25. August 2023

Corona-Missverständnisse

Inhalt

  • Geek-Psychose
  • Nur ein Virus?
  • Verstehen und Missverstehen
  • Syndemie statt Pandemie
  • Gastbeitrag „Medien-Hype“ (2019)
  • Eugène Ionesco zu Paranoia (1959)
  • Historischer Pandemie-Krimi (1979)
  • Public Health Katastrophen
  • Warum geht es immer wieder schief?

Link

Verwirre sie!
Confuse them, if you can’t convice them!
Murphy’s Law

Häufige Mißverständnisse

  • „Nachweis von Virusbestandteilen“, „Infektion“ und „Erkrankung“ sind unterschiedliche Begriffe. Eine Infektion bezeichnet eine Wechselwirkung, die zu einer (ggf. starken) Störung führen kann oder (nahezu unbemerkt) in eine Koexistenz mündet. Ein Test kann zeigen, ob ein Kontakt stattgefunden hat. Eine Infektionserkrankung bezeichnet eine Störung eines inneren Gleichgewichtes, die von einem Erreger bewirkt wird, oder die von ihm ausgelöst wurde (Überreaktion der Immunantwort)
  • Testergebnisse, Infektion, Erkrankung, Sterblichkeit sind unterschiedliche Begriffe. Testergebnisse müssen in einen Zusammenhang eingeordnet werden: von statistischer Wahrscheinlichkeit, Laborgegebenheiten und klinischem Bild.
  • Gesundheit ist ein Ausdruck für ein ungestörtes Ökosystem, das mit Belastungen flexibel umgehen kann. Erkrankung ist Ausdruck eines fragiles, gestörten Ökosystems, das bestehende Belastungen nicht bewältigt. Heilung ist ein Prozess der Wiederherstellung eines friedlichen Ökosystems. Das Gleichgewicht in Ökosystemen lebender Organismen hängt von vielem ab: Von inneren Einflüssen (Immunsystem, Mikrobiom im Darm und auf anderen Körperoberflächen, PsychoNeuroEndokrinologie, Mitochondrien-Gesundheit, Genetik, Alter, vorbestehenden Erkrankungen, Fähigkeit zur Stressbewältigung uva.) und von äußeren Faktoren (Zufuhr chemischer Substanzen, Umweltgifte, Erreger, Stressoren, …)

Geek-Psychose

Körper-fern und hoch-intelligent.

Moderne Kulturen fördern den Aufstieg spezial-begabter Stubenhocker. Diesen Geeks sind virtuelle Realitäten vertrauter, als die inneren und äußeren Systeme, in denen sie atmen, und die sie sind.

Die Analyse toter Daten gewinnt immer mehr an Bedeutung. Während menschen-spezifische Fähigkeiten, mit Lebendem in Beziehung zu treten, (u.a. in der Erziehung) vernachlässigt werden. Deshalb scheinen Testergebnisse bei Kindern vielen wichtiger zu sein, als deren Entwicklungschancen.

Der gesellschaftliche Stellenwert Algorithmen-gesteuerter Realitäten steigt, und der gelebter Wirklichkeiten nimmt ab:

„… Unsere Gehirne wurden von einem System gekapert,
um die Welt zu manipulieren,
anstatt sie zu verstehen …“ (McGilchrist Oktober 2021)

Bild: Rimbert, Le Monde Diplo, Oktober 2021 „… Die Gesundheitskrise ist nur ein Symptom unserer kranken Gesellschaft, deren Erneuerung eine überlebenswichtige Notwendigkeit ist.“

Schlechte Zeiten für Sinnlichkeit

Lebende Systeme berühren, durchdringen und verwandeln sich. Um sie zu verstehen, muss man sich mit ihnen verbinden. Man muss sie erfahren: sie in ihren Zusammenhängen und Wechselwirkungen wahrnehmen. Menschen verfügen dazu über einzigartige Fähigkeiten:

Mit dem Verlust dieser Kompetenzen schwindet die psychische Voraussetzung, die Dynamik (inner und äußerer) lebender Systeme zu verstehen.

Wir können nicht wissen, was wir nie erfahren haben.

Geeks können Einzelinformationen in riesigen Datenbanken zu kompliziert-strukturierten Gebilden verknüpfen. Aber das, was sie sehen, beruht letztlich auf vertrauten leblosen Unterscheidungen, wie 0 und 1. Übertragen auf die Realität, benötigen Geeks eindeutige Begriffs-Zuordnungen wie „Test positiv“ oder „Test negativ“. Aber schon bei der Interpretation dessen, was ein Test-Ergebnis aussagen kann oder nicht, geraten sie häufig ins Schleudern (Unstatistik 28.10.2021) Das Management lebender Systeme und der Umgang mit unbekanntem Nicht-Wissen sind ihnen fremd. Besonders dann, wenn die Zahl der beteiligten Einflussfaktoren unendlich groß ist: Zum Beispiel bei medizinischen Interventionen während der Schwangerschaft und der Kindheit.

Geeks glauben, Nicht-Wissen vernachlässigen zu können. Denn dann können komplexe, sich wandelnde Gebilde, wie zum Beispiel Menschen, in Daten umgerechnet werden. Um ihr Verhalten so zu kontrollieren und zu steuern.

„Sicherheit und Notstand sind keine vorübergehenden Phänomene, sondern eine neue Form der Regierbarkeit.“ Giorgio Agamben : Rede zum „Green Pass“ im italienischen Senat (07.10.2021)Originaltext (ital.)

„The next big thing!“

Zitat Mark Zuckerberg (Facebook), Welt, TV 20.10.2021

Der neue, „revolutionäre“ Ansatz, wird das „MetaVerse“. Ein von vielen gestalteter virtueller Raum, der durch die Verschmelzung von virtuell erweiterter physischer Realität, virtuellem Raum und der Summe aller virtuellen Welten des Internets entsteht. „Wie in der Realität“ scheint dann alles mit allem verbunden zu sein, ohne super-schräg zu wirken. Man sieht Himmel, kann Steine anfassen und erlebt die Löwen beängstigend direkt. Eine Art 3D-Fortsetzung des heutigen zweidimensionalen Internets. Dort sollen dann die „Nutzer:innen“ (vereinzelt und bewegugsunfähig in realen Höhlen hockend) in künstlichen Welten arbeiten, kämpfen, spielen, lieden, siegen und vor allem: kaufen und verkaufen.

Heilsame Effekte

Die Menschen im „Neuen Normal“ sollen sich, in ihrer zunehmend virtuellen Realität, wohlfühlen und glücklich sein. Dann bleiben sie auch brav.

Bild: Virtuelle Verstärkung eines Piecks-Erlebnisses: Dem ängstlichen Kind wird vorgegaukelt, der Zauber-Piecks sei schaurig schön: www.youtube.com/watch?v=VgCPMkNlkSIwww.uchealth.org/today/vr-technology-helps-patient-get-covid-19-vaccination.

Video-Voodoo ist hochwirksam.

Jede medizinische Intervention beruht auch auf Erwartungseffekten: völlig unabhängig von ihrer spezifischen Wirkung. Die Effekte sind besonders dann stark ausgeprägt, wenn „großer Angst“ die Aussicht auf „Errettung“ folgt. Und wenn die Produktanwendung (bedeutungsschwanger) im Rahmen schmerzhaft-einprägsamer Rituale erfolgt. Dann folgt der Ausschüttung von Hirn-Glücks-Hormonen tiefe Erleichterung, die sich psychisch und immunologisch beruhigend auswirkt.

Bild: Bams Titelseite 31.10.2021. Natürlich droht zusätzlich auf der Titelseite (wie jeden Tag) die „nächste Todeswelle“. Nicht nur der Journalist Milosz Matuschek fühlt sich an Mao Tse Tung erinnert: „Bestrafe einen, erziehe Hunderte!“. Die Überhöhung der – eigentlich harmlosen – Bedeutung der persönlichen Ansicht eines Fußballspielers offenbar eine Schwäche: Die Mehrheit macht mit, aber möglicherweise weniger aus Angst oder aus Überzeugung, sondern um sich irgendwie in dieser Störung zu arrangieren.

Allerdings halten solche nicht-spezifischen Effekte nicht lange an. Deshalb müssen Ängste immer wieder aufs Neue ausgelöst werden, um sie dann durch Folge-Produkte wieder zu nehmen.

Geeks sind in diesem Markt- und Medien-Geschehen gefordert, sinnlich-wahrnehmbares Heiliges so zu programmieren, dass ihre Videos ähnliche tiefe Eindrücke hinterlassen, wie Weihrauch, Gebete und Gesänge eines katholischen Gottesdienstes.

Trotz virtueller Dauer-Berieselung: Viele tun nicht, was sie sollen.

Der neue gottlose Staats-Kult hat, als „Moralin-Spender“ (NZZ 30.10.2021), im Gegensatz zu richtigen Religionen keine Vision zu bieten. Die täglich-angstauslösenden Zahlenkolonnen erreichen nicht „die Herzen“. Die menschtypisch-emotionale Mittelhirn-Intelligenz wird durch sie nicht angeregt.

