13. November 2023

Buddhismus

… Ruhe, Achtsamkeit, Wertschätzung, Meditation, Mit-Leiden, Gewaltfreiheit, Atem, Friede, Mit-Gefühl, Liebe …

„… all diese Dinge sind wichtig, und sie können unsere Gesellschaft verändern.“
Thich Nhat Hanh (1926-2022), Innerer Frieden, Äußerer Frieden. Patmos 2022

Überseemuseum Bremen: 14.10.23-28.04.24, – Simon-Galerie, Berlin: 04.05.23-14.01.24

Der vietnamesische Zen-Buddhist Thich Nhat Hanh sprach vom Guten im Menschen. Von unseren Fähigkeiten zu Beziehung und Verbindung. Mit dem, was uns umgibt und was uns ausmacht. Er glaubte, dass seine Religion helfen könne, dass sich Menschen von zerstörendem Verhalten abwenden. Er hoffte, der Buddhismus könne menschliche Gesellschaften zum Besseren führen.

Mentale Menschheitskrise

Wir nähern uns einer nicht mehr umkehrbaren, einschneidenden Veränderung der Biosphäre und ihrer Lebensformen.

Andere Religionen sind angesichts kriegerischer, brutaler, kapitalistischer, gieriger Raubtier-Mentalitäten entweder gelähmt, klammern sich an längst Vergangenes, oder sind selbst orientierungslos oder gewalttätig. Um wirksame Alternativen für die aktuellen Krisen zu entwickeln, müssten die existierenden Glaubens-Modelle eine Renaissance erleben. (Versuche von Papst Franziskus: ‚Fratelli tutti‚ – ‚Laudato si‘‚ , und des Dalai Lama : ‚Ethik ist wichtiger als Religion‘)

Liang Kai: Der sechste Patriarch (Hui Neng 7. Jhh. n.u.Z.) zerreißt eine Sutren. Er verwirft den verschnörkelten Ballast und verknoteten Wirrwarr alten Denkens

Um passende Antworten für die Neuzeit zu bieten, könnte sich der Buddhismus auf sein schlichtes, bescheidenes, ethisches Wesen zurückbesinnen. Er könnte die esoterischen, dogmatischen, gold- und prunk-überladenen Erinnerungen den Museen für Kunstgeschichte überlassen. Er könnte sich von Fehlentwicklungen trennen.

Mahayana, Vairayana/Tantra, Amitabha, Cha’an/Zen, Therevada 

Der Buddhismus entwickelte sich aus dem Brahmanismus. Dessen Gewissheit „Es ist!“ setzte er die Negation entgegen: „Es ist nicht!“. Er betonte das Leid, das es zu überwinden gelte. In der Lebenslust erkannte er keinen tieferen Sinn. ‚Ich-Konstruktion‘ wurde (lange vor moderner Neurowissenschaft) als ein aktiver, energieverbrauchender Prozess beschrieben, der (bei wachem Bewusstsein) gelassen werden kann.

Ähnlich wie Konfuzianer, Daoisten, u.v.a. glauben Buddhisten nicht an die Existenz eines ,externen Gottes‘, aber gewiss an eine ‘eindeutige Wahrheit‘. Auch ihre Meister suchen das ‚Absolute‘, und glauben eindeutig zu wissen, ‚wie es wirklich‘ sei.

Heute ist der Formenreichtum des Buddhismus ist unendlich: Schillernd, verwirrend, faszinierend, exotisch, magisch und philosophisch zugleich.

Ähnlich wie in anderen Religionen ergeben sich auch im Buddhismus Veränderungschancen, wenn die Bedeutung von Dogmas und Ritualen abnimmt. Wenn Neugier auf Unbekanntes zugelassen wird.

