bei „early onset neonatal spesis“ (EONS) wurden überwiegend ß-hämolysierende Streptokokken (Gruppe-B-Streptokokken – GBS) oder Enterokokken gefunden, aber auch Staphylokokken, Enteroviren oder Pilze. Das Sterblichkeitsrisiko ist bei einer Enterokokken Besiedlung besonders hoch (87). Sehr unterschiedliche Serogruppen dieser Mikroorganismen kommen als Kommensale Bestandteile des Mikrobioms bei einer Vielzahl von Schwangeren vor. Störungen des lokalen Mikrobioms ermöglichen ihre pathologische Vermehrung und erhöhen das Risiko für spätere Fehleinstellungen der Immunfunktion (21). Solche Dysbiosen werden durch prophylaktische Antibiotikagaben verstärkt, denn sie reduzieren, unabhängig von der Wirkstoffklasse, den Reichtum und die Diversität des Mikrobioms (88). Dem Ziel der Verringerung der Besiedlung bei einem Erregernachweise (zum Beispiel GBS) stehen also Risiken gegenüber: die Selektion und Vermehrung anderer Serogruppen des gleichen Keims oder nicht nachgewiesene EONS-Verursacher,wie Enterokokken (87). Daher ist selbst bei der Besiedlung mit einer pathologischen Serogruppe ß-hämolisierender Streptokokken die Gabe von Antibiotika umstritten, und es wird verstärkt nach Alternativen der Prävention zur Verhütung von GBS-Infektionen gesucht (89,90).

Die in Deutschland geltende AWMF Leitlinie (91) zur Prävention der ß-hämolisierenden Streptokokkeninfektionen bei Neugeborenen berücksichtigt die Erkenntnisse der Übertragung des mütterlichen Mikrobioms nicht. Die nächste Überarbeitung der Leitlinie war für März 2021 geplant. Angesichts des exponentiellen Wachstums des verfügbaren Wissens zum und seiner Stabilisierung während der Schwangerschaft und im Neugeborenen, wird dringend empfohlen, die Leitlinie nunmehr effizienzbasiert zu überarbeiten. Der weitere Bestand einer veralteten Leitlinie rechtfertigt es nicht, betroffene Frauen nicht vor der Gabe eines Antibiotikums umfassend über die Folgen für den Säugling aufzuklären.

Fazit

Der Superorganismus Mensch ist ein ökologisches System, das evolutionär aus einer Modulation von Umwelt, Ernährung, Immunfunktion und Resistenz gegen Krankheitserreger entstanden ist. Bakterien besiedeln die Erde seit 3,8 Milliarden Jahren, die eukaryotischen Organismen tauchten vor etwa 2,2 Milliarden Jahren auf, und die erste Interaktion der kolonisierenden Mikroorganismen mit einem Gastorganismus entwickelte sich vielleicht vor 500 Millionen Jahren als Vorläufer des Immunsystems. Die Minilebewesen stellen eine Art organisches Interface zwischen innen und außen dar. Feten tragen mütterliche Mitochondrien in sich, und auch ihre Umgebung ist nicht steril.

Auch nach der Geburt wird mütterliches Mikrobiom durch Stillen und Hautkontakt weiter gegeben und durch die Muttermilch weiter gefüttert. Zum Beispiel durch Endprodukte des menschlichen Stoffwechsels (Harnstoff, Oxalate und anderes), die für menschlichen Zellen unnütz, aber essenziell sind für das Bakterienwachstum. Ein unmittelbarer Nutzen des Mikrobioms für das Neugeborene besteht in der rasch beginnenden Produktion von Vitamin K, das vor der Geburt die Plazentaschranke kaum passieren konnte. Durch konstantes Stillen wird das Immunsystem des Kindes trainiert, und das angeborene (aggressiv-unspezifische) Immunsystem allmählich durch das intelligentere, durch Lernen erworbene Immunsystem überlagert. Wird dieser Prozess gestört (durch Stress, mangelndes Bonding, primäre Kaiserschnitte, fehlendes Stillen, Antibiotikatherapien), können sich beim Kind somatische und psychiatrische Erkrankungen entwickeln. Die Vorteile und Nachteile der Praxis der Übertragung des Mikrobioms der Mutter auf das Neugeborene bei einer Kaiserschnittentbindung (durch vaginalen Abstrich unmittelbar vor dem Eingriff) sind noch umstritten. Um die Einflussfaktoren der Stabilisierung der Mikrobiom-Übertragung besser zu verstehen, müssen Kinder in ihrer Entwicklung und bezüglich ihres Krankheitsrisikos und ihres Sterblichkeitsrisikos prospektiv durch Studien begleitet werden (92).

