Bildgebende Verfahren
Inhalt
- Zusammenfassung
- Kein unnötiger Ultraschall in der Schwangerschaft
- Der Markt der Babybilder
- Der Siegeszug der Zweidimensionalität
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Zusammenfassung
Die Geschichte der bildgebenden Verfahren begann vor über hundert Jahren mit der Übersetzung vier-dimensionaler Vorgänge in perfekte zweidimensionale Zeichnungen (u. a. von Ernst Bumm).
Das vier-dimensionale Geschehen des dynamischen Geburtsvorgangs schien plötzlich statisch auf Papier gebannt verstehbar. Man begann zu messen, ob die „Kugel“ des kindlichen Kindes mechanisch durch den „Topf“ des Beckens passen könne. In Wirklichkeit verformen sich alle am Geburtsvorgang beteiligten Elemente. Das Gehirn des Ungeborenen befindet sich in einem gallert-ähnlichen Zustand und kann sich den beweglichen Knochen anpassen. Und das Becken sich nach oben oder unten öffnen und verformen.
Äußere Messungen und Zeichnungen wurden dann vor einhundert Jahren durch Röntgenuntersuchungen ersetzt. In der Zeit des Nationalsozialismus versucht man diese Technik mit in-humanen Experimenten zu perfektionieren (Rieckhof und Erbslöh 1942). In den 50er Jahren gehörte es dann zum Standard deutscher Universitätskliniken, aus den unbewegten Fläche eines Röntgenbildes vor Geburten eine Indikation für einen Kaiserschnitt abzuleiten.
Es dauerte ein halbes Jahrhundert, bis der Zusammenhang zwischen dem Entstehen von Leukämie bei Kindern und niedrig-dosierten Röntgenstrahlen aufgeklärt wurde. Alice Stewart veröffentlichte erstmals 1956 im Lancet ihre Beobachtungen, dass eine (bei kurzfristiger Beobachtung) für harmlos gehaltene Untersuchung (ohne Durchführung von Langzeituntersuchungen) für ein ungeborenes Gehirn und das Immunsystem schädlich sein könne, und Leukämie auslöse.
Steward (u. a.) mussten drei weitere Jahrzehnte immer neue Beweise vorbringen, bis der Schaden des Röntgens in dieser Lebensphase nicht mehr bezweifelt werden konnte. Erst 1986 nach Ihrem letzten Lancet-Artikel wurden Röntgenuntersuchungen in der Schwangerschaft allmählich weltweit geächtet, aber erst 2007 aus den amerikanischen Leitlinien gestrichen. (Alice Stewart: “The woman who knew too much”, Greene: Uni. Mich. Press 1999)
In der Gynäkologie wurde diese Frühphase bildgebender Verfahren mit Röntgen-Strahlen schnell, als peinlich, verdrängt, zumal mit dem Ultraschall ein weniger gefährliches Verfahren zur Verfügung zu stehen schien. Hinweisen auf mögliche Schädigungen der Feten wurde mit der Einführung der ersten Ultraschallgeräte nicht systematisch nachgegangen. Insbesondere fehlten und fehlen systematische, standardisierte, in die Zukunft gerichtete Studien.
Zum Beispiel zu den thermischen Auswirkungen punktgenauer Bestrahlungen per Doppler-Ultraschall oder zu lang-dauernden (nicht medizinisch indizierten) Beschallungen fetaler Kopfstrukturen, hauptsächlich in der Frühschwangerschaft. In China wurden von 1988 bis 2011 zahlreiche Studien realisiert, bei denen vor klinischen Schwangerschafts-Unterbrechungen vaginale Ultraschalluntersuchungen durchgeführt, und die Feten anschließend obduziert wurden. Dabei fanden sich zelluläre Veränderungen und multiple neuronale Störungen. Insgesamt wurden 50 Studien dazu ausgewertet und publiziert. (West 2015) Tierversuche in den USA zeigten ähnliche Veränderungen, wenn auch nicht, wenn „Schalldosierungen, wie sie für Menschen zugelassen sind“ angewendet werden. (Giles 2004, AIUM)
Ob Ultraschalluntersuchungen tatsächlich nebenwirkungsarm sind, hängt nicht nur von der zunehmend perfekteren, technischen Qualität der Geräte ab, sondern auch erheblich von der Kompetenz der Anwender:innen. Ein Doppler-US, den Expert:innen ausführen, wird eine erheblich geringere thermische Auswirkung haben als bei Kolleg:innen, die weniger geübt sind. Hinzukommt, dass die Überbewertung der Aussage bildgebender Verfahren in der Medizin, nicht nur in der Gynäkologie und Geburtshilfe, zu einem Boom des Verkaufs hoch qualifizierter Geräte geführt hat, die heute in jeder Praxis ausgelastet werden müssen.