„What is GNH?“ Animiertes Video: www.youtube.com/watch?v=7Zqdqa4YNvI

So entstand z.B. eine Variante klaren Denkens aus der Verbindung des indischer mit chinesischer Philosophie:

Cha’an (japanisch Zen) entwickelte sich aus dem Mahayana-Buddhismus. Seine zweite Wurzel entsprang der Dao-Religions-Philosophie (China / Wohlfahrt-Zhuangzi)

Mahayana (महायान mahāyāna, ‚großes Fahrzeug‘) entstand in Nord-West-Indien rund um die Region Gandhara im heutigen Pakistan und Afghanistan. Während bei anderen Buddhismusformen das Leiden überwunden werden soll, um sich von dem ewigen Kreislauf von Wiedergeburten zu lösen, ist Mahayana diesseits (auf das Leben) bezogen. Das zentrale Konzept ist die spirituelle Führung durch den Boddhisatva. Ein Erlöser, der aus Mitleid ins irdische Leben zurückkehrt.

Eine andere Variante des Mahayana-Buddhismus bestimmt bis heute die Politik Bhutans.

Brutto-Sozial-Glück

Die Regierung des kleinen Landes am Fuß des Himalaya verfolgt seit Jahrzehnten eine qualitative, nachhaltige, ressourcen-schonende Entwicklungsstrategie. Vom Mahayana-Buddhismus inspiriert, soll der Erfolg der Politik an der Zufriedenheit, dem Gemeinwohl und der Lebens-Qualität der Bevölkerung gemessen werden (OPHI 2023).

Das Streben nach einem nationalen „Brutto-Glücks-Produkt (GNH)“ soll in Bhutan nachhaltige Entwicklung sichern, die Kultur erhalten, die Umwelt schützen und von Werten geleitet sein: von Frieden, Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und kommunalem Gemeinwohl. (Thinley: Rede vor der UN, 28.09.2012Teshering Prime Minister of Bhutan)

Tatsächlich scheint in Bhutan die Qualität der sozialen Gemeinschaft stärker im Mittelpunkt zu stehen, als umwelt- und gesellschaft-zerstörendes, kapitalistisches Wachstum toter Geld-Werte. (van Norren 2023)

Zumindest ist Bhutans Vorbild ein kleiner Denkanstoß. Vielleicht könnte dieses Samenkorn wachsen. Und mithelfen, die globale Ideologie des „Immer mehr“ durch „Sinn-volles“ zu ersetzen.

Philosophisch-rational-fragendes Denken (in der Tradition Kants) kann Klarheit und Eindeutigkeit bewirken. Religiös-glaubend-ethisches Gedankengut schafft dafür Verbindung und Beziehung, und fügt menschliches Tun harmonisch in einen Kontext umfassender Systemzusammenhänge ein.

Beides ist nötig, angesichts der Multikrisen, die wir erleben.

Kann uns buddhistische Ethik „erlösen“?

Vielleicht.

Aber wie hat sich eigentlich „der Erlöser“ in den Buddhismus hinein geschlichen?
Und wie hat „er“ (der Boddhisatva) anschließend das christliche und das islamische Denken beeinflusst? …

„Erlösung“ war indischen Nicht-Religionen fremd.

Solange bis in Ghandara (heute Pakistan, Kaschmir, Afghanistan) der Buddhismus zur Mahayana-Variante erweitert wurde. Und sich anschließend in dieser Form über China bis nach Japan verbreitete.

In dem großen Gebiet zwischen Pakistan und Afghanistan berührten sich ab ~300 v.u.Z. drei große Kulturräume: Europa-Asien-Indien. An der zentralen Kreuzung der Seidenstraße, wurde unterschiedliches Denken, wie in einem großen Kessel zusammengerührt. Und von dort verbreitetet sich der Mahayana-Buddhismus, in dessen Lehren das Mitgefühl und die Erlösung aller Wesen im Vordergrund stehen, nach China und Indien. Mahayana propagierte ein neues Ideal eines Bodhisattva,, der zwar erleuchtet ist, aber das endgültige Erlöschen im Nirvana verschiebt, um andere Wesen zu retten.

