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14. Juni 2021

Bildgebende Verfahren

Kein unnötiger Ultraschall in der Schwangerschaft!

Das gilt besonders für lange Bestrahlungszeiten („Baby-Fernsehn“). Oder wenn – ohne zwingende medizinische Begründung – hohe Energiemengen eingesetzt werden („Dopplern„).

2020 setzen sich die Naturwissenschaftler:innen des Bundesamtes für Strahlenschutz gegen kommerzielle Lobby-Interessen (der ärztlichen Verbände und der Geräteindustrie) durch:

„Nach der seit 31.12. 2018 gültigen „Verordnung zum Schutz vor schädlichen Wirkungen nicht-ionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen“ sind Ultraschall-Anwendungen an einer schwangeren Person zu nicht-medizinischen Zwecken nicht mehr erlaubt. Darunter fällt das „Babykino“, also die reine Bildgebung am Fötus, ohne dass eine ärztliche Indikation gestellt wurde.“ BfS abgerufen am 12.06.2021

Die Anordnung des BfS ist gut begründet, weil für hoch-energiereiche Strahlungen keine unteren Grenzwerte angegeben werden können, bei denen Schädigung ausgeschlossen wären. Und weil Ultraschall in der Schwangerschaft im intensiver aus kommerziellen Gründen angewendet wurde.

Auch amerikanische Leitlinien verlangen, dass Ultraschall-Untersuchungen nur standardisiert, zu eindeutigen medizinischen Zwecken, pro Untersuchung nur kurz, und durch hoch-qualifiziertes Personal ausgeführt werden dürfen. (s. AIUM)

Im Prinzip gilt bei Strahlenbelastungen das Gleiche wie bei Alkoholkonsum in der Schwangerschaft: Ob ein „Gläschen Wein“ tatsächlich die Hirnchemie des Kindes nachhaltig stört, ist nicht bekannt. Trotzdem wird Schwangeren empfohlen, in der Schwangerschaft generell auf Alkohol zu verzichten. Im Analogschluss dürfen auch medizinische Interventionen (Medikamenten-Einnahmen, MRT, Ultraschall u.a.) nur dann in Anspruch genommen werden, wenn dies aus belegbaren, medizinischen Gründen notwendig erscheint oder unvermeidbar ist.

Schwangerschaft ist ein besonders schutzwürdiger Zeitraum, der das ganze weitere Leben eines Ungeborenen prägen wird. Daher muss, besonders dann, das Vorsorgeprinzip gelten: „Zuerst nicht schaden!“ „Baby-Fernsehen“ oder „Erstellung von Bildchen fürs Foto-Album“ widersprechen ärztliche Ethik und dem Grundrecht der Unversehrtheit.

Ursprünglich galt das Vorsorgeprinzip als Grundlage der Medizin. Heute aber wird der Medizin-Markt von der Ethik der Umkehr des Vorsorgeprinzips bestimmt: „Wenn ein Produkt nutzen könnte, ein Schaden aber (noch) nicht bewiesen ist, dann darf das Produkt den Nutzer:innen nicht vorenthalten werden.“ (z.B. u.a. mRNA-Impfungen)

Bild: DÄB 17.12.2020

Der Markt der Baby-Bilder

Jede Frauenarztpraxis verfügt heute über ein Ultraschallgerät. Die modernen, meist geleasten Ultraschalluntergeräte in gynäkologischen Praxen sind ausgestattet mit Farb-Doppler, 3D- und 4D-(Video)-Funktionen. Für ihre Bedienung wären eigentlich fundierte Kenntnisse erforderlich: u.a. um die Beschallungszeit (und damit die fetale Belastung) bei hoher Qualität der Befundung kurz zu halten (besonders bei Doppler-Untersuchungen).

Gynäkologische Ultraschall-Untersuchungen werden aber nicht nur von Ärzt:innen durchgeführt, die von der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin zertifiziert wurden. Leichte Bedienung, einfache Zuschaltung von Sonderfunktionen, kommerzieller Nutzen (IGeL) und mangelnde Kontrolle der Anwendung erlauben es auch wenig ausgebildeten Ärzt:innen, Ultraschall „häufig“, bei „fehlender Indikation“ und aus „kommerziellen Gründen“ einzusetzen.