Die Folge sind unnötige Interventionen mit hohem Risiko (u. v. a. vaginaler Ultraschall in sehr frühen Schwangerschaftswochen, Geschlechtsbestimmungen, ‚hübsche‘ Fotos mit Farbdoppler u. v. a.) oder schlicht „3-D- oder 4-D-Babyfernsehn“. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat mit der, seit der 31.12. 2018 gültigen, „Verordnung zum Schutz vor schädlichen Wirkungen nicht-ionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen“ Ultraschall-Anwendungen an einer schwangeren Person zu nicht-medizinischen Zwecken untersagt.
„Nach der seit 31.12. 2018 gültigen Verordnung zum Schutz vor schädlichen Wirkungen nicht-ionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen sind Ultraschall-Anwendungen an einer schwangeren Person zu nicht-medizinischen Zwecken nicht mehr erlaubt. Darunter fällt das ‚Babykino‘, also die reine Bildgebung am Fötus, ohne dass eine ärztliche Indikation gestellt wurde.“ BfS
Aus eigener Anschauung bei Praxisvertretungen und aufgrund von Gesprächen bei meinen Unterrichten ist mir bekannt, dass ein Ultraschall bei jedem Besuch einer Schwangeren bei Gynäkolog:innen eher die Regel als die Ausnahme ist. Die häufigen US-Untersuchungen werden jetzt (nach der BfS Anordnung) mit angeblich bestehenden medizinischen Risiken begründet. Daher sind „Risiko-Schwangerschaften“ heute „normal“.
Unnötige Pathologisierung (u. a. auch durch fragwürdig „auffällige“ Befunde z. B. bei kindlichem Wachstum u. v. a.) erhöhen das Risiko für Kaiserschnittentbindungen. Hinzu kommen Igel-Angebote aus kommerziellen Gründen („Um ganz sicherzugehen“), die ängstliche Frauen selbst bezahlen müssen, und durch zweifelhafte Ergebnisse oft noch mehr verwirrt werden.
Kein unnötiger Ultraschall in der Schwangerschaft!
Die Anordnung des BfS (zum Verbot unnötiger Ultraschalluntersunchungen ist gut begründet, weil für hoch Energie-reiche Strahlungen keine unteren Grenzwerte angegeben werden können, bei denen Schädigung ausgeschlossen wären. Und weil Ultraschall in der Schwangerschaft im intensiver aus kommerziellen Gründen angewendet wurde.
Auch amerikanische Leitlinien verlangen, dass Ultraschall-Untersuchungen nur standardisiert, zu eindeutigen medizinischen Zwecken, pro Untersuchung nur kurz, und durch hoch qualifiziertes Personal ausgeführt werden dürfen. (AIUM)
Im Prinzip gilt bei Strahlenbelastungen das Gleiche wie bei Alkoholkonsum in der Schwangerschaft: Ob ein „Gläschen Wein“ tatsächlich die Hirnchemie des Kindes nachhaltig stört, ist nicht bekannt. Trotzdem wird Schwangeren empfohlen, in der Schwangerschaft generell auf Alkohol zu verzichten.
Im Analogschluss dürfen auch medizinische Interventionen (Medikamenten-Einnahmen, MR, Ultraschall u. a.) nur dann in Anspruch genommen werden, wenn dies aus belegbaren, medizinischen Gründen notwendig erscheint oder unvermeidbar ist.
Sinnvoll ist die gynäkologische Ultraschall-Anwendung im Rahmen der festgelegten Begrenzungen der Mutterschaftsrichtlinien, um klar erkennbare Risiken auszuschließen. In der Frühschwangerschaft ist Ultraschall für Embryonen mit Risiken verbunden. Das gilt besonders bei vaginaler Beschallung. Der Nutzen von Routine-Ultraschall-Untersuchungen im letzten Schwangerschaftsdrittel ist nicht belegt. (Smith 2020)
Vorsorgeprinzip
Schwangerschaft ist ein besonders schutzwürdiger Zeitraum, der das ganze weitere Leben eines Ungeborenen prägen wird. Daher muss, besonders dann, das Vorsorgeprinzip gelten: „Zuerst nicht schaden!“
Ursprünglich galt das Vorsorgeprinzip als Grundlage der Medizin. Heute aber wird der Medizin-Markt von der Ethik der Umkehr des Vorsorgeprinzips bestimmt: „Wenn ein Produkt nutzen könnte, ein Schaden aber (noch) nicht bewiesen ist, dann darf das Produkt den Nutzer:innen nicht vorenthalten werden.“
Der Markt der Baby-Bilder
Jede Frauenarztpraxis verfügt heute über ein Ultraschallgerät. Die modernen, meist geleasten Ultraschalluntergeräte in gynäkologischen Praxen sind ausgestattet mit Farb-Doppler, 3D- und 4D-(Video)-Funktionen. Für ihre Bedienung wären eigentlich fundierte Kenntnisse erforderlich: u. a. um die Beschallungszeit (und damit die fetale Belastung) bei hoher Qualität der Befundung kurzzuhalten (besonders bei Doppler-Untersuchungen).