Deshalb musste sich Ende Oktober das gesunde deutsche Volksempfinden aller Medien gegen einen Prominenten empören, der sich weigerte, ein Medizinprodukt zu konsumieren.

Die starke Auslösung von psychischem Druck, ist aber nicht nur in dem gewünschten Sinn wirksam.

Menschen verlieren im „neu-ängstlich-zwanghaften Normal“ an sozialen Bindungen. Das Gefühl für gesellschaftlichen Zusammenhalt läßt nach. Deshalb ist die Gefahr groß, dass steigende Frustration und zunehmende Verunsicherung nicht nur zur gewollt-brave Passivität führen. Immer neue Verunsicherungen lösen Dauer-Stress-Zustände aus, denen psychische und immunolgische Erkrankungen folgen. Und zusätzlich wächst das gesellschaftliche Risiko, dass Aggressivität in radikale Massen-Psychose-Phänomene umschlagen könnte. (Prof. Mattias Desmet, Psych. Uni. Gent, Okt. 2021).

Ist „Homo sapiens“ ein psychiatrisch hoffnungsloser Fall?

Eigentlich sollte sich ja der ärztliche Berufsstand mit Krankheiten befassen. Aber von dort sind zurzeit nur wenige heilsame Impulse zu erwarten: Denn nach vielen fetten Jahren der klassischen Medikalisierung sind Ärzt:innen jetzt (im Markt der Digital-Krankheit) akut existenzbedroht. Die Geeks des neu-normalen Medizin-Business werden sie immer seltener benötigen:

  • zu teuer,
  • zu langsam (im „0/1-Denken“) gegenüber „künstlicher Intelligenz“, und zudem
  • überflüssig für die Ausführung von Ritualen, sofern die Hilfskräfte optimal kommunikativ geschult werden.

Die Tech-Konzerne (Apple, Amazon, Alphabet, Microsoft, Google, Facebook u.v.a.) werden sich (nach den gigantischen Gewinnen in der Corona-Pandemie) ihre „Geek-Medizin“ leisten. Dabei wird das klassische Pillengeschäft gegenüber dem Daten-Gold an Bedeutung verlieren. Die Profite werden künftig eher mit Datenerhebung, Steuerung, Manipulation, Lenkung und Kontrolle erwirtschaftet werden. Auch die Pharmaindustrie hat diesen Trend erkannt

Die Digitalisierung fördert ein neues Verständnis von Gesundheitsversorgung … Wir kommen von einer Versorgung, die Erkrankungen hauptsächlich reaktiv behandelt, zukünftig hin zu einer Versorgung, die Gesundheit durch frühzeitige Interventionen und aktives Management länger erhalten kann“ Anzeige von Roche im Verlagsspezial der FAZ vom 03.11.2021

Prinzip Hoffnung: trotz allem!

Die hier angedeuteten soziologisch-ökonomisch-psychologischen Phänomene sind nachgeordnet. Denn sie spielen sich im Rahmen umfassenderer Krise ab, u.a. der Zerstörung der Biosphäre.

Das, was mir als Zeitzeuge dieser globalen Infektions-Krankheit (mit unserem Keim „Homo sapiens“) Hoffnung gibt, ist, dass junge Menschen nach neuen Lebensformen suchen. Dass sie oft keine Lust mehr verspüren, wie die Lemminge mit dem „Neuen Normal“ einem offensichtlichen Abgrund entgegen zu rennen. Und sich stattdessen in nachhaltigen Projekte engagieren, um wie u.a. in einer SoLaWi im Dreck zu buddeln. Um dabei lebende Ökosysteme mit all ihren Sinnen zu erfassen.   

.. Die Menschen, die Betroffenen, die Patienten, …, müssen aufstehen und sich solange diesem System verweigern, bis es sich auf seine Gebote, etwa das Nicht-Schadensgebot oder die Stärkung der Selbstheilungskräfte zurückbesinnt. “ Dr. Nolte, Kinderarzt, Rezension zu: „G. Ralle: Damit Krankheit nicht heillos verwaltet wird, Büchner-Verlag 2021“)

Mehr

SARS-CoV-2 ist nur ein Virus.

Ein winziges Detail. Eine Kristallstruktur, die eine (seit 100 Jahren folge-reichste) Pandemie ausgelöst hat. Bei der Bewertung der Folgen stehen messbare Einzelaspekte im Vordergrund. Denn alles zurzeit Unwichtige muss beiseite geschoben werden, um die eindeutig richtigen aus dem Heuhaufen der falschen Antworten heraus zu fischen.

Es wäre auch möglich, den Blick zu weiten. Und die zahllosen Wechselwirkungen und alle Facetten der Dynamiken wahrzunehmen, die uns gerade mitreißen und durchdringen. Möglicherweise würden wir dann manchmal sprachlos innehalten. Angesichts von völlig Unbekanntem. Wenn alle bisherigen Antworten an Bedeutung verlieren. Wir würden unser Nicht-Wissen annehmen. Und Fragen stellen, die zu weiteren Fragen führen.

Etwa wie ein Experte für Tannenzapfen verstummt, wenn er erblickt, wie in das Gebirgstal drängende Gewitterwolken die abendlichen Strahlen, Farben und Schatten durcheinanderwirbeln.

Gerd Trostmann: Farben, 1999

Richtig, falsch oder imaginär?

Es ist einfach die Sichtweisen anderer (je nach eigenem geglaubten „Wissen“) als eine Antwort in Kästchen mit der Aufschrift „falsch“ oder „richtig“ einsortieren. Das beruhigt und erspart weitere Denkarbeit. Mühevoller wäre es zu lesen, zu hören oder zu sehen uns, und selber weiter zu denken?

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO) Prof. Mertens behauptet (laut dpa am 15.09.2021): „Die Gleichzeitige Gabe von Impfungen ist unbedenklich.“ Was meint er mit dem Wort „unbedenklich“: lieber nicht denken? Wurde die Basis ärztliche Ethik (Vorsorgeprinzip: „Im Zweifel nicht schaden“ inzwischen umgekehrt (in ein Unbedenklichkeitsprinzip)?

Der Psychologe Rainer Mausfeld glaubt „Gesundheit“ sei nur ein Vorwand (Juni 2021). Tatsächlich instrumentalisierten die Eliten die Corona-Krise für Massen-Manipulation und mehr Kontrolle. Außer Widerspruch oder Zustimmung: Was sagen die eigenen Erfahrungen?

Der Epidemiologe John Ioannides urteilt. die „medizinischen Wissenschaft“ würde erodieren und Normen der Wissenschaft veränderten sich drastisch (DeutschOriginal Sept. 2021). Aber was ist eigentlich „medizinische Wissenschaft“? Im Vergleich zu Naturwissenschaften wie System-Biologie oder Quantenphysik? War Medizin nicht ohnehin immer viel mehr: Kunst, Glaube, Schamanismus, Geschäft und (nur zu einem Teil auch) Eminenz-basiertes-basierter Lehr-Kult? Wäre es nicht überfällig Mediziner:innen (die zwangsläufig mit dem Medizin-Geschäft verwoben sind) durch Lebensphilosoph:innen zu ersetzen. Die beraten, wie man das Medizinsystem möglichst selten aufsuchen muss – durch geeignetes Verhalten oder die Schaffung geeigneter Verhältnisse? Oder durch Naturwissenschaftler:innen, die in der Lage wären lebende System-Zusammenhänge und Dynamiken zu verstehen? (Im Gegensatz zum monokausal-Ursache-Wirkungs-Mechanik, die Medizin-Ideologie seit dem 19. Jahrhundert bis heute bestimmt.

Im Folgenden plädiere ich dafür, uns nicht durch die Dynamik politisch-ökonomisch-gesellschaftlichen Geschehens in die Einzelfaktor-Diskussionen aufzwingen zu lassen. Sondern uns auch Zeit zu nehmen, um (unwissend und neugierig) zurückzutreten, Ruhe zu finden, am Problen dranzubleben aber auch alles (!) wahrzunehmen, so wie es eben ist, inklusive des unendlich vielen, was völlig unbekannt bleibt (und doch da ist). Dann kann man (am besten in Gesprächen) vielleicht Möglichkeiten erkennen, die sich bieten und versuchen den Raum der Möglichkeiten zu erweitern.

Verstehen und Missverstehen

Es beruhigt, etwas zu verstehen.

Zum Beispiel, wenn ein plötzliches Gerumpel im Keller sicher von der Katze verursacht wurde. Und nicht von einem Einbrecher. Das Unerwartete hat sich dann sinnvoll zu den eigenen Erfahrungen gefügt.

Strömt zu viel Information ein, nimmt die Verwirrung zu. Z.B. wenn aus dem Keller merkwürdige Geräusche dringen, die eigentlich nicht von einer Katze stammen können. Dann sehnt man sich nach einer Erklärung, also nach weniger Information, oder noch besser: nach Exformation. Nach einem Aussondern unnötigen Datenmülls, der abstruse Ängste auslösen kann.