Nachfrage und Angebote verstärken sich. Daher werden oft bei jedem Praxisbesuch einer Schwangeren Ultraschalluntersuchungen angeboten und durchgeführt: u.a., um nach dem Geschlecht der Feten zu suchen oder die Patientin mit farbigen Fotos oder Videosequenzen zu beeindrucken. Natürlich muss dann für die Kodierung ein Risiko gefunden werden, um eine spätere Abrechnung nicht zu gefährden. Folglich handelt es sich bei der Mehrzahl der deutschen Schwangeren um Risiko-Patient:innen.

Geburtshelfer:innen und Hebammen verlernen bei häufiger Maschinen-Nutzung mit den Händen untersuchen. Sie „begreifen“ die räumlichen Dimensionen weniger, die mit dem Geburtsvorgang verbunden sind. Berührungen und Handgriffe sind aber nicht nur diagnostische Mittel, sondern auch Formen von Kommunikation, Beziehung und Vertrauensbildung. (Arendt 2007)

„Die Verfügbarkeit des Ungeborenen: … Durch die verbreitete und routinemäßige Anwendung der Ultraschalltechnik wird der Fötus herausgenommen aus der ursprünglichen Einheit von Mutter und Kind. Technik und Verobjektivierung treten an die Stelle ursprünglicher Unmittelbarkeit … Was vorher nur spürbar und damit einem höchst subjektiven, nicht auf andere übertragbarem Gefühl zugänglich war, ist jetzt objektivierbar und kann als Gegenstand herumgereicht werden.“ (Anselm 2020)

Bild: Regionalkrankenhaus Thakhek, Laos, 18.02.2020. 4D-Ultraschall (8 Jahre alt, Neuwert > 80.000 €), eine Woche zuvor als „Entwicklungshilfe“ geliefert, der sich als unbenutzbarer Elektroschrott erwies. Bild: Jäger, 2020

Der Siegeszug der Zweidimensionalität

Der Hirnforscher Ramachandran glaubt, das wichtigste Prinzip, warum Menschen zweidimensionale Bilder lieben, sei, dass sie Unwesentliches weggelassen und Wichtiges überhöhen. Das für eine bestimmte Situation Entscheidende erstrahle damit stärker, als es in der Realität möglich sein könnte.

Bilder mit 3D-Illusion aus dem „Grundriss zum Studium der Geburtshilfe“ von E Bumm, 1922

Der Gynäkologe Ernst Bumm zeichnete 1922 anschauliche Bilder, die das Verständnis für Geburtshilfe revolutionierten. Bei der Betrachtung des flachen, zweidimensionalen Papiers entsteht die Illusion von drei Raumdimensionen. So wird der Vorgang schlagartig klar und einfach verständlich. Das Verwirrende, die Dynamik der zeitlich und räumlich verformbaren Realität, wurde wegrationalisiert. So wie auch alles scheinbar Unwichtige: die Zusammenhänge, die Gewebe, die Muskeln, die Psyche der Frau …

Je mehr solcher Zeichnungen verfügbar waren, desto mehr festigte sich eine mechanische Sicht des Geburtsvorgangs, nach der ein „fester Kopf“ durch ein „starres Becken“ passen musste. In den 50iger Jahren gehörte es dann zum Standard der Universitätskliniken, die unbewegt zweidimensionale Fläche von Röntgenbildern zu benutzen, um zu klären, ob in der vieldimensionalen Realität „dieses Kind durch dieses Becken“ passt. Aufgrund solcher Expertenmessungen konnten klare Handlungsentscheidungen getroffen werden.

Die Technik der Röntgenbestrahlung war einfach anwendbar und schmerzfrei. Die Risiken schienen gering zu sein. Denn bei dem kurz zuvor durchgeführten „Großversuch“ in Hiroshima und Nagasaki waren Schwangere viel höheren Röntgendosen ausgesetzt. Sofern sie überlebten, waren von den Behörden relativ wenig bleibende Schäden bei Kindern gemeldet worden. Außerdem traten bei den Beobachtungen unmittelbar nach niedrig-dosierten diagnostischen Bestrahlungen keine nennenswerten Nebenwirkungen auf. Die ungeborenen Kinder schienen in ihrem Wohlbefinden nicht beeinträchtigt zu sein.