Gynäkologische Ultraschall-Untersuchungen werden aber nicht nur von Ärzt:innen durchgeführt, die von der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin zertifiziert wurden. Leichte Bedienung, einfache Zuschaltung von Sonderfunktionen, kommerzieller Nutzen (IGeL) und mangelnde Kontrolle der Anwendung erlauben es auch wenig ausgebildeten Ärzt:innen, Ultraschall „häufig“, bei „fehlender Indikation“ und aus „kommerziellen Gründen“ einzusetzen.
Nachfrage und Angebote verstärken sich. Daher werden oft bei jedem Praxisbesuch einer Schwangeren Ultraschalluntersuchungen angeboten und durchgeführt: u. a., um nach dem Geschlecht der Feten zu suchen oder die Patientin mit farbigen Fotos oder Videosequenzen zu beeindrucken. Natürlich muss dann für die Codierung ein Risiko gefunden werden, um eine spätere Abrechnung nicht zu gefährden. Folglich handelt es sich bei der Mehrzahl der deutschen Schwangeren um Risiko-Patient:innen.
Geburtshelfer:innen und Hebammen verlernen bei häufiger Maschinen-Nutzung mit den Händen untersuchen. Sie „begreifen“ die räumlichen Dimensionen weniger, die mit dem Geburtsvorgang verbunden sind. Berührungen und Handgriffe sind aber nicht nur diagnostische Mittel, sondern auch Formen von Kommunikation, Beziehung und Vertrauensbildung. (Arendt 2007)
„Die Verfügbarkeit des Ungeborenen: … durch die verbreitete und routinemäßige Anwendung der Ultraschalltechnik wird der Fötus herausgenommen aus der ursprünglichen Einheit von Mutter und Kind. Technik und Verobjektivierung treten an die Stelle ursprünglicher Unmittelbarkeit … was vorher nur spürbar und damit einem höchst subjektiven, nicht auf andere übertragbarem Gefühl zugänglich war, ist jetzt objektivierbar und kann als Gegenstand herumgereicht werden.“ (Anselm 2020)
Bild: Regionalkrankenhaus Thakhek, Laos, 18.02.2020. 4D-Ultraschall (8 Jahre alt, Neuwert > 80.000 €), eine Woche zuvor als „Entwicklungshilfe“ geliefert, der sich als unbenutzbarer Elektroschrott erwies. Bild: Jäger, 2020
Der Siegeszug der Zweidimensionalität
Der Hirnforscher Ramachandran glaubt, das wichtigste Prinzip, warum Menschen zweidimensionale Bilder lieben, sei, dass sie Unwesentliches weggelassen und Wichtiges überhöhen. Das für eine bestimmte Situation Entscheidende erstrahle damit stärker, als es in der Realität möglich sein könnte.
Der Gynäkologe Ernst Bumm zeichnete 1922 anschauliche Bilder, die das Verständnis für Geburtshilfe revolutionierten. Bei der Betrachtung des flachen, zweidimensionalen Papiers entsteht die Illusion von drei Raumdimensionen. So wird der Vorgang schlagartig klar und einfach verständlich.
Das Verwirrende, die Dynamik der zeitlich und räumlich verformbaren Realität, wurde wegrationalisiert. So wie auch alles scheinbar Unwichtige: die Zusammenhänge, die Gewebe, die Muskeln, die Psyche der Frau u. v. a.
Je mehr solcher Zeichnungen verfügbar waren, desto mehr festigte sich eine mechanische Sicht des Geburtsvorgangs, nach der ein „fester Kopf“ durch ein „starres Becken“ passen musste. In den 50er Jahren gehörte es dann zum Standard der Universitätskliniken, die unbewegt zweidimensionale Fläche von Röntgenbildern zu benutzen, um zu klären, ob in der vieldimensionalen Realität „dieses Kind durch dieses Becken“ passt. Aufgrund solcher Expertenmessungen konnten klare Handlungsentscheidungen getroffen werden.