Wenn man nichts verstehen kann, muss man an etwas glauben. An die Vorstellungen und Wahrheiten derjenigen, die es besser wissen sollten. Weil sie erfahren sind und nachgeschaut haben. Wenn man so anderen vertraut, kann man hoffen, dass es besser wird, wenn man tut, was man soll.

Wer glaubt, muss nicht selber denken.

Das wäre bei großer Verunsicherung ohnehin schwierig.

Lieber lässt man sich dann führen. Im Marketing, in der Politik und in der Medizin wird daher manchmal Angst ausgelöst, um sie anschließend durch Produkte oder Dienstleistungen wieder zu nehmen. Am besten wirkt diese Taktik, wenn immer neue, unklare Verunsicherungen eingestreut werden: Kaum glaubt man dann eine Gruppe von Terroristen besiegt zu haben, tauchen ganz unerwartet wieder andere auf. Ein Meister dieser Kunst war der Regisseur Alfred Hitchkock: Es seien nicht die realen Ereignisse die schreckten, sondern vielmehr Ausgestaltung der Vorstellungen, dass sie eintreten könnten.

Wer etwas verstehen will, braucht Mut.

Denn ganz offensichtlich hat jemand, der etwas verstehen will, jetzt gerade noch nichts durchschaut. Diese Unsicherheit muss zuerst angenommen werden. Am besten, indem man bei einem Problem stehenbleibt, und es nicht sofort (aus Angst) beseitigen will. Nachdem sich das Angstgefühl gelöst hat, kann man erste neugierige Fragen stellen. Und so herauszufinden, ob eine vorschnell gefasste Überzeugung, vielleicht auf einem Missverständnis beruht.

„Dem erkenntnisorientierten Nachrichtenkonsumenten bleibt derweil weiter nur, sämtliche Realitätskanäle offen zu halten, sich aus möglichst verschiedenen Quellen zu informieren und seine Skepsis gegenüber allen Arten von Glaubenssystemen zu kultivieren.“ Milosz Matuschek 22.06.2021

Corona ist unsere größte Bedrohung.

Wirklich?

Seit 2002 erlebt die Menschheit die folgenschwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Ausgelöst wurde sie durch mindestens vier Pandemien, die (immer noch) gleichzeitig ablaufen:

  • die weltweite Verbreitung eines biologischen Phänomens („Virus-Pandemie“),
  • eine überlappende „Fall-Pandemie“ (Meldungen schwerer Krankheits- oder Sterbefälle + positiver Test),
  • eine „Test-Pandemie“ (Zahl positiver Tests bei Gesunden, die ggf. lange zurückliegend infiziert waren),
  • und schließlich eine „Pandemie von Angststörungen“.

Manche Folgen dieser Pandemiewellen nehmen mit sinkenden Infektionszahlen wieder ab, wie „Long-Covid“ zum Beispiel.

Andere Schäden („Long-Lock-down“) nehmen (unabhängig von Infektionszahlen) stetig zu. Das gilt besonders für die Störungen bei Kindern, Jugendlichen, aber auch bei psychisch und körperlich kranken und alten Menschen. Und wie bei allen Kriegen steigen die Kosten für die Produktion und Entsorgung von Waffen, Ausrüstung und Munition in schwindelerregende Höhen.

Die „Corona-Krise“ ist fraglos gewaltig.

Aber ist sie die zurzeit vorrangige Menschheitskatastrophe?

Ich halte das für einen Trugschluss. Ein Missverständnis, wie es in der Medizin häufig beobachtet wird, wenn die Krankheitszeichen für die Ursachen gehalten werden.

Die Ökosysteme, in denen wir (im Äußeren) leben, und die uns (im Inneren) ausmachen, verarmen: Sie verlieren an Vielgestaltigkeit. Weil immer mehr Lebewesen, um uns herum und in uns, aussterben. Weil ihr Lebensraum vergiftet wird. Damit verlieren die Lebensgemeinschaften an Flexibilität um Belastungen aufzunehmen, ohne zu erkranken. Das Zusammenspiel der Lebensformen auf der Erde wird insgesamt instabiler und anfälliger für Störungen.

Ursachen dafür sind das ungezügelte Wachstum der menschlichen Bevölkerung mit den Auswirkungen profitorientierter Massenproduktion. Wir leben im „Erdzeitalter des Menschen“ (Anthropozän), das geprägt wird durch die Verdreckung aller Lebensräume der Biosphäre: Meere, Böden, Süßwasser, Luft. So als würde ein Lebewesen von einem Krankheitserreger befallen, der entweder mit seinem Wirt zugrunde geht oder sich anpasst.

Die Dynamik der Umweltkatastrophe ist seit 50 Jahren bekannt.

Jetzt kommt das ganz große neue Wachstum des modernen Kapitalismus:
mit Supermann-Wunder-Drogen, Digital-Medikalisierung, neuen Autos mit Elektroantrieb, Windmühlen, Solarzellen, uva. Wow! Immer weiter bis die Blase platzt … Vielleicht erst im nächsten Jahrhundert?

1992 wurde sie von allen Regierungen als handlungsleitend anerkannt (UN-Konferenz). Völlig wirkungslos, denn das wirtschaftliche Wachstum nahm danach erst richtig an Fahrt auf. Die Lösung der Umweltkrise hätte aber nur weniger Wachstum bedeuten können.

Weil das aber mit unserem Wirtschaftssystem nicht vereinbar wäre, wurde die Umwelt-Katastrophe (der ganzen Biosphäre) in einen Teilaspekt „Klima-Katastrophe“ umbenannt. Nicht nur deshalb, weil die Erhitzung der Atmosphäre durch Abgase bedeutender ist als andere Bereiche der Umwelt-Verdreckung. Sondern weil viele glauben, man könne hier etwas durch ein „anderes“, „grünes“ oder gar „nachhaltiges“ Wachstum bekämpfen: durch immer mehr innovative Produkte, Windmühlen, Solarzellen, Batterien, Stromtrassen und ggf. auch wieder mehr Atomenergie.

Aber selbst, wenn es einem kapitalistischen „Reset“, hin zu einer „klimafreundlichen“ Wirtschaft, gelänge den Klimawandel etwas abzubremsen: Dann liefen die menschlichen Gesellschaften mit den vielfältigen Biosphären-Störungen doch früher oder später auf ein evolutionäres Ende zu.

Auch die (neben der ökologischen Katastrophe) kleineren Krisen des globalen Wirtschaftssystems entwickeln sich dynamisch und beunruhigend:

  • Zerfall der globalisierten Arbeitsteilung
  • Ende der unilateralen Weltherrschaft
  • Überblähung der Finanzsysteme, durch immer gewaltigeres Aufpumpen
  • Begrenzung der Ressourcen des kapitalistischen Wachstums
  • Zerstörung vieler Länder durch Stellvertreterkriege um Einflusszonen und Rohstoffe
  • Konzentration des Reichtums bei immer weniger Personen
  • Verarmung des größten Teils der Menschheit uva.

Angesichts dieser grundlegenden, menschheitsgeschichtlich bedeutenden Krisen erscheint mir die Covid-19-Pandemie, trotz allem, relativ bescheiden zu sein. Warum verdrängte sie trotzdem alle anderen Krankheitszeichen menschlicher Gesellschaften in den Hintergrund des kollektiven Bewusstseins?

Warum wurde die Illusion von „Gesundheit“ (als „Abwesenheit von Corona“) als „der“ gesellschaftliche Wert so stark überhöht? Obwohl auch den Verkäufern der „Gesundheits“-Produkte bekannt ist, dass „Gesundheit“ nichts ist, was man mit großen Anstrengungen als bleibenden Zustand erringen oder besitzen könnte.

Wäre es nicht sinnvoller, Leben (als „gedeihliches Zusammenwirken von Ökosystemen“) zu fördern, zu pflegen, zu bewahren und gedeihlich zu entwickeln? Z.B. durch gesundheitsfördernde Verhältnisse, die das Leben auf dem Planeten weniger störten.  

Uns droht der Tod!

Droht nicht vielmehr der Verlust von Sinn? Und: Was ist eigentlich tot?

Die Verhinderung des Todes ist zum höchsten gesellschaftlichen Wert aufgestiegen. Aber die Physik beschreibt nur Lebendes: Verwobene Prozesse, die sich aktiv, energie-verbrauchend entwickeln, und die Informationen erzeugen.

Naturwissenschaftlich betrachtet erzeugen lebende Systeme aus Chaos Ordnung. Sie wandeln sich, wechselwirken und erschaffen sich immer wieder neu. Bis sie zerfallen und dabei die Grundlage bilden für neues Leben. Nichts im Universum „ist“ statisch. Denn alles, in dem wir leben und was und durchdringt: „wird“, es wächst in eine Zukunft.