Mit der Erforschung der Zusammenhänge des Mikrobioms eröffnet sich ein neuer Pharmamarkt der Herstellung von Probiotika und Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel von Oligosaccariden und Frukto-Oligo-Saccariden, die das Wachstum der Bifido-Bakterien fördern sollen. Auch an der Herstellung von Phagen wird bereits geforscht. Durch zu nehmendes Marketing steigt die Nachfrage nach diesen Produkten. Ob sie aber besser wirken als „Nichts“ oder als ein Joghurt aus dem Biomarkt ist bisher umstritten (93). Neben der Erforschung neuer technischer Möglichkeiten zur Manipulation des Mikrobioms erscheint es mir auch sinnvoll, darüber nachzudenken, wie ein harmonisches Gedeihen der Kommunikation zwischen diesen unterschiedlichen Wirten gefördert werden könnte: durch mehr natürliche Geburten, Schutz der Mutter-Kind Bindung, Stillen, Reduzierung von Belastungen und vielem anderen. Denn bei den geschilderten unendlich komplexen Zusammenhängen sind nicht nur die einzelnen Einflussfaktoren, sondern vor allem die Beziehungen zwischen ihnen von Bedeutung (69, 94-96).

Das neue Verständnis des Ökosystems Mensch und seines Gedeihens verlangt eine andere Einstellung zu dem Ökosystem, welches den Menschen ausmacht:

“ Antibiotikaresistenz ist ein Sprachproblem … Angesichts der Krise, die vor uns liegt, ist es an der Zeit, die Macht der Worte zu nutzen, um den Lauf der Dinge zu ändern“ (5)

Zusammenfassung

Menschen sind Superorganismen. Sie bestehen nicht nur aus Zellen, sondern (unter anderem) auch aus Bakterien und Viren. Diese Einzellebewesen sind untereinander und mit Darm, Gehirn, Nerven, Stoffwechsel und Immunsystem und Bewegungsapparat in vielfältigen Feedbackschleifen verwoben. Sie wirken harmonisch in einem komplexen System und ermöglichen so eine flexible Anpassung dieses Organismus an äußere Belastungen. In den ersten Lebensmonaten und Wochen ist das Gleichgewicht zwischen unreifem Darmepithel, Immunzellen und Nervenzellen und dem intestinalen Mikrobiom noch instabil. Die postnatale mikrobielle Ausreifung verläuft parallel zur Hirnentwicklung und zur Ausgestaltung der Immunfunktion. Diese frühe Interaktion zwischen Bakterien, Immunfunktion und Nervensystem beeinflusst so auch die kognitive, immunologische und motorische Entwicklung des Kindes. Zur Prävention psychiatrischer, neurologischer und auto-immunologischer Erkrankungen ist es notwendig, Schwangere, Mütter, Feten und Neugeborene in dieser essenziell wichtigen Lebensphase umfassend zu schützen. Nicht zwingend notwendige medizinische Interventionen sollten möglichst unterlassen werden.