Die Technik der Röntgenbestrahlung war einfach anwendbar und schmerzfrei. Die Risiken schienen gering zu sein. Denn bei dem kurz zuvor durchgeführten „Großversuch“ in Hiroshima und Nagasaki waren Schwangere viel höheren Röntgendosen ausgesetzt. Sofern sie überlebten, waren von den Behörden relativ wenig bleibende Schäden bei Kindern gemeldet worden. Außerdem traten bei den Beobachtungen unmittelbar nach niedrig-dosierten diagnostischen Bestrahlungen keine nennenswerten Nebenwirkungen auf. Die ungeborenen Kinder schienen in ihrem Wohlbefinden nicht beeinträchtigt zu sein.
Man argumentierte – Leitlinien-gerecht – im Prinzip so, wie es auch heute bei anderen Eingriffen in der Schwangerschaft immer noch üblich ist: Es bestehe vermutlich ein gewisser Nutzen, den man den Schwangeren aus ethischen Gründen nicht vorenthalten könne. Zudem sei eine erhöhte Sterblichkeit für Mutter und Kind ausgeschlossen, und für langfristige Schäden einer unbekannten Art gäbe es keinerlei Beweise. Also sei die Anwendung der Methode bedenkenlos.
Es dauerte anschließend ein halbes Jahrhundert, bis der Zusammenhang zwischen dem Entstehen von Leukämie bei Kindern und niedrig-dosierten Röntgenstrahlen aufgeklärt wurde. Alice Stewart veröffentlichte erstmals 1956 im Lancet ihre Beobachtungen, dass eine für „harmlos“ gehaltene Untersuchung für ein ungeborenes Gehirn und das Immunsystem schädlich sein könne. Sie (und andere) mussten aber drei weitere Jahrzehnte immer neue Beweise vorbringen, bis der Schaden des Röntgens nicht mehr bezweifelt werden konnte.
Das zweidimensionale Verfahrensprinzip wird allerdings weiterhin, ohne Beleg eines Nutzens, immer noch in vielen Ländern mittels MRT durchgeführt. Ob damit langfristige Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung verbunden sein könnten, kann mangels Studien niemand sagen.
Mehr:
Literatur
- Anselm R: Du sollst dir kein Bild machen – Zum Einfluss von Visulisierungstechniken auf die Bewertung des Embryo. Wilhelm Fink Verlag 2020 –
- Abuhamad A et al. Standardized Six-Step Approach to the Performance of the Focused Basic Obstetric Ultrasound Examination. Am J Perinatal. 2016; 33(1):90-8.
- AIUM: American Institute of Ultrasound in Medicine –
- Arendt C. Vergessene Handgriffe. Die Hebamme 2007;20:39-43.
- Bumm E: Grundriss zum Studium der Geburtshilfe, in 28 Vorlesungen u. 631 [z. T. farb. ] bildl. Darst. im Text u. auf 8 Tafeln (Nachdruck) 1922 Bergmann, J F (Verlag)
- Bundesamt für Strahlenschutz. 05.02.2019 – http://www.bfs.de/DE/themen/ion/anwendung-medizin/diagnostik/schwangerschaft/schwangerschaft.html – https://www.bfs.de/DE/themen/ion/anwendung-medizin/diagnostik/alternativ/ultraschall.html – http://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/broschueren/ion/stko-schwangerschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=8
- DEGUM: Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin: https://www.degum.de/service/zertifizierte-aerzte.html
- Giles J. Ultrasound scans accused of disrupting brain development. Nature 2004; 431:1026
- Greene, Gayle (1999). The Woman Who Knew Too Much — Alice Stewart and the Secrets of Radiation. Ann Arbor MI University of Michigan Press.
- Ellisman MH et al. Diagnostic levels of ultrasound may disrupt myelination. Exp Neurol 1987; 98(1):78-92.
- Korhonen U. Fetal pelvic index to predict cephalopelvic disproportion – a retrospective clinical cohort study. Acta Obstet Gynecol Scand. 2015;94(6):615-21.
- Orley A: Methods of Pelvimetry. Br Med J. 1938; 1(4023): 361–362.
- Pattinson RC et al. Pelvimetry for fetal cephalic presentations at term. Cochrane Database Syst Rev. 2000;(2):CD000161.
- Ramachandran VS, Hirstein W: The Science of Art: A Neurological Theory of Aesthetic Exp. Journ. of Conciousness Studies, 1999, 6(6-7):15-51.
- Rieckhof W: Weitere Bestrebungen zur röntgenologischen Bestimmung der Conjugata vera. Zentralblatt für Gynäkologie 1942;5:253-266.
- Smith GCS: A critical review of the Cochrane meta-analysis of routine late-pregnancy ultrasound. BJOG 29.06.2020 –
- West J. 50 Human Studies in utero, conducted in China indicate extreme risk for prenatal Ultrasound. 2015 Lib of Congress, ISBN 978-1-941719-02-2. Video-Interview (engl)