Die Todes-Illusion wurde erst vor 10.000 Jahren in Sklavenhalter-Gesellschaften erfunden. Vorher gab es keinen Anfang und kein Ende. Nur einen ewigen lebenden Kreislauf von Werden und Vergehen. Die Vorstellung, der Tod nähme das Leben, setzte sich schließlich durch, weil sie nützlich ist. Denn zu Tode erschreckte Menschen tun eher das, was sie sollen.

Sich an das „nackte Leben“ zu klammern, ist ein Krankheitssymptom. Ein Zeichen für quälende Vorstellungen von Leere, wenn der Lebens-Sinn verloren gegangen ist. Wer so leiden kann, ist nicht tot.

Leiden ist eine Lebensäußerung. Ein Hinweis, das noch Energie fließt. Leben, das als veränderliche Form und Werden angenommen werden kann, selbst dann, wenn es sich langsamer gestaltet und versiegt. Etwas zu akzeptieren, wie es eben geschieht, gelingt leichter, wenn sinnvolle Beziehungen gespürt werden. Zusammenhänge, die wichtiger erscheinen als der Erhalt erlernter „Ich-Konstruktion“ des Gehirns. Sterbe-Prozesse können ruhig und gelassen fließen. Todesangst ist leidvoll, aber sie (in Beziehungen und Begleitung) durchaus gewandelt werden: in Ruhe und Neugier.

Es ist deshalb oft nicht sehr wirksam, alle Energie darauf zu verwenden, „die Todes-Illusion“ bekämpfen zu wollen. Statt sich auf das Leben zu konzentrieren und dafür sorgen, dass es gefördert, und dass es nicht beengt oder blockiert wird.

Das Immunsystem muss gestärkt werden!

Ist das so?

Das Missverständnis, man müsse das Immunsystem stärken, wurde von der Medizin-Industrie erfunden. Denn die Vorstellung, man müsse für die Gesundheit Kriege gegen äußere Feinde führen, nützt hauptsächlich den Waffenherstellern und den Generälen.

Tatsächlich ist das Immunfunktion, schon bei der Geburt, das stärkste System des Körpers. Keine andere Gruppe von Zellen wäre in der Lage, den Rest des Organismus in einem kollektiven Selbstmord umzubringen. Babys wären nach der Geburt hoch gefährdet, wenn ihr Immunsystem alles angreifen würde, was ihm fremd erscheint. Stattdessen muss das angeborene, aggressive Immunsystem im Rahmen der Bindung zur Mutter beruhigt werden (Bonding).

So entwickelt sich allmählich eine übergeordnete (erlernte) Immunfunktion, die ruhig und besonnen mit den freundlichen Keimen kommuniziert, rüpelhafte Tischgenossen in Schranken hält und bösartige Angreifer gezielt und konsequent abräumt.

Manchmal werden die natürlichen Bremsen des Immunsystems durch Viren oder Allergene gelöst. Dann kann, im Zusammenwirken mit anderen Störungen, ggf. ein schweres Krankheitsbild entstehen: Eine Über-Aktivierung der Immunfunktion (so wie es bei Covid-19-Infektionen der Fall sein kann).

Wollte man „das Immunsystem stärken“, könnte das leicht zu Überreaktionen führen. An Autoimmunstörungen leiden aber ohnehin immer mehr moderne Menschen. Deshalb ist es bei nahezu allen Krankheiten meist sinnvoller, die betroffenen Patient:innen und deren Immunfunktion zu beruhigen. Und sie nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Gerade dann nicht, wenn Belastungen auftreten.

Denn Krankheit entsteht nicht unbedingt, wenn die äußeren Einflüsse und Gefahren zunehmen. Sondern eher dann, wenn

  • die Flexibilität der Zellen nachlässt,
  • die Zahl der menschentypischen Viren und Bakterien,
  • und die Vielfalt der Reaktionsmöglichkeiten abnimmt: durch zu viel Chemie oder Stress oder zu wenig Bewegung.

Nur die Daten sagen, wie es ist.

Wer sagt das?

Das Gehirn (und unsere Sicht auf die Welt) ist geteilt: Wir können (bewusst, klar und rational) einzelne Daten wahrnehmen oder Wechselwirkungen, Beziehungen und Zusammenhänge. Am besten abwechselnd. Bild: aus dem Comic-Vortrags-Video „Das geteilte Gehirn“ des Psychiaters Ian McGilchrist. Mehr, aktueller und ausführlicher: https://thedividedbrain.com/https://channelmcgilchrist.com/about/

Daten können für Klarheit sorgen. Nichts ist wirksamer als saubere Datenanalysen, um Propaganda zu entlarven. Weil aber Messungen an Einzelfaktoren erfolgen, müssen die dabei gewonnenen Daten eingebettet werden in einen übergeordneten Zusammenhang. Deshalb stehen vor allen wissenschaftlichen Experimenten intelligente Fragen.

Mathematiker, die versuchen, Aspekte der Realität komplexer Systeme zu beschreiben, verstehen, dass sie sich der Realität lebender System nur annähern (nassimtaleb.org, buzsakilab.com). Folglich muss die Frage nicht (nur) lauten

  • „Was sagen uns die Daten?“,
  • sondern: „Was weiß ich nicht? Was macht mich neugierig? Und wo versagt mein bisheriges Erklärungsmodell?“

Karl Popper schrieb, die ersten Wissenschaftler seien zu klug gewesen, um eine Wahrheit zu erkennen. Sie waren „an der Frage“ (am unbekannten Nicht-Wissen) interessiert, und nicht so sehr an einer (immer nur vorläufigen) Antwort. Fast ohne Daten fanden sie Bahnbrechendes heraus, weil sie einfach das Geglaube an die vorherrschenden Modelle effektiv aussortierten und das betrachteten, was sie nicht verstanden. (Carlo Rovelli 2020).

Daten sind wie Noten.

Sie helfen dabei, Musik besser zu verstehen, und sie genauer zu erzeugen. Der Klang der Musik ist hochkomplex, und wesentlich mehr als die Summe der Noten. Ohne Beziehung mit denen, die sie wahrnehmen, gäbe es keine Musik. Klingen und Lauschen bedingen sich gegenseitig.

Die Klarheit kritischer, von Interessen unbeeinflusster Datenanalysen macht also viel Sinn, wenn ein Gesamtkontext betrachtet und verstanden wird. Medizin und Politik brauchen dringend Schnellkurse in System-Biologie und Quantenphysik. Tatsächlich scheinen wir geistig wieder in das Geglaube des Mittelalters abzugleiten.

Weitere Missverständnisse

Ein Virus tut etwas: Es macht krank.

Mögliche andere Sicht:

Es sind Körperzellen, die etwas tun, indem sie unwirksam, passgenau oder überschießend reagieren.

Ständig entstehen neue Virus-Mutationen.

Mögliche andere Sicht:

In Viren-Gemischen sind unzählige Variationen vorhanden. Es verbreitet sich immer das, was sich gerade man besten vermehren kann. Z.B. weil die vorhandenen Antikörper (nach Infektion oder Impfung) un-wirksam sind.

Wissenschaft hat die besten Antworten.

Mögliche andere Sicht:

Wissenschaft stellt die klügsten Fragen.

Krankheit entsteht, wenn Zahl & Bösartigkeit der Angreifer zu groß wird.

Mögliche andere Sicht:

Krankheit entsteht, wenn das Gleichgewicht zwischen natürlichen, menschlichen und fremden Viren, Bakterien und Zellen gestört ist.

Krankheit muss bekämpft werden.

Mögliche andere Sicht:

Kranke müssen versorgt und beruhigt werden.

Mehr

Syndemie statt Pandemie

Der Lancet-Editor Richard Horton (s.u.) schrieb im September 2020, dass es sich bei der weltweiten Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 nicht um eine gewöhnliche Pandemie handele: Man dürfe nicht nur „ein Virus“ betrachten, sondern müsse auch die beteiligten komplexen Zusammenhänge verstehen. Statt von einer Pandemie, sollte man besser von einer Syndemie sprechen. Also von einem hochkomplexen Systemzusammenhang. Ganz ähnlich, wie angesichts der Ebola-Epidemien in Afrika:

Victor Barbiero: Its not Ebola … its the systems, GHSP (Ed) 2014

Der spanische Philosoph Santiago Alba Rico ging im Februar 2021 einen Schritt weiter (s.u.). Er hielt die Covid-19-Infektion und ihre Folgen eher für eine Symptom für eine grundlegendere Krankheit: den „pandemischen Kapitalismus“. Dabei berief er sich u.a. auf den Epidemiologen Rob Wallace, der aufzeigte, das die profit- und wachstumsgetriebene Umweltvernichtung (industrielle Landwirtschaft, Landschaftszerstörung, Artensterben, Böden-Meer-Klima-Verdreckung …) immer wieder Pandemien mit neuen Erregern auslösen werde.

Beide Autoren betonen die „Gefährlichkeit des Virus“.

Zusätzlich aber nehmen sie auch Wechselwirkungen und Dynamiken wahr, die bei der Verbreitung von Viren, bei Infektionen und bei Krankheitsverläufen von Bedeutung sind. Damit vertreten sie in der Wissenschaft, der Politik und den Medien exotische Minderheitenpositionen. Das Besondere der beiden (im Anhang ins Deutsche übersetzten) Artikel ist daher nicht so sehr was gesagt, sondern dass es überhaupt gesagt wurde.

