28. Oktober 2025

Stillen

Soziale Vererbung

Vererbung ist mehr als das Verschmelzen zweier Zellkerne.

Das menschliche Genom wird zu gleichen Anteilen vom Vater und der Mutter auf auf das Neugeborene vererbt. Es besteht aus etwa 24000 „Worten“, die im Zellkern hinterlegt sind, und von dort den Aufbau menschentypischer Eiweiße steuern. Nach der Zeugung werden mit dem mütterlichen Eizellkörper ehemalige Kleinbakterien übertragen. Diese sogenannten Mitochondrien versorgen Körperzellen (durch Sauerstoffverbrennung) mit Energie.

Während der Schwangerschaft wirkt die Mutter weiter prägend auf das Ungeborene ein: u. a. werden bestimmte Abschnitte des Genoms durch kleine Moleküle an- oder ausgeschaltet. Dieser Prozess der sogenannten Epigenetik hilft dem Kind u. a. seinen (Zucker-)Stoffwechsel frühzeitig auf Umweltverhältnisse einzustellen, die es nach der Geburt erwarten.

Wie flexibel ein erwachsener Mensch mit Belastungen umgehen kann, hängt davon ab, wie bei ihm Schwangerschaft, Geburt und die ersten Lebenswochen verlaufen sind.

Neugeborene stellen lernend die Beziehungen und Verbindungen ihrer Zellen so aufeinander ein, dass sie nach außen elastisch und flexibel reagieren können. Damit sich diese Reaktionsmuster entwickeln, sind Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe nötig.

Das Kind muss vor zu viel Information geschützt werden, die es bislang nicht in einen persönlichen Bezug setzen kann. Und gleichzeitig muss es stetig und immer wieder die wesentlichen Informationen erhalten, die bewirken, dass sich viel benutzte Nervenverknüpfungen stabilisieren. Nach der Geburt besteht ein Fenster von wenigen Monaten, in dem die spätere Gesundheit günstig beeinflusst werden kann. Die frühe Entwicklung bestimmt, ob Schadstoffbelastungen, Infektionen, Stress oder Traumata später zu Krankheiten führen oder nicht.

Kinder haben ein Recht auf Schutz und optimale Förderung ihres Wachstums. Dazu benötigen sie eine intensive Mutter-Bindung, Geborgenheit (Bonding)

Dazu gehört die Kommunikation des Stillens.

Stillen: biologische Informations-Übertragung.

Die kurzfristigen Vorteile des Stillens sind bekannt: Stillen senkt das Sterblichkeitsrisiko der Kinder durch Infektionen in den ersten zwei Lebensjahren (WHO 2000). Gestillte Kinder werden seltener wegen Durchfall- und Atemwegserkrankungen ins Krankenhaus eingewiesen (Quingley 2007). Volles Stillen in den ersten sechs Monaten senkt die Häufigkeit von Magen-Darm-Erkrankungen und allergischen Störungen. Das gestillte Kind wächst und gedeiht ohne Mangelerscheinungen (Kramer 2004). Die WHO empfiehlt daher, ein Kind über sechs Monate voll zu stillen und es bis zu zwei Jahre lang noch zum Teil zu stillen (WHO 2001). Dennoch werden weltweit nur 38 Prozent der Kinder in den ersten sechs Monaten voll gestillt, eine Folge der intensiven Werbung für Flaschennahrung (WHO 2013).

Die Einflüsse während der Schwangerschaft, der Geburt und in den ersten Lebenswochen bestimmen, wie flexibel ein Mensch im späteren Erwachsenenalter mit Belastungen umgehen kann. Das Risiko für spätere Krankheitsereignisse ist insbesondere deutlich erhöht bei Stress während der Schwangerschaft, nach einer Kaiserschnittgeburt oder Depressionen der Mutter im Wochenbett (Bonifazio 2011).