Literatur

Ökosystem Zelle

Pädiatrische Praxis, Mai 2023, 99(4):634-641

Mitochondriale Fehlfunktionen sind mit vielen Pathologien assoziiert. Aufgrund der komplexen Wechselwirkungen in den Zellen sind gezielte Therapien solcher Störungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Was sich aber als hochwirksam erwiesen hat, ist die Prävention durch das Verhalten.

Einleitung

Mitochondrien sind Schlüsselorganismen. Sie unterliegen ständigen morphologischen Veränderungen: sie verschmelzen (Fusion), werden geteilt (Fission) und abgebaut (Mitophagie). Mitochondrien sind für zahlreiche essenzielle zelluläre Funktionen wie den Stoffwechsel, die Regulation von Kalzium, die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies und die Einleitung der Apoptose verantwortlich. Störungen des menschlichen Mikrobioms und seiner Wechselwirkungen mit dem Immun-, dem endokrinen und dem Nervensystem sind mit einer Vielzahl von Erkrankungen korreliert (1). Es überrascht daher nicht, dass auch mitochondriale Fehlfunktionen vielen Pathologien einschließlich Krebs und Covid19 zugrunde liegen (2,3).

Vererbung ist mehr als Zellkerngenetik

Bei der Befruchtung der Eizelle durch ein Spermium verschmelzen Erbinformation, die in Chromosomen verpackt sind. Die etwas mehr als 20.000 Gene der Chromosomen kodieren die Herstellung von Proteinen. Die Zahl der menschlichen Proteine übersteigt aber die Zahl der Zellkerngene bei weitem. Der Aufbau der Mehrzahl der menschentypischen Proteine wird durch Gene außerhalb des menschlichen Körpers (zumindest) beeinflusst oder (manchmal auch) bestimmt.

Die Gesamtheit menschentypischer Erbinformation, die nicht im Zellgenoms kodiert sind, werden Mikrobiom und Virom genannt (für menschentypische Bakterien und Viren). Sie werden während der Geburt und des Stillens übertragen und wirken mit den Körperzellen in einem Spiel zwischen Abwehr und Toleranz zusammen (4).

Zellkraftwerke

In den Zellen leben (in gewissem Grad eigenständige) ehemalige Bakterien, die vor ein bis zwei Milliarden Jahren durch Luftabschluss kernlose Zell Vorläufer infizierten (5,6). Diese Mitochondrien werden nur über die Mutter vererbt. Nach der Vereinigung mit der Eizelle werden (am Ende ihrer Reise erschöpfte) Mitochondrien des Spermiums aktiv beseitigt. Membran-Eiweiße der väterlichen Mitochondrien wandern unmittelbar nach der Befruchtung in ihre inneren Strukturen ein und lösen dort Degenerations-Prozesse aus. Das aktiviert die Abräum-Mechanismen der Eizelle und die väterlichen Harakiri-Mitochondrien werden so umgehend entsorgt (7).

Der programmierte Selbstmord der väterlichen Mitochondrien sichert das Überleben der neuen Zellen. Denn sie würden Schaden erleiden, wenn ähnliche, aber geringfügig unterschiedliche Gene aktiviert würden. Es würde ihnen dann viel schwerer fallen, zwischen Freund (zur Zelle gehörig) und Feind (Eindringling) im Zellinneren zu unterscheiden. Embryonen, bei denen sich die Abräum-Prozesse der männlichen Mitochondrien verzögern, sterben ab.

Die mütterlichen Mitochondrien in der Eizelle befinden sich bei der Vereinigung in einer Art Dornröschenschlaf. Einige von ihnen werden in ihrem unberührten Zustand an Zellen weitergegeben, aus denen bei Mädchen später die Eizellen hervorgehen. Einige mütterlich vererbte Mitochondrien leben also ewig, solange sie von Generation zu Generation weitergegeben werden können.