“ .. Es ist unerheblich, ob man eine Einpunkt-Intervention auf Vorschriften („Gebote“), auf Sanktionen, auf technische Systeme, auf Training, auf wissensbasierte Überzeugungsarbeit oder auf finanzielle Anreize aufbaut – das Ergebnis ist jedes Mal da Gleiche: wenn überhaupt ein Effekt zu beobachten ist, dann ist er klein, nur kurzfristiger Natur und verschlechtert mittelfristig die Stimmung („war ja wieder nichts“). Der Grund für dieses vorhersehbare Versagen von Einpunkt-Interventionen liegt in der Eigenschaft komplexer Systeme, punktuelle Änderungen und Reize aus der Umgebung zu absorbieren und den vorherigen Zustand wieder einzunehmen. Anhaltende Veränderungen können in komplexen Systemen nur durch Mehrfachinterventionen initiiert werden, die zeitgleich oder in zeitlich gut abgestimmter Art und Weise verschiedene Interventionsebenen koordiniert einsetzen. ..“ Matthias Schrappe, Fachgutachten zu Covid-19-Strategie 18.08.2021

Leben fördern

Biolog:innen ist vertraut, dass lebende Systeme, nicht nur deshalb erkranken, weil sie zu stark von außen belastet werden (z.B. im Rahmen einer Infektion). Sondern auch, wenn ihr inneres Gleichgewicht gestört ist. Dann werden sie bereits durch leichte Störungen überfordert.

Die überwältigende Mehrzahl der wissenschaftlichen und medialen Texte im Rahmen der Covid-Pandemie beschäftigt sich aber nur mit (viralen) Einzelfaktoren, die es allerdings nur unter streng isolierten Laborbedingungen in reiner Form geben kann.

Würde man die Virusausbreitung in einem größeren Kontext betrachten, verlören gezielte Abwehrmaßnahmen, Test- und Bekämpfungs-Strategien „gegen etwas“ an Bedeutung. Dafür gewännen system-wirksame Strategien „für etwas“ an Bedeutung. Beispiele:

  • Lebensverhältnisse so gestalten, dass die Wahrscheinlichkeit für Pandemien sinkt.
  • Krankheitsverläufe nach einer Infektion frühzeitig und ambulant so beeinflussen, dass möglichst keine Notwendigkeit für Intensivbehandlungen entsteht.
  • Störungen der Umwelt, die das Risiko von Atemwegsinfektionen erhöhen (wie Smog uva.) vermindern.
  • Kindern und ältere Menschen zu schützen, sie vor Schaden bewahren, sie sichern, unterstützen und fördern.
  • Geeignetes Verhalten anregen (Nicht-Rauchen, Stress reduzieren, Bewegen, weniger Medikamente und Suchtmittel konsumieren, mit Genuss essen, Schlafen, …).
Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens: Ein einfache Erklärung, warum die „Dinge“ immer wieder (bösartigerweise) zurückbeißen. Jüngstes Beipiel: das Fiasko in Afghanistan 2021, nach 20 Jahren Invasion und „Terrorbekämpfung“

Schützen statt bekämpfen

Spezifische Interventionen, die Gesamtzusammenhänge ignorieren und Probleme erschlagen wollen, scheitern immer wieder. Früher oder später. Oft hinterlassen sie Kollateralschäden, die schlimmer sind als das Problem, das sie beseitigen versuchten.

Richard Horton: Covid-19 is not a pandemic

(Gekürzte Übersetzung unter Nutzung von deepl.com)

Langfristig wäre es (statt zu intervenieren) immer günstiger, schonender und nachhaltiger, Strategien zu entwickeln, die für alle Lebewesen unserer Biospäre gleichermaßen nützlich wären (Capra, Luisi The system view of Life).

Dazu müssten wir aber einen (im Raubtierkapitalismus verlorenen gegangenen) Sinn für das Leben wiederentdecken (Viktor Frankl), und auch die verdrängte Fähigkeit früher Menschen, Zusammenhänge zu verstehen. (Ian McGilchrist)

„Covid-19 ist keine Pandemie: Angesichts der durch COVID-19 verursachten Todesfälle, müssen wir uns eingestehen, einen viel zu engen Ansatz verfolgen. Wir haben die Ursache dieser Krise als eine Infektionskrankheit betrachtet. Alle unsere Maßnahmen haben sich darauf konzentriert, die Übertragungswege des Virus zu unterbrechen und so die Ausbreitung des Erregers zu kontrollieren. Die „Wissenschaft“, von der sich die Regierungen leiten ließen, wurde vor allem von Epidemiemodellierern und Spezialisten für Infektionskrankheiten vorangetrieben, die die gegenwärtige Gesundheitskrise verständlicherweise mit den jahrhundertealten Begriffen der Pest umschreiben. Doch die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass die Geschichte von COVID-19 nicht so einfach ist. Zwei Krankheitskategorien stehen in bestimmten Bevölkerungsgruppen in Wechselwirkung – die Infektion mit dem schweren akuten respiratorischen Syndrom Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) und eine Reihe von nicht übertragbaren Krankheiten (NCDs). Diese Krankheiten häufen sich in sozialen Gruppen entsprechend den in unserer Gesellschaft tief verankerten Ungleichheitsmustern. Das Zusammentreffen dieser Krankheiten vor dem Hintergrund sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit verschlimmert die negativen Auswirkungen jeder einzelnen Krankheit. COVID-19 ist keine Pandemie. Es handelt sich um ein Syndrom. Die syndemische Natur der Bedrohung, mit der wir konfrontiert sind, bedeutet, dass ein differenzierterer Ansatz erforderlich ist, wenn wir die Gesundheit unserer Gemeinschaften schützen wollen.

… Um den durch SARS-CoV-2 verursachten Schaden zu begrenzen, muss den nicht-infektiösen Erkrankungen und der sozioökonomischen Ungleichheit viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, als bisher zugegeben wurde. Eine Syndemie ist nicht nur eine Komorbidität. Syndemien sind durch biologische und soziale Wechselwirkungen zwischen Erkrankungen und Zuständen gekennzeichnet, Wechselwirkungen, die die Anfälligkeit einer Person für Schäden erhöhen oder ihre gesundheitlichen Folgen verschlechtern. Im Falle von COVID-19 ist die Bekämpfung von NCDs eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Eindämmung. .. Die Gesamtzahl der Menschen, die mit chronischen Krankheiten leben, nimmt zu. Die Bekämpfung von COVID-19 bedeutet, sich mit Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs zu befassen. Die stärkere Beachtung von nicht-infektiösen Erkrankungen ist nicht nur ein Thema für reichere Länder. Nicht-infektiöse Erkrankungen sind auch in ärmeren Ländern eine vernachlässigte Ursache für Krankheiten. ..

Die wichtigste Konsequenz, die sich aus der Betrachtung von COVID-19 als Syndrom ergibt, ist die Hervorhebung seiner sozialen Ursachen. Die Anfälligkeit älterer Bürger, schwarzer, asiatischer und ethnischer Minderheiten sowie von Schlüsselarbeitskräften, die in der Regel schlecht bezahlt und weniger sozial abgesichert sind, weist auf eine bisher kaum beachtete Wahrheit hin, nämlich dass die Suche nach einer rein biomedizinischen Lösung für COVID-19 scheitern wird, ganz gleich, wie wirksam eine Behandlung oder ein schützender Impfstoff ist. Solange die Regierungen keine Maßnahmen und Programme zur Umkehrung tiefgreifender Ungleichheiten entwickeln, werden unsere Gesellschaften niemals wirklich COVID-19-sicher sein. Wie Singer und Kollegen 2017 schrieben, „bietet ein syndemischer Ansatz eine ganz andere Orientierung für die klinische Medizin und die öffentliche Gesundheit, indem er zeigt, wie ein integrierter Ansatz zum Verständnis und zur Behandlung von Krankheiten weitaus erfolgreicher sein kann als die bloße Kontrolle einer epidemischen Krankheit oder die Behandlung einzelner Patienten.“ Ich würde einen weiteren Vorteil hinzufügen. Unsere Gesellschaften brauchen Hoffnung. Die Wirtschaftskrise, die auf uns zukommt, wird nicht durch ein Medikament oder einen Impfstoff gelöst. Wir brauchen nichts weniger als einen nationale Wiederbelebung. Die Betrachtung von COVID-19 als Syndrom wird zu einer umfassenderen Vision führen, die Bildung, Beschäftigung, Wohnen, Ernährung und Umwelt mit einschließt. Die Betrachtung von COVID-19 nur als Pandemie schließt eine solche umfassendere, aber notwendige Perspektive aus.“

Ian McGilchrist: Das geteilte Gehirn https://www.youtube.com/watch?v=dFs9WO2B8uI
– Aktuelle Texte und Videos: https://channelmcgilchrist.com/ng