Ob Stillen sich bis ins Erwachsenenalter auswirkt, wird im Auftrag der WHO seit 2007 untersucht. Der aktuelle Bericht (Horta 2013) kommt auf der Basis von 60 ausgewerteten Studien zu folgenden Schlussfolgerungen: Das Risiko, einen Diabetes zu entwickeln, war bei gestillten Personen deutlich niedriger, in einigen Studien um 34 Prozent (Horta et al. 2013). Fettleibigkeit war um etwa 12 bis 24 Prozent seltener. Die deutlichsten Effekte wurden in Intelligenztests beobachtet. Stillen war mit einem Anstieg um 3,5 Punkte in normierten Test-Scores verbunden. Gemessen am Intelligenzquotienten (IQ), schließen die Autoren auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Stillen und Hirnentwicklung.

Einige Regelkreise noch instabil

Die Organe des Kindes sind gegen Ende der Schwangerschaft angelegt. Ihre Funktionen sind aber noch nicht ausgereift und nur wenig miteinander koordiniert. Menschliche Neugeborene sind deshalb alleine nicht lebensfähig.

Der Phänotyp des Genoms wird in der Schwangerschaft so eingestellt, dass Hormone und Stoffwechsel für das Kind optimal an eine stressige oder aber ruhigere Welt angepasst sind. Bei Neugeborenen sind die Weichen hinsichtlich Cortisolproduktion, Zucker- und Fettstoffwechsel gestellt. Aber diese Funktionen sind noch wenig gefestigt und in den ersten Lebenswochen beeinflussbar. Einige reflexgesteuerte, für die spätere Gesundheit essenziell wichtige Regelkreise, sind noch instabil:

  • Stammhirn – Herz – Lunge
  • zentraler Tag-Nacht-Rhythmus (circadianer Rhythmus) und Rhythmen aller Zellen und Organe
  • Darmbakterien – Mittelhirn – Nebennierenrinde
  • Stammhirn – Milz – Immunfunktion
  • Säugetiertypische Regelkreise der Kommunikation mit der Umwelt.

Je nach Reifegrad kann das Kind mit seinen inneren Sinnen (Propriozeption) Druck, Zug, Dehnung, Schmerz und Gelenkstellung spüren. Es verfügt über Primitivreflexe, die teils trainiert werden müssen wie das Schlucken. Andere werden bald durch effektivere Bewegungsmuster überlagert, wie das Schreitphänomen. Das Neugeborene kann aktiv ausatmen: seine erste „willkürliche“ Handlung, die es schon in der Gebärmutter mit Fruchtwasser trainiert hatte. Die Koordination der Atmungs-, Herz- und Lungenfunktion sind aber bei Frühgeborenen noch sehr schwach entwickelt. Sie verfügen zwar bereits über einen primitiven Stammhirnreflex, der aber eher gefährlich als nützlich ist. Über einen älteren Anteil des Vagusnervs geleitet, wird dabei die Herz- und Atmungsfunktion gedrosselt. Entwicklungsgeschichtlich stammt der Reflex von schildkrötenartigen Urahnen, die mit einem aufs Minimum begrenzten Sauerstoffverbrauch stundenlang tauchten. Für Frühgeborene stellt eine reflexhaft ausgelöste Bradykardie keinen Nutzen dar, sondern gefährdet die Sauerstoffversorgung des Gehirns, was leicht zu bleibenden Schäden führen kann oder tödlich endet. Deshalb ist es zum Beispiel beim „Kängeruhen“ und Stillen so wichtig, dass das Frühgeborene schnell lernt, dass Stillhalten mit Genuss und Bedürfnisbefriedigung verbunden ist, sodass der Reflex „Erstarrung“ (Bradykardie und Atmung einstellen) durch ein intelligenteres Programm überlagert wird.