Mitochondrien sind 100 % Homo-sapiens typisch

Die Zellkerngene der Menschen in Eurasien enthalten zwei oder mehr Prozent Erbinformation anderer Frühmenschentypen (8). Frauen afrikanischer Homo sapiens Einwanderer nach Europa hatten offenbar (mehr oder weniger freiwillig) Sex mit (männlichen) Neandertalern. Sie gebaren Kinder, die, sofern sie die Geburt und die frühe Kindlichkeit überlebten, sich besser an das raue nördliche Klima anpassen konnten als ihre ursprünglichen, aus Afrika eingewanderten Vettern.

Wirklich typisch für Homo sapiens ist daher nicht das Genom im Zellkern, sondern die zirkuläre DNA der Mitochondrien. Denn die wurde (in einer reinen Linie) nur von den Homo sapiens Frauen vererbt.

Funktion der Mitochondrien

Würde man eine Zelle mit einer mittelalterlichen Stadt vergleichen, wäre der Zellkern das Rathaus und Bibliothek. Die Mitochondrien dagegen glichen einer Ziegenherde die friedlich vor der Stadtmauer graste.

Diese Haustiere müssen nicht angebunden oder eingezäunt werden, denn ohne die Gene des Zellkerns sind sie nicht lebensfähig. Mitochondrien werden vom Zellkern bestimmt und beeinflussen ihn umgekehrt. Allerdings besitzen sie durch ihre eigenen Gene auch eine gewisse Eigenständigkeit.

Ihre Hauptfunktion ist es, der Zelle Energie bereit zu stellen. Sie besitzen ein Eiweiß, das unter Nutzung von Sauerstoff ein hoch energiereiches Molekül aufbaut: die Adenosin-Triphosphats-Synthetase. Die mitochondrialen Funktionen sind besonders wichtig an Orten mit hohem Energieverbrauch wie zum Beispiel an den Kontaktstellen zwischen den Zellen (Synapsen), im Darm (Phagozytose), in rasch wachsenden Geweben und vor allem im Gehirn (9).

Mitochondrien können sich verformen und miteinander verschmelzen (zum Beispiel um mehr Energie zu produzieren). Oder sie spalten sich in kleinere Einheiten als Vorbereitung ihres Abbaus oder um zum Beispiel entlang der Nerven-Axone besser transportiert werden zu können. Diese mitochondriale Verwandlungsdynamik (unter anderem zwischen Verschmelzung und Spaltung ist ein wesentlicher Aspekt innerer zellulärer Informationsübertragung. Ein anderes Signalsystem beruht auf Veränderungen ihrer äußeren Membran, die sie mit anderen Zellorganellen verbindet: Sie reagiert auf Signale und sendet umgekehrt Informationen aus (10).

Besonders das Spiel zwischen Fusion und Fission erlaubt flexible Anpassungen an Belastungen und sichert Informationsübermittlung zwischen den Zellen. Störungen dieser Funktionsregulation sind für das Nervensystem, die Muskeln und die Lunge sehr gefährlich (11). Nicht nur beim Leben, sondern auch beim Zelltod spielen Mitochondrien eine wesentliche Rolle. Die Durchlässigkeit der äußeren Membran von Mitochondrien führt bei Stress zu proinflammatorischer Signalen, und sie kann das (physiologisch oft nötige) Absterben von Zellen einleiten. Mitochondrien spielen die Rolle eines Hub, der beim an und abschalten der Immunantwort gebraucht wird (12).

Auch die Konzentration freier Radikale, die als Abfall des Mitochondrien-Stoffwechsels anfallen, stellt ein Signalsystem dar. Freie Radikale sind aggressive und reaktionsbereite Moleküle, die bei chemischen Prozessen entstehen, bei denen auch Sauerstoff beteiligt ist (Oxidation). Sie sind nicht nur für das zytoplasmatische, sondern auch für die Mitochondrien selbst gefährlich (13). Normalerweise sehen Mitochondrien gurkenartig aus. Bei einer zu hohen Konzentration freier Radikale (bei Stress) gehen Mitochondrien von dieser Form in eine Donut-ähnliche Form über und verklumpen schließlich.