Santiago Alba Rico: Contagio global – Capitalismo pandémico


(Gekürzte Übersetzung unter Nutzung von deepl.com )

„Globale Ansteckung – Pandemischer Kapitalismus: … Im vergangenen September veröffentlichte Richard Horton in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet einen Artikel, dessen Titel provokant oder verdächtig klingen mag: It’s not a pandemic. Natürlich ist es nicht so, dass eine der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt die Meinung eines Leugners in ihre Seiten aufgenommen hätte. Horton leugnete nicht die Existenz von Covid-19 oder nährte konspirative Wahnvorstellungen. Ausgehend von einem 1990 von dem Epidemiologen Merrill Singer entwickelten Konzept vertrat Horton die Auffassung, dass wir es heute nicht mit einer Pandemie, sondern mit etwas Komplexerem und daher Gefährlicherem zu tun haben: einer „Syndemie“, d. h. einer Epidemie, bei der eine Infektionskrankheit mit anderen chronischen oder wiederkehrenden Krankheiten verwoben ist, die wiederum mit der ungleichen Verteilung des Wohlstands, der sozialen Hierarchie, dem besseren oder schlechteren Zugang zu Wohnraum oder Gesundheit usw. zusammenhängen, Faktoren, die sich alle mit der Unvermeidbarkeit einer Epidemie überschneiden, die alle unweigerlich von Rasse, Klasse und Geschlecht geprägt sind. Bei der Syndemie handelt es sich um eine Pandemie, bei der biologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren so miteinander verwoben sind, dass eine partielle oder spezielle Lösung unmöglich ist, geschweige denn eine magische und endgültige.

Das Problem ist also nicht das Coronavirus. Das Problem ist ein „syndemischer“ Kapitalismus, in dem es nicht mehr einfach ist, zwischen Natur und Kultur und damit zwischen natürlichem und künstlichem Tod zu unterscheiden. Der Kapitalismus ist „syndemisch“, man denke nur an die jüngste Vermehrung neuer Viren (Vogelgrippe, SARS), die untrennbar mit der Agrar- und Ernährungsindustrie und der Ausbeutung der Tierwelt verbunden ist. In seinem beunruhigenden und rigorosen Buch Big Farms, Big Flu beschreibt Rob Wallace ein Modell der Fleischproduktion, bei dem der gesamte Prozess – von der Fütterung von Geflügel und Rindern bis zur Überfüllung der Betriebe – die Entstehung neuer Virusstämme und ihre Übertragung auf den Menschen nicht nur erleichtert, sondern unvermeidlich macht. Die neuen Viren sind natürlich in einem Labor entstanden, aber nur in dem Sinne, dass der Kapitalismus die Natur selbst in ein lebendes Labor verwandelt hat, das sich in ständiger pathologischer Gärung befindet und selbst von seinen Managern und Nutznießern nicht kontrolliert werden kann, so Wallace. Der Begriff „iatrogen“ wird im Allgemeinen für Todesfälle verwendet, die ohne böswillige Absicht von einer medizinischen Einrichtung verursacht werden, wie z. B. Krankenhausinfektionen, die jedes Jahr für mehr Todesfälle verantwortlich sind als die gewöhnliche Grippe. Wenn ein Krankenhaus, das als Gesundheitsschutzeinrichtung konzipiert ist und daher allen möglichen aseptischen Garantien unterliegt, dennoch tödliche Infektionen hervorruft, was wird dann nicht auch in landwirtschaftlichen Betrieben passieren, die ausdrücklich dazu bestimmt sind, das Wachstum von Tieren mit Hilfe von Antibiotika-Cocktails und unter buchstäblich höllischen Konzentrationsbedingungen zu beschleunigen? Der Wille könnte die Maschine zwar demontieren, aber die Maschine bewegt sich bereits außerhalb unseres Willens. Wallace sagt: „Wenn man die Natur kapitalistisch macht, wird der Kapitalismus natürlich“, so dass „Ungleichheiten in unserer Gesundheit von unseren Genen oder unseren Eingeweiden herrühren, nicht von Apartheidsystemen“.

Wenn der Kapitalismus ein Syndrom ist, das Bauernhöfe in biochemische Laboratorien und Städte in Brutstätten epidemischer Ungleichheit verwandelt, was ist dann die Lösung für die Rinderpandemie? Eines der untrennbaren Paradoxe dieser „syndemischen“ Dimension ist die Tatsache, dass derselbe Kapitalismus, der die natürlichen Grenzen durchbrochen hat – und weiterhin durchbricht -, von der Illusion der „totalen Sicherheit“ getragen wird.

(Die Debatte geht von) einer doppelten Fehlannahme aus: dass es in einem syndemischen System, wie wir gesagt haben, eine spezialisierte Lösung geben kann und dass, mehr noch, Politiker und Wissenschaftler wirklich bestimmende Kräfte bleiben. Sowohl die Politiker als auch die Wissenschaftler werden, wenn schon nicht von denselben wirtschaftlichen Kräften gesteuert, so doch zumindest von ihnen gezwungen. In den letzten vier Jahrzehnten, vor allem nach der Niederlage der UdSSR im Kalten Krieg, haben die Globalisierungsbewegungen der demokratischen Erneuerung das antikoloniale Konzept der „Souveränität“ wiederbelebt, um die Emanzipation der öffentlichen Sphäre – des Staates und seiner Institutionen – von der Wirtschaft und ihren Unternehmen zu fordern; ein Staat, der die politische und die religiöse Sphäre verwechselt, ist sicherlich nicht säkular, aber ein Staat, der die politische und die wirtschaftliche Sphäre verwechselt, ist auch nicht wirklich säkular. In fast allen Ländern der Welt wurde als Folge dieses „Mangels an Säkularismus“, der in Zeiten der Wirtschaftskrise und des neoliberalen Managements tragisch ist, die Pandemie mit einem stark geschwächten Vertrauen in Politiker und öffentliche Institutionen erreicht, mit den bekannten Auswirkungen. Dies erklärt, warum viele Bürger angesichts des unerwarteten Ausbruchs der Gesundheitskatastrophe ihre Hoffnung auf die Wissenschaft setzten. Was Covid-19 gezeigt hat, ist, dass die Wissenschaft nicht weniger als die Politik vom syndemischen Kapitalismus und seinen zerstörerischen Spontaneitäten bedroht ist.

Kurz gesagt, wenn der Kapitalismus ein Syndrom ist, wird er weiterhin unaufhörlich Viren und Pandemien produzieren; und er wird weiterhin, ebenfalls unaufhörlich, selektive und schlecht verteilte Impfstoffe und Medikamente produzieren. Das ist die Zukunft, und sie ist nicht rosig für die Menschheit. Aber wenn der Kapitalismus ein Syndrom ist, dann sollten Politik und Wissenschaft, die jetzt gefangen sind, dafür kämpfen, die Menschheit und sich selbst vom Kapitalismus zu befreien. Das wäre gut für alle.

Pandemie als komplexes System

Literatur

Gastbeitrag „Medienhype“ (2019)

Jan Bollwerk 1953-2020

Der folgende Beitrag wurde am 20.02.2019, ein Jahr vor der Corona-Epidemie, von Jan Bollwerk geschrieben. Er bezog sich auf eine andere, kleinere Welle medizinischen Marketings, und nahm das voraus, was dann geschah. Der Autor war Journalist und Marketingexperte. Als guter Freund hat er mir (besonders in der „Info-demie“ seit 2020) sehr gefehlt:

„Medien-Hype:

Wir alle wissen, dass die Emotionen an allen Entscheidungen nicht nur beteiligt sind, sondern eine zentrale Rolle spielen. Daher ist es das Bestreben in jedem Verkaufsprozess, die Emotionen so zu beeinflussen, dass der Mensch ihnen glaubt. Und, so funktioniert der Mechanismus, dass die Emotion dem Verstand signalisiert: Dieses Produkt ist gut – diese Information ist wahr. Der Verstand meldet dies wiederum der Emotion zurück – und in diesem Hin und Her entsteht die Entscheidung, die positiv fürs Produkt ausfällt.

Glauben. Alle diese Prozesse wurden und werden immer wieder haarklein untersucht und beschrieben. Auftraggeber sind dafür u.a. große Public Relations (PR)- und Werbeagenturen und Unternehmens-Beratungen. Sie machen Milliardenumsätze.

Die Big Player unter ihnen agieren weltweit. Viele auch „nur“ in Deutschland bzw. Europa. Sie werden von Unternehmen beauftragt, ihnen werden von Seiten der Wirtschaft Milliardenetats zur Verfügung gestellt, um definierte Inhalte zu kommunizieren. Definierte Inhalte: Es geht nicht um Wahrheit, sondern um wirtschaftliche Ziele bzw. Produkte, mit denen Ziele erreicht werden. Ziele können sein: die Marktführerschaft in einem Bereich, die Übernahme von Konkurrenten, Umsatzsteigerungen, eigene Bereinigungen. Häufig sind Ziele auch politisch motiviert, häufig hängt beides zusammen. Die Kommunikation erfolgt auf verschiedenen Kanälen.