Bei einem reifen Neugeborenen haben sich die Regelkreise des Stammhirns schon etwas stabilisiert. Das Kind beherrscht bereits die „Krokodilsprache“: angreifen oder fliehen. Es kann lautstark die Befriedigung seiner Bedürfnisse einfordern, protestieren oder vor etwas Schmerzhaftem zurückzucken. Mit Emotionen kommunizieren kann es bislang nicht. Folglich ist nicht in der Lage, „sein Krokodil“ zu beruhigen, das Herz und Lunge auf maximale Aktivität einstellt. Dafür fehlt ihm zunächst noch eine schnelle Nervenleitung von Mittelhirnimpulsen, die über die sogenannten Kiemenbogen-Nerven unter anderem Herz und Mimik steuern.

Auch das angeborene Immunsystem ist noch wenig effizient und reagiert bei Bedrohung aggressiv. Der Darm muss sich schlagartig mit Bakterien auseinandersetzen und Freunde von Feinden unterscheiden lernen. Da alle Zellen des Körpers über ihre eigenen Stoffwechseluhren verfügen und zunächst chaotisch vor sich hinwerkeln, ist ihre Einbindung in übergeordnete Rhythmen (Organuhren) und schließlich in zentrale Regelsysteme (circadiane Rhythmik) überlebensnotwendig.

Stammhirn – Herz – Lunge

Warum hilft gerade das Stillen dabei, lebenswichtige Hirn- und Körperfunktionen zu stabilisieren? Charakteristisch für gesunde, junge Menschen ist die Beruhigung von Herz- und Lungenfunktion bei gleichzeitiger Aktivierung des Bewegungsapparates. Messbar ist dieses scheinbare Paradoxon an der respiratorischen Sinusarrhythmie (RSA), einer Verlangsamung der Herzfrequenz während jeder Ausatmungsphase. Verursacht wird dieses Phänomen durch Signale, die über den „modernen“ Anteil des Vagusnervs geleitet werden. Damit werden überschießende Aktivitätsmuster (Stressreaktion oder „Krokodilsprache“) gedämpft. Das Herz schlägt ruhig, kräftig, aber unaufgeregt, obwohl gerade etwas sehr Spannendes geschieht. Möglicherweise genießt der Mensch gerade die Bewegungslosigkeit während einer Kommunikation, beispielsweise beim Kuscheln, Sex oder bei einer Massage. Oder er aktiviert Bewegungsmuster gerade maximal und hat zugleich Spaß, zum Beispiel bei Spiel oder Tanz. Dieses Reflexmuster ist entscheidend für die Bewältigung von Belastungsreaktionen ohne Kollateralschäden. Es verhindert unnötige und schädliche Stressreaktionen. Es erfordert eine schnelle Nervenleitung vom Stammhirn zum Herzen und umgekehrt. Dafür müssen die Nervenfasern mit einer Myelinschicht ummantelt werden. Das geschieht in den ersten Lebensmonaten, wenn der Regelkreis häufig benutzt wird: im Rahmen von Bindung, Kommunikation und Stillen (Bejjani 2012; Porges 2009, 2011; Thayer 2011).

Rhythmen aller Zellen und Organe

Jede Zelle hat ihren eigenen chaotischen Stoffwechselrhythmus, der sinnvoll in ein koordiniertes Ganzes eingebunden werden muss. Bei Erwachsenen sind die Rhythmen aller Zellen in den Grundrhythmus der zentralen Uhr oberhalb der Sehnervenkreuzung eingebettet, die mit der Zirbeldrüse (Melatoninherstellung) verbunden ist. Der Tag-Nacht-Rhythmus muss langsam erlernt werden. Nötig dafür sind Sicherheit und Rituale: Die Eltern sollten einen möglichst ritualisierten Tagesrhythmus für sich selbst haben und das Kind entwickelt dann in diesen Rhythmus hinein seinen eigenen Takt, ohne dort hineingezwungen zu werden. Menschen, bei denen die Grundrhythmen gestört, durch Schichtarbeit oder Vielfliegerei zwischen Zeitzonen unterbrochen sind, haben ein deutlich höheres Krankheitsrisiko (Buijs 2013).