So erhielt eine eigentlich egoistische Erkenntnistheorie, die nur der Erleuchtung eines Einzelnen galt, eine weltliche, ethische Komponente: Die Reflexionen guten Handelns, die später auch in der Cha’an-Zen-Religions-Philosophie bedeutsam ist.

Griechen lebten lange vor „Alexander dem Großen“ in Baktrien (heute Nord-Afghanistan ). Die so genannten „Branchnidae“ siedelten ursprünglich in Didyma/Milet, und wurden von dort vom persischen Großkönig als loyale Untertanen nach Baktrien umgesiedelt. Als Zarathustra-Anhänger wehrten sie sich heftig gegen die mazedonische Invasion. (Parke1985)

Die mazedonische Armee ersetzte in der Folge den Zarathustra-Monotheismus durch die Misch-Religion der Muttergottheit und ihres Sohnes (dem ‚Soter‘ dem Heiland)

Cybele Baktrien
Der Heiland (Soter) oder Sonnengott als Sohn der großen Mutter, Ai-Khanoum, Baktrien, 200 v.u.Z.: https://www.youtube.com/watch?v=S-sViEj1HhI

Die Alexander nachfolgenden, griechisch-mazedonischen Großkönige der heutigen Regionen Persien-Afghanistan-Pakistan-Nord-Indien ließen sich deshalb den Beinamen „Heiland“ (Soter) auf ihre Münzen prägen. (Beispiel: „Antiochos I. Soter“)

Der Friedensschluss zwischen Seleucos I. (358-281 v.u.Z.) und dem Herrscher über Nord-Indien, Chandra Gupta (350-295 v.u.Z.), ist bis heute bedeutsam, weil sich (besonders in den Regionen zwischen Afghanistan und Pakistan) zwei Kulturen durch Heirat, Handel, Botschafteraustausch, Vereinheitlichung der Kriegstechnik und Überlassung von Land gegenseitig (fruchtbar und friedlich) beeinflussten.

Chandra Gupta nahm die Negativ-Leidens-Religion des Jainismus an. Auch das ist wichtig, um die Geistesentwicklung in Gandhara zu verstehen. Denn der ethisch-moralische Asketenreligion des Mahavira wird, zur Staatsreligion erhoben, das Denken der Region Gandhara geprägt, und den Boden bereitet haben für die spätere Mission des Buddhismus.

Ashoka (268-232), der Enkel Chandra Guptas, hatte eine griechische Großmutter. Möglicherweise kannte er Griechisch als Fremdsprache. Sicher war er über die Ereignisse in den Reichen der griechischen Diadochen informiert. Nach seiner, offenbar sehr brutalen, Eroberung des indischen Subkontinentes, suchte er nach einer Ideologie, die sein Riesenreich stabilisieren konnte. Der Brahmanismus kam dafür nicht infrage. Dessen Priesterkaste hatte schon sein Großvater die Priesterkaste entmachtet.

Die asketische Jain-Religion des Großvaters schien ihm aber auch nicht geeignet zu sein. Weil sie zu wenig weltbezogen war? Stattdessen bevorzugte er die Lehre einer bis dahin unbedeutenden, kleinen Sekte, die aus der Kriegerkaste stammte. Buddhas Lehre könnte ihn als machtbewusste Staats-Ideologie. Jedenfalls versuchte er, nach seiner Entscheidung für diese Religion, seine benachbarten, griechisch-mazedonischen Königs-Kollegen zu bekehren.

Er entsandte (u.a. griechische) Missionare über die Seidenstraßen-Wege nach Persien, Baktrien, Mazedonien, Griechenland, Albanien, Ägypten, Nordafrika u.a. Und ließ die Erfolge der vielen Missionsreisen in Säulen dokumentieren. Ohne ihn wäre der Buddhismus vermutlich, wie so viele andere Sekten indischer Gurus, in der Vergessenheit versunken:

Ashokas Dynastie wurde nach seinem Tod von Pushyamitra Shunga (185-149) gestürzt, von einem General eines seiner Nachfolger. Shunga verdrängte den Buddhismus, und wandte sich wieder überkommenen Ritualen, Erotik und brahmanischen Glaubensformen zu.