Da werden tausende Artikel ins Internet geschleust: auf eigenen Websites, in Blogs, auf Landingpages, in sozialen Netzwerken. Geschleust bedeutet: Inhalte/zu transportierende Fakten, Tonalitäten, „unterliegende“ Botschaften werden von Unternehmen bzw. den beratenden Kommunikationsagenturen vorgegeben; viele voneinander unabhängige, bezahlte Schreiber formulieren aus diesen grundsätzlichen Vorgaben große Mengen an kurzen und langen Nachrichten, Features, Berichten, großen und kleinen
Stories, People-Geschichten.

„Infodemic .. the spread of false or baseless pieces of information. .. misinformation can be more viral than the virus ..“ VeraFiles 28.01.2020

Graphik: „Pandemic Panic“ (Medien-Hype mit „Bergen aus Maulwurfshügeln“). Autor: David McCandless (TED 2010informationisbeautiful.net) Seit Ende 2019 wird die Graphik nicht mehr aktualisiert. Der Covid-Hype hätte sie gesprengt.

In der Suchmaschinen-Optimierung werden die Begriffe, auf die es bei dem Suchen und Finden im Web ankommt, untereinander vernetzt. Immer wieder wird eine aufwendige Keyword-Optimierung gefahren: Es wird geprüft, welche Begriffe gesucht werden, daraufhin werden die Berichte und Meldungen und Stories mit diesen Begriffen versehen, überarbeitet und ins Web geschleust. Auf diese Weise tauchen die gesuchten Begriffe in und mit den gewünschten und vorgegebenen Inhalten auf. Daher erscheinen scheinbar überall und dadurch offenkundig glaubwürdig die gleichen Antworten auf dieselben Fragen. Scheinbare Wahrheiten zementieren sich auf diese Weise in den Köpfen und – vor allem – Emotionen der Menschen.

Zusätzlich werden Anzeigen mit den korrespondierenden Inhalten und Aussagen und selbstverständlich auch herkömmliche Werbung geschaltet: in Zeitungen/Zeitschriften, im Web auf Seiten, wo die Zielgruppe unterwegs ist, auf Bahnhöfen, Plakatwänden, etc. Dann laufen im Rundfunk und im TV entsprechende Features und auch Anzeigen.

Dies ist im Prinzip die gleiche Geschichte wie die fürs Web. Die „Vervielfältiger“ (Journalisten, Fachjournalisten, PR-Profis) können recherchieren wie sie wollen – wo sollen sie objektive Informationen bekommen? Wie sollen sie dabei in der Lage sein, die tatsächlichen Fakten gegeneinander abzuwägen?

Wichtig ist weiterhin: Jedes Medium – insbesondere Redaktionen – sind sog. Tendenzbetriebe. Sie dürfen tendenziell berichten.

Sehr viele Chefredakteure, Ressortleiter begreifen sich als Zuträger für eine gesunde wirtschaftliche Lage ihres jeweiligen Mediums. Meistens werden deshalb Mehrheitsmeinungen transportiert.

Mehrheitsmeinungen werden ganz stark von Presseagenturen (z.B. dpa, Reuters, AP, AFP) gebildet, die ihrerseits ebenfalls von PR-Agenturen – und selbstverständlich von den großen Playern – mit Inhalten befeuert werden. Viele kleine und regionale Zeitungen können oder wollen sich eigenes journalistisch geschultes Personal nicht mehr leisten, sondern greifen auf Agenturleistungen (die selbstverständlich bezahlt werden müssen) zurück. Auf diese Weise geraten deren Inhalte auch ins letzte Dorf.

Am Ende der Skala gibt es unzählige viele allgemeine Anzeigenblätter, fachbezogene Anzeigenblätter
(Apotheken-Rundschau), Branchenblätter. Auch hier erscheinen die gewünschten Inhalte irgendwann.

Wenn man das alles versucht zu verstehen, fragt man sich am Ende, wo eigene Informationen übers
Weltgeschehen, die Wirtschaft, Gesundheit, Impfen, Währungen etc. herkommen …

Es gibt Zusammenschlüsse von Journalisten und Redaktionen, die sich ihrer ursächlichen Aufgaben bewusst sind und recherchieren und aufdecken. Sie werden schnell in die Ecke der Panikmacher, Querdenker und Verschwörungs-Theoretiker gestellt. Und, auch das ist so, auch diese Spezies gibt es; letztlich ist deren Vorgehen das gleiche wie das der Wirtschaft, denn deren Interessen sind letztlich die gleichen wie die oben beschriebenen.

Eugène Ionesco zu Paranoia (1959)

Paranoia ist ein psychologisches Massen-Phänomen. Es entsteht, wenn Todesangst und Verzweiflung in Hass umschlagen. Nina Proll besang es Coronoia: „I zag di au“.

Seit Le Bon (Psychologie der Massen 1870) haben sich viele Wissenschaftler:innen mit Massenpsychosen beschäftigt, ohne dass ihre klugen Analysen eine Auswirkung auf das Entstehen immer schrecklicherer Varianten dieses Phänomen gehabt hätte. Angesichts der Katastrophen Mitte des 20. Jahrhunderts, versuchte der französisch-rumänische Eugène Ionesco (1909-1994) dem Massenwahn nachzuspüren (s.u. „Nashörner“). Er glaubte, nur Eigenverantwortung und selberdenken könne totalitäre Regime verhindern.

Ist das so?

Der Psychologe Rainer Mausfeld war 2021 pessimistischer („Warum schweigen die Lämmer“, Westend 2021). Denn eine tiefe psychologische Erschütterung schürt die Sehnsucht nach Sicherheit. Mit dem Wort „Wolf“ erschreckte Schafe, drängen sich nur noch enger aneinander.

Und der Wissenschaftsjournalist David Zimmermann beschreibt, dass gerade Akademiker, deren größte Kompetenz darin zu bestehen scheint, rational (also frei von Trance) zu denken, mitmachten und es anschließend wieder verdrängten:

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist pandemische-panik.jpg
Paranoia in Südostasien. Mitte März 2020. In sozialen Netzwerken in Laos gepostet.

Nashörner (1959)

Ionesco schuf seine „Nashörner“ als Symbole für die Mitläufer totalitärer Gesellschaften.

Sie unmerklich schlossen sich allmählich im Zuge einer wachsenden Bewegung freiwillig der „Rhinozeritis“ an:

Einer verfremdeten Mischung aus Faschismus, Gleichgültigkeit und Opportunismus. Alle
ließen es widerstandslos geschehen. Jeder versteckte sich hinter der wachsenden
Mehrheit. Alle im Land machten am Ende mit. Nur der Held der Geschichte, Bérenger gab nicht auf:

  • Bérenger: „Sie sind verrückt geworden, die Welt ist krank, sie sind alle krank.“
  • Daisy (seine Freundin): „Wir werden sie nicht heilen.“
  • Bérenger: „Wie im selben Haus bei ihnen wohnen?“
  • Daisy: „Man muss vernünftig sein. Man muss einen Modus Vivendi finden, man muss versuchen, sich mit ihnen zu verständigen.“
  • Bérenger: „Sie können uns nicht verstehen.“
  • Daisy: „Man muss es trotzdem versuchen. Es gibt keine andere Lösung.“
  • Bérenger: „Verstehst du sie denn?“
  • Daisy: „Noch nicht. Man muss versuchen, ihre Psychologie zu verstehen, ihre Sprache zu lernen.“

Historischer Pandemie-Krimi (1976)

Die Geschichte der Schweinegrippe Epidemie 1976 beschreibt Menschen, die, unter enormem Handlungsdruck, in gutem Glauben in hochkomplexe Systeme intervenierten. Und die Situation damit verschlimmerten.

Zitat: „Im Januar 1976 kam es auf dem Militärstützpunkt Fort Dix in New Jersey zu einem Ausbruch von Erkrankungen der oberen Atemwege. Der leitende Epidemiologe des Bundesstaates wettete mit dem zuständigen Sanitätsoffizier in Fort Dix, dass man sich mitten in einer gewöhnlichen Grippeepidemie befinde. Zur Abrechnung der Wette schickte der medizinische Offizier Kulturen an das staatliche Labor. Er verlor. Die Kulturen zeigten ein nicht identifiziertes Grippevirus, das an die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta geschickt wurde und sich als Schweinegrippe herausstellte.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist swine-flu-1976.jpg
The Swine Flu Affair
Decision-Making on a Slippery Disease

Damals glaubte man, dass jede Antigenverschiebung, wie es hier der Fall war, der mögliche Vorläufer einer Pandemie sei. Der damalige Direktor der CDC, David Sencer, bereitete ein Memorandum für David Mathews, den damaligen Sekretär für Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt, vor. Das Memorandum bot vier Optionen, die in der Regierung üblich sind: drei, die vom Leser abgelehnt werden sollten, und eine vierte, die vom Verfasser gewünscht wurde.