Darm – Darmbakterien – Mittelhirn – Nebennierenrinde

Wir besitzen etwa zehnmal so viele menschentypische Darmbakterien wie Körperzellen. Ein Großteil unseres Genoms, das für die Herstellung unserer Eiweiße erforderlich ist, befindet sich außerhalb unserer Zellgrenzen. Der Mensch kann deshalb als ein Superorganismus aufgefasst werden, der den Lebensraum außerhalb der Zellgrenzen einbezieht (menschliches Mikrobiom). Der Zustand dieser Darmbakterien wirkt direkt auf die Hirnfunktion. Zum einen werden im Darm Vorstufen von Hirnbotenstoffen hergestellt – unter anderem Tryptophan für das beruhigende Serotonin. Ferner signalisiert die Konzentration von Entzündungsbotenstoffen (Zytokinen) der Immunzellen, die mit Darmbakterien kommunizieren, dem Gehirn, ob sich der Organismus in einem friedlichen oder gereizten Zustand befindet. Eine ausgeglichene Immun-Darmbakterienkommunikation beruhigt das Gehirn. Hohe Konzentrationen von Zytokinen signalisieren Alarm und ein für Infektionen sinnvolles Rückzugsverhalten: Schlappheit, Energielosigkeit, Depression, Fiebrigkeit.

Der Zustand des Darminhaltes wirkt bei Säuglingen offenbar sehr direkt auf den Zustand der emotionalen Grundstimmung. Und die Einspielung dieses Regelkreises hat erhebliche Bedeutung für die spätere Fähigkeit, effektiv mit Belastung und Stress umzugehen. Der Darm besitzt ein eigenes, vom Gehirn unabhängiges Nervensystem. Aber er ist auf regelmäßige (vagusgeleitete) Beruhigungssignale während der Ausatmung angewiesen, um gerade dann, wenn der Rest der Muskulatur ruht, aktiv werden zu können. Besteht psychologischer Stress, werden Darm und Immunzellen alarmiert, die wiederum gereizter auf relativ harmlose Darmbakterien reagieren. Das führt zu einer erhöhten Produktion von Zytokinen und signalisiert dem Gehirn zusätzlich Gefahr. Ein typischer Teufelskreis, der sich leicht aufschaukeln und dann zu massiven Erkrankungen führen kann, wie Reizdarmsyndrom oder Morbus Crohn. Er muss durch starke beruhigende Signale gedämpft werden. Diese Fähigkeit erlernt das Kind, wenn es gestillt wird.

Dynamisches Fließgleichgewicht

Das Mikrobiom des Menschen wird über die Mutter vererbt: die Mitochondrien als intrazelluläre Symbionten über die Eizelle und die essenziellen und für die Mutter charakteristischen Darmbakterien während der normalen Geburt und durch das Stillen. Die Darmflora Neugeborener ist zunächst störungsanfällig und chaotisch (Brandt 2012). Durch die kontinuierliche Zufuhr mütterlicher Keime wird sie jedoch zunehmend stabilisiert. Die Immunzellen lernen in einem rhythmisch-aktiven Wechselspiel, mit nützlichen Keimen effizient zu kommunizieren, ohne überschießend auf Störungen zu reagieren. Nur langsam entwickelt sich schließlich ein Gleichgewicht zwischen Toleranz gegenüber den eigenen Zellen, „freundlichen“ Bakterien, harmlosen Keimen und belanglosen Pollen oder Schmutzkörnchen, und eine intelligente Form der Verteidigung gegen tatsächliche Feinde.