Man argumentierte – Leitlinien-gerecht – im Prinzip so, wie es auch heute bei anderen Eingriffen in der Schwangerschaft immer noch üblich ist: Es bestehe vermutlich ein gewisser Nutzen, den man den Schwangeren aus ethischen Gründen nicht vorenthalten könne. Außerdem sei eine erhöhte Sterblichkeit für Mutter und Kind ausgeschlossen, und für langfristige Schäden irgendeiner unbekannten Art gäbe es keinerlei Beweise. Also sei die Anwendung der Methode bedenkenlos.

alice stewart

Bild: Alice Stewart (1906-2002): “The woman who knew too much” (Greene: Uni. Mich. Press 1999)

Es dauerte anschließend ein halbes Jahrhundert, bis der Zusammenhang zwischen dem Entstehen von Leukämie bei Kindern und niedrig-dosierten Röntgenstrahlen aufgeklärt wurde. Alice Stewart veröffentlichte erstmals 1956 im Lancet ihre Beobachtungen, dass eine für „harmlos“ gehaltene Untersuchung für ein ungeborenes Gehirn und das Immunsystem schädlich sein könne. Sie (und andere) mussten aber drei weitere Jahrzehnte immer neue Beweise vorbringen, bis der Schaden des Röntgens nicht mehr bezweifelt werden konnte.

Das zweidimensionale Verfahrensprinzip wird allerdings weiterhin, ohne Beleg eines Nutzens, immer noch in vielen Ländern mittels MRT durchgeführt. Ob damit langfristige Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung verbunden sein könnten, kann mangels Studien niemand sagen.

Ist Ultraschall in der Schwangerschaft harmlos?

Der endgültige Siegeszug der Zweidimensionalität in der Geburtshilfe begann vor dreißig Jahren mit immer perfekteren Ultraschallgeräten. Sie gelten als nebenwirkungsarm, sind sehr einfach zu bedienen und stehen mittlerweile in nahezu jeder Arztpraxis. Hinweisen auf mögliche Schädigungen der Feten wurde nicht systematisch nachgegangen. Insbesondere fehlen standardisierte Studien u. a. zu den thermischen Auswirkungen punktgenauer Bestrahlungen per Doppler-Ultraschall oder zu lang-dauernden (nicht medizinisch indizierten) Beschallungen fetaler Kopfstrukturen, vor allem in der Frühschwangerschaft.

In China wurden zwischen 1988 bis 2011 zahlreiche Studien durchgeführt, bei denen vor klinischen Schwangerschaftsunterbrechungen vaginale Ultraschalluntersuchungen durchgeführt, und die Feten anschließend obduziert wurden. Dabei fanden sich zelluläre Veränderungen und multiple neuronale Störungen. Insgesamt wurden 50 Studien dazu ausgewertet und publiziert. (West 2015) Neuere Untersuchungen aus China sind mir nicht bekannt. Tierversuche in den USA zeigten ähnliche Veränderungen, allerdings nicht, wenn „Schalldosierungen, wie sie für Menschen zugelassen sind“ angewendet werden. (Giles 2004, AIUM)

Fazit

Gynäkologische Ultraschall-Anwendung ist im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien sinnvoll, um klar erkennbare Risiken auszuschließen. Allerdings ist Ultraschall besonders in der Frühschwangerschaft für Embryonen mit Risiken verbunden. Das gilt besonders bei vaginaler Beschallung. Der Nutzen von Ultraschall-Routine-Untersuchungen im letzten Schwangerschaftsdrittel ist nicht eindeutig belegt. (Smith 2020)

Schwangere Frauen benötigen vor allem eine gute Hebammen-Begleitung, die Gesundheitskompetenz, Selbstwertgefühl, und Körper-Wahrnehmung fördert. Auf dieser Basis sind zusätzlich indizierte Ultraschalluntersuchungen bei hochqualifizierten ärztlichen Untersucher:innen sinnvoll. Aber nur dann, wenn sie nur wenig Minuten dauern, standardisiert erfolgen und ausschließlich medizinischen Zwecken dienen. Nicht indizierte Ultraschallanwendungen (Babyfernsehn), Anwendungen bei geringem Ausbildungsgrad und alle nicht zwingend erforderlichen Beschallungen von Ungeborenen sollten unterbleiben.

Mehr:

Literatur

Letzte Aktualisierung: 14.06.2021