  • Die erste war „nichts tun“,
  • die zweite „minimale Reaktion“,
  • die dritte ein „Regierungsprogramm“
  • und die vierte ein „kombinierter Ansatz“, der dem privaten Sektor eine Rolle zuwies.

Dieses Aktionsmemorandum war absichtlich so konzipiert, dass eine positive Reaktion einer bedrängten Regierung erzwungen werden sollte, die es sich nicht leisten konnte, es abzulehnen, um es dann durchsickern zu lassen. Das Memorandum wurde bei einem Treffen mit Mathews am 15. März vorgestellt, bei dem Sencer Mathews stark unter Druck setzte. Mathews war der Ansicht, dass es politisch unmöglich sei, Nein zu sagen, selbst wenn das Risiko weit entfernt zu sein schien. Obwohl die Risiken gering waren, drängte Sencer auf die starke Möglichkeit einer Pandemie, die antigenetisch mit der Grippe von 1918 zusammenhing. Es musste innerhalb von zwei Wochen eine Entscheidung getroffen werden, um Zeit für die Vorbereitung, Prüfung und Verabreichung des Impfstoffs vor der nächsten Grippesaison zu geben.

Theodore Cooper, stellvertretender Sekretär für Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt, war beeindruckt und machte sich die Sache von Sencer zu eigen.

Am 22. März fand ein Treffen mit Präsident Ford statt, an dem Mathews und Cooper und andere Mitglieder der Verwaltung teilnahmen. Vor sechs Dingen wurde der Präsident nicht gewarnt:

  • Probleme mit schwerwiegenden Nebenwirkungen,
  • mit der Dosierung von Kindern,
  • mit der Haftpflichtversicherung,
  • mit der Expertenmeinung,
  • mit der Öffentlichkeitsarbeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes
  • und mit seiner eigenen Glaubwürdigkeit.

Am 24. März um 15.30 Uhr fand im Kabinettsraum eine weitere Sitzung mit externen Wissenschaftlern statt, darunter die eingefleischten Gegner Jonas Salk und Albert Sabin. Kurzfristig ins Weiße Haus einberufen und eingeschüchtert, vertraten die meisten Anwesenden die Auffassung, dass es „programmiert“ und „inszeniert“ sei und dass die Entscheidungen getroffen worden seien. Sie waren der Meinung, dass „wir benutzt wurden“. Durch Handzeichen wurde das Programm einstimmig angenommen. Ford bat um eine Ablehnung, aber es gab keine. Der Präsident sagte daraufhin, er werde die Sitzung unterbrechen und sich ins Oval Office begeben, wo jeder, der Zweifel hat, mit ihm unter vier Augen sprechen könne. Niemand tat dies. Der Präsident ging zurück in den Kabinettsraum, nahm Salk als auch Sabin mit und ging in den Presseraum, wo er das 135 Millionen Dollar teure Programm zur Impfung gegen die Schweinegrippe ankündigte, mit dem jeder Mann, jede Frau und jedes Kind im Land geimpft werden soll.

Der Impfstoff wurde als sicher und wirksam angesehen.

Der Rest der Geschichte ist bekannt:

  • die Probleme bei der Herstellung des Impfstoffes,
  • die Weigerung der Versicherungsgesellschaften, Haftpflichtversicherungen auszustellen,
  • die nur mäßige Reaktion der Öffentlichkeit auf das Impfprogramm,
  • das Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms und, was am auffälligsten war, das Nicht-Erscheinen eines Ausbruchs der Schweinegrippe.

Die ganze Affäre, die in diesem Buch so gut beschrieben wird, ist ein gutes Beispiel für die Fehlbarkeit der Expertenmeinung und die Fehlbarkeit der Regierung.

Die Analyse „Schweinegrippe-Affäre“ wurde von Mitgliedern der Harvard School of Government and Public Health im Auftrag des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialministeriums in Auftrag gegeben und 1978 erstmals veröffentlicht.

Sie ist unterhaltsam geschrieben und spannend wie jeder gute Detektiv- oder Science-Fiction-Roman. Sie sollte für Ärzte und Politiker Pflichtlektüre sein, da die US-Regierung heute vor den gleichen Problemen steht wie vor fast 30 Jahren.“ (Jacoby 2015)

Zitate aus dem Buch „The Swine Flu Affaire“ (frei übersetzt)

  • „… Wenn die Erfahrung mit der Schweinegrippe uns etwas lehren kann, dann ist es wichtig, dass wir sie lernen. Wenn es Fehler oder Fehltritte gegeben hatte – wie auch immer gut gemeint – wäre es wichtig, sie zu lernen, damit wir sie nicht wiederholen, weder in der Impfpolitik noch in anderen, ähnlichen Entscheidungs-Zusammenhängen.“
  • „… Wenn Entscheidungen auf der Grundlage sehr begrenzter wissenschaftlicher Daten getroffen werden müssen, sollte die Bundes-Gesundheitsbehörde Schlüsselpunkte festlegen, an denen das Programm formell neu bewertet werden sollte.“
  • „… Es war keine leichte Entscheidung, angesichts all der (unbekannten) Unbekannten. Sie erschien uns als eine vernünftige Entscheidung, bei der alle Risiken sorgfältig abgewogen wurden. Was uns aber fast ebenso eindringlich auffiel, war die weit offene Art und Weise, wie sie getroffen wurde – der „Sonnenschein-Ansatz“, wenn man so will.“
  • „… Das, was bei der Planung des Schweinegrippe-Programms nötig gewesen wäre, war ein Tag am Tisch, um mit Murphy’s Law ein Brainstorming zu veranstalten: „Wenn etwas schief gehen kann, dann wird es das auch“, um alle denkbaren Entwicklungsmöglichkeiten, die man sich vorstellen kann, zu diskutieren. Das hätte es getan. Es hätte sicherlich eine Menge der Dinge aufgefangen, die schief gelaufen sind – schließlich war es gar nicht so schwer, an sie zu denken.“ Rezension Jacoby MG: The Swine Flu Affair Decision-Making on a Slippery Disease BMJ 2005;331:1276 https://www.bmj.com/content/331/7527/1276.1 Freie Übersetzung aus dem Englischen

Download „The Swine Flu Affair“ (2MB)

Weitere Berichte und Dokumentationen

  • Video: „Mike Wallace Exposes the 1976 Swine Flu Pandemic Vaccination“

Public Health-Katastophen

Lachenal: Le médicament qui devait sauver l’AfriqueParis 2014. Englisch: JHU Press 2017, http://univ-paris-diderot.academia.edu/GuillaumeLachenal, Engl.: https://jhupbooks.press.jhu.edu/title/lomidine-files

  • Die „Lomidine Files“ schildern das Fiasko einer brachialen Intervention zur Schlafkrankheits-Ausrottung in Westafrika. Ohne nachweisbaren Nutzen und mit langfristigen Folgen.

Randall M. Packard: A History of Global Health – Interventions into the lives of other people. JHU Press 2016. ISBN 987654321

  • Das Öffentliche Gesundheitswesen geht auf die großen Sozial-Hygieniker Virchow und Pettenkofer zurück, die im 19. Jahrhundert u.a. die Wasserversorgung Berlins und Münchens erfolgreich sanierten. Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich dann die kriegerische Auffassung der Medizin durch, dass man äußere Feinde isolieren, abwehren, bekämpfen und vernichten müsste. Ich kenne kein Buch, das diese Ursprungsgeschichte der „Interventionen in das Leben anderer“ so gut recherchiert hätte.

Mehr

Warum geht es immer wieder schief?

Dietrich Dörner: Die Logik des Mißlingens, rororo 2003, Interview.

  • Die Logik des Mißlingens: Immer wieder geschehen die gleichen Fehler. Menschen intervenieren in Systeme, die sie nicht verstehen. Sie halten komplexe Zusammenhänge für einfach oder höchstens für kompliziert. Und dann intervenieren sie zielgenau und sind oft sogar kurzfristig erfolgreich. Dann aber erleben sie ungeahnte Überraschungen, weil sie zuvor nicht wussten, was sie nicht wussten. Und so erzeugen sie immer wieder (manchmal heftige) Verschlimmbesserungen.

Nassim Nicholas Taleb: Skin in the Game (Die eigene Haut riskieren), Random House 2018:

  • Viele Katastrophen geschehen, weil Menschen komplexe Zusammenhänge nicht verstehen oder deren Eigendynamik unterschätzen. Wenn man „nach hinten schaut (in die Vergangenheit, in der alles gut war)“ und dabei „nach vorne (in die Zukunft)“ rudert, kann man plötzlich (völlig überraschend) an einen Fels krachen und untergehen. Geschehen solche Ereignisse immer nur aus Unkenntnis oder Dummheit? Nicht unbedingt, denn die Mächtigen, die die Entscheidungen treffen, riskieren meist nicht ihre eigene Haut. D.h. sie sind nicht verantwortlich, wenn es schief geht und haben zuvor dafür gesorgt, dass sie nicht haften werden.
Letzte Aktualisierung: 29.02.2024