Beruhigende und aktivierende Immunzellen sind im gesunden Ruhezustand ausbalanciert: Risiken werden ferngehalten, aber ohne dabei Nützliches oder Gesundes zu gefährden. Es entsteht ein dynamisches Fließgleichgewicht vieler Funktionen in einem fruchtbaren Miteinander unter anderem auch mit den nützlichen Bakterien der Körperoberflächen. Werden diese Reifungsvorgänge erheblich gestört, können sich in der Folge Immun- und Stoffwechselkrankheiten entwickeln. Das gilt insbesondere für Kinder, die durch Kaiserschnitt geboren, nicht gestillt oder lange mit Antibiotika behandelt wurden. (Bonifacio 2011)

Schon während der Schwangerschaft werden Darmbakterien von Epithelzellen des Darmes aufgenommen und aktiv, in oder an Immunzellen gebunden, in die Brust transportiert. Sie verharren dort in einem Zustand, in dem sie sich nicht vermehren. Wie das genau geschieht, ist noch ungenügend erforscht (Jeurink 2012). Durch die Muttermilch werden diese Keime aktiv an den Säugling „verimpft“. Mastitis einer laktierenden Brust ist daher nicht unbedingt die Folge einer von außen kommenden Infektion semipathologer Hautkeime, sondern kann ebenso durch eine Veränderung der Immunabwehr verursacht sein: zum Beispiel in Folge von Stress der Mutter (Bonaz 2013; Cho 2012; Huston 2012; Matteloni 2012; Grenham 2011).

Stammhirn – Milz – Immunfunktion

Das Immunsystem wird von einem Reflex des vegetativen Nervensystems beeinflusst, der über den dorsalen Vaguskern des Stammhirns geleitet wird. Seine Funktion ist es, unnötige Abwehrreaktionen des angeborenen, aggressiv-unspezifischen Immunsystems zu dämpfen. Sensorisch reagiert der antiinflammatorische Reflexbogen auf ein Ansteigen der Konzentration von Entzündungsmediatoren (Botenstoffe, Zytokine) und motorisch auf Effektorzellen, die die Produktion von Zytokinen dämpfen („negative Feedbackschleife“). Damit wird ein Aufschaukeln von „panischen“ Immunüberreaktionen verhindert, die sonst zu Organschäden führen würden. Die Zytokinproduktions-dämpfenden Signale werden über den Neurotransmitter Acetylcholin vermittelt, der an einem „nikotinartigen“ Alpha-7 Rezeptor von Zellen des Immunsystems ansetzt. Die Freisetzung von Acetylcholin aus der Milz unterdrückt die Produktion des Tumor-Nekrose-Faktors (TNF) und anderer Zytokine. Die Aktionspotenziale des dorsalen Vaguskerns werden auf die Milz übertragen, auf spezialisierte T-Zellen, die Acetylcholin herstellen. Im Ergebnis wird eine überschießende Zytokinproduktion verhindert (Tracey 2002, 2007,2009; Vicent 2013; Maynard 2012).

Rauchen wirkt direkt auf diesen Reflexbogen. Die Besetzung des nikotinartigen ACH-Rezeptors auf jeder Zelle (insbesondere des Immunsystems) mit einem Nikotinmolekül signalisiert jeder Körperzelle, alles sei in Ordnung, obwohl nichts in Ordnung ist. Passivrauchen ist für Neugeborene, die diesen Reflex gerade entwickeln, ein hochgefährliches Zellgift. Mütter, Väter und Hebammen unterschätzen manchmal die Schäden dieser Sucht, weil sie den Wirkungsmechanismus der Störung essenzieller Zellfunktionen nicht verstehen oder verdrängen.