Wird das Immunsystem aktiviert, steigt die Konzentration freier Radikale. Umgekehrt führt ein Anstieg freie Radikale zu einer Stimulierung der Immunreaktion. Die Konzentration der freien Radikale (in einem physiologischen Rahmen von Belastung und Ruhe) vermittelt also (in einer physiologischen Bandbreite) Informationen. Folglich ist es keine gute Idee, freie Radikale durch Medikamente (zum Beispiel durch Antioxidantien in Nahrungsergänzungsmittel) komplett auszuschalten.

Besonders wichtig ist die Funktion der Mitochondrien im Gehirn, da es nur 2 % des Körpergewichtes etwa fünf 20 % der Körperenergie verbraucht. Im Darm sind Mitochondrien an der komplexen diätetischen Aufbereitung von Polysacchariden zu ’short fatty acids‘ (SCFA) beteiligt, die als Energiequellen in Leber und Muskelzellen genutzt werden können. SCFA verbessern die Ausdauerleistung, weil sie die Glykämie aufrechterhalten, Mitochondrien und Darm-Mikrobiom tragen damit zum Gelingen körperlicher Bewegung bei.

Umgekehrt werden Mitochondrien durch regelmäßige, entspannte Bewegung angeregt. SCFA scheinen zudem die Funktion der neutrophilen Leukozyten und deren Migration zu beeinflussen, die Permeabilität der Darmschleimhaut zu reduzieren, entzündliche Zytokine zu hemmen und die Redox-Umgebung in der Zelle zu kontrollieren, d. h. sie tragen dazu bei, dass sich beim Ausdauersport die Ermüdungserscheinungen verzögern (14).

Zellskelett und Mitochondrien

Mitochondrien sind im zytoplasmatischen Raum dreidimensional verteilt. Die Zelle besitzt ein Zellgerüst, das ihre Gestalt definiert, und ihr (je nach Funktion) Formanpassung und gegebenenfalls Beweglichkeit ermöglicht. Mitochondrien sind mit diesen Strukturen der Zelle verbunden und verformen sich mit ihnen unter dem Einfluss der Schwerkraft.

Sie liefern die für Bewegung notwendige Energie. Eine Störung der Funktionseinheit könnte unter anderem bei der Krebsentstehung beteiligt sein. Denn das Zytoskelett der Krebszellen weist viele Fehlfunktionen auf (15), die sich besonders bei der Zellteilung nachteilig auswirken (16).

Energiekanäle und Mitochondrien

Die Mitochondrien sind in die Homöostase des Kalzium-Stoffstoffwechsels eingebunden. Sie sorgen für eine Aufrechterhaltung des Spannungsniveaus der Kalzium-Kanäle in der Zellmembran. Die Aktivierung der Kalzium-Kanäle erfordert eine enge Verzahnung zwischen Mitochondrien und Endoplasmatische Retikulum. Ihre Depolarisation ist entscheidend für die Weiterleitung von Informationen (17,18). Störungen der Funktion der Kalzium-Kanäle sind daher besonders im Gehirn hoch-gefährlich.

Die unterschiedlichen Arten von Kalzium-Kanälen polarisieren schlagartig, d.h. nicht in Folge eines relativ bedächtigen chemischen Prozesses, sondern als ein quantenphysikalisches Phänomen. Diese Ionenkanäle werden nicht mechanisch angeschaltet oder ausgeschaltet, sondern oszillieren nach Frequenzmustern, die durch viele Einflussfaktoren moduliert werden (19). So wie Uhren ticken, Brücken und Wolkenkratzer vibrieren, schwingen neuronale Netzwerke. Neuronale Schwingungen, deren Energie von Mitochondrien stammt, sind ein wesentlicher Teil der Konstruktion des Gehirns (20). Human genetische Studien und neuere im Tiermodell deuten darauf hin, dass eine präzise Kontrolle des Ionenflusses (Kalzium, Natrium und Kalium) zu Entwicklungsprozessen im Uterus wie neuronaler Proliferation, Migration und Differenzierung beiträgt. Besonders energieverbrauchende Prozesse wie die Hirnfaltung können durch Fehlfunktionen der Kalzium-Kanäle negativ beeinflusst werden (21).