Abgesandte der vertrieben Buddhisten reisten daraufhin, Hilfe suchend, zu den Königen des benachbarten griechischen Großreiches (heutiges Afghanistan).

Deren Religion war immer noch die der Muttergöttin und des jugendlichen Lichtgottes, gemischt mit Apollon-Verehrung und Resten des Zarathustra-Glaubens. Aber sie standen den indischen Denkformen durch lange Nachbarschaft zu „Gymnaso-Philosophen“ offen gegenüber.

Der erste griechische Großkönig, der den Buddhisten zu Hilfe eilte, Demetrius, lies sich immer noch als „Soter“ („Heiland“ oder „Erretter)“ auf seine Münzen prägen. Mit seinen Generälen oder Mit-Königen (Antimachus, Apollodotus, Menander) gelang es ihm tatsächlich, einen Teil Nordindiens zu erobern (sicher bis Mathura). Möglicherweise hätte er die Shunga-Dynastie stürzen können, wäre ihm nicht Eucratides, ein General des letzten Seleukiden-Herrschers Antiochus IV in den Rücken gefallen.

Dem anderen (jüngeren) griechischen Großkönig und „Soter“ (Menandros, Milinda) gelang es während seiner Regierungszeit (165-130) große Teile Nordindiens zu beherrschen. Dort tauschte er seine Staatsreligion aus:

Er ersetzte den Soter-Heiland-Erlöser-Apollon-Glauben durch den Buddhismus. Natürlich so, wie er ihn aufgrund seiner eigenen kulturellen Sozialisation verstand: Also mit dem „Soter“, aus dem dann der Bodhisattva (das „Erleuchtungswesen“) des Mahayana-Buddhismus erwuchs

Milindapañha:

Auch der Großkönig Menandros (Menander oder Milinda) soll, wie zuvor Ashoka, über die Seidenstraße zahlreiche buddhistische Missionsreisen in Richtung seiner griechischen Königs-Kollegen organisiert haben.

Der Gandhara-Buddhismus, in dem Buddha in menschlich-mit-leidender Gestalt gezeigt wurde, ist also das Ergebnis kultureller Begegnungen bedeutender philosophischer Strömungen.

Neu-buddhistisches Gedankengut, wie ‚Mit-Leiden‘, wanderte aber nicht nur nach China und Japan (Cha’an/Zen), sondern beeinflusste auch die Religionsentwicklungen im Mittelmeer-Raum.

Um Christi Geburt reichte der Kulturraum der Griechen von Indien über Syrien bis nach Ägypten. Dort wird es von Missionaren und Propheten gewimmelt haben. Das könnte erklären, warum die Überlieferungen zum ‚Gottessohn Jesus‘ (Trinitatis-Variante), bzw. ‚Propheten Īsā ibn Maryam‘ (Arius-Variante), die klassisch zelotische Tradition des von Gott gesandten Heerführers (Simon Bar Kochba) mit ‚mahayana-inspirierter‘ Barmherzigkeit verbinden.

Kann uns also der Buddhismus erlösen?

Ich bezweifle es.

Denn die meisten der vielen buddhistischen Varianten sind ähnlich krank, wie die anderen Weltreligionen oder Dogma-Wahrheits-Systeme auch. Sie erreichen die Jungen nicht mehr. Sie vergreisen.

Allerdings ist Bhutan’s Brutto-Sozial-Glück ein hoffnungsvoller Ansatz. Aber bisher folgte ihm kein anderes Land.

Auch die philosophischen Gedanken des ‚Cha’an / Zen‘ wären möglicherweise geeignet, innovative Antworten zu den aktuellen Multi-Krisen der Menschheit zu entwickeln. (Wohlfahrt)

Thich Nhat Hanh’s Essay träumte von einer buddhistisch inspirierten Bewusstwerdung der Menschen. Ich wünschte, sein Traum würde Realität.

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Literatur / Links

Letzte Aktualisierung: 12.02.2024