Säugetiertypische Wechselwirkung

Säugetiere verfügen über ein großes Mittelhirn, um die „Krokodilsprache“ (zubeißen, wegrennen, totstellen) zu dämpfen und intelligenter zu kommunizieren. Sie erfahren geborgene Bewegungslosigkeit beim Stillen oder Kuscheln und körperliche Aktivierung beim Spaß des Spielens mit anderen kleinen Wesen. Allmählich erlernen sie die Gefühle Freude, Trauer, Wut, Ärger, Überraschung, Ekel, Angst, Geborgenheit, und können sie vermitteln. Schließlich erfahren sie über Spiegelneurone, dass andere ähnliche Gefühle haben können und man damit lustvoll experimentieren kann. Ein emotional intelligenter Erwachsener nimmt wahr, was innere und äußere Sinnesorgane melden, und färbt es emotional ein: „Gut oder schlecht für mich?“ Das dafür notwendige Ich-Bewusstsein ist ohne Emotion nicht zu haben. Aber es reicht zum Fühlen bislang nicht aus. Das emotional Wahrgenommene muss noch mit Bildern der Erfahrungen abgeglichen und mit einer Vorstellung der Zukunft verbunden werden: „Müde und gestresst nach Hause kommen, Küchendüfte riechen, sich an ein Lieblingsgericht erinnern, sicher sein, dass es dieses jetzt geben wird, Vorfreude empfinden und sich über den Bauch reiben.“ Diese sehr komplexe Art paralleler Informationsverarbeitung des Gehirns nimmt alle Informationen einer Situation gleichzeitig auf und überprüft sie auf Stimmigkeit. Das entstehende Gefühl bestimmt dann alle anderen Hirnleistungen: Das gleiche Lieblingsgericht sieht bei Ärger oder Freude sehr unterschiedlich aus.

Damit das Neugeborene diese Hochintelligenzleistung perfekt erlernen kann, braucht es enge Bindungen und eindeutige emotionale Äußerungen und Gefühle, die es erkennen, interpretieren und trainieren kann. Weil es das lächelnde Gesicht der Mutter sieht, die üblicherweise für Nahrung sorgt, beginnt es zu lächeln. Wenn die Mutter sich verspätet, wird es wütend. Die resultierende emotionale Intelligenz ist die wichtigste Kommunikationsform des Menschen (Porges 2009; Rosas-Ballina 2008, 2011, Thayer 2010).

Zusammenfassung

Nach der Geburt müssen sich die Zellen in ein übergeordnetes „Klangmuster“ einfinden. Lernend stellen sie ihre Beziehungen und Verbindungen so aufeinander ein, dass sie nach außen elastisch und flexibel reagieren (Dinan 2012). Damit sich neue Reaktionsmuster entwickeln können, sind Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe nötig. Das Kind muss vor zu viel Information geschützt werden, die es bisher nicht in einen persönlichen Bezug setzen kann. Und gleichzeitig muss es stetig und immer wieder die wesentlichen Informationen erhalten, die bewirken, dass sich viel benutzte Nervenverknüpfungen stabilisieren und sich bestimmte Schwingungsmuster vieler Zellen als Bild oder Gefühl einprägen können. Nach der Geburt besteht ein Fenster von wenigen Monaten, in dem die spätere Gesundheit günstig beeinflusst werden kann. Die frühe Entwicklung bestimmt, ob Schadstoffbelastungen, Infektionen, Stress oder Traumata später zu Krankheiten führen oder nicht.

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Bild: Simbav, 2011

Die Vorteile des Stillens sind zwar ausführlich belegt. Aber deshalb stillen nicht unbedingt immer mehr Frauen. Auch noch mehr (detailliertere und bessere) Informationen werden daran nichts ändern.

Stattdessen müsste sich die gesellschaftliche Einstellung zum Stillen verändern. Insbesondere der Staat müsste erkennen, dass die frühe Lebensphase besonders schutzbedürftig ist. Denn sie bestimmt das ganze weitere Leben.

Kinder haben ein Recht auf Schutz und optimale Förderung ihres Wachstums. Sie benötigen eine enge Mutter-Kind-Bindung und die Geborgenheit und Kommunikation des Stillens.

Aus gesamtgesellschaftlichem Interesse heraus müsste daher massiv in frühkindliche Förderungen investiert werden

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Letzte Aktualisierung: 28.10.2025