Dann erfolgt eine sofortige Energiebereitstellung, mit einer lawinenartigen Ausbreitung der Erregungsimpulse über Bewegungsprogramme entsteht schließlich eine sichtbare Bewegung, die das eigene Bewusstsein bestimmt, und die externe Beobachter sehen (22,23).

Warum erlaubt die Zelle diesen Nutztieren eine gewisse Eigenständigkeit?

Mitochondrien sind eng mit den anderen Zellorganellen verweht. Sie erhalten Steuerungsimpulse aus dem Zellkern und wirken besonders intensiv mit dem endoplasmatischen Retikulum der Zelle zusammen (24). Sie durften aber 37 ihrer ursprünglichen Gene behalten. Warum wurden sie nicht im Laufe der Evolution vollständig einverleibt, zerlegt und verdaut und ihre Erbinformation komplett in das Zellgenom übernommen?

Der Grund für ihre relative Selbstähnlichkeit könnte darin liegen, dass es für die Zelle einfacher ist, eine Vielzahl dezentralisierter Energieeinrichtungen zu koordinieren und sie so nach Bedarf flexibel zu beeinflussen. Ein zentrales (zellgesteuertes) Zellkraftwerk kann geregelt und kontrolliert an und abgeschaltet werden. Das reicht aber nicht für situationsbedingte Anpassungen. Eine zentrale Steuerung könnte, im Falle einer Funktionsstörung, großen Schaden anrichten. Wenn es dagegen zu einer Fehlsteuerung bei nur einem von vielen dezentralen Minigeneratoren käme, könnte diese Störung rasch beseitigt werden (7).

Kommunikation in der Zelle

Zellen bilden ein komplexes System, das über Milliarden von Jahren optimiert wurde. Sie bestehen aus vielen verschiedenen Arten von Komponenten mit jeweils zahlreichen Kopien, die alle zusammenwirken. Sie interagieren und bilden eine funktionelle Einheit hoher Ordnung (25). So besteht zwischen der Genaktivierung des Zellkerns und der zirkulären mitochondrialen DNA eine direkte, intensive Kommunikation (26-28).

Wachstum und Gedeihen der Mitochondrien werden in den Zellen aufmerksam kontrolliert. Wie bei einer Herde von Nutztieren werden dysfunktionale, geschädigte und ältere Exemplare aussortiert. Das regulative Spiel zwischen Toleranz der Mitochondrien und ihrem geordneten Abbau gehört zu den grundlegenden und wichtigsten Funktionen zellulärer Gesundheit (29,30). So wird beispielsweise der Mitochondrien Halle Stoffwechsel in den Immunzellen unter anderem durch Signale der Darm-Mikrobiota verändert und kann so Entzündungsprozesse einleiten und begünstigen (31).

Bei einem gesunden Immunsystem besteht im Rahmen der Anpassung des Organismus an unterschiedliche Anforderungen, eine Homöostase des Abbaus und der Vermehrung der Mitochondrien (32). Ein übersteigerter Abbau (Mitophagie) verursacht unterschiedliche Autoimmunstörungen oder ein Zugrundegehen von (manchmal essenzieller) Zellen wie bei Parkinson, Alzheimer oder neurodegenerativen Erkrankungen (33).

