7. November 2022

Stillen

Vererbung ist mehr als das Verschmelzen zweier Zellkerne

Das menschliche Genom wird  zu gleichen Anteilen vom Vater und der Mutter auf das Neugeborene vererbt. Es besteht aus 20 und 30.000 „Worten“, die im Zellkern hinterlegt sind, und von dort den Aufbau menschen-typischer Eiweiße steuern. Nach der Zeugung werden mit dem mütterlichen Eizellkörper ehemalige Kleinbakterien übertragen. Diese sogenannten Mitochondrien versorgen Körperzellen (durch Sauerstoffverbrennung) mit Energie.

Während der Schwangerschaft wirkt die Mutter weiter prägend auf das Ungeborene ein: u.a. werden bestimmte Abschnitte des Genoms durch kleine Moleküle an- oder ausgeschaltet. Dieser Prozess der so genannten Epigenetik hilft dem Kind u.a. seinen (Zucker-)Stoffwechsel frühzeitig auf (möglicherweise stressige) Umweltverhältnisse einzustellen, die es nach der Geburt erwarten.

Stillen ist eine Form biologischer (noch nicht kultur-vermittelter) Informations-Übertragung.

Unmittelbar nach einer Geburt steht beim Stillen die Nahrungsversorgung noch nicht im Vordergrund. Wesentlicher für die Anpassung des Neugeborenen an seine neue Umwelt sind die Übertragung von Immun-Erinnerungen (Antikörpern), der mütterlichen Bakterien (Mikrobiom) und die Beruhigung und Modellierung des jungen Nervensystems durch die Mutter-Kind-Bindung (Bonding).

Vom Gelingen dieser Informationsübertragung in den ersten Lebenstagen durch das Stillen, hängt die weitere Entwicklung ab, insbesondere die Regulierung der Herz-, Nerven- und Immunfunktionen.

Überblick  (Cochrane 2017, eigene Übersetzung)

„ … Stillen beeinflusst kurz-, mittel- und langfristig das Überleben, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Neugeborenen  und der Mütter.. Die Verwendung von Muttermilch-Ersatzstoffen schwächt das Immunsystem der Säuglinge und beeinträchtigt ihre kognitive Entwicklung, ihr Verhalten und ihre Appetitregulierung und erhöht das Risiko der Entwicklung von Brustkrebs, und wahrscheinlich auch von Eierstockkrebs und Typ 2 Diabetes. [1] Daraus ergeben sich umfangreiche ökonomische Konsequenzen für Gesundheitssysteme, die Familien und die Gesellschaft als Ganzes. [2,3]

Im Jahr 2003 empfahl die Weltgesundheitsorganisation, dass Säuglinge exklusiv bis zum Alter von sechs Monaten gestillt werden sollen, und das Stillen danach weiterhin ein wichtiger Teil der Säuglingsdiät bis mindestens zum Alter von zwei Jahren bleibt. Allerdings spiegeln die derzeitigen Stillraten vieler Ländern diese Empfehlung nicht wider.

Nur rund 37% der Babys unter sechs Monaten weltweit werden ausschließlich gestillt und die Raten sinken weiter, vor allem in Ländern mit mittlerem Einkommen. [1] Die Preise in vielen Ländern, mit höherem Einkommen, sind deutlich niedriger: z.B. werden in Großbritannien weniger als 1% der Babys sechs Monate voll gestillt. [4] Außerdem ist die Säuglingsernährung sozial beeinflusst und reflektiert oft Ungleichungen – z.B. weisen  vielen Ländern mit hohem Einkommen Frauen aus einkommensschwachen Gemeinden die niedrigsten Still-Raten auf. [4]

Mehrere Faktoren haben zu diesem starken Rückgang der Stillzeit beigetragen, einschließlich der weitverbreiteten Verfügbarkeit und der pro-aktiven Vermarktung von erschwinglichen Muttermilch-Ersatzstoffen [3,5,6], trotz des Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilch-Ersatzstoffen (1981 und nachfolgende Entschließungen). [ 7] Die Entwicklung von kulturellen Normen bedeutet, dass Frauen oft nicht am Stillstand am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Räumen unterstützt werden. [8,9] Viele Professionelle, die im Gesundheitsbereich arbeiten, haben möglicherweise zu geringe Qualifikation um die Frauen in geeigneter Weise zu unterrichten oder zu unterstützen. Außerdem besteht eine weit verbreitete öffentliche und professionelle Akzeptanz der scheinbar Muttermilch-ähnlichen Ersatzstoffen des Stillens, trotz der Beweise für das Gegenteil. [3] Folglich stoßen viele Frauen auf Probleme, die sie nicht ohne qualifizierter Hilfe lösen können und beschließen, das Stillen zu ergänzen oder einzustellen. Das führt dann wieder zu Notfällen, und hat weitreichende Auswirkungen auf das Überleben von Kindern und (perspektivisch) der Bevölkerungsgesundheit allgemein, mit umfangreichen ökonomischen Auswirkungen für Gesundheitssysteme, Familien und die Gesellschaft als Ganzes [2,5] …“ Cochrane 2017

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Bild: Simbav, 2011

Die Vorteile des Stillens sind ausführlich belegt

… aber deshalb st,illen nicht unbedingt immer mehr Frauen. Auch noch mehr (detailliertere und bessere) Informationen werden daran nichts ändern.

Stattdessen müsste sich die gesellschaftliche Einstellung zum Stillen verändern. Insbesondere der Staat müsste erkennen, dass die frühe Lebensphase besonders schutzbedürftig ist. Denn sie bestimmt das ganze weitere Leben.

Folglich müsste (aus gesamtgesellschaftlichem Interesse) massiv in frühst-kindliche Förderungen investiert werden (Beispiel SIMBAV e.V.)

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Letzte Aktualisierung: 09.11.2022