Mitochondrien sind auch an der Funktion des sogenannten antiinflammatorischen Reflexes beteiligt: auf ihrer äußeren Membran besitzen die mit Mitochondrien Alpha-7-nikotinähnliche Rezeptoren (nAChR), die eine zentrale Rolle bei der Dämpfung der Immunreaktion spielen (34). Möglicherweise sind diese Rezeptoren auch Teil eines Verteidigungssystems, um die Organellen vor Mitophagie zu schützen. Ihre Blockade durch Nikotin oder eine Herunterregulierung der Funktion des Nervus vagus im Zusammenhang mit Stress könnte zu vermehrter Mitophagie führen, Entwicklungsprozesse bei Ungeboren und bei Neugeborenen schädigen und Alterungsprozesse der Zelle begünstigen (35).

Störungen des intrazellulären Ökosystems

Mitochondriale Erkrankungen und Defekte spielen eine besondere Rolle bei Alterungsprozessen, bei der Entstehung von Krebs, neurodegenerativen Prozessen und einer Vielzahl anderer Erkrankungen. Toxische Nebenwirkungen vieler Medikamente wie Schmerzmittel, Antiepileptika, Antibiotika, Tuberkulostatika, aber auch Strahlung, Hitze, Umwelttoxine und vieles andere können Mitochondrien schädigen und eine zelluläre Hypoxie bewirken (36). Mitochondrialen Defekte führen zu einem erhöhten Level an freien Sauerstoffradikalen, H2O2, dem intra- zytoplasmatische Kalziumspiegel und Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine. Die resultierende immunologische Erregbarkeit begünstigt Störungen wie Arteriosklerose, Typ-2-Diabetes entzündliches Darmsyndrom, metabolisches Syndrom, Neurodegenerationserkrankungen und vieles andere.

Gehirnzellen können durch den Anstieg freie Radikale und die folgenden mitochondrialen Dysfunktionen besonders leicht geschädigt werden. Wenn die Mitochondrien des Gehirns nicht mehr für genug Energie sorgen können, werden Neurone abgebaut, was zu Demenz und zu vielen anderen Fehlfunktionen des Gehirns führen kann. Medikamentöse Ansätze zur Verbesserung der mitochondrialen Funktion waren bisher nicht überzeugend. Dagegen konnte durch viele Studien nachgewiesen werden, dass ruhige Bewegung, ausreichender Schlaf, wenig Stress, Sonnenbestrahlung, gutes Essen und Meditation die Funktion und die Gesundheit der Mitochondrien günstig beeinflussen (33).

Die durch Stress ausgelöste, mitochondriale Immunreaktion ist über die Produkte freier Radikale an der antimikrobiellen Erstabwehr beteiligt. Eine übersteigerte Aktivierung dieses angeborenen Immunsystems führt über eine Schädigung der Mitochondrien zu auto-inflammatorischen Erkrankungen. In der Zelle muss eine Immuntoleranz gegenüber den Mitochondrien bei gleichzeitiger Regulation und Abbau im Falle von Störungen gefunden werden. Von diesem Spiel von Toleranz und Aggression hängt die langfristige gesundheitliche Entwicklung des ganzen Organismus ab. An der Steuerung der Immuntoleranz sind zahlreiche Proteine beteiligt, die gewährleisten, dass gesunde Mitochondrien klar von bakteriellen Eindringlingen unterschieden w andererseits müssen dysfunktionale Exemplare der Mitochondrien rechtzeitig abgeräumt werden (37). Die mitochondrialen DNA ist zehnmal bis zwanzigmal empfindlicher für ungünstige Mutationen als das Genom im Zellkern die resultierenden, als Funktion und tüchtig erkannten Mitochondrien werden gespalten, zerschnitten und entsorgt. Eine übersteigerte oder vorzeitige Mitophagie scheint einer der wesentlichen Gründe zu sein für vorzeitiges Altern, verkürzte Lebenszeit und neurodegenerative Prozesse (38). Die Qualität der Kommunikation zwischen dem Zellkern und den Mitochondrien scheint eine der wesentlichen Ursachen für die Lebenslänge bzw. für Alterungsprozesse in der Zelle zu sein (39).

Geht es den Mitochondrien gut ist der Körper gesund

Die Dynamik Mitochondrien aller Prozesse von Aufspaltung und Verschmelzung, Vermehrung und Abbau sind Grundlagen menschlicher Gesundheit. Sie sind mehr als die Energielieferanten der Zelle. Über ihre äußere Membran und deren Verbindung mit anderen Organellen (insbesondere zum Endoplasmatisches Retikulum) ist ihr Stoffwechsel zentral für die Signalgeber innerhalb der Zelle. Darüber hinaus ist er auch unentbehrlich für die Kommunikation mit den umgebenden Nachbarn (11,40). Und ebenso für das Gleichgewicht des Spiels zwischen intrazellulärer Toleranz der Mitochondrien und ihrer Entsorgung schützt vor Krankheit und vorzeitigem Altern.

Die Steuerung der Mitochondrien-Funktion und ihrer Dynamik sind nicht nur mit neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert, sondern unter anderem mit chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und Lungenfibrose (40). Es ist daher nicht verwunderlich, dass das bei Infektionen wie es SARS-CoV-2 die Störung des Mitochondrien-Stoffwechsels eine erhebliche Rolle zu spielen scheint, insbesondere im Zusammenhang mit Medikamentennebenwirkung im Rahmen von Überbehandlung (Polypragamsie). Die RNA von SARS-CoV-2 scheint in die Mitochondrien zu gelangen und ihre Funktion zu manipulieren. Ähnlich ist es bei der mRNA-Impfung. In der Folge kann es bei vorgestanden Mitochondrien zu Fragmentierung kommen, die pro inflammatorischer Reaktionen auslösen und schließlich auch zu einem (manchmal auch fatalen) Zytokinen Sturm führen können (41,42).

Das unbekannte Nichtwissen in diesen komplexen Zusammenhängen ist unbegrenzt. Sicher scheint jedoch zu sein, dass körperliche Bewegung, Ruhe, Schlaf, Sonnenlicht, wenig Stress und die Ernährungsweise sich nachweislich günstig auf die Gesundheit der Mitochondrien und ihre Lebensdauer auswirken (6).

Zusammenfassung

Störungen und Alterungsprozesse sind direkt abhängig von der Gesundheit der Mitochondrien. Gezielte Therapien von Mitochondrien-Störungen sind wegen der komplexen Wechselwirkungen in den Zellen nicht zu erwarten. Was sich aber als hochwirksam erwiesen hat, ist die Prävention durch das Verhalten: Reduzierung von Stress, ausgeglichen, ruhiger Lebensstil, Sorge für ausreichenden Schlaf, keine Drogen (insbesondere kein Nikotin), gesunde Ernährung, beruhigende Kommunikation, Achtsamkeit und viel entspannte Bewegung.

Mitochondrien sind für zahlreiche essenzielle zelluläre Funktionen wie den Stoffwechsel, die Regulation von Kalzium, die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies und die Einleitung der Apoptose verantwortlich. Mitochondrien-Fehlfunktionen sind mit vielen Pathologien assoziiert, die entzündliche Darmerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, neurodegenerativen Störungen und neuropsychiatrischen Leiden, verneint Stoffwechselerkrankungen und auch an Krebs.

Alle Verhaltensänderungen, die zu einer Verbesserung der mitochondrialen Funktionen führen, verbessern die Gesundheit des gesamten Organismus.

Literatur

Weitere Literatur

Stand 07.03.2024

Mitochondrien-Nachweis (und von freier mDNA) außerhalb von Zellen

Covid-19 (Long-Covid) und Mitochondrien-Dysfunktion

mRNA-Post-Vacc-Syndrom und Mitochondrien-Dysfunktion

Einheit von Darm, Immunsystem und Gehirn

Mitochondrial donation treatment (MDT)

Mehr

Letzte Aktualisierung: 